Art. 14 IV lit. a Ziffer i und Art. 14 V der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sind dahin auszulegen, dass sie einen Verbraucher von jeder Verpflichtung zur Vergütung der Leistungen befreien, die in Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags erbracht wurden, wenn ihm der betreffende Unternehmer die Informationen gemäß Art. 14 IV lit. a Ziffer i nicht übermittelt hat und der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach Erfüllung dieses Vertrags ausgeübt hat.

EuGH (Achte Kammer), Urteil vom 17.05.2023 – C-97/22 (DC/​HJ)

Das vorliegende Urteil betrifft die Auslegung von von Art. 14 V der Richtlinie 2011/83/EU des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.10.2011 über die Rechte der Verbraucher, zur Abänderung der Richtlinie 93/13/EWG des Rates und der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates sowie zur Aufhebung der Richtlinie 85/577/EWG des Rates und der Richtlinie 97/7/EG des Europäischen Parlaments und des Rates (ABl. 2011 L 304, 64). Es ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen DC und HJ über die Vergütung einer Dienstleistung, die ein Unternehmen in Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags für HJ erbracht hat. Dieses Unternehmen hat sämtliche Ansprüche aus dem Vertrag an DC abgetreten.

Sachverhalt: Am 06.10.2020 schloss HJ mit einem Unternehmen mündlich einen Vertrag über die Erneuerung der Elektroinstallation seines Hauses, ohne dass dieses Unternehmen ihn über sein Widerrufsrecht nach Art. 246a EGBGB in seiner auf den Ausgangsrechtsstreit anwendbaren Fassung unterrichtet hätte.

Nach Erbringung seiner vertraglichen Leistungen legte das Unternehmen HJ am 21.12.2020 die entsprechende Rechnung vor, die HJ nicht beglich.

Am 15.03.2021 trat das Unternehmen sämtliche Ansprüche aus dem Vertrag an DC ab.

Nachdem HJ am 17.03.2021 den Widerruf des Vertrags erklärt hatte, erhob DC beim LG Essen (Deutschland), dem vorlegenden Gericht, Klage auf Vergütung der für HJ erbrachten Dienstleistung. DC macht geltend, das abtretende Unternehmen habe trotz des Widerrufs von HJ einen Anspruch auf diese Zahlung, auch wenn die hierfür nach § 357 VIII BGB erforderlichen Voraussetzungen nicht vorlägen. Der Ausschluss eines solchen Anspruchs aufgrund der Verletzung der dem betreffenden Unternehmer obliegenden Informationspflicht stelle unter Verstoß gegen den 57. Erwägungsgrund der Richtlinie 2011/83 eine „unverhältnismäßige Sanktion“ dar.

HJ macht seinerseits geltend, dass DC, da das abtretende Unternehmen es unterlassen habe, HJ über sein Widerrufsrecht zu unterrichten, keinen Anspruch auf Vergütung der Dienstleistung habe, die in Erfüllung des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden Vertrags erbracht worden sei.

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts hängt die Entscheidung des Ausgangsrechtsstreits von der Auslegung von Art. 14 V der Richtlinie 2011/83 ab. Es räumt ein, dass der Verbraucher nach den Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuchs, die zur Umsetzung dieser Richtlinie erlassen worden seien, nicht für die vor Ablauf der Widerrufsfrist erbrachte Dienstleistung aufzukommen brauche, wenn der betreffende Unternehmer es unterlassen habe, diesen Verbraucher über sein Widerrufsrecht zu unterrichten.

Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch, ob dieser Art. 14 V jeglichen Anspruch des Unternehmers auf „Wertersatz“ auch dann ausschließt, wenn der Verbraucher sein Widerrufsrecht erst nach Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen geschlossenen Vertrags ausgeübt und damit unter Verletzung des vom Gerichtshof als allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts anerkannten Verbots ungerechtfertigter Bereicherung einen Vermögenszuwachs erlangt hat.

Unter diesen Umständen hat das LG Essen beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist Art. 14 V der Richtlinie 2011/83 dahin auszulegen, dass er in dem Fall, dass der Besteller seine auf den Abschluss eines Bauvertrags, der außerhalb von Geschäftsräumen geschlossen worden ist, gerichtete Willenserklärung erst widerruft, nachdem der Unternehmer seine Leistungen bereits (vollständig) erbracht hat, jegliche Wertersatz- oder Ausgleichsansprüche des Unternehmers auch dann ausschließt, wenn die Voraussetzungen eines Wertersatzanspruchs nach den Vorschriften über die Rechtsfolgen des Widerrufs zwar nicht vorliegen, der Besteller aber durch die Bauleistungen des Unternehmers einen Vermögenszuwachs erhalten hat, das heißt bereichert ist?

Der EuGH hat die Vorlagefrage wie aus dem Leitsatz ersichtlich beantwortet.

Aus den Gründen: Zur Vorlagefrage

[21]   Mit seiner Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Art. 14 V der Richtlinie 2011/83 dahin auszulegen ist, dass er einen Verbraucher von jeder Verpflichtung zur Vergütung der Leistungen befreit, die in Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags erbracht wurden, wenn ihm der betreffende Unternehmer die Informationen gemäß Art. 14 IV lit. a Ziffer i dieser Richtlinie nicht übermittelt hat und der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach Erfüllung dieses Vertrags ausgeübt hat.

[22]   Vorab ist darauf hinzuweisen, dass das vorlegende Gericht – nachdem ihm zur Kenntnis gebracht worden war, dass die Europäische Kommission in den von ihr eingereichten schriftlichen Erklärungen Zweifel hinsichtlich der Natur des im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags geäußert hatte – mit Schreiben vom 29.09.2022, das beim Gerichtshof am 13.10.2022 eingegangen ist, klargestellt hat, dass dieser Vertrag als „Dienstleistungsvertrag“ i. S. von Art. 2 Nr. 6 der Richtlinie 2011/83 einzustufen sei.

[23]   Nach dieser Klarstellung ist darauf hinzuweisen, dass nach Art. 14 V der Richtlinie 2011/83 ein Verbraucher, der sein Recht auf Widerruf eines „außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags“ i. S. von Art. 2 Nr. 8 dieser Richtlinie i. V. mit Art. 2 Nr. 1 und 2 ausübt, aufgrund dieser Ausübung nicht in Anspruch genommen werden kann, sofern in Art. 13 II und Art. 14 dieser Richtlinie nichts anderes vorgesehen ist.

[24]   Zu den letztgenannten Bestimmungen gehört Art. 14 III der Richtlinie 2011/83, wonach ein Verbraucher, der sein Widerrufsrecht ausübt, nachdem er vom betreffenden Unternehmer verlangt hat, während der in Art. 9 dieser Richtlinie vorgesehenen Widerrufsfrist von 14 Tagen einen außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrag zu erfüllen, diesem Unternehmer einen Betrag zahlen muss, der auf der Grundlage des in diesem Vertrag vereinbarten Gesamtpreises berechnet wird und verhältnismäßig dem entspricht, was bis zu dem Zeitpunkt, zu dem der Unternehmer von der Ausübung des Widerrufsrechts unterrichtet worden ist, im Vergleich zum Gesamtumfang der in diesem Vertrag vereinbarten Leistungen geleistet worden ist.

[25]   Dieser Art. 14 III ist jedoch in Verbindung mit Art. 14 IV lit. a Ziffer i der Richtlinie 2011/83 zu lesen. Daraus ergibt sich, dass der Verbraucher – wenn der betreffende Unternehmer es unterlassen hat, ihm, bevor er sich durch einen außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrag bindet, die Informationen gemäß Art. 6 I lit. h oder j dieser Richtlinie über die Bedingungen, Fristen und Verfahren für die Ausübung des Widerrufsrechts sowie über die Verpflichtung zur Zahlung des in Art. 14 III genannten Betrags bereitzustellen – nicht für die Dienstleistungen aufzukommen hat, die während der Widerrufsfrist ganz oder teilweise an ihn erbracht werden. Außerdem führt das Versäumnis, die in Art. 6 I lit. h genannten Informationen bereitzustellen, gemäß Art. 10 I der Richtlinie dazu, dass sich die Widerrufsfrist um zwölf Monate nach Ablauf der ursprünglichen Widerrufsfrist verlängert.

[26]   Das in Art. 14 V der Richtlinie 2011/83 genannte Widerrufsrecht soll den Verbraucher in dem besonderen Kontext des Abschlusses eines Vertrags außerhalb von Geschäftsräumen schützen, in dem – worauf im 21. Erwägungsgrund dieser Richtlinie hingewiesen wird – der Verbraucher möglicherweise psychisch unter Druck steht oder einem Überraschungsmoment ausgesetzt ist, wobei es keine Rolle spielt, ob der Verbraucher den Besuch des betreffenden Unternehmers herbeigeführt hat oder nicht. Daher ist die vorvertragliche Information über dieses Widerrufsrecht für den Verbraucher von grundlegender Bedeutung und erlaubt ihm, die Entscheidung, ob er diesen Vertrag abschließen soll oder nicht, in Kenntnis der Sachlage zu treffen (vgl. entsprechend EuGH, Urt. v. 23.01.2019 – C-430/17, ECLI:EU:C:2019:47 Rn. 45 und 46 – Walbusch Walter Busch).

[27]   Daraus folgt, dass in dem Fall, dass der betreffende Unternehmer es vor Abschluss eines Vertrags außerhalb von Geschäftsräumen i. S. von Art. 2 Nr. 8 der Richtlinie 2011/83 unterlässt, einem Verbraucher die in Art. 6 I lit. h oder j dieser Richtlinie genannten Informationen bereitzustellen, und der Verbraucher sein Widerrufsrecht ausübt, Art. 14 IV lit. a Ziffer i und Art. 14 V dieser Richtlinie den Verbraucher von jeder Verpflichtung befreien, diesem Unternehmer den Preis für die von ihm während der Widerrufsfrist erbrachten Dienstleistung zu zahlen.

[28]   Das vorlegende Gericht fragt sich jedoch, ob dieser so vom Verbraucher erzielte Vermögenszuwachs nicht dem Grundsatz des Verbots ungerechtfertigter Bereicherung zuwiderläuft.

[29]   Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass die Richtlinie 2011/83 den Zweck verfolgt, gemäß ihrem Art. 1 ein hohes Verbraucherschutzniveau sicherzustellen, wie es in Art. 169 AEUV und in Art. 38 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union verankert ist (vgl. in diesem Sinne EuGH, Urt. v. 10.07.2019 – C-649/17, ECLI:EU:C:2019:576 Rn. 39 – Amazon EU).

[30]   Um dieses Ziel zu erreichen, nimmt diese Richtlinie, wie aus ihren Erwägungsgründen 4, 5 und 7 hervorgeht, eine vollständige Harmonisierung bestimmter wesentlicher Aspekte der Verträge zwischen Verbrauchern und Unternehmern vor (EuGH, Urt. v. 13.09.2018 – C-332/17, ECLI:EU:C:2018:721 Rn. 27 – Starman). In diesem Zusammenhang verpflichtet Art. 4 der Richtlinie die Mitgliedstaaten – sofern sie nichts anderes bestimmt – dazu, innerstaatliche Rechtsvorschriften weder aufrechtzuerhalten noch einzuführen, die von dem in der Richtlinie 2011/83 vorgesehenen Verbraucherschutzniveau abweichen.

[31]   Das mit der Richtlinie 2011/83 festgelegte Ziel geriete indessen in Gefahr, falls Art. 14 V dieser Richtlinie dahin auszulegen wäre, dass er es erlaubte, von der Anwendung der eindeutigen Bestimmungen von Art. 9 I und Art. 14 IV lit. a Ziffer i der Richtlinie dergestalt abzusehen, dass einem Verbraucher in der Folge seines Widerrufs eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrags Kosten entstehen könnten, die in dieser Richtlinie nicht ausdrücklich vorgesehen sind.

[32]   Diese Auffassung steht im Einklang mit der in Randnummer 26 des vorliegenden Urteils erwähnten grundlegenden Bedeutung, die die Richtlinie 2011/83 der vorvertraglichen Information über das Widerrufsrecht bei außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Verträgen beimisst. Hat der betreffende Unternehmer es unterlassen, einem Verbraucher diese Information bereitzustellen, muss dieser Unternehmer somit die Kosten tragen, die ihm für die Erfüllung des außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Dienstleistungsvertrags während der Widerrufsfrist, die dem Verbraucher nach Art. 9 I dieser Richtlinie zur Verfügung steht, entstanden sind. Dass sich DC, um solchen Kosten zu entgehen, auf den im 57. Erwägungsgrund der Richtlinie genannten Grundsatz der Verhältnismäßigkeit von Sanktionen beruft, überzeugt unter diesen Voraussetzungen nicht.

[33]   Schließlich lassen diese Feststellungen die eventuell vom nationalen Recht vorgesehene Möglichkeit unberührt, dass DC, soweit Letztere nicht dafür verantwortlich gemacht werden kann, dass HJ nicht über sein Recht auf Widerruf des außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags unterrichtet wurde, eine Regressklage gegen den Unternehmer erhebt, der ihr sämtliche Ansprüche aus diesem Vertrag unter solchen Bedingungen abgetreten hat (vgl. entsprechend EuGH, Urt. v. 17.10.2019 – C-579/18, ECLI:EU:C:2019:875 – Comida paralela 12 Rn. 44).

[34]   Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Art. 14 IV lit. a Ziffer i und Art. 14 V der Richtlinie 2011/83 dahin auszulegen sind, dass sie einen Verbraucher von jeder Verpflichtung zur Vergütung der Leistungen befreien, die in Erfüllung eines außerhalb von Geschäftsräumen abgeschlossenen Vertrags erbracht wurden, wenn ihm der betreffende Unternehmer die Informationen gemäß Art. 14 IV lit. a Ziffer i nicht übermittelt hat und der Verbraucher sein Widerrufsrecht nach Erfüllung dieses Vertrags ausgeübt hat.

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