Zum Umfang der Haftung eines Automobilherstellers nach §§ 826, 31 BGB gegenüber dem Käufer des Fahrzeugs in einem sogenannten Dieselfall (hier: Anrechnung von Nutzungsvorteilen, Aufwendungsersatz, Verzugs- und Deliktszinsen, außergerichtliche Rechtsanwaltskosten).

BGH, Urteil vom 19.01.2021 – VI ZR 8/20

Sachverhalt: Die Klägerin erwarb am 08.04.2015 von einem Dritten für 11.697,70 € gebrauchten VW Golf Variant 2.0 TDI mit einer Laufleistung von 106.000 km. Herstellerin dieses mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestatteten Fahrzeugs ist die Beklagte.

Für den Fahrzeugtyp wurde eine Typgenehmigung nach der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 mit der Schadstoffklasse Euro 5 erteilt. Der Umfang der Stickoxidemissionen des Fahrzeugs hängt davon ab, in welchem Ausmaß Abgase über ein Abgasrückführungsventil in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeführt werden. Die das Ventil steuernde Software des Motorsteuerungsgeräts erkannte, ob das Fahrzeug innerhalb oder außerhalb der Bedingungen des zur Erlangung der Typengenehmigung zu absolvierenden Testlaufs betrieben wurde und im Rahmen dieses Testlaufs den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfuhr. Beim Betrieb außerhalb der Bedingungen des Neuen Europäischen Fahrzyklus wurden relativ weniger Abgase in den Ansaugtrakt des Motors zurückgeleitet beim Betrieb innerhalb der Bedingungen des Neuen Europäischen Fahrzyklus befand.

Das Kraftfahrt-Bundesamt wertete die Software als unzulässige Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 II 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 und verpflichtete die Beklagte, diese aus allen betroffenen Fahrzeugen mit EA189-Dieselmotoren zu entfernen und geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge herzustellen. Ein daraufhin von der Beklagten angebotenes Softwareupdate wurde auf das streitgegenständliche Fahrzeug am 24.05.2019 aufgespielt.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin von der Beklagten die Zahlung von 11.697,70 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 24.04.2015, Zug um Zug gegen „Rückgabe“ des Fahrzeugs verlangt. Außerdem hat sie die Feststellung begehrt, dass die Beklagte seit dem 24.04.2015 in Annahmeverzug sei, und die Erstattung von Aufwendungen (Inspektionskosten etc.) in Höhe von insgesamt 474,83 € nebst Zinsen sowie die Freistellung von außergerichtlich angefallenen Rechtsverfolgungskosten in Höhe von 1.245,69 € nebst Zinsen beansprucht.

Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die Entscheidung des Landgerichts abgeändert und die Beklagte verurteilt, an die Klägerin 3.497,25 € nebst Zinsen in beantragter Höhe seit dem 14.07.2017 Zug um Zug gegen „Rückgabe“ des Fahrzeugs zu zahlen. Ferner hat es den Annahmeverzug der Beklagten (erst) ab dem 08.06.2017 festgestellt und die Beklagte zur Zahlung vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten in Höhe von 413,64 € nebst Zinsen seit dem 14.07.2017 verurteilt. Im Übrigen hat es die Klage abgewiesen. Zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Berufungsgericht betrug die Laufleistung des streitgegenständlichen Pkw 242.000 km.

Gegen das Urteil des Landgerichts haben beide Parteien Revision eingelegt. Die Klägerin hat damit ihre Klageanträge in vollem Umfang weiterverfolgt, während die Beklagte ihre Revision zurückgenommen hat. Das Rechtsmittel der Klägerin hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: [6]    I. Das Berufungsgericht, dessen Urteil bei juris und unter BeckRS 2019, 36859 veröffentlicht ist, hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Klägerin stehe gegen die Beklagte gemäß § 826 BGB i. V. mit § 31 BGB ein Schadensersatzanspruch zu. Die geltend gemachten Aufwendungen seien allerdings nicht ersatzfähig. Die Klägerin müsse sich außerdem die gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Die erwartete Gesamtlaufleistung eines Fahrzeugs der streitgegenständlichen Art werde auf 300.000 km geschätzt. Der Gebrauchsvorteil errechne sich, indem der von der Klägerin gezahlte Bruttokaufpreis (11.697,70 €) mit den von ihr gefahrenen Kilometern (136.000) multipliziert und der sich ergebende Wert durch die erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt (194.000 km) geteilt werde. Somit ergebe sich eine von dem Schadensersatzanspruch abzuziehende Nutzungsentschädigung in Höhe von 8.200,45 €.

[7]    Die Klägerin könne nur die Zahlung von Prozesszinsen gemäß §§ 291, 288 I 2 BGB und nicht von Verzugszinsen verlangen, da die Beklagte vorprozessual nicht in Verzug gesetzt worden sei. Ein Anspruch auf Zahlung von Zinsen gemäß § 849 BGB bestehe nicht, da die Klägerin im Austausch für den gezahlten Kaufpreis das Fahrzeug habe nutzen können.

[8]    In Annahmeverzug sei die Beklagte erst aufgrund des Schreibens der Klägerin geraten, in dem diese zur Rücknahme des Fahrzeugs aufgefordert habe, und nicht dadurch, dass sie das Fahrzeug in den Rechtsverkehr entlassen habe.

[9]    Von den entstandenen außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten könne die Klägerin – ausgehend von einem Gegenstandswert in Höhe von 3.497,25 € entsprechend der Höhe des tatsächlich bestehenden Schadensersatzanspruchs – Freistellung nur in Höhe von 413,64 € entsprechend einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG, §§ 13, 14 RVG nebst Post- und Telekommunikationspauschale sowie Umsatzsteuer verlangen. Es sei nicht zu erkennen, dass die außergerichtliche anwaltliche Tätigkeit umfangreich oder schwierig gewesen wäre. Mit der nur formelhaften Behauptung, die dem Sachverhalt zugrunde liegenden tatsächlichen Aspekte und teilweise auch rechtlichen Fragen seien überdurchschnittlich komplex und schwierig, könne ein Überschreiten der Schwellengebühr nicht begründet werden.

[10]   II. Die Revision der Klägerin ist teilweise bereits unzulässig und im Übrigen unbegründet.

[11]   1. Unzulässig ist die Revision der Klägerin, soweit sie sich nach ihrem Antrag auch gegen die teilweise Abweisung ihres Feststellungsantrags zum Annahmeverzug wendet. Denn die Revision rügt insoweit weder die Verletzung materiellen Rechts, noch macht sie einen Verfahrensmangel geltend, sodass es an der notwendigen Begründung gemäß § 551 III 1 Nr. 2 ZPO fehlt.

[12]   2. Das Berufungsgericht hat frei von Rechtsfehlern angenommen, dass der Schadensersatzanspruch der Klägerin gemäß § 826 BGB i. V. mit § 31 BGB analog auf Erstattung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs (vgl. hierzu Senat, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 13 ff.) im Wege der Vorteilsanrechnung um die von der Klägerin gezogenen Nutzungsvorteile in Höhe von 8.200,45 € zu reduzieren ist. Die insoweit von der Revision erhobenen Einwände, mit der Vorteilsanrechnung würden die Präventionswirkung des Deliktsrechts verfehlt, das Gebot unionsrechtskonformer Rechtsanwendung verletzt, die Beklagte unangemessen entlastet und gesetzliche Wertungen missachtet, greifen nicht durch (vgl. Senat, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 64 ff. m. w. Nachw.; Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796 Rn. 11).

[13]   3. Bei der gemäß § 287 ZPO vorzunehmenden Bemessung der anzurechnenden Vorteile ist das Berufungsgericht von folgender Berechnungsformel ausgegangen:

$$\text{Nuztzungsvorteil} = {\frac{\text{Bruttokaufpreis}\times\text{gefahrene Strecke (seit Erwerb}}{\text{erwartete Restlaufleistung im Erwerbszeitpunkt)}}}.$$

[14]   Diese Berechnungsmethode ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die vom Berufungsgericht zugrunde gelegte Gesamtlaufleistungserwartung von 300.000 km wird von der Revision nicht angegriffen und ist schon deshalb revisionsrechtlich hinzunehmen. Der Einwand der Revision, der errechnete Nutzungsvorteil sei zumindest erheblich herabzusetzen, weil die Fahrzeugnutzung rechtlich unzulässig sei, verfängt nicht, da es im Rahmen der Vorteilsausgleichung auf die tatsächlich gezogenen Vorteile ankommt (vgl. zum Ganzen: Senat, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 78 ff. m. w. Nachw.).

[15]   Entgegen der Ansicht der Revision ist die Vorteilsanrechnung auch nicht auf den Zeitraum bis zu einem etwaigen Eintritt des Schuldner- oder Annahmeverzugs der Beklagten beschränkt (zum Annahmeverzug vgl. bereits BGH, Urt. v. 02.07.1962 – VIII ZR 12/61, NJW 1962, 1909 f. = juris Rn. 6). Die Vorteilsanrechnung basiert darauf, dass die Klägerin mit der fortgesetzten Nutzung des Fahrzeugs einen geldwerten Vorteil erzielt. Ein etwaiger Verzug der Beklagten änderte hieran nichts (vgl. Senat, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 68; Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796 Rn. 14).

[16]   4. Zutreffend hat das Berufungsgericht auch den von der Klägerin erhobenen Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen in Höhe von insgesamt 474,83 € verneint. Die Klägerin macht die Gebühren einer Hauptuntersuchung, Inspektionskosten einschließlich Verbrauchsmaterialien (Öl) sowie die Kosten des Austauschs von Verschleißteilen einschließlich der Kosten für einen Service-Ersatzwagen geltend, wobei die letzten dieser Aufwendungen im November 2015 getätigt wurden. Aufwendungen der hier fraglichen Art, die zu den gewöhnlichen Unterhaltungskosten zählen, sind unter den im Streitfall gegebenen Umständen nicht ersatzfähig. Da die Klägerin das Fahrzeug wie vorgesehen genutzt hat, handelt es sich insoweit nicht um vergebliche Aufwendungen (vgl. Senat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796 Rn. 24).

[17]   5. Ohne Erfolg wendet sich die Revision dagegen, dass das Berufungsgericht der Klägerin nur Prozesszinsen gemäß §§ 291, 288 I 1 BGB ab Klageerhebung zugesprochen hat. Ein weitergehender Zinsanspruch besteht nicht. Insbesondere befand sich die Beklagte nicht mit der Erstattung der Kaufpreissumme in Verzug.

[18]   Die Klägerin hat der Beklagten im Hinblick darauf, dass sie in dem Schreiben vom 23.05.2017 die Erstattung des gesamten Kaufpreises in Höhe von 11.697,70 € nebst Aufwendungen verlangt und sich noch bis in die Revisionsinstanz gegen die Anrechnung des Nutzungsersatzes gewehrt hat, die Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs nicht zu den Bedingungen angeboten, von denen sie sie im Hinblick auf den im Wege der Vorteilsausgleichung geschuldeten und vom Kaufpreis in Abzug zu bringenden Nutzungsersatz hätte abhängig machen dürfen. Sie hat damit durchgängig die Zahlung eines deutlich höheren Betrags verlangt, als sie hätte beanspruchen können. Ein zur Begründung von Schuldnerverzug geeignetes Angebot ist unter diesen Umständen nicht gegeben, weil der Schuldner nur in Verzug geraten kann, wenn der Gläubiger die ihm obliegende Gegenleistung ordnungsgemäß anbietet (vgl. Senat, Urt. v. 25.05.2020 – VI ZR 252/19, NJW 2020, 1962 Rn. 85 f. m. w. Nachw.).

[19]   Entgegen der Ansicht der Revision liegen auch keine besonderen Gründe vor, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen der Parteien den sofortigen Verzugseintritt ohne Mahnung rechtfertigen würden (§ 286 II Nr. 4 BGB). Insbesondere ist der Streitfall mit den unter der Bezeichnung „fur semper in mora“ erörterten Sachverhaltskonstellationen nicht vergleichbar (vgl. Senat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796 Rn. 22).

[20]   6. Von der Revision wird nicht angegriffen, dass das Berufungsgericht auch einen Zinsanspruch gemäß § 849 BGB zutreffend verneint hat (vgl. Senat, Urt. v. 30.07.2020 – VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796 Rn. 17 ff.).

[21]   7.Schließlich hält das Berufungsurteil den Angriffen der Revision auch insoweit stand, als darin die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nur in einer Höhe von 413,64 € entsprechend einer 1,3-fachen Geschäftsgebühr gemäß Nr. 2300 VV RVG, §§ 13, 14 RVG nebst Post- und Telekommunikationspauschale sowie Umsatzsteuer aus einem Gegenstandswert von 3.497,25 € entsprechend der Höhe des tatsächlich bestehenden Schadensersatzanspruchs als ersatzfähig angesehen wurden.

[22]   Der gesetzliche Gebührentatbestand in Nr. 2300 VV RVG bestimmt, dass eine Gebühr von mehr als 1,3 nur gefordert werden kann, wenn die Tätigkeit umfangreich oder schwierig war. Ob dies der Fall ist, ist anhand der Umstände des konkreten Einzelfalls zu beurteilen. Die Revision zeigt keine Gesichtspunkte auf, die die Bewertung des Berufungsgerichts als rechtsfehlerhaft erscheinen lassen könnten.

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