Ein Rück­tritt von ei­nem Kauf­ver­trag über ei­nen Neu­wa­gen kann be­rech­tigt sein, wenn das Fahr­zeug zwei Män­gel auf­weist, die iso­liert be­trach­tet ei­nen Rück­tritt nicht recht­fer­ti­gen kön­nen.

OLG Düs­sel­dorf, Ur­teil vom 18.08.2008 – I-1 U 238/07

Sach­ver­halt:  Die Klä­ge­rin kauf­te von der Be­klag­ten ei­ne Mer­ce­des-Li­mou­si­ne und zahl­te hier­für rund 30.800 €. In der Fol­ge­zeit be­an­stan­de­te sie „enor­me Wind­ge­räu­sche“ und ei­nen über­höh­ten Kraft­stoff­ver­brauch des Fahr­zeugs. We­gen der be­haup­te­ten Män­gel such­te sie wie­der­holt die Be­klag­te auf. Schließ­lich er­klär­te die Klä­ge­rin den Rück­tritt vom Kauf­ver­trag, weil es der Be­klag­ten nicht ge­lun­gen sei, die Män­gel zu be­he­ben.

Das Land­ge­richt hat die Kla­ge die Be­klag­te – wie von der Klä­ge­rin hilfs­wei­se be­an­tragt – le­dig­lich ver­ur­teilt, die Front­schei­be des Pkw aus­zu­tau­schen. Die Be­ru­fung der Klä­ge­rin hat­te zum Teil Er­folg.

Aus den Grün­den: 2. … Die Klä­ge­rin ist zum Rück­tritt vom Kauf be­rech­tigt (§§ 437 Nr. 2, 323 BGB). Das Fahr­zeug ist man­gel­haft, und zwar in zwei­fa­cher Hin­sicht.

a) Wind­ge­räu­sche

Wie die Be­klag­te nach Er­stat­tung des Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens nicht län­ger in Ab­re­de stellt …, ent­wi­ckelt das Fahr­zeug Fahr­ge­räu­sche, die nicht dem Stand der Tech­nik ent­spre­chen. Sie und ih­re Ur­sa­che stel­len ei­nen Sach­man­gel i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB dar. Zu der Be­schaf­fen­heit im Sin­ne die­ser Vor­schrift ge­hö­ren auch Ei­gen­schaf­ten, die der Käu­fer nach den öf­fent­li­chen Äu­ße­run­gen des Her­stel­lers, ins­be­son­de­re in der Wer­bung, er­war­ten kann. Dem in der Sit­zung des Se­nats vom 23.06.2008 vom Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ten der Be­klag­ten über­reich­ten Pro­spekt sind in­des kei­ne kon­kre­ten An­ga­ben zur Ge­räusch­ent­wick­lung zu ent­neh­men … Frei von ei­nem Sach­man­gel ist das Fahr­zeug der Klä­ge­rin je­doch des­halb nicht, weil sei­ne Be­schaf­fen­heit un­üb­lich ist und nicht der be­rech­tig­ten Er­war­tung der Klä­ge­rin ent­spricht.

Nach den Fest­stel­lun­gen des Sach­ver­stän­di­gen T ist von ei­nem Fa­bri­ka­ti­ons­feh­ler aus­zu­ge­hen. Ei­nen Kon­struk­ti­ons­feh­ler hat der Sach­ver­stän­di­ge aus­drück­lich ver­neint. Ur­säch­lich für die von ihm als „ab­norm“ be­zeich­ne­ten Wind­ge­räu­sche sei ei­ne nicht hun­dert­pro­zen­ti­ge Ein­pas­sung der Front­schei­be. Ei­ne Rol­le spie­le auch die Ver­klei­dung der A-Säu­le auf der rech­ten Sei­te. Für ihn, so der Sach­ver­stän­di­ge T auf Be­fra­gen des Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ten der Klä­ge­rin, sei die „ge­lös­te“ A-Säu­len­ver­klei­dung die über­wie­gen­de Ur­sa­che für die „ab­nor­me“ Ge­räusch­ent­wick­lung. Die tech­nisch nicht ein­wand­freie Ein­pas­sung der Front­schei­be sei ei­ne zwei­te, je­doch we­ni­ger be­deut­sa­me Ur­sa­che. Un­ter die­sen Um­stän­den muss die Be­schaf­fen­heit des Fahr­zeugs im Be­reich Front­schei­be/A-Säu­len­ver­klei­dung als man­gel­haft an­ge­se­hen wer­den, oh­ne dass es in die­sem Zu­sam­men­hang auf die Aus­wir­kun­gen des Fa­bri­ka­ti­ons­feh­lers an­kommt.

b) Kraft­stoff­mehr­ver­brauch.

Ei­nen wei­te­ren Sach­man­gel sieht der Se­nat dar­in, dass das Fahr­zeug der Klä­ge­rin ei­nen hö­he­ren Ver­brauch an Die­sel­kraft­stoff hat als von der Be­klag­ten an­ge­ge­ben (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB i. V. mit § 434 I 3 BGB).

Laut Pro­spekt ist für den Fahr­zeug­typ A 200 CDI mit me­cha­ni­schem 6-Gang-Ge­trie­be von fol­gen­den Soll­wer­ten aus­zu­ge­hen: in­ner­orts 6,4–7,7 l, au­ßer­orts 4,5–4,8 l, kom­bi­niert 5,4–5,8 l. Der Sach­ver­stän­di­ge T bzw. der von ihm ein­ge­schal­te­te Son­der­sach­ver­stän­di­ge S hat sich an fol­gen­den Her­stel­ler­an­ga­ben ori­en­tiert: in­ner­orts 6,9 l, au­ßer­orts 4,5 l, ge­samt 5,4 l. Die­se Her­stel­ler­an­ga­ben … wer­den von den Par­tei­en ak­zep­tiert. Sie sind da­her als Aus­gangs­wer­te der recht­li­chen Prü­fung zu­grun­de zu le­gen. An­er­kannt wer­den auch die vom Sach­ver­stän­di­gen er­mit­tel­ten tat­säch­li­chen Mess­er­geb­nis­se von 7,39 l (in­ner­orts), 4,92 l (au­ßer­orts) und 5,83 l (ge­samt). Aus­ge­drückt in Pro­zen­ten sind das Ab­wei­chun­gen im Um­fang von 7,1 % (in­ner­orts), 9,3 % (au­ßer­orts) und 8,0 % im Durch­schnitt, das heißt kom­bi­niert.

So­weit die Be­klag­te in der Ab­wei­chung im Um­fang von 8 % bei dem Kom­bi­wert – al­lein auf ihn dürf­te es grund­sätz­lich an­kom­men – schon kei­nen Man­gel sieht, ver­mag der Se­nat dem nicht zu fol­gen. Er be­jaht Man­gel­haf­tig­keit als sol­che. Da­bei wird nicht ver­kannt, dass die im täg­li­chen Fahr­be­trieb er­ziel­ten Wer­te prak­tisch nie­mals den Her­stel­ler­an­ga­ben ex­akt ent­spre­chen kön­nen, selbst wenn die­se – wie im vor­lie­gen­den Pro­spekt – als Von-Bis-Wer­te mit­ge­teilt wer­den. Denn wie aus dem Pro­spekt er­sicht­lich, wur­den die an­ge­ge­be­nen Wer­te nach dem vor­ge­schrie­be­nen Mess­ver­fah­ren (Richt­li­nie 80/1268/EWG in der ge­gen­wär­tig gel­ten­den Fas­sung) er­mit­telt. Die­ses Mess­ver­fah­ren hat auch der Sach­ver­stän­di­ge S im kon­kre­ten Fall zu­grun­de ge­legt, was me­tho­disch der al­lein rich­ti­ge Prüf­weg ist (vgl. OLG Karls­ru­he, Urt. v. 01.02.2008 – 1 U 97/07, BeckRS 2008, 07903).

Ei­ne Ab­wei­chung von 8 % beim Ge­samt­ver­brauch (Kom­bi­wert) muss ein Neu­fahr­zeug­käu­fer nicht to­le­rie­ren. Hin­zu­neh­men hat er le­dig­lich ei­ne Feh­ler­to­le­ranz, die bei der Her­stel­lung von tech­ni­schen Pro­duk­ten nicht aus­zu­schlie­ßen ist. Sie ist mit 2 % zu ver­an­schla­gen. Hin­zu kommt, dass selbst bei ei­ner Mes­sung nach dem EU-Ver­fah­ren Ab­wei­chun­gen in Form von Mes­sun­ge­nau­ig­kei­ten von bis zu 2 % als nor­mal gel­ten. Das be­deu­tet, dass ein Neu­fahr­zeug­käu­fer ei­nen er­höh­ten Kraft­stoff­ver­brauch von bis zu 4 % hin­zu­neh­men hat.

Die­ser ers­te, für die Fest­le­gung der Man­gel­haf­tig­keit als sol­cher maß­ge­ben­de Wert ist hier mit 8 % deut­lich über­schrit­ten (für Man­gel­haf­tig­keit be­reits bei 3,03 %: LG Ra­vens­burg, Urt. v. 06.03.2007 – 2 O 297/06, NJW 2007, 2127; an­ders – näm­lich ei­nen Man­gel als sol­chen bei ei­ner Über­schrei­tung um nur 3,4 % ver­nei­nend – LG Ber­lin, Urt. v. 05.04.2007 – 52 S 104/06).

c) Je­den­falls in ih­rer Ge­samt­heit wie­gen die bei­den vor­ge­nann­ten Män­gel so schwer, dass von ei­ner den Rück­tritt aus­schlie­ßen­den Un­er­heb­lich­keit i. S. des § 323 V 2 BGB nicht aus­ge­gan­gen wer­den kann.

Rich­tig ist al­ler­dings, dass bei ei­ner Ab­wei­chung des Kraft­stoff­ver­brauchs ei­nes ver­kauf­ten Neu­fahr­zeugs von den Her­stel­ler­an­ga­ben um we­ni­ger als 10 %, wie hier, ein Rück­tritt vom Kauf­ver­trag aus­ge­schlos­sen ist (vgl. BGH, Beschl. v. 08.05.2007 – VI­II ZR 19/05, NJW 2007, 2111). Im Streit­fall kommt je­doch hin­zu, dass das Fahr­zeug der Klä­ge­rin ei­nen wei­te­ren Man­gel auf­weist, der be­reits für sich al­lein ge­nom­men zu­min­dest im Grenz­be­reich der Rück­tritts­er­heb­lich­keit liegt …

Im Er­geb­nis kann of­fen­blei­ben, ob die­ser Man­gel an­ge­sichts sei­ner Aus­wir­kun­gen für sich al­lein ge­nom­men die Er­heb­lich­keits­schwel­le des § 323 V 2 BGB über­schrei­tet. Je­den­falls in Ver­bin­dung mit dem – ge­ring­fü­gi­gen – Man­gel in­fol­ge des Die­sel­mehr­ver­brauchs ist dies der Fall.

Wie der Se­nat wie­der­holt ent­schie­den hat, ist beim Kauf von Neu­fahr­zeu­gen (Pkw) in der Er­heb­lich­keits­fra­ge grund­sätz­lich ei­ne ver­gleichs­wei­se en­ge Grenz­zie­hung ge­bo­ten (vgl. Urt. v. 08.01.2007 – I-1 U 177/06, NJOZ 2008, 601 = ZGS 2007, 157). Da­bei ist im Fall ei­nes be­heb­ba­ren Man­gels an ei­nem fa­brik­neu­en Pkw die Hö­he der Re­pa­ra­tur­kos­ten nur ein Ge­sichts­punkt der Er­heb­lich­keits­prü­fung. Auch bei Män­gel­be­sei­ti­gungs­kos­ten un­ter 5 % des Kauf­prei­ses kann ein Neu­wa­gen­käu­fer aus­nahms­wei­se zum Rück­tritt be­rech­tigt sein. Dies ist je­weils ei­ne Fra­ge des Ein­zel­falls …

Ob ei­ne er­heb­li­che oder nur un­er­heb­li­che Pflicht­ver­let­zung i. S. des § 323 V 2 BGB vor­liegt, be­stimmt sich in ei­nem Fall, in dem ein Ver­schul­den des Ver­käu­fers kei­ne Rol­le spielt, bei ei­nem Man­gel nach den ob­jek­ti­ven Kri­te­ri­en des § 434 I 2 Nr. 2 BGB nach ob­jek­ti­ven Ge­sichts­punk­ten, ins­be­son­de­re nach dem ob­jek­ti­ven Aus­maß der Qua­li­täts­ab­wei­chung und der sich dar­aus er­ge­ben­den Be­ein­träch­ti­gung des Äqui­va­lenzin­ter­es­ses des Käu­fers. Mag die Be­schrei­bung der Wind­ge­räu­sche durch die Klä­ge­rin – „oh­ren­be­täu­ben­der Lärm“ – bei ob­jek­ti­ver Be­ur­tei­lung auch et­was über­trie­ben sein (für den Sach­ver­stän­di­gen T war es kein „oh­ren­be­täu­ben­der Lärm“), so hat doch auch der Sach­ver­stän­di­ge T die Ge­räusch­ent­wick­lung als aty­pisch bzw. ab­norm dar­ge­stellt. Auch nach sei­ner Ein­schät­zung als Tech­ni­ker han­delt es sich um ei­ne er­heb­li­che Be­ein­träch­ti­gung des Fahr­kom­forts. Al­ler­dings tre­ten die stö­ren­den Ge­räu­sche nicht bei je­der Fahrt und bei je­der Ge­schwin­dig­keit auf. Be­merk­bar ma­chen sie sich erst in dem Be­reich ab 130 km/h. Da­bei ist in­des zu be­ach­ten, dass der „Au­to­bahn­an­teil“ der Klä­ge­rin ver­hält­nis­mä­ßig hoch ist. Nach ih­rer An­ga­be … liegt er bei 80 % bei ei­ner Ge­samt­fahr­stre­cke von jähr­lich rund 20.000 km.

Bei sei­ner Be­wer­tung nicht au­ßer Acht ge­las­sen hat der Se­nat den Um­stand, dass nach den nach­voll­zieh­ba­ren An­ga­ben der Be­klag­ten die Kos­ten für die Be­sei­ti­gung der Ur­sa­che des stö­ren­den Fahr­ge­räu­sches le­dig­lich 533,66 € brut­to be­tra­gen … Das sind we­ni­ger als 2 % des Kauf­prei­ses. Mag bei ei­nem Män­gel­be­sei­ti­gungs­auf­wand von we­ni­ger als 5 % des Kauf­prei­ses in den meis­ten Fäl­len von ei­ner nur un­er­heb­li­chen Pflicht­ver­let­zung aus­zu­ge­hen sein, so kann die­ses Kri­te­ri­um doch nicht der al­lei­ni­ge Grad­mes­ser sein (vgl. Se­nat, Urt. v. 08.01.2007 – I-1 U 177/06, NJOZ 2008, 601 = ZGS 2007, 157). Nä­he­re Aus­füh­run­gen zu die­ser Fra­ge er­üb­ri­gen sich, weil der Se­nat die Be­rech­ti­gung der Klä­ge­rin zum Rück­tritt vom Kauf, wie aus­ge­führt, nicht al­lein aus dem Man­gel „Wind­ge­räu­sche“ her­lei­tet …

e) Da der Rück­tritt nach al­le­dem be­rech­tigt ist, hat die Be­klag­te den emp­fan­ge­nen Kauf­preis zu­rück­zu­zah­len (§ 346 I BGB) …

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