Bei einem Gebrauchtwagen kann schon das Risiko eines übermäßigen Verschleißes durch eine atypische Vorbenutzung, mit der der Käufer nicht rechnen muss (hier: mehrjähriger Einsatz als Fahrschulwagen), einen Sachmangel begründen.

LG Aachen, Urteil vom 15.05.2012 – 8 O 29/11
(nachfolgend: OLG Köln, Urteil vom 19.02.2013 – 14 U 15/12)

Sachverhalt: Die Klägerin erwarb von der Beklagten am 17.08.2010 einen gebrauchten Pkw zum Preis von 13.950 €. Das Fahrzeug wurde ihr am 20.08.2010 mit einer Laufleistung von 97.258 Kilometern übergeben.

Es war im Februar 2005 erstmals zugelassen und im März 2008 von der Firma X an die Beklagte veräußert worden. Von 2005 bis 2007 hatte der Zeuge Z das Fahrzeug unter anderem 33 Monate lang als Fahrschulwagen genutzt. Hiervon hatte die Beklagte keine Kenntnis.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 16.09.2010 ließ die Klägerin Mängel des Fahrzeugs rügen und der Beklagten eine Frist zur Nachbesserung bis zum 23.09.2010 setzen. Am 23.09.2010 wurde eine ADAC-Gebrauchtwagenuntersuchung durchgeführt, wofür Kosten in Höhe von 108 € anfielen.

Mit Schreiben vom 13.10.2010 erklärte die Klägerin sodann gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag.

Sie behauptet, das Fahrzeug habe bei der Übergabe mehrere Mängel aufgewiesen. Der Keilrippenriemen sei zweimal – einmal kurz nach der Übergabe des Fahrzeugs – abgesprungen. Aufgrund eines Defekts des Lenkradschlosses würde im Cockpit eine Warnmeidung angezeigt. Die Gelenkköpfe seien mangelhaft, und es habe eine Beschädigung des Reifenprofils vorgelegen.

Die Klägerin hat zuletzt im Wesentlichen beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 12.942 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Rückübereignung des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs zu verurteilen. Die Klage hatte überwiegend Erfolg.

Aus den Gründen: 1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 11.190,38 € gemäß §§ 346 I, 323 I, 437 Nr. 2, 433 BGB.

Die Klägerin ist wirksam von dem zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrag zurückgetreten, da das verkaufte Fahrzeug zum Zeitpunkt der Übergabe einen Sachmangel i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB aufgewiesen hat.

Nicht nur tatsächlich vorliegender übermäßiger Verschleiß, sondern schon das Risiko erhöhten Verschleißes durch eine besondere Art der Vornutzung kann einen Sachmangel begründen. Voraussetzung hierfür ist eine atypische Vorbenutzung, mit der der Käufer nicht rechnen musste. Ob eine atypische Vorbenutzung des Fahrzeugs zu einer Beeinträchtigung bzw. Wertminderung geführt hat und somit ein Sachmangel i. S. des § 434 BGB vorliegt, hängt von dem jeweiligen Einzelfall ab. Entscheidend ist dabei auf Kriterien wie zum Beispiel Alter, Fahrleistung, Art des Motors und Dauer der atypischen Vorbenutzung abzustellen (vgl. OLG Köln, Urt. v. 29.05.1996 – 13 U 161/95, juris m. w. Nachw.). Jedenfalls bei einem mehrjährigen Einsatz als Fahrschulwagen liegt ein Sachmangel vor (vgl. OLG Köln, Urt. v. 20.11.1998 – 19 U 53/98, juris).

Auch vorliegend ist unter Berücksichtigung des Einzelfalls von einem Sachmangel auszugehen.

Es ist unstreitig, dass der Wagen 33 Monate – mithin fast drei Jahre – im Rahmen eines Nebenjobs als Fahrschulwagen benutzt wurde. Dies stellt eine erhebliche, langjährige Zeitspanne dar, in der mit dem Fahrzeug ca. 95.000 Kilometer gefahren worden sind. Bei der Bewertung ist es uherheblich, dass das Fahrzeug neben der Nutzung als Fahrschulwagen auch privat genutzt wurde, da eine gewerbliche Nutzung unstreitig über die gesamte Zeit erfolgte. Schon nach dem Vortrag der Beklagten hat 33 Monate lang eine regelmäßige Nutzung als Fahrschulwagen an den Wochenenden stattgefunden, sodass es darauf, wie viele Kilometer im Rahmen dieser Nutzung zurückgelegte worden sind, nicht ankommt.

Bei der Bewertung, ob eine Wertminderung und somit auch ein Sachmangel eingetreten ist, ist weiter zu berücksichtigen, dass der Wagen als Fahrschulwagen und gerade nicht als Taxi oder Mietwagen genutzt worden ist. Hierbei ist zu bedenken, dass bei der Nutzung als Fahrschulwagen, anders als bei der Nutzung als Mietwagen oder Taxi, Fahranfänger den Wagen fahren und hiermit nach der allgemeinen Lebenserwartung eine erhöhte Abnutzung einhergeht. Fahranfängern unterläuft beim Schalten öfter als einem geübten Fahrer ein Fehler und auch das „Abwürgen“ des Motors kommt häufiger vor. Darüber hinaus ist zu beachten, dass bei einem Fahrschulwagen ein zusätzliches Gaspedal („Fahrschul-Doppelpedale“) eingebaut werden muss und schon wegen des erfolgten Rückbaus ein merkantiler Minderwert eintritt. Alleine die Nutzung als Fahrschulwagen führt dazu, dass das Fahrzeug nicht zum Marktpreis eines privat genutzten Fahrzeugs erworben worden wäre (vgl. OLG Köln, Urt. v. 11.05.1990 – 3 U 212/89, juris).

Es liegt somit vorliegend eine atypische Nutzung vor, die einen Sachmangel begründet.

Eine Kenntnis der Klägerin gemäß § 442 BGB lag nicht vor. Soweit die Beklagte darauf abstellt, dass ein Mehrwertsteuerausweis vorgelegen habe und es der Klägerin daher bewusst gewesen sein muss, dass es sich um ein gewerblich genutztes Fahrzeug gehandelt hat, kann dem nicht gefolgt werden. Von einer Privatperson, auch einer solchen mit geschäftlicher Erfahrung, kann nicht erwartet werden, dass sie alleine aus dem Umstand, dass ein Mehrwertsteuerausweis vorliegt, einen Rückschluss auf eine gewerbliche Nutzung zieht. Darüber hinaus kommt es für die Frage, ob ein Sachmangel vorliegt, entscheidend auf die oben dargelegten Kriterien an. Ein Rückschluss darauf, dass der Pkw zuvor 33 Monate als Fahrschulwagen genutzt wurde, ist aber gerade nicht möglich gewesen. Zuletzt hatte die Beklagte selbst keine Kenntnis von der Nutzung als Fahrschulwagen. Wenn aber ohne Weiteres festzustellen war, dass eine gewerbliche Nutzung erfolgt ist, so wäre es Aufgabe der Beklagten gewesen, weitere Informationen einzuholen und die Klägerin über die gewerbliche Nutzung aufzuklären, da es sich ersichtlich um einen verkaufswesentlichen Umstand handelt (vgl. OLG Köln, Urt. v. 20.11.1998 – 19 U 53/98, juris m. w. Nachw.).

Auf die Frage, ob das streitgegenständliche Fahrzeug auch aus anderen Gründen bei Gefahrübergang mangelhaft gewesen ist, kommt es nicht an.

Eine Fristsetzung ist vorliegend gemäß § 326 V BGB wegen der Unmöglichkeit der Mängelbeseitigung entbehrlich (vgl. hierzu OLG Hamm, Urt. v. 09.02.2012 – 28 U 186/10, juris).

Folge eines wirksamen Vertragsrücktritts ist, dass die wechselseitig empfangenen Leistungen gemäß § 346 I BGB an die Gegenseite zurückgewährt werden müssen. Damit ist die Beklagte grundsätzlich verpflichtet, den Kaufpreis zurückzuerstatten.

Unstreitig hat die Klägerin den Kaufpreis teilweise – unabhängig von der Beklagten – bei der S-Bank finanziert. Es hat sich aber nicht um ein verbundenes Geschäft gehandelt, sodass die Klägerin nunmehr Zahlung an sich verlangen kann, da selbst eine Zahlung der Bank direkt an die Beklagte als Leistung der Klägerin zu werten wäre (vgl. hierzu OLG Koblenz, Urt. v. 08.03.2007 – 5 U 1518/06, juris).

Bezüglich des gezahlten Kaufpreises in Höhe von 13.950 € ist aber zu berücksichtigen, dass die Klägerin die von ihr gezogenen Nutzungen nach deren Natur nicht herausgeben kann, sodass gemäß § 346 II Nr. 1 BGB Wertersatz zu leisten ist. Für Pkw ist die Nutzungsentschädigung gemäß § 287 ZPO nach der zu erwartenden Gesamtlaufleistung für je 1.000 km zu berechnen. Auszugehen ist insoweit von einer linearen Wertschwundberechnung, wobei der Gebrauchsvorteil dem Bruttokaufpreis multipliziert mit den gefahrenen Kilometern geteilt durch die mutmaßliche Gesamtlaufleistung entspricht (vgl. OLG Frankfurt, Urt. v. 17.06.2010 – 4 W 12/10, juris; OLG Düsseldorf, Urt. v. 21.01.2008 – 1 U 152/07, juris).

Im vorliegenden Fall bedeutet dies, dass ein Abzug in Höhe von 2.759,62 € vorzunehmen ist. Hierbei ist davon auszugehen, dass die Klägerin mit dem Fahrzeug 16.968 Kilometer gefahren ist. Den aktuellen Kilometerstand hat die Klägerin substanziiert unter Vorlage eines Lichtbilds vorgetragen, sodass das pauschale Bestreiten der Beklagten unbeachtlich ist. Bei dem hier verkauften Fahrzeug ist von einer Laufleistung von 200.000 Kilometern auszugehen, sodass die voraussichtliche Restlaufleistung 85.774 Kilometer beträgt. Dies ergibt, dass ein Abzug in Höhe von 2.759,62 € vorzunehmen ist …, sodass ein Anspruch in Höhe von 11.190,38 € verbleibt.

2. Die Zinsentscheidung ergibt sich aus §§ 291, 288 I BGB. Eine weitergehende Zinsforderung gemäß §§ 286 I, 288 I BGB besteht nicht, da sich die Beklagte mit der Rückzahlung des Kaufpreises nicht in Verzug befunden hat. Die Klägerin ist mit anwaltlichem Schreiben vom 13.10.2010 vom Vertrag zurückgetreten und hat der Beklagten eine Frist mitgeteilt, innerhalb derer die Bereitschaft zur Rückabwicklung des Kaufvertrags mitzuteilen war. Nach Ablauf der Frist ist der Rückzahlungsanspruch aber erst fällig gewesen. Eine anschließende verzugsbegründende Mahnung erfolgte nicht. Die Beklagte hat nach ihrem eigenen Vortrag bei Abschluss des Kaufvertrags als Privatperson gehandelt, sodass sich die Höhe des Zinssatzes aus § 288 I BGB ergibt.

3. Die Feststellungsklage ist im Hinblick auf die Zwangsvollstreckung (§§ 756, 765 ZPO) begründet. Die Klägerin hat mit dem Vortrag in der Klageschrift, sie begehre die Rückabwicklung des Kaufvertrags, unter Berücksichtigung ihres Klageantrages, der unter anderem die Rückgabe des Fahrzeugs beinhaltet, der Beklagten das Fahrzeug „wörtlich“ i. S. von § 295 BGB angeboten. Die Beklagte hat das wörtliche Angebot abgelehnt, indem sie in der Klageerwiderungsschrift die Auffassung vertreten hat, die Klägerin habe keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags (vgl. LG Oldenburg, Urt. v. 01.02.2012 – 6 O 2527/11, juris).

4. Die Klägerin hat gegen die Beklagten keinen Anspruch auf Zahlung von 108 € gemäß §§ 280 I, III, 284 BGB. Im Zeitpunkt der Beauftragung der Prüfung des Wagens hat sich die Beklagte jedenfalls noch nicht in Verzug mit einer Mängelbeseitigung befunden, da eine Frist bis zum 23.09.2010 gesetzt worden ist und somit Verzug erst am 24.09.2010 eingetreten ist. Die Prüfung wurde aber bereits am 23.09.2010 in Auftrag gegeben. Die Überprüfung des Fahrzeugs ist auch unabhängig von der Beschaffenheit als Fahrschulwagen gewesen, sodass eihe Fristsetzung auch nicht entbehrlich gewesen ist.

5. Die Klägerin hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 837,52 € gemäß §§ 280 I, II, 286 BGB, da sich die Beklagte bei Beauftragung des späteren Prozessbevollmächtigten noch nicht in Verzug befunden hat. Auch ein Anspruch aus § 280 I BGB scheidet aus, da ein Verschulden des Beklagten nicht ersichtlich ist. Der Beklagte konnte sich auf den Bericht des Sachverständigen B verlassen, sodass die Verschuldensvermutung bezüglich der behaupteten Mängel widerlegt ist. Bezüglich der Nutzung als Fahrschulwagen hatte die Beklagte keine Kenntnis …

Hinweis: Die Berufung der Beklagten hatte Erfolg. Das OLG Köln (Urt. v. 19.02.2013 – 14 U 15/12) hat die Klage in Abänderung des vorliegenden Urteils abgewiesen.

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