Ein nicht behebbarer Mangel, mit dem der Käufer dauerhaft leben muss, ist zwar grundsätzlich nicht geringfügig i. S. von § 323 V 2 BGB. Beeinträchtigt der Mangel nicht die Gebrauchstauglichkeit der Kaufsache, sondern führt er lediglich zu einem Minderwert, kommt eine Geringfügigkeit aber gleichwohl in Betracht, nämlich dann, wenn die Mangelbetroffenheit des Käufers hinreichend ausgeglichen werden kann, indem der Käufer den Kaufpreis mindert oder „kleinen“ Schadensersatz verlangt.

LG Hagen, Urteil vom 27.07.2022 – 21 O 37/19

Sachverhalt: Die Klägerin begehrt von der Beklagten die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über ein Nutzfahrzeug (Mercedes-Benz Sprinter) wegen optischer Beeinträchtigungen der Karosserie.

Das streitgegenständliche Fahrzeug, einen Kastenwagen, kaufte die Klägerin von der Beklagten mit Kaufvertrag vom 04./​08.12.2018 zum Preis von 50.811,81 € brutto. Bei Abschluss des Kaufvertrags war das Fahrzeug bereits mit einem Innenausbau versehen. Es weist unstreitig einen Karosserieeinzug hinter der Fahrerkabine im Übergang zum hinteren Kastenaufbau auf.

Nachdem der Klägerin das Fahrzeug am 18.01.2019 übergeben worden war, rügte die Klägerin – handelnd durch H – das Fahrzeug eine Woche später wegen des Einzugs als mangelhaft. Die Beklagte bot nach einer gemeinsamen Fahrzeugbesichtigung am 11.03.2022 mit Schreiben vom 15.03.2019 wegen „Beanstandungen an der Seitenwand“ eine Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 780 € an.

Dieses Angebot lehnte die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 18.03.2019 ab und verlangte die Nachbesserung des streitgegenständlichen Fahrzeugs binnen zehn Tagen „wegen erheblicher starker Verwerfungen in beiden Seitenwänden“. Die Seitenwände verzögen „sich nach innen“, „verstärkt bei Minusgraden“. Es sei ein „Knick nach innen hin von etwa 2 cm vorhanden“.

Die Beklagte stellte das Vorliegen eines Mangels mit Schreiben vom 26.03.2021 in Abrede. Bei dem monierten Einzug handele es sich um einen „konstruktiv bedingten Einzug im Bereich der C-Säule und eine gewollte Bombierung“.

Daraufhin erklärte die Klägerin mit anwaltlichem Schreiben vom 28.03.2019 die „Wandlung des Kaufvertrages“ und forderte die Beklagte zur Rückzahlung des Kaufpreises (50.811,81 € brutto) Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs auf.

Die Klägerin behauptet, das streitgegenständliche Fahrzeug sei schon bei der Übergabe an sie mangelhaft gewesen. Es gebe einen Knick in der Seitenwand (Karosserieeinzug), der sich bei Minusgraden noch weiter nach innen ziehe. Derart große Karosserieeinzüge seien nicht marktüblich und fehlten bei Fahrzeugen gleicher Bauart wie etwa einem VW Crafter. Stand der Technik seien gerade Seitenwände. Sollte der unstreitig bereits beim Kauf vorhandene Innenausbau den Knick vergrößert haben, müsse sich die Beklagte dies zurechnen lassen. Bei ihrem – der Klägerin – vorherigen Fahrzeug, einem Vorgänger des jetzigen Mercedes-Benz Sprinter, sei der Einzug nicht vorhanden, was gegen eine gewollte Bombierung spreche. Bereits dieser Mangel – so macht die Klägerin geltend – habe sie zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigt, weil er nicht behebbar sei.

Darüber hinaus sei das Fahrzeug mangelhaft, weil das linke Seitenteil insbesondere im oberen Bereich Beulen und Verwerfungen aufweise. Die Dellen beziehungsweise Beulen zeigten sich insbesondere bei niedrigen und bei hohen Temperaturen, Letzteres insbesondere dann, wenn das Fahrzeug im Sommer in der Sonne stehe. Ursache sei, dass ein Klebstoff bei der Herstellung des Fahrzeugs zu schnell ausgehärtet sei. Sie – die Klägerin – habe die Dellen beziehungsweise Beulen, die dem Fahrzeug das Aussehen eines Unfallwagens verleihen würden, eine Woche nach Auslieferung des Fahrzeugs gerügt. Ihr sei daraufhin ein Umtausch des Fahrzeugs zugesagt worden.

Schließlich sei das Fahrzeug deshalb mangelhaft, weil absprachewidrig – insoweit unstreitig – wegen der Standheizung nicht fünf Palletten/​Gitterboxen ins Fahrzeug passten und in der hinteren Trittstufe ein Abstandssensor eingebaut sei. Insoweit liege ein Mangel in der Gefahr, dass bei einem Ladevorgang ein Gabelstapler gegen die Trittstufe stoße und den Sensor beschädige. Auch diese Mängel habe sie – die Klägerin – zeitnah nach ihrer Entdeckung gerügt.

Die Beklagte hat das Vorliegen von Mängeln in Abrede gestellt und behauptet, die Seitenwände entsprächen dem Stand der Serie und dem Stand der Technik; es handele sich um eine gewollte Wölbung. Auch andere Serienfahrzeuge wiesen diese Form auf, die nicht zu einer Einschränkung der Gebrauchstauglichkeit des Fahrzeugs führe. Die von der Klägerin behaupteten Dellen seien tatsächlich nicht vorhanden und im Übrigen auch nicht rechtzeitig gerügt worden. Es sei allein über den Versatz an dem Fahrzeug gesprochen worden. Unabhängig davon seien derartige Dellen bei einem Nutzfahrzeug unerheblich. Es sei – so hat die Beklagte geltend gemacht – nicht vereinbart worden, dass fünf Platten/​Gitterboxen in das Fahrzeug geladen werden könnten. Insoweit und hinsichtlich des Abstandssensors lägen allenfalls geringfügige Mängel vor, wegen derer die Klägerin ihr – der Beklagten – im Übrigen eine Frist zur Nachbesserung des Fahrzeugs hätte setzen müssen. Dies habe die Klägerin jedoch unstreitig unterlassen. M habe der Klägerin schließlich auch keinen Umtausch des Fahrzeugs zugesagt. Vielmehr habe er im Gespräch mit der Klägerin mitgeteilt, dass er insoweit nicht entscheidungsbefugt sei.

Die Klage, mit der die Klägerin die Rückabwicklung des Kaufvertrages (Klageantrag zu 1) und die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Klageantrag zu 2) begehrt hat, hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: Der mit dem Klageantrag zu 1 geltend gemachte Anspruch der Klägerin lässt sich nicht auf eine mündliche Rückabwicklungsvereinbarung stützen. Diese kann nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme nicht festgestellt werden. Die Aussagen von H und M stehen sich insoweit unvereinbar gegenüber, ohne dass die Kammer von der Richtigkeit der einen oder anderen Darstellung überzeugt ist. Es kann nicht festgestellt werden, dass der Zeuge M bei der von ihm verneinten Rückabwicklungsvereinbarung die Unwahrheit gesagt hat. Denn M hat seine Angaben kritisch überprüft und sogar zu Ungunsten der Beklagten bestätigt, dass H auch mündlich schon Im Januar 2019 die seitlichen Dellen beziehungsweise Beulen an der Fahrzeugseite moniert habe. Die Unaufklärbarkeit geht zulasten der beweisbelasteten Klägerin (non liquet).

Die Klägerin kann ihr Rückabwicklungsbegehren auch nicht auf § 346 I BGB i. V. mit § 437 Nr. 2 Fall 1, 434, 323 BGB stützen. Der erklärte Rücktritt ist unwirksam.

Das Fahrzeug gilt als mangelfrei (§ 377 II HGB), soweit sich die Klägerin erstmals mündlich am 07.06.2022 auf einen „Schummelmotor“ bezogen hat. Sie hat nach Bekunden des H trotz bestehender Kenntnis drei bis vier Monate zugewartet, ohne eine diebbezügliche Rüge gegenüber der Beklagten zu erklären. Zur Arglist i. S. von § 377 V HGB, die die Rügeobliegenheit entfallen lässt, hat die Klägerin erstmals im nicht nachgelassenen Schriftsatz vom 09.06.2022 vorgetragen, sodass dieser außerhalb mündlicher Verhandlung erfolgte Vortrag nach § 296a Satz 1 ZPO nicht zu berücksichtigen war. Die Kammer sieht auch keinen Anlass für eine Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung (§ 296a Satz 2, § 156 ZPO), weil die Klägerin mehrere Monate lang die Möglichkeit ungenutzt gelassen hat, zu dem Termin am 07.06.2022 rechtzeitig vorzutragen.

Soweit es den Einzug an der Fahrzeugseite betrifft, liegt jedenfalls kein zum Rücktritt berechtigender Mangel am Fahrzeug vor. Ob eine Beschaffenheit einer Kaufsache nach § 434 I 2 Nr. 2 BGB üblich ist, bemisst sich an der objektiv berechtigten Käufererwartung, die sich in Ermangelung abweichender Anhaltspunkte an der üblichen Beschaffenheit gleichartiger Sachen orientiert (BGH, Urt. v. 07.02.2007 – VIII ZR 266/06, NJW 2007, 1351 Rn. 21; Eggert, DS 2009, 247). Daher ist bei dem üblich erwartbaren Stand der Technik nicht auf den Standard der Marke, sondern auf den Entwicklungsstand vergleichbarer Fahrzeuge insgesamt abzustellen (vgl. OLG Köln, Urt. v. 19.04.1991 – 19 O 205/90, NJW-RR 1991, 1340, 1341). Gleiches gilt für die erwartbare Verarbeitungsqualität (vgl. MünchKomm-BGB/​Westermann, 8. Aufl., § 434 Rn. 62). Eine Kaufsache, die dem Stand der Technik gleichartiger Sachen entspricht, ist aber nicht allein deshalb mangelhaft, weil der Stand der Technik hinter der tatsächlichen oder durchschnittlichen Käufererwartung zurückbleibt (BGH, Ur­t. v. 04.03.2009 – VI­II ZR 160/08, NJW 2009, 2056 Rn. 11).

Der Sachverständige Prof. Dr. S hat in seinem schriftlichen Gutachten vom 15.03.2021 ausgeführt, dass bei dem als mangelhaft gerügten Knick eine fügetechnische Stoßabweichung zweier verschweißter Bleche vorliegt. Dieses sei in gewissen Toleranzen bei einem Nutzfahrzeug tolerierbar. Eine Abweichung von 3 bis 5 mm sei bei Transportern marktüblich und Stand der Technik. Gemessen hat der Sachverständige eine Bombierungstiefe von 8 mm, also eine Überschreitung der maximalen Toleranz um etwa 3 mm (60 %). Der eigene – nicht maßgebliche – Fertigungsstandard der Beklagten, der eine Toleranz von 6 mm zulässt, bewirkt immer noch eine Abweichung von 2 mm (40 %). In welchem Umfang der bereits beim Kauf vorhandene Innenausbau für die Abweichung ursächlich ist, hat der Sachverständige nicht aufklären können. Dies würde aber auch an der festgestellten Toleranzabweichung an sich nichts ändern, die rein optischer Natur ist und die Nutzbarkeit im Innenraum nicht einschränkt. Die Kammer macht sich die widerspruchsfreien und nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen zu eigen.

Die Kammer geht davon aus, dass damit zwar ein unbehebbarer Mangel vorliegt, dieser aber wegen Unerheblichkeit i. S. von § 323 V 2 BGB nicht zum Rücktritt, sondern allenfalls zur Minderung berechtigt (vgl. die Verfügung vom 11.09.2021).

Bei unbehebbaren Mängeln, mit denen der Käufer dauerhaft leben muss, ist zwar grundsätzlich von der Erheblichkeit auszugehen. Soweit die Gebrauchstauglichkeit aber nicht berührt wird, der Käufer also lediglich einen Minderwert hinnehmen muss, kommt eine Unerheblichkeit gleichwohl in Betracht, wenn Minderung bzw. „kleiner“ Schadensersatz die Mangelbetroffenheit des Käufers hinreichend ausgleichen würden (vgl. MünchKomm-BGB/​Ernst, BGB, 8. Aufl., § 323 Rn. 251). Diese Bewertung hängt von einer Interessenabwägung im Einzelfall ab (vgl. Grüneberg/​Weidenkaff, BGB, 81. Aufl., § 437 Rn. 23). Unerheblich kann dabei eine optisch kaum wahrnehmbare Beschaffenheit sein, die die Gebrauchstauglichkeit nicht beeinträchtigt (vgl. Grüneberg/​Weidenkaff, a. a. O., § 437 Rn. 23).

Nach dieser Maßgabe geht die Kammer von einer optisch kaum wahrnehmbaren, die Fahrzeugnutzung nicht beeinträchtigende Beeinträchtigung aus, da die Abweichung von der marktüblichen Toleranz nur 3 mm beträgt, somit gegenüber einer (noch) hinzunehmenden Abweichung von 5 mm nicht wesentlich stärker und nicht aus allen Blickwinkeln ins Auge fällt, und es sich bei dem streitgegenständlichen Sprinter um ein Nutzfahrzeug handelt, bei dem die Optik jedenfalls kein besonders sensibles Kriterium ist. Auch der Sachverständige hat insoweit schriftlich im Ausgangsgutachten ausgeführt, dass eine Minderung einer festgestellten optischen Beeinträchtigung Rechnung tragen kann.

Soweit sich die Klägerin weiter auf Dellen an der Fahrzeugseite berufen hat, die bei Temperaturabweichungen weiter zunehmen und wandern würden, hat sie diese streitige Behauptung nach dem Ergebnis der weiteren Beweisaufnahme nicht beweisen können. Der Sachverständige hat bei der weiteren Fahrzeuguntersuchung in einer Klimakammer im Ausgangspunkt nur leichte Verwerfungen im gesamten Dachrahmenbereich von C- bis D-Säule festgestellt. Durch deutlich kalte oder warme Temperaturen konnten weitere Verformungen (Verwerfungen, Einziehungen) von maximal circa 0,2 mm provoziert werden, die der Sachverständige als normales Erscheinungsbild für einen Transporter bezeichnet hat. Den Zustand, den die Klägerin mit verschiedenen Lichtbildern zu vermitteln versucht hat, hat der Sachverständige damit gerade nicht in der Klimakammer nachstellen können, sodass es an einer feststellbaren Abweichung vom Stand der Technik fehlt. Einwendungen gegen das zweite Ergänzungsgutachten hat die Klägerin trotz Fristsetzung nicht geltend gemacht. Es kommt demnach nicht darauf an, ob die Klägerin diesen Mangel rechtzeitig gerügt hat und ob es wegen der Unbehebbarkeit keiner Nachfristsetzung bedurfte.

Soweit sich die Klägerin auf die unzureichende Lademöglichkeit mit fünf Platten und eine Sensorproblematik bezogen hat, fehlt es jedenfalls an einem nach § 323 I BGB erforderlichen Nachbesserungsverlangen samt Fristsetzung. Ergänzender Vortrag der Klägerin ist auch nach dem entsprechenden Hinweis der Kammer vom 12.11.2019 nicht erfolgt.

Der Klageantrag zu 2 ist ebenfalls unbegründet. Da der Rücktritt unwirksam ist, befindet sich die Beklagte nicht im Annahmeverzug. …

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