- Angaben zur Laufleistung eines Gebrauchtwagens, für die sich der Verkäufer – hier: durch den Zusatz „lt. Vorbesitzer“ – auf eine bestimmte Quelle bezieht und so hinreichend deutlich macht, dass er kein eigenes Wissen kommuniziert, führen nicht zu einer Beschaffenheitsvereinbarung i. S. von § 434 I 1 BGB. Es liegt vielmehr nur eine Wissenserklärung oder – besser – Wissensmitteilung vor, mit der Angaben (hier: des Vorbesitzers) zur Laufleistung wiedergegeben werden.
- Einen Gebrauchtwagenhändler trifft keine generelle, anlassunabhängige Obliegenheit, ein Fahrzeug vor dem Verkauf umfassend zu untersuchen. Der Händler ist daher grundsätzlich nicht gehalten, die tatsächliche Laufleistung des Fahrzeugs zu ermitteln. Hierzu kann er vielmehr nur aufgrund besonderer Umstände gehalten sein, die für ihn den konkreten Verdacht begründen, dass die tatsächliche Laufleistung höher ist als die vom Kilometerzähler angezeigte Laufleistung. Solche Umstände liegen nicht schon dann vor, wenn ein Pkw, der rund zehn Jahre als Firmenwagen im Einsatz gewesen ist, lediglich rund 173.000 km zurückgelegt haben soll.
LG Berlin, Urteil vom 27.10.2021 – 46 O 262/21
Sachverhalt: Der Kläger kaufte von der Beklagten zu 1 – einer Unternehmergesellschaft i. S. des § 5a GmbHG, deren Gesellschafter und Geschäftsführer der Beklagte zu 2 ist, mit Vertrag vom 20.11.2018 einen Gebrauchtwagen der Marke BMW. Dieses Fahrzeug war am 11.07.2008 erstzugelassen und im Anschluss als Firmenwagen genutzt worden. Im schriftlichen Kaufvertrag heißt es unter anderem, der Kilometerstand betrage „lt. Vorbesitzer“ 173.118 km.
Den vereinbarten Kaufpreis in Höhe von 14.990 € beglich der Kläger in der Weise, dass er 2.490 € auf ein Konto der Beklagten zu 1 überwies und im Übrigen – wie zuvor, am 06.11.2018 zwischen ihm und der Beklagten zu 1 vereinbart – seinen Pkw Kia Sportage in Zahlung gab. Diese Inzahlunggabe vollzog sich dergestalt, dass der Kläger das Fahrzeug am 20.11.2018 an die Autohaus A-oHG verkaufte.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 29.11.2019 focht der Kläger den mit der Beklagten zu 1 geschlossenen Kaufvertrag dieser gegenüber hinsichtlich des Erwerbs des BMW wegen arglistiger Täuschung an. Zur Begründung führte er aus, dass er den Fahrzeugschlüssel habe auslesen lassen und so festgestellt worden sei, dass die Laufleistung des Pkw mindestens 374.600 km betrage. Die Beklagte zu 1 reagierte auf die Anfechtungserklärung nicht.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Rückabwicklung des Kaufvertrags über den BMW. Er behauptet, dass die Laufleistung dieses Fahrzeugs nicht 173.118 km, sondern mindestens 374.600 km betragen habe, und geht von einem planmäßigen Betrug zu seinem Nachteil aus. Bei einem Fahrzeug, das derart lange wie der streitgegenständliche Pkw als Firmenwagen genutzt worden sei – so macht der Kläger geltend –, sei eine Laufleistung von nur 173.118 km unüblich. Die Beklagten hätten daher die entsprechende Angabe in Zweifel ziehen müssen, und die Beklagte zu 1 hätte sodann durch Auslesen des Fahrzeugschlüssels leicht feststellen können, dass die angegebene Laufleistung nicht stimme. Den Beklagten zu 2 nimmt der Kläger, wie sich aus dem Rubrum der Klageschrift ergibt, als „persönlich haftenden“ Gesellschafter der Beklagten zu 1 in Anspruch.
Die Beklagten sind der auf Zahlung von 14.900 €, Zug um Zug gegen Rückgewähr des BMW, gerichteten Klage entgegengetreten. Sie bestreiten, dass das Fahrzeug eine Laufleistung von mindestens 374.600 km aufgewiesen habe. Jedenfalls – so behaupten die Beklagten – hätten sie von diesem Umstand keine Kenntnis gehabt. Insoweit verweisen die Beklagten auf einen Kaufvertrag vom 17.12.2016 (Ankauf des Fahrzeugs), das zu dem BMW gehörige Serviceheft sowie ein das Fahrzeug betreffendes „Gebrauchtwagen-Zertifikat“ vom 15.11.2018. Sie machen geltend, zu einer Untersuchung des Pkw im Hinblick auf dessen Laufleistung nicht verpflichtet gewesen zu sein. Ansprüche gegen den Beklagten zu 2 bestünden schon wegen § 13 II GmbHG nicht.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Die zulässige Klage ist unbegründet.
I. Dem Kläger stehen gegen die Beklagten keine Ansprüche im Zusammenhang mit dem Erwerb des BMW zu.
1. Ansprüche gegen die Beklagte zu 1 bestehen nicht.
a) Ein Anspruch gemäß § 812 I 1 Fall 1 BGB (Leistungskondiktion) besteht nicht.
aa) Die mit anwaltlichem Schreiben vom 29.11.2019 erklärte Anfechtung wegen arglistiger Täuschung gemäß § 123 I Fall 1 BGB greift nicht durch, sodass dem Kläger unter diesem Gesichtspunkt kein bereicherungsrechtlicher Anspruch zusteht. Dies folgt bereits daraus, dass der Kläger für seine bestrittene Behauptung, die tatsächliche Laufleistung des Fahrzeugs habe mindestens 374.600 km betragen, trotz des unmissverständlichen Bestreitens keinen Beweis angeboten hat. Er hat nicht einmal das angeblich vorhandene Ausleseprotokoll vorgelegt. Der Kläger hat auch keinen Beweis dafür angeboten, dass ein arglistiges – also vorsätzliches – Handeln aufseiten der Beklagten zu 1 vorliegt.
Die Kammer verkennt nicht, dass im Kaufvertrag angegeben wird, dass die Kilometerleistung „lt. Vorbesitzer“ 173.118 km betrage, und dies selbst nach dem Vortrag der Beklagten nicht zutrifft. Hiernach haben „die Beklagten“ – ausweislich der Anlage B 1 war es tatsächlich die Autohaus A-oHG – das Fahrzeug am 17.12.2016 erworben, wobei im Kaufvertrag eine Gesamtfahrleistung von 173.000 km angegeben wurde. Die Angabe im Kaufvertrag vom 20.11.2018 trifft daher nicht zu. Aber abgesehen davon, dass sie lediglich „nach oben“ abweicht, zieht der Kläger aus diesem Umstand keine Konsequenzen und behauptet insbesondere nicht, dass er das Fahrzeug bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht erworben hätte.
bb) Auch wenn man im Schreiben vom 29.11.2019 eine Anfechtung wegen eines Eigenschaftsirrtums gemäß § 119 II BGB sehen wollte, was denkbar ist (vgl. BeckOK-BGB/[hsoace]Wendtland, Stand: 01.08.2021, § 143 Rn. 7 m. w. Nachw.), würde dies der Klage nicht zum Erfolg verhelfen.
(1) Eine Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums ist nämlich ausgeschlossen, da die Vorschriften über die Sachmängelgewährleistung (§§ 434 ff. BGB) eine abschließende Regelung für den Fall darstellen, dass die Eigenschaften der Sache der Erwartung des Käufers nicht entsprechen, und zwar unabhängig davon, ob es sich – wie hier, s. dazu unter I 1 c aa – um eine einseitig gebliebene Erwartung hinsichtlich der Beschaffenheit handelt oder ob eine Beschaffenheitsvereinbarung vorliegt (s. etwa Palandt/Weidenkaff, BGB, 80. Aufl., § 437 Rn. 53).
(2) Eine Anfechtung wegen Eigenschaftsirrtums würde aber auch unabhängig von dem Gesagten nicht durchgreifen, weil der Kläger, wie ausgeführt, für seine Behauptung, dass die Laufleistung des Fahrzeugs tatsächlich mindestens 374.600 km betragen habe, keinen Beweis angeboten hat.
b) Ansprüche gemäß § 823 II BGB i. V. mit § 263 StGB und gemäß § 826 BGB scheiden ebenfalls deshalb aus, weil der Kläger für seine Behauptung, arglistig getäuscht worden zu sein, keinen Beweis angeboten hat.
c) Dem Kläger stehen auch keine Ansprüche aus einem Rückgewährschuldverhältnis gemäß § 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 323, 326 V BGB, §§ 346 ff. BGB zu, auch wenn man die Anfechtungserklärung gemäß § 140 BGB in eine Rücktrittserklärung umdeuten wollte (vgl. dazu BGH, Urt. v. 10.03.2010 – VIII ZR 182/08, NJW 2010, 2503 Rn. 16). Ein Sachmangel liegt nämlich nicht vor.
aa) Gemäß § 434 I 1 BGB liegt ein Sachmangel insbesondere dann vor, wenn die Sache bei Gefahrübergang nicht die vereinbarte Beschaffenheit hat. So liegt der Fall hier aber nicht. Nach der Rechtsprechung des BGH liegt eine Beschaffenheitsvereinbarung nicht vor, wenn sich der Verkäufer – etwa durch den Zusatz „laut Vorbesitzer“, wie er auch hier im Kaufvertrag verwendet wurde – ausdrücklich auf eine bestimmte Quelle bezieht und so hinreichend deutlich zum Ausdruck bringt, dass es sich dabei nicht um eigenes Wissen handelt (BGH, Urt. v. 13.03.2013 – VIII ZR 186/12, NJW 2013, 2107 Rn. 22). Es liegt lediglich eine Wissensmitteilung des Verkäufers, aber keine Willenserklärung vor (BGH, Urt. v. 12.03.2008 – VIII ZR 253/05, NJW 2008, 1517 Rn. 16)
bb) Dass sich ein Sachmangel aus anderen Umständen ergibt, ist weder vorgetragen, noch sonst ersichtlich.
d) Dem Kläger stehen auch keine Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen gemäß §§ 280 I, 241 II, 311 II BGB zu.
Auch dies hat seinen Grund bereits darin, dass nicht feststeht, dass die Laufleistung des Fahrzeugs so hoch war, wie der Kläger behauptet.
Unabhängig davon ist nicht erkennbar, dass die Beklagte zu 1 ein Verschuldensvorwurf trifft. Dafür, dass ihr ein vorsätzliches Handeln angelastet werden kann, hat der Kläger keinen Beweis angeboten. Die Kammer vermag auch nicht zu erkennen, dass ihr im Hinblick darauf, dass eine Feststellung der tatsächlichen Laufleistung durch Auslesen der Fahrzeugdaten unterblieben ist, ein Fahrlässigkeitsvorwurf gemacht werden kann. Den Verkäufer eines Gebrauchtwagens trifft nämlich ohne Vorliegen besonderer Anhaltspunkte nicht die Obliegenheit, das zum Verkauf angebotene Fahrzeug zu untersuchen (BGH, Urt. v. 07.06.2006 – VIII ZR 209/05, BGHZ 168, 64 = NJW 2006, 2839 Rn. 15). Vor diesem Hintergrund ist nicht erkennbar, warum eine eingehende Untersuchung durch Auslesen der Fahrzeugdaten hätte erfolgen müssen. Die Annahme des Klägers, dass bei einem Firmenfahrzeug mit einer Nutzungsdauer von rund zehn Jahren eine Laufleistung von 173.118 km unüblich sei, entbehrt jeder Grundlage. Hinzu kommt, dass die Beklagte zu 1 vorgetragen hat, dass üblicherweise nur BMW-Vertragshändler in der Lage seien, den Fahrzeugschlüssel auszulesen. Mit diesem Vorbringen hat sich der Kläger nicht auseinandergesetzt, insbesondere keinen Beweis dafür angeboten, dass dies anders sei.
Schließlich ist darauf hinzuweisen, dass die Beklagte zu 1 den Kläger dadurch, dass im Kaufvertrag darauf hingewiesen wird, dass die Laufleistung „lt. Vorbesitzer“ 173.118 km betrage, ausreichend deutlich darüber aufgeklärt hat, dass eine eingehende Untersuchung des Fahrzeugs hinsichtlich der Laufleistung nicht stattgefunden hat. Der Kläger konnte daher eine solche auch nicht erwarten.
Ob Ansprüche aus Verschulden bei Vertragsverhandlungen auch aus anderen Gründen ausscheiden, kann dahinstehen.
2. Es bestehen auch keine Ansprüche gegen den Beklagten zu 2.
a) Bei der Beklagten zu 1 handelt es sich um eine Unternehmergesellschaft i. S. von § 5a GmbHG. Die Unternehmergesellschaft ist eine Rechtsformvariante der Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), für die alle Vorschriften des Gesetzes betreffend die Gesellschaften mit beschränkter Haftung (GmbHG) Anwendung finden, soweit in § 5a GmbHG nichts anderes bestimmt ist (s. etwa Servatius, in: Baumbach/Hueck, GmbHG, 22. Aufl., § 5a Rn. 7). Demgemäß gilt auch § 13 II GmbHG, wonach für die Verbindlichkeiten der Gesellschaft den Gläubigern nur das Gesellschaftsvermögen haftet. Für die Inanspruchnahme des Beklagten zu 2 als Gesellschafter der Beklagten zu 1 ist danach kein Raum. Umstände, die ausnahmsweise einen „Durchgriff“ auf diesen rechtfertigen könnten, sind nicht ersichtlich.
b) Auch sonst ist nicht ersichtlich, auf welcher Grundlage Ansprüche des Klägers gegen den Beklagten zu 2 bestehen könnten. Insbesondere ist nicht unter Beweis gestellt, dass er den Kläger getäuscht hat. …