Ein Ge­richt ver­letzt den An­spruch ei­ner Pro­zess­par­tei auf recht­li­ches Ge­hör (Art. 103 I GG), wenn es – oh­ne zu­vor ei­nen ent­spre­chen­den Hin­weis zu er­tei­len – sei­nem Ur­teil nicht die in der münd­li­chen Ver­hand­lung ge­äu­ßer­te, ihr güns­ti­ge Rechts­auf­fas­sung zur Be­weis­last zu­grun­de legt. Das gilt auch dann, wenn das Ge­richt in der münd­li­chen Ver­hand­lung le­dig­lich ei­ne „vor­läu­fi­ge“ Ein­schät­zung ge­äu­ßert hat­te. Denn auch in die­sem Fall durf­te die Par­tei grund­sätz­lich auf das Fort­be­ste­hen der Rechts­auf­fas­sung des Ge­richts ver­trau­en und des­halb von ei­ge­nen Be­weis­an­ge­bo­ten ab­se­hen.

BVerfG (2. Kam­mer des Zwei­ten Se­nats), Be­schluss vom 25.05.2021 – 2 BvR 1719/16

Sach­ver­halt: Die Ver­fas­sungs­be­schwer­de be­trifft ei­nen we­gen der Rück­ab­wick­lung ei­nes Kauf­ver­trags über ei­nen Lap­top ge­führ­ten Zi­vil­pro­zess.

Die Be­schwer­de­füh­re­rin und Be­klag­te des Aus­gangs­ver­fah­rens ver­kauf­te dem Klä­ger für 332,90 € ei­nen Lap­top. Die­sen hielt der Klä­ger für man­gel­haft und er­klär­te des­halb den Rück­tritt vom Kauf­ver­trag. Da die Be­schwer­de­füh­re­rin der Auf­for­de­rung des Klä­gers, ihm den Kauf­preis zu­rück­zu­zah­len, nicht nach­kam, er­hob der Klä­ger Kla­ge beim AG Nörd­lin­gen.

Das Amts­ge­richt führ­te am 02.11.2015 ei­ne münd­li­che Ver­hand­lung durch, an der die Be­schwer­de­füh­re­rin nicht teil­nahm. Laut Sit­zungs­pro­to­koll wies das Amts­ge­richt dar­auf hin, dass die Be­weis­last für den be­haup­te­ten Man­gel nach vor­läu­fi­ger Wür­di­gung den Klä­ger tref­fe. Der Man­gel schei­ne nach­träg­lich auf­ge­tre­ten zu sein, so­dass die Be­weis­last­um­kehr des § 476 BGB nicht grei­fe. Das Amts­ge­richt hol­te auf­grund ei­nes Be­weis­be­schlus­ses vom 02.11.2015 ein Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten un­ter an­de­rem zu der Fra­ge ein, wann der von dem Klä­ger gel­tend ge­mach­te Man­gel ent­stan­den sei. Mit Ver­fü­gung vom 29.04.2016 gab das Amts­ge­richt den Par­tei­en ge­mäß § 411 IV ZPO Ge­le­gen­heit, bis zum 11.05.2016 Ein­wen­dun­gen ge­gen das Gut­ach­ten vom 19.04.2016 vor­zu­brin­gen. Auf­grund des Er­geb­nis­ses des Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens wer­de an­ge­regt, pro­zess­be­en­den­de Er­klä­run­gen ab­zu­ge­ben. Es wer­de den Par­tei­en auf­ge­ge­ben zu er­klä­ren, ob sie mit ei­ner Ent­schei­dung im schrift­li­chen Ver­fah­ren ge­mäß § 128 II ZPO ein­ver­stan­den sei­en.

Mit En­dur­teil vom 24.05.2016 gab das AG Nörd­lin­gen der Kla­ge statt und ver­ur­teil­te die Be­schwer­de­füh­re­rin in der Haupt­sa­che zur Rück­zah­lung des Kauf­prei­ses. Dem Klä­ger ha­be in­fol­ge ei­nes er­klär­ten Rück­tritts ei­nen An­spruch auf Rück­zah­lung des Kauf­prei­ses. Ein Man­gel i. S. des § 434 I BGB ha­be nach Über­zeu­gung des Ge­richts schon bei Ge­fahr­über­gang (Lie­fe­rung des Lap­tops) vor­ge­le­gen. Dies er­ge­be sich aus dem ein­ge­hol­ten Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten. Ge­mäß § 476 BGB lie­ge die Be­weis­last für den Zeit­punkt des Vor­lie­gens des Man­gels bei der Be­schwer­de­füh­re­rin als Un­ter­neh­me­rin. Der Sach­ver­stän­di­ge ha­be nach­voll­zieh­bar aus­ge­führt, dass es zu Ab­stür­zen im Be­triebs­sys­tem ge­kom­men sei. Die Ur­sa­che hier­für könn­te – je­den­falls nicht aus­schließ­bar – im fest­ge­stell­ten Flüs­sig­keits­ein­drin­gen lie­gen. Al­ler­dings ha­be der Sach­ver­stän­di­ge den Zeit­punkt des Ein­drin­gens der Flüs­sig­keit nicht er­mit­teln kön­nen. Dies­be­züg­lich lie­ge die Be­weis­last je­doch bei der Be­schwer­de­füh­re­rin. § 476 Satz 2 BGB grei­fe nicht. Nach jüngs­ter Recht­spre­chung des EuGH müs­se der Klä­ger als Ver­brau­cher nur das Vor­lie­gen ei­ner bin­nen sechs Mo­na­ten seit Lie­fe­rung auf­ge­tre­te­nen Ver­trags­wid­rig­keit be­wei­sen, nicht aber de­ren Grund. Dies sei vor­lie­gend ge­sche­hen. Der Flüs­sig­keits­ein­tritt und die da­mit ein­her­ge­hen­den Pro­ble­me an der Hard­ware sei­en durch das Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten be­wie­sen. In Form die­ser vor­ge­nann­ten Be­weis­last­re­ge­lung müs­se die Be­schwer­de­füh­re­rin als Un­ter­neh­me­rin/​Ver­käu­fe­rin be­wei­sen, dass die Ver­trags­wid­rig­keit bei der Lie­fe­rung noch nicht vor­ge­le­gen, son­dern Grund oder Ur­sa­che in ei­nem nach Lie­fe­rung ein­ge­tre­te­nen Um­stand ha­be. Bei­des ge­lin­ge vor­lie­gend nicht. Das Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten füh­re kon­kret aus, dass ei­ne Zeit­be­stim­mung für den Flüs­sig­keits­ein­tritt nicht mög­lich sei.

Die Be­schwer­de­füh­re­rin er­hob hier­ge­gen Ge­hörs­rü­ge. Sie be­an­stan­de­te die Nich­ter­tei­lung ei­nes Hin­wei­ses durch das Amts­ge­richt im Hin­blick auf sei­ne ge­än­der­te Rechts­auf­fas­sung zur Be­weis­last. Durch den un­ter­blie­be­nen Hin­weis sei es ihr nicht mög­lich ge­we­sen, vor Ur­teils­ver­kün­dung Be­weis da­für an­zu­bie­ten, dass die ver­kauf­te Sa­che bei Ge­fahr­über­gang noch man­gel­frei ge­we­sen sei. Dies hät­te ins­be­son­de­re Z, der das Ge­rät vor dem Ver­kauf un­ter­sucht ha­be, be­zeu­gen kön­nen. Das AG Nörd­lin­gen ver­warf die Ge­hörs­rü­ge mit Be­schluss vom 11.07.2016. Ei­ne Ver­let­zung des An­spruchs auf recht­li­ches Ge­hör und die Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit der be­haup­te­ten Ver­let­zung des An­spruchs auf recht­li­ches Ge­hör sei­en nicht hin­rei­chend dar­ge­legt. Selbst wenn man da­von aus­gin­ge, dass das Ge­richt auf die Än­de­rung der Be­weis­last­ver­tei­lung (die sich aus der jüngs­ten Ent­schei­dung des EuGH un­zwei­deu­tig er­ge­be) hät­te hin­wei­sen müs­sen, hät­te dies auf das Ver­tei­di­gungs­ver­hal­ten der Be­schwer­de­füh­re­rin kei­ne er­kenn­ba­ren Aus­wir­kun­gen ge­habt, da der ein­zi­ge Weg des Be­strei­tens des Man­gels zur Ein­ho­lung ei­nes Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens ge­führt hät­te. Dies sei er­folgt. Je­den­falls ha­be die Be­schwer­de­füh­re­rin die Ent­schei­dungs­er­heb­lich­keit nicht in­ner­halb der Frist zur Ge­hörs­rü­ge aus­rei­chend vor­ge­tra­gen. Be­weis­an­ge­bo­te etc. hät­ten im strei­ti­gen Ver­fah­ren er­fol­gen müs­sen. Die Be­schwer­de­füh­re­rin sei je­doch auch zum Ter­min der münd­li­chen Ver­hand­lung nicht er­schie­nen.

Mit ih­rer Ver­fas­sungs­be­schwer­de hat die Be­schwer­de­füh­re­rin ei­ne Ver­let­zung von Art. 103 I GG gel­tend ge­macht. Sie hät­te bei ei­nem Hin­weis des Ge­richts – wie in der Ge­hörs­rü­ge ge­sche­hen – wei­ter­ge­hen­de Be­weis­an­ge­bo­te un­ter­brei­tet. Der Be­weis, dass sie den Lap­top oh­ne Flüs­sig­keits­scha­den ver­sandt ha­be, das Ge­rät aber mit ei­nem sol­chen Scha­den zu ihr zu­rück­ge­langt sei, wä­re mög­lich ge­we­sen. Hät­te das Ge­richt den ge­bo­te­nen Hin­weis er­teilt, hät­te sie – die Be­schwer­de­füh­re­rin – ei­ner Ent­schei­dung im schrift­li­chen Ver­fah­ren nicht zu­ge­stimmt und zu ei­ner wei­te­ren münd­li­chen Ver­hand­lung den von ihr in der Ge­hörs­rü­ge ge­nann­ten Zeu­gen Z mit­ge­bracht.

Der Klä­ger des Aus­gangs­ver­fah­rens hält die Ver­fas­sungs­be­schwer­de für un­be­grün­det. Die Ent­schei­dung des EuGH vom 04.06.2015 (EuGH, Urt. v. 04.06.2015 – C-497/13, ECLI:EU:C:2015:357 – Fa­ber) zei­ge un­miss­ver­ständ­lich auf, dass er – der Klä­ger – als Ver­brau­cher nur das Vor­lie­gen ei­ner bin­nen sechs Mo­na­ten seit Lie­fe­rung des Lap­tops auf­ge­tre­te­nen Ver­trags­wid­rig­keit, nicht aber de­ren Grund ha­be be­wei­sen müs­sen. Durch das Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten sei die­se Ver­trags­wid­rig­keit zwei­fels­frei fest­ge­stellt wor­den. Wä­re ein rich­ter­li­cher Hin­weis er­folgt, dass sich das Ge­richt dem klä­ge­ri­schen Vor­trag an­schlie­ße, hät­te die Be­schwer­de­füh­re­rin be­wei­sen müs­sen, dass die Ver­trags­wid­rig­keit bei der Lie­fe­rung noch nicht vor­ge­le­gen, son­dern ih­ren Grund in ei­nem nach Lie­fe­rung ein­ge­tre­te­nen Um­stand ha­be. Die von der Be­schwer­de­füh­re­rin an­ge­bo­te­nen Zeu­gen­be­wei­se hät­ten in Be­zug auf den von ihr zu füh­ren­den Be­weis kei­nen Ein­fluss ge­habt, da le­dig­lich Zeu­gen­aus­sa­gen von Mit­ar­bei­tern an­ge­bo­ten wor­den sei­en, die zur Sphä­re der Be­schwer­de­füh­re­rin zu rech­nen sei­en. Der an­ge­bo­te­ne Zeu­gen­be­weis hät­te ge­nau den glei­chen Be­weis­wert ge­habt wie ei­ne Par­tei­ver­neh­mung. Letzt­lich füh­re das Amts­ge­richt da­her rich­ti­ger­wei­se aus, dass le­dig­lich ein Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten über den Zeit­punkt des Ent­ste­hens des Flüs­sig­keits­scha­dens den für die Be­schwer­de­füh­re­rin not­wen­di­gen Be­weis hät­te er­brin­gen kön­nen. Da das ein­ge­hol­te Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten ge­ra­de zur ent­schei­den­den Fra­ge kei­ne An­ga­ben ha­be ma­chen kön­nen, sei ein Be­weis durch die Be­schwer­de­füh­re­rin nicht mehr zu er­brin­gen ge­we­sen. Ein rich­ter­li­cher Hin­weis hät­te vor die­sem Hin­ter­grund kei­ne Aus­wir­kun­gen auf das Ver­tei­di­gungs­ver­hal­ten der Be­schwer­de­füh­re­rin ge­habt.

Die Ver­fas­sungs­be­schwer­de hat­te Er­folg.

Aus den Grün­den: [11]   III. Die Ver­fas­sungs­be­schwer­de ist zur Ent­schei­dung an­zu­neh­men, und ihr ist statt­zu­ge­ben, da dies zur Durch­set­zung der Grund­rech­te der Be­schwer­de­füh­re­rin an­ge­zeigt ist (§ 93b BVerfGG i. V. mit § 93a II lit. b BVerfGG; vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.02.1994 – 1 BvR 1693/92, BVerfGE 90, 22, 25). Die Vor­aus­set­zun­gen des § 93c I 1 BVerfGG für ei­ne statt­ge­ben­de Kam­mer­ent­schei­dung sind ge­ge­ben. Die hier maß­geb­li­chen ver­fas­sungs­recht­li­chen Fra­gen hat das BVerfG be­reits ent­schie­den. Die zu­läs­si­ge Ver­fas­sungs­be­schwer­de ist da­nach of­fen­sicht­lich be­grün­det.

[12]   1. Das Ur­teil des Amts­ge­richts vom 24.05.2016 ver­letzt die Be­schwer­de­füh­re­rin in ih­rem grund­rechts­glei­chen Recht aus Art. 103 I GG.

[13]   a) Das Ge­bot recht­li­chen Ge­hörs ge­währt den Be­tei­lig­ten ei­nes ge­richt­li­chen Ver­fah­rens ein Recht dar­auf, im Ver­fah­ren zu Wort zu kom­men, An­trä­ge zu stel­len und Aus­füh­run­gen zu dem in Re­de ste­hen­den Sach­ver­halt, den Be­wei­s­er­geb­nis­sen so­wie zur Rechts­la­ge zu ma­chen (vgl. BVerfG, Beschl. v. 30.10.1990 – 2 BvR 562/88, BVerfGE 83, 24, 3; Beschl. v. 19.05.1992 – 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133, 144; st. Rspr.). Dar­über hin­aus ent­hält Art. 103 I GG als wei­ter­ge­hen­de Ga­ran­tie den Schutz vor Über­ra­schungs­ent­schei­dun­gen (vgl. BVerfG, Ple­nums­be­schl. v. 30.04.2003 – 1 PB­vU 1/02, BVerfGE 107, 395, 410; BVerfG [1. Kam­mer des Zwei­ten Se­nats], Beschl. v. 27.11.2008 – 2 BvR 1012/08, BVerfGK 14, 455, 456; st. Rspr.). Da die Be­tei­lig­ten ge­mäß Art. 103 I GG Ge­le­gen­heit er­hal­ten sol­len, sich zu dem für die Ent­schei­dung maß­geb­li­chen Sach­ver­halt, den Be­wei­s­er­geb­nis­sen und den Rechts­auf­fas­sun­gen vor Er­lass der Ent­schei­dung zu äu­ßern, setzt ei­ne den ver­fas­sungs­recht­li­chen An­sprü­chen ge­nü­gen­de Ge­wäh­rung recht­li­chen Ge­hörs vor­aus, dass die Ver­fah­rens­be­tei­lig­ten bei An­wen­dung der von ih­nen zu ver­lan­gen­den Sorg­falt zu er­ken­nen ver­mö­gen, auf wel­chen Vor­trag es für die Ent­schei­dung an­kom­men kann (vgl. BVerfG, Beschl. v. 29.05.1991 – 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188, 190; Beschl. v. 19.05.1992 – 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133, 144 f.). Da­bei sta­tu­iert Art. 103 I GG zwar kei­ne all­ge­mei­ne Fra­ge- und Auf­klä­rungs­pflicht des Ge­richts (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.01.1984 – 1 BvR 272/81, BVerfGE 66, 116, 147; Beschl. v. 29.05.1991 – 1 BvR 1383/90, BVerfGE 84, 188, 190). Die Par­tei­en ei­nes Zi­vil­pro­zes­ses müs­sen, auch wenn die Rechts­la­ge um­strit­ten oder pro­ble­ma­tisch ist, grund­sätz­lich al­le ver­tret­ba­ren recht­li­chen Ge­sichts­punk­te von sich aus in Be­tracht zie­hen und ih­ren Vor­trag dar­auf ein­stel­len (vgl. BVerfG, Beschl. v. 19.05.1992 – 1 BvR 986/91, BVerfGE 86, 133, 145; Urt. v. 14.07.1998 – 1 BvR 1640/97, BVerfGE 98, 218, 263). Es kann im Er­geb­nis aber der Ver­hin­de­rung ei­nes Vor­trags zur Rechts­la­ge gleich­kom­men, wenn das Ge­richt oh­ne vor­he­ri­gen Hin­weis auf ei­nen recht­li­chen Ge­sichts­punkt ab­stellt, mit dem auch ein ge­wis­sen­haf­ter und kun­di­ger Pro­zess­be­tei­lig­ter selbst un­ter Be­rück­sich­ti­gung der Viel­falt ver­tret­ba­rer Rechts­auf­fas­sun­gen nicht zu rech­nen brauch­te. Art. 103 I GG kann des­halb auch dann ver­letzt sein, wenn das Ge­richt durch ein­deu­tig for­mu­lier­te Hin­wei­se sei­ne Rechts­auf­fas­sung zu er­ken­nen gibt und dann – oh­ne vor­he­ri­gen Hin­weis – von die­ser ab­rückt, so­dass den Pro­zess­be­tei­lig­ten kein Vor­trag zur ge­wan­del­ten Rechts­auf­fas­sung mehr mög­lich ist (vgl. BVerfG, Beschl. v. 07.10.2003 – 1 BvR 10/99, BVerfGE 108, 341, 346 f.; BVerfG [2. Kam­mer des Ers­ten Se­nats], Beschl. v. 29.09.2006 – 1 BvR 247/05 Rn. 29).

[14]   b) An die­sem Maß­stab ge­mes­sen ver­letzt das Ur­teil des Amts­ge­richts vom 24.05.2016 den An­spruch der Be­schwer­de­füh­re­rin auf recht­li­ches Ge­hör.

[15]   aa) Das Amts­ge­richt hat – oh­ne Er­tei­lung ei­nes vor­he­ri­gen Hin­wei­ses – sei­nem Ur­teil nicht die in der münd­li­chen Ver­hand­lung vom 02.11.2015 ge­äu­ßer­te Rechts­auf­fas­sung zur Be­weis­last zu­grun­de ge­legt. Auch wenn das Ge­richt in der münd­li­chen Ver­hand­lung le­dig­lich ei­ne „vor­läu­fi­ge“ Ein­schät­zung ge­äu­ßert hat, än­dert dies nichts dar­an, dass die Be­schwer­de­füh­re­rin grund­sätz­lich auf das Fort­be­ste­hen der Rechts­auf­fas­sung des Ge­richts ver­trau­en und des­halb von ei­ge­nen Be­weis­an­ge­bo­ten ab­se­hen durf­te.

[16]   bb) Ein Ver­stoß ge­gen Art. 103 I GG kann zwar grund­sätz­lich durch das wei­te­re Ver­fah­ren ge­heilt wer­den (vgl. BVerfG, Beschl. v. 25.05.1956 – 1 BvR 128/56, BVerfGE 5, 22, 24; Beschl. v. 14.12.1982 – 2 BvR 434/82, BVerfGE 62, 392, 397; Beschl. v. 08.07.1986 – 2 BvR 152/83, BVerfGE 73, 322, 326 f.). Ei­ne Hei­lung des Ge­hörs­ver­sto­ßes im An­hö­rungs­rüge­ver­fah­ren ist je­doch nicht er­folgt. So­weit das Amts­ge­richt in sei­nem Be­schluss vom 11.07.2016 aus­führt, dass Be­weis­an­ge­bo­te im strei­ti­gen Ver­fah­ren hät­ten er­fol­gen müs­sen, steht dies im kla­ren Wi­der­spruch zur ge­setz­li­chen Re­ge­lung des § 321a ZPO, die Aus­druck des ver­fas­sungs­recht­li­chen An­spruchs auf recht­li­ches Ge­hör nach Art. 103 I GG ist.

[17]   cc) Das an­ge­grif­fe­ne Ur­teil be­ruht auch auf dem Ge­hörs­ver­stoß. Denn es kann je­den­falls nicht aus­ge­schlos­sen wer­den, dass die Be­ach­tung des recht­li­chen Ge­hörs zu ei­ner an­de­ren, für die Be­schwer­de­füh­re­rin güns­ti­ge­ren Ent­schei­dung ge­führt hät­te (vgl. BVerfG, Beschl. v. 23.01.1958 – 1 BvR 271/57, BVerfGE 7, 239, 241; Beschl. v. 21.07.1964 – 2 BvR 223/64, BVerfGE 18, 147, 150; Beschl. v. 25.01.2005 – 2 BvR 656/99, 2 BvR 657/99 und 2 BvR 683/99, BVerfGE 112, 185, 206). Dass mit der Ein­ver­nah­me des von der Be­schwer­de­füh­re­rin be­nann­ten Zeu­gen Z nicht die Ord­nungs­mä­ßig­keit des Lap­tops im Zeit­punkt des Ge­fahr­über­gangs hät­te be­legt wer­den kön­nen, wird vom Amts­ge­richt nicht dar­ge­legt.

[18]   2. Die Ver­fas­sungs­be­schwer­de ist zur Ent­schei­dung an­zu­neh­men, da dies zur Durch­set­zung der ver­fas­sungs­mä­ßi­gen Rech­te der Be­schwer­de­füh­re­rin an­ge­zeigt ist (§ 93a II lit. b BVerfGG).

[19]   a) Ei­ne An­nah­me ist nach § 93a II lit. b BVerfGG an­ge­zeigt, wenn die gel­tend ge­mach­te Ver­let­zung von Grund­rech­ten oder grund­rechts­glei­chen Rech­ten be­son­de­res Ge­wicht hat oder den Be­schwer­de­füh­rer in exis­ten­zi­el­ler Wei­se be­trifft. Be­son­ders ge­wich­tig ist ei­ne Grund­rechts­ver­let­zung, die auf ei­ne ge­ne­rel­le Ver­nach­läs­si­gung von Grund­rech­ten hin­deu­tet oder we­gen ih­rer Wir­kung ge­eig­net ist, von der Aus­übung von Grund­rech­ten ab­zu­hal­ten. Ei­ne gel­tend ge­mach­te Ver­let­zung hat fer­ner be­son­de­res Ge­wicht, wenn sie auf ei­ner gro­ben Ver­ken­nung des durch ein Grund­recht ge­währ­ten Schut­zes oder ei­nem ge­ra­de­zu leicht­fer­ti­gen Um­gang mit grund­recht­lich ge­schütz­ten Po­si­tio­nen be­ruht oder rechts­staat­li­che Grund­sät­ze krass ver­letzt (vgl. BVerfG, Beschl. v. 08.02.1994 – 1 BvR 1693/92, BVerfGE 90, 22, 25; BVerfG [3. Kam­mer des Zwei­ten Se­nats], Beschl. v. 19.11.1999 – 2 BvR 1167/96 Rn. 33; BVerfG [2. Kam­mer des Ers­ten Se­nats], Beschl. v. 25.04.2016 – 1 BvR 2423/14, Rn. 2; BVerfG [1. Kam­mer des Ers­ten Se­nats], Beschl. v. 05.03.2018 – 1 BvR 2926/14 Rn. 26).

[20]   b) Vor­lie­gend hat die fest­ge­stell­te Ver­let­zung des An­spruchs auf recht­li­ches Ge­hör be­son­de­res Ge­wicht, da die an­ge­grif­fe­nen Ent­schei­dun­gen die aus Art. 103 I GG fol­gen­den An­for­de­run­gen leicht­fer­tig ver­ken­nen. Die Ge­hörs­ver­let­zung wird durch das An­hö­rungs­rüge­ver­fah­ren zu­dem noch in­ten­si­viert.

[21]   IV. Das En­dur­teil des AG Nörd­lin­gen vom 24.05.2016 ist auf­zu­he­ben und die Sa­che an das Amts­ge­richt zur er­neu­ten Ent­schei­dung zu­rück­zu­ver­wei­sen (§ 93c II BVerfGG i. V. mit § 95 II BVerfGG). Der Be­schluss des AG Nörd­lin­gen vom 11.07.2016 wird da­mit ge­gen­stands­los.

[22]   V. Der Frei­staat Bay­ern hat der Be­schwer­de­füh­re­rin ge­mäß § 34a II BVerfGG die not­wen­di­gen Aus­la­gen zu er­stat­ten (vgl. BVerfG [2. Kam­mer des Zwei­ten Se­nats], Beschl. v. 20.09.2018 – 2 BvR 2530/16, 2 BvR 2531/16 und 2 BvR 1160/17 Rn. 12; BVerfG [3. Kam­mer des Ers­ten Se­nats], Beschl. v. 30.09.2018 – 1 BvR 1783/17 Rn. 28; BVerfG [2. Kam­mer des Zwei­ten Se­nats], Beschl. v. 14.02.2019 – 2 BvR 1457/18 Rn. 21).

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