Hängt die Vollstreckung von einer Zug um Zug zu bewirkenden Leistung des Gläubigers an den Schuldner ab, muss der Gerichtsvollzieher nach § 756 ZPO die Gegenleistung so anbieten, wie dies im Vollstreckungstitel beschrieben ist. In welcher Weise der Gerichtsvollzieher dem Schuldner die diesem gebührende Leistung in einer den Verzug der Annahme begründenden Weise anzubieten hat, hat er in eigener Verantwortung von Amts wegen anhand des Vollstreckungstitels zu prüfen. Andere, außerhalb des Titels liegende Umstände sind vom Gerichtsvollzieher nicht zu berücksichtigen.
BGH, Beschluss vom 16.12.2020 – VII ZB 46/18
Sachverhalt: Die Gläubigerin betreibt gegen den Schuldner die Zwangsvollstreckung aus einem von ihr erwirkten Anerkenntnisurteil vom 20.04.2016, mit dem der Schuldner verurteilt wurde, „an die Klägerin 856,42 € nebst Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 10.11.2015 Zug um Zug gegen Rückgabe des Tischkickers C, Artikelnummer …, und fünf Kickerbällen, Artikelnummer … zu zahlen“. Der Verurteilung liegt die Rückabwicklung eines zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrags zugrunde; der Tischkicker nebst Kickerbällen befindet sich noch am Wohnsitz der Gläubigerin in R.
Die Gläubigerin erteilte der Gerichtsvollzieherin einen Vollstreckungsauftrag. Die Gerichtsvollzieherin unterbreitete dem Schuldner hiernach an dessen Wohnsitz in B. ein wörtliches Angebot. Der Schuldner erklärte, er werde die Leistung nur annehmen und die Forderung bezahlen, wenn ihm ein tatsächliches Angebot dergestalt unterbreitet werde, dass der Tischkicker nebst Zubehör zu ihm nach B. gebracht werde. Die Gerichtsvollzieherin teilte der Gläubigerin anschließend mit, dass ein Annahmeverzug des Schuldners nicht habe hergestellt werden können. Die Zwangsvollstreckung sei derzeit nicht möglich.
Die Gläubigerin hat daraufhin Vollstreckungserinnerung mit dem Antrag eingelegt, die Gerichtsvollzieherin anzuweisen, die Zwangsvollstreckung vorzunehmen. Sie hat die Auffassung vertreten, das wörtliche Angebot habe den Annahmeverzug des Schuldners begründet, da die Rückgabe des Tischkickers und der Kickerbälle eine Holschuld sei. Der titulierte Anspruch sei ein Rückgewähranspruch nach Rücktritt vom Kaufvertrag, Leistungsort sei deshalb der Ort, an dem sich die Kaufsache vereinbarungsgemäß befinde, sodass der Leistungsort an ihrem Wohnsitz in R. anzusiedeln sei.
Das Amtsgericht hat die Vollstreckungserinnerung zurückgewiesen. Die sofortige Beschwerde der Gläubigerin hat ebenso wenig Erfolg gehabt wie ihre vom Beschwerdegericht zugelassenen Rechtsbeschwerde, mit der die Gläubigerin ihr Begehren weiterverfolgt hat.
Aus den Gründen: [6] II. Die gemäß § 574 I 1 Nr. 2, III ZPO statthafte und auch im Übrigen zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.
[7] 1. Das Beschwerdegericht hat im Wesentlichen ausgeführt: Die Voraussetzungen für den Beginn der Zwangsvollstreckung nach § 756 ZPO lägen nicht vor. Der Schuldner habe den Tischkicker nebst Kickerbällen bislang nicht zurückerhalten. Ein Nachweis bzw. die Feststellung, dass sich der Schuldner in Annahmeverzug befinde, liege nicht vor.
[8] Das wörtliche Angebot durch die Gerichtsvollzieherin habe den Annahmeverzug nicht begründen können. Zwar sei nach § 295 BGB ein wörtliches Angebot ausreichend, wenn die Rückgabe des Tischkickers als Holschuld zu qualifizieren sei. Das Vorliegen der Holschuld müsse sich aber aus dem Vollstreckungstitel ergeben, eine Auslegung mithilfe der materiell-rechtlichen Bestimmungen über Leistungs- bzw. Erfüllungsorte durch das Vollstreckungsorgan sei nicht zulässig. Der Titel müsse den vollstreckbaren Anspruch inhaltlich bestimmt und aus sich heraus verständlich ausweisen. Zwar müsse der wahre Sinn der Urteilsformel auch im Rahmen des Zwangsvollstreckungsverfahrens durch Auslegung festgestellt werden. Nicht aus dem Titel zu klärende Unbestimmtheiten seien jedoch nicht im Vollstreckungsverfahren aufzuklären, sondern im Erkenntnisverfahren. Die Prüfungskompetenz des Vollstreckungsorgans werde nach dem Grundsatz der Formalisierung der Zwangsvollstreckung durch den Titelinhalt begrenzt.
[9] Aus dem Anerkenntnisurteil vom 20.04.2016 ergebe sich nicht, dass es sich bei der Gegenleistung um eine Holschuld handele. Das im Tenor verwendete Wort „Rückgabe“ sei neutral. Weil der Annahmeverzug auch nicht auf andere Weise feststehe, sei die Weigerung der Gerichtsvollzieherin berechtigt.
[10] 2. Das hält der rechtlichen Nachprüfung stand. Zu Recht hat das Beschwerdegericht angenommen, dass die besonderen Voraussetzungen für den Beginn der Zwangsvollstreckung nach § 756 ZPO trotz des wörtlichen Angebots der Gerichtsvollzieherin nicht vorlagen.
[11] a) Hängt die Vollstreckung von einer Zug um Zug zu bewirkenden Leistung des Gläubigers an den Schuldner ab, so darf der Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung nicht beginnen, bevor er dem Schuldner die diesem gebührende Leistung in einer den Verzug der Annahme begründenden Weise angeboten hat, sofern nicht der Beweis, dass der Schuldner befriedigt oder in Verzug der Annahme ist, durch öffentlich oder öffentlich beglaubigte Urkunden geführt wird und eine Abschrift dieser Urkunden bereits zugestellt ist oder gleichzeitig zugestellt wird (§ 756 I ZPO).
[12] Fehlt es – wie hier – an einem urkundlich nachgewiesenen Annahmeverzug, hat der Gerichtsvollzieher anhand der materiell-rechtlichen Vorschriften der §§ 293 ff. BGB zu untersuchen, ob Annahmeverzug eingetreten ist bzw. durch sein Angebot herbeigeführt wurde. Ein wörtliches Angebot ist nach § 295 Satz 1 Fall 2 BGB nur dann eine ordnungsgemäße Offerte der Gegenleistung, wenn die zu bewirkende Leistung eine Holschuld ist.
[13] b) Zu Recht ist das Beschwerdegericht davon ausgegangen, dass die Gerichtsvollzieherin dem Anerkenntnisurteil des Amtsgerichts R. vom 20.04.2016 nicht entnehmen konnte, dass es sich bei der „Rückgabe“ des Tischkickers nebst Bällen um eine Holschuld handelt. Die hiergegen gerichteten Einwendungen der Rechtsbeschwerde geben zu einer abweichenden Bewertung keinen Anlass.
[14] aa) In welcher Weise der Gerichtsvollzieher dem Schuldner die diesem gebührende Leistung in einer den Verzug der Annahme begründenden Weise anzubieten hat, hat er in eigener Verantwortung von Amts wegen anhand des Vollstreckungstitels zu prüfen (vgl. BGH, Beschl. v. 07.07.2005 – I ZB 7/05, MDR 2005, 1311 = juris Rn. 7, 11; Beschl. v. 07.02.2013 – VII ZB 2/12, NJW-RR 2013, 511 Rn. 11; Vogt-Beheim, in: Baumbach/Lauterbach/Hartmann/Anders/Gehle, ZPO, 79. Aufl., § 756 Rn. 4; Walker/Vuia, in: Schuschke/Walker/Kessen/Thole, Vollstreckung und Vorläufiger Rechtsschutz, 7. Aufl., § 756 Rn. 7; Fichtner, DGVZ 2004, 1, 5 f.; Alisch, DGVZ 1984, 85, 87; Günther, Die Vollstreckung von Urteilen auf Leistung Zug um Zug, 2010, S. 16).
[15] bb) Im Tenor des Anerkenntnisurteils des Amtsgerichts R. ist ein Leistungsort für die zurückzugewährenden Gegenstände nicht genannt. Ein Leistungsort in R. ist auch durch Auslegung der im Tenor verwendeten Formulierungen nicht zu ermitteln. Der Begriff „Rückgabe“ ist neutral und lässt nicht erkennen, ob der Tischkicker nebst Kickerbällen zum Wohnort des Schuldners nach B. gebracht werden muss oder der Schuldner ihn am Wohnsitz der Gläubigerin in R. abzuholen hat. Die Art der zurückzugewährenden Gegenstände lässt ebenfalls keine Rückschlüsse zu. Tischkicker und Zubehör sind beweglich und transportabel, weshalb, anders als etwa bei ortsfest verbundenen Gegenständen, kein Rückschluss auf den Leistungsort gezogen werden kann.
[16] cc) Verbleiben nach der Auslegung des Tenors Unklarheiten, kann das Vollstreckungsorgan zur Konkretisierung der von dem Gläubiger geschuldeten Gegenleistung gegebenenfalls Tatbestand und Entscheidungsgründe heranziehen (vgl. BGH, Beschl. v. 07.07.2005 – I ZB 7/05, MDR 2005, 1311 = juris Rn. 7; Fichtner, DGVZ 2004, 1, 6). Diese Möglichkeit hatte die Gerichtsvollzieherin vorliegend nicht, denn das Anerkenntnisurteil vom 20.04.2016 enthält gemäß § 313b I 1 ZPO weder Tatbestand noch Entscheidungsgründe.
[17] Darüber hinausgehende Ermittlungen musste die Gerichtsvollzieherin nicht anstellen. Soweit die Beschwerde hierin eine Schlechterstellung sieht, die dadurch zu kompensieren sei, dass die Gerichtsvollzieherin ergänzende Informationen zur Charakterisierung der Schuld der Klageschrift bzw. dem Sachvortrag der Gläubigerin entnehmen müsse, dem der Schuldner als Anerkennender nicht entgegengetreten sei, geht diese Erwägung fehl.
[18] (1) Zwar wird vertreten, dass im Einzelfall auf den Nachweis der Befriedigung oder des Annahmeverzugs verzichtet werden könne, wenn der Schuldner den Empfang der Gegenleistung oder zugestehe, dass ihm diese in einer den Annahmeverzug begründenden Weise angeboten worden sei (vgl. LG Düsseldorf, Beschl. v. 07.01.1991 – 25 T 1072/90, DGVZ 1991, 39; Lackmann, in: Musielak/Voit, ZPO, 17. Aufl., § 756 Rn. 10; HK-ZV/Sternal, 4. Aufl., § 756 Rn. 8). Diese Überlegungen treffen aber – anders als die Rechtsbeschwerde meint – auf ein Anerkenntnis nach § 307 Satz 1 ZPO nicht zu, da hiermit kein vergleichbarer Erklärungsinhalt verbunden ist. Das Anerkenntnis beschränkt sich gemäß § 307 Satz 1 ZPO auf den prozessualen Anspruch selbst, im Streitfall also die Zahlungsverpflichtung des Beklagten (Schuldners). Der Anerkennende erklärt sich weder zu den von der Klagepartei behaupteten Tatsachen (§ 288 I, § 138 III ZPO) noch zu den Rechtsausführungen in der Klageschrift.
[19] (2) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde war der in der Klageschrift enthaltene Parteivortrag der Gläubigerin nicht deshalb heranzuziehen, weil der Vollstreckungstitel weder Tatbestand noch Entscheidungsgründe enthält (a. A. Münzberg, in: Stein/Jonas, ZPO, 22. Aufl., vor § 704 Rn. 27; § 756 Rn. 1). Dies ist als Folge der § 313b I 1 ZPO zugrunde liegenden gesetzgeberischen Entscheidung hinzunehmen (vgl. Musielak, in: Musielak/[hspcae]Voit, ZPO, 17. Aufl., § 313a Rn. 6).
[20] c) Andere, außerhalb des Titels liegende Umstände hat der Gerichtsvollzieher nicht zu berücksichtigen. Ausschlaggebend ist allein die Rechtslage, wie sie sich aus dem Titel selbst ergibt. Materiell-rechtliche Erwägungen, die dem Vollstreckungstitel nicht zu entnehmen sind, sind vom Gerichtsvollzieher nicht zu berücksichtigen. Insbesondere ist der Gerichtsvollzieher nicht gehalten, Ermittlungen anzustellen oder auf andere Erkenntnisse zurückzugreifen, um zu prüfen, ob die von ihm anzubietende Gegenleistung materiell-rechtlich eine Holschuld ist (vgl. Günther, a. a. O., S. 129).
[21] Das Vollstreckungsverfahren ist ein formalisiertes Verfahren, in dem die materielle Rechtslage grundsätzlich nicht geprüft wird. Mit Recht hat das Beschwerdegericht darauf hingewiesen, dass aus dem Titel nicht zu klärende Unbestimmtheiten nicht im Vollstreckungsverfahren, sondern im Erkenntnisverfahren geklärt werden müssen. Die Rechtsausführung der Gläubigerin, nach der sich aus der Rechtsnatur des Rücktrittsrechts der Leistungsort an ihrem Wohnsitz ergibt, mag der materiellen Rechtslage entsprechen, ist aber vom Gerichtsvollzieher nicht zu berücksichtigen.
[22] cc) Der Vollstreckungsgläubiger wird hierdurch nicht unbillig benachteiligt. Er kann zum einen die im Zusammenhang mit der Nachweisführung nach § 756 ZPO denkbaren Schwierigkeiten dadurch umgehen, dass er schon im Erkenntnisverfahren einen Feststellungsantrag dahin gehend stellt, dass sich der Schuldner mit der Annahme der Gegenleistung in Verzug befindet (vgl. BGH, Beschl. v. 04.07.2018 – VII ZB 4/17, BGHZ 219, 187 Rn. 14; Fichtner, DGVZ 2004, 17, 21; Geißler, DGVZ 2012, 1, 5 f.). Hat der Vollstreckungsgläubiger den Schuldner zu diesem Zeitpunkt noch nicht in Annahmeverzug gesetzt, kann er durch die Formulierung des Klageantrags darauf hinwirken, dass im Tenor des stattgebenden Zug-um-Zug-Urteils der Charakter der zu erbringenden Gegenleistung als Holschuld hinreichend deutlich wird. Letztlich muss der Schuldner nach § 788 ZPO die Kosten tragen, die für ein durch seine Weigerung notwendig werdendes tatsächliches Angebot anfallen, falls materiell-rechtlich keine Bringschuld vorlag (HK-ZV/Sternal, a. a. O., § 756 Rn. 9; LG Ulm, Beschl. v. 20.08.1990 – 5 T 52/90, NJW-RR 1991, 190, 191; AG Schöneberg, Beschl. v. 24.01.2014 – 31 M 8119/13, DGVZ 2014, 68 = juris Rn. 11; Hintzen, Vollstreckung durch den Gerichtsvollzieher, 5. Aufl., § 2 Rn. 50).
[23] d) Die besonderen Voraussetzungen für den Beginn der Mobiliarzwangsvollstreckung nach § 756 ZPO liegen auch nicht aus anderen Gründen vor. Insbesondere hat der Schuldner auf das wörtliche Angebot des Gerichtsvollziehers nicht erklärt, dass er die Leistung nicht annehmen werde (§ 756 II ZPO).
[24] III. Die prozessuale Nebenentscheidung beruht auf § 97 I ZPO.