Ein gewerblicher Gebrauchtwagenhändler, der in Polen einen Pkw erwerben möchte, darf sich auf die in einer deutschen Zulassungsstelle eingeholte Auskunft verlassen, dass mit dem Fahrzeug alles in Ordnung und es insbesondere nicht zur Fahndung ausgeschrieben sei.
LG Heilbronn, Urteil vom 07.02.2019 – Bm 6 O 17/18
Sachverhalt: Die Klägerin und die Beklagte streiten darüber, wer von ihnen Eigentümer eines Kraftfahrzeugs ist.
Der Geschäftsführer der Klägerin, die mit Kraftfahrzeugen handelt, beauftragte den tschechischen Einkäufer E der Klägerin damit, ein auf der Internetplattform „mobile.de“ zum Kauf angebotenes Fahrzeug, einen Land Rover Defender 110, in Polen zu besichtigen. E fertigte bei der Besichtigung des Fahrzeugs Fotos an und sandte diese zusammen mit Kopien der ihm vorgelegten deutschen Fahrzeugpapiere an den Geschäftsführer der Klägerin. Dieser beauftragte daraufhin A, einen Angestellten der Klägerin, sich bei der örtlichen Zulassungsstelle nach dem Fahrzeug zu erkundigen. A begab sich sodann zur Zulassungsstelle; welche Daten er dort angab, ist zwischen den Parteien streitig.
Im weiteren Verlauf kaufte der E den Land Rover für die Klägerin zum Preis von 21.200 €, die bar an den Verkäufer gezahlt wurden. Dieser übergab E das Fahrzeug nebst sämtlichen Schlüsseln und Papieren. In § 7 des schriftlichen Kaufvertrags ist geregelt, dass die Vorschriften des polnischen Zivilgesetzbuchs Anwendung finden.
E überführte den Land Rover Defender 110 zunächst nach Tschechien, wo er am 10.08.2017 von Mitarbeitern der Klägerin abgeholt und zum Firmengelände der Klägerin verbracht wurde. Am Folgetag, dem 11.08.2017, sollte das Fahrzeug bei der Zulassungsstelle angemeldet werden. Dort gab es jedoch Probleme, weshalb die Leiterin der Zulassungsstelle C die überreichten Fahrzeugpapiere einbehielt. Nur wenige Stunden später wurde der Pkw polizeilich sichergestellt. Es stellte sich heraus, dass das Fahrzeug Gegenstand eines staatsanwaltlichen Ermittlungsverfahrens ist. Diesem Verfahren liegt eine von der Beklagten erstattete Strafanzeige zugrunde. Die Beklagte hatte den Land Rover aufgrund eines Leasingvertrags dem Leasingnehmer L überlassen, und L hatte das Fahrzeug nicht an die Beklagte herausgegeben, nachdem diese den Leasingvertrag gekündigt hatte.
In der Folgezeit begehrten sowohl die Klägerin als auch die Beklagte von der Staatsanwaltschaft die Herausgabe des Fahrzeugs an sich. Mit Schreiben vom 13.11.2017 äußerte die Staatsanwaltschaft gegenüber der Klägerin Zweifel daran, dass die Klägerin das Eigentum an dem Land Rover gutgläubig erworben habe, weil ihrem Einkäufer augenscheinlich eine gefälschte Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) vorgelegt worden sei. Die Klägerin wurde aufgefordert, ihren Anspruch auf Herausgabe des Fahrzeugs durch Vorlage eines zivilrechtlichen Titels nachzuweisen.
Die Klägerin hat geltend gemacht, ihr Geschäftsführer habe den Angestellten A damit beauftragt, bei der Zulassungsstelle nachzufragen, ob der Land Rover Defender 110 „sauber“ sei oder ob es irgendwelche Komplikationen mit dem Fahrzeug gebe. A sei mit der von E übermittelten Kopie der Zulassungsbescheinigung Teil II zur Zulassungsstelle gegangen und habe die Kopie dort vorgelegt. Die Mitarbeiterin der Zulassungsstelle M habe die Zulassungsbescheinigung Teil II in Augenschein genommen und mithilfe des Computers überprüft, ob Meldungen vorlägen oder ob es Unstimmigkeiten gebe. Im Anschluss an diese Prüfung habe M dem A versichert, dass das Fahrzeug nicht als gestohlen gemeldet sei und ohne Probleme nach Deutschland eingeführt und dort zugelassen werden könne. Diese Nachricht habe ihr – der Klägerin – Geschäftsführer an E nach Polen weitergeleitet; E habe den Land Rover Defender 110 daraufhin gekauft.
Die Klägerin ist der Auffassung, sie sei gutgläubig Eigentümerin des Fahrzeugs geworden. Dem stehe § 935 I BGB schon deshalb nicht entgegen, weil der Erwerb des Fahrzeugs ausschließlich polnischem Recht unterliege. Nach Art. 169 des polnischen Zivilgesetzbuchs sei Voraussetzung für den gutgläubigen Erwerb vom Nichtberechtigten, dass der Erwerber hinsichtlich der Verfügungsbefugnis des Veräußerers nicht bösgläubig sei. Der Erwerber sei nach der Rechtsprechung der polnischen Gerichte nicht verpflichtet, die Verfügungsberechtigung des Veräußerers zu überprüfen; er habe sich jedoch, wenn die Verfügungsberechtigung nach den Umständen zweifelhaft sei, in gewissem Umfang zu bemühen, diese Zweifel aufzuklären. Dem sei sie, die Klägerin, durch die Nachfrage bei der Kfz-Zulassungsstelle nachgekommen. Weitere Voraussetzung des gutgläubigen Eigentumserwerbs sei nach Art. 351 des polnischen Zivilgesetzbuchs, dass die Sache dem Erwerber übergeben, ihm also der Besitz eingeräumt werde. Diese Voraussetzung sei ebenfalls erfüllt, weil der Pkw ihrem – der Klägerin – Einkäufer übergeben worden sei. Ein gutgläubiger Erwerb des Eigentums an Sachen, die dem ursprünglichen Eigentümer abhandengekommen seien, sei zwar auch nach polnischem Recht ausgeschlossen. Anders als das deutsche Recht erlaube das polnische Recht (Art. 169 Abs. 2 polnisches Zivilgesetzbuch) einen gutgläubigen Erwerb aber, wenn seit dem Abhandenkommen drei Jahre verstrichen seien. Der Pkw sei der Beklagten spätestens am 30.05.2012, als die Beklagte Strafanzeige erstattet habe, wahrscheinlich aber sogar schon 2011 und damit jedenfalls mehr als drei Jahre vor der Übergabe an E abhandengekommen.
Die Beklagte hat darauf hingewiesen, dass sie – unstreitig – ursprünglich Eigentümerin des streitgegenständlichen Fahrzeugs gewesen sei. Sie habe den mit L geschlossenen Leasingvertrag fristlos gekündigt, weil L geschuldete Leasingraten nicht gezahlt habe, sodass sie auch im Verhältnis zu L ein Recht zum Besitz habe.
Die Beklagte meint, dass sie ihr Eigentum an dem Land Rover nicht an die Klägerin verloren habe.
Sie hat bestritten, dass die Klägerin ihren Angestellten A beauftragt habe, bei der Kfz-Zulassungsstelle nachzufragen, ob mit dem Land Roveer alles in Ordnung sei. Ebenso hat die Beklagte bestritten, dass A von der Mitarbeiterin der Zulassungsstelle (M) die Auskunft erhalten habe, dass das Fahrzeug nicht als gestohlen gemeldet sei. Das Fahrzeug – so hat die Beklagte geltend gemacht – sei bereits seit dem 31.10.2012 und auch noch im Juli/August 2017 zur Fahndung ausgeschrieben gewesen. A habe M auch nicht etwa die Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegt, sondern lediglich einen Zettel mit einer Fahrzeug-Identifizierungsnummer. Diese Nummer habe M nur in das Zentrale Verkehrs-Informationssystem des Kraftfahrt-Bundesamtes (ZEVIS) eingegeben und festgestellt, dass der Pkw abgemeldet gewesen sei. Hätte M tatsächlich die Zulassungsbescheinigung Teil II vorgelegen, wäre herausgekommen, dass der entsprechende Datenträger bei einem Einbruchsdiebstahl in das Straßenverkehrsamt des Oberbergischen Kreises entwendet worden sei. Auch hätten die Zulassungsbescheinigung Teil I und die Zulassungsbescheinigung Teil II unterschiedliche Nummern aufgewiesen. Weiterhin sei auffällig, dass die Zulassungsbescheinigung Teil II den Stempel des Oberbergischen Kreises trage, die Zulassung aber von der Stadt S. vorgenommen worden sein solle. Es liege also eine offensichtliche Fälschung vor, zumal die Zulassungsbescheinigung auch im unteren Teil entgegen dem Üblichen nicht unterschrieben sei. Die Klägerin, die als Betreiberin eines Autohauses gewerblich mit Gebrauchtwagen handele, sei über diese Dinge bestens informiert und unter diesen Umständen beim Kauf des Fahrzeugs in Polen bösgläubig gewesen. Auch ein gutgläubiger Erwerb nach Art. 169 § 2 des polnischen Zivilgesetzbuchs scheide aus, weil der Land Rover erst mehr als drei Jahre nach dem Abhandenkommen überhaupt veräußert worden sei.
Die Klage hatte Erfolg, wohingegen die Widerklage abgewiesen wurde.
Aus den Gründen: Nach Überzeugung des Gerichts hat … die Klägerin im Rahmen des sogenannten gutgläubigen Erwerbs Eigentum am streitgegenständlichen Kraftfahrzeug erworben, sodass die Beklagte das ihr ursprünglich zustehende Eigentum verloren hat.
Für die Frage des Eigentumserwerbs, auch des gutgläubigen Erwerbs, sind die Vorschriften des polnischen Zivilgesetzbuchs maßgeblich. Dies ergibt sich aus Art. 43 I EGBGB. Infolge der Verbringung des Kfz nach Polen hat kollisionsrechtlich ein sogenannter Statutenwechsel stattgefunden. Das neue Belegenheitsstatut übernimmt die bewegliche Sache in der rechtlichen Prägung, die sie unter dem alten Belegenheitsstatut erhalten hat (vgl. BGH, Urt. v. 02.02.1966 – VIII ZR 153/64, BGHZ 45, 95, 97). Danach liegende Erwerbs- und Verlustvorgänge sind deshalb nach neuem, vorliegend also polnischem Recht zu beurteilen, sodass es für den Eigentumsübergang allein auf den Ort ankommt, wo sich die Ware zur Zeit der Veräußerung befindet (vgl. sog. lex rei sitae; BGH, Urt. v. 10.06.2009 – VIII ZR 108/07, NJW 2009, 2824 Rn. 7; Martiny, Reithmann/Martiny, Internationales Vertragsrecht, 8. Aufl. [2015], Rn. 6.141 ff.).
Nach polnischem Recht handelt es sich bei dem Kraftfahrzeug um eine bewegliche Sache (Art. 45 des polnischen Zivilgesetzbuchs).
Die Übergabe des Kfz ist gemäß Art. 351 des polnischen Zivilgesetzbuchs ebenfalls unstreitig in Polen erfolgt.
Der Erwerb vom Nichtberechtigten wird durch Art. 169 § 1 des polnischen Zivilgesetzbuchs geregelt, wobei Art. 169 § 2 eine Sonderregelung für abhandengekommene Sachen enthält. Da die polnische Sachenrechtsordnung die Sache im bestehenden Rechtszustand aus Deutschland übernimmt, kommt vorliegend allerdings ein Abhandenkommen nicht in Betracht, weil die Weggabe durch den Sicherungsgeber als Besitzmittler nach deutschem Recht nicht zu einem Abhandenkommen des Sicherungsguts nach § 935 I BGB aufseiten des Sicherungseigentümers geführt hat (vgl. BGH, Urt. v. 20.09.2004 – II ZR 318/02, NJW-RR 2005, 280, 281; Palandt/Herrler, BGB, 78. Aufl. [2019], § 935 Rn. 7).
Art. 269 § 1 des polnischen Zivilgesetzbuchs lautet:
„Veräußert ein zur Verfügung über eine bewegliche Sache Nichtberechtigter die Sache und übergibt sie dem Erwerber, so erwirbt der Erwerber das Eigentum im Zeitpunkt der Übernahme des Besitzes an der Sache, es sei denn, er handelt bösgläubig.“
Allgemeine Voraussetzung für den Erwerb vom Nichtberechtigten ist deshalb, dass der Erwerber nicht im bösen Glauben handelt, weil sich dieses Erfordernis auf die Verfügungsbefugnis des Veräußerers bezieht. Diese hat regelmäßig der Eigentümer inne; durch rechtsgeschäftliche Ermächtigung oder aufgrund gesetzlicher Vorschriften kann aber mitunter auch ein Dritter befugt sein, wirksam über dessen Gegenstände zu verfügen. Die Bösgläubigkeit des Erwerbers hat im Prozess zu beweisen, wer behauptet, die Übereignung sei fehlgeschlagen. Bösgläubig ist nach Auffassung von Rechtsprechung und Schrifttum nicht nur, wer weiß, dass der Veräußerer nicht berechtigt ist, sondern auch, wer davon mit Leichtigkeit hätte Kenntnis erlangen können (culpa levis, vgl. Rudnicki, Komentarz do kodeksu cywi, Rechtsstand: 01.01.1996, Art. 169.§§ 1, 2 These 12 m. w. Nachw.; OLG Brandenburg, Urt. v. 12.12.2000 – 11 U 14/00, VersR 2001, 361). Der Erwerber ist danach zwar im Regelfall nicht verpflichtet, die Berechtigung des Veräußerers zu überprüfen, wenn aber die Umstände einer Transaktion Zweifel an der Berechtigung des Veräußerers wecken, hat er sich im gewissen Umfang zu bemühen, diese aufzuklären. Die im Verkehr zu beachtenden Sorgfaltspflichten richten sich nach den Umständen des Einzelfalls. Für den Erwerb eines gebrauchten ausländischen Wagens hat das polnische Oberste Gericht die Sorgfaltspflichten eines Käufers abstrakt dahin bestimmt, dass er eine Reihe von Handlungen zu unternehmen hat, um im Rahmen der allgemeinen Lebenserfahrung sowie der durchschnittlichen Erfahrung eines Autofahrers und Autokäufers den Rechtszustand des Fahrzeugs zu kontrollieren. Konkretisiert hat das Oberste Gericht diese Grundsätze dahin, dass der Erwerber mit der Möglichkeit eines vorangegangenen Fahrzeugdiebstahls zu rechnen hat und sich deswegen über den Rechtszustand des Wagens vergewissern muss. Zeigt die Veräußerungssituation Auffälligkeiten, so verschärfen sich die Nachforschungspflichten des Erwerbers, sodass es für geboten erachtet wird, unter anderem die Polizeiliste der gestohlenen Wagen nachzuprüfen.
Nach der durchgeführten Beweisaufnahme ist das Gericht davon überzeugt, dass die Klägerin beim Erwerb des Kraftfahrzeugs in Polen nicht bösgläubig im Sinne des oben Angeführten gehandelt hat.
Aufgrund der Aussagen der Zeugen steht vielmehr fest, dass der Geschäftsführer der Klägerin den Zeugen A beauftragt hat, mit der vor Ort fotokopierten Zulassungsbescheinigung Teil II in der Zulassungsstelle nachzufragen, ob mit dem Fahrzeug alles in Ordnung ist, mit anderen Worten, ob es zur Fahndung ausgeschrieben ist. Dies hat ausdrücklich auch die Zeugin M so bestätigt, sodass die Behauptung der Beklagten, der Zeuge habe lediglich eine auf einen Zettel geschriebene Fahrzeug-Identifizierungsnummer vorgelegt, widerlegt ist. Die Zeugin M hat überzeugend dargelegt, dass sie bei der Nachfrage im System keine Fahndungsmeldung angezeigt bekommen hat und sie dem Zeugen ausdrücklich gesagt hat, dass mit dem Wagen alles in Ordnung ist. Diese Aussage der Zeugin überzeugt das Gericht auch deshalb, weil ausweislich der Aussage der Zeugin C das identische Ergebnis auch bei der Eingabe der Fahrzeugdaten in Anwesenheit der Kriminalpolizei vom System ZEVIS ausgeworfen wurde, insbesondere also bei der Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer kein Fahndungshinweis auftauchte. Die Zeugin vermochte für das Gericht überzeugend darzulegen, was der Hintergrund für die fehlende Fahndungsanzeige trotz bestehender Fahndung gewesen sein könnte, nämlich ein Fehleintrag der Fahndung beschränkt nur auf das Kfz-Kennzeichen anstatt auf das gesamte Fahrzeug, das heißt die Fahrzeug-Identifizierungsnummer.
Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass auch der mit Zulassungsfragen alltäglich befassten und damit erfahrenen Zeugin M die im Nachhinein von der Kriminalpolizei weiter festgestellten Ungereimtheiten nicht aufgefallen sind. Nach Überzeugung des Gerichts kann aber auch ein gewerblicher Gebrauchtwagenkäufer, der einen Pkw in Polen erwerben möchte, nicht höheren Anforderungen im Hinblick auf eine Bösgläubigkeit unterliegen als den Kenntnissen einer Angestellten in der Pkw-Zulassungsstelle eines Landratsamts. Die Klägerin konnte sich vielmehr auf die eingeholte Aussage beim Landratsamt verlassen, nämlich dass die Abfrage im System ZEVIS keine Anzeige eines Fahndungsersuchens ergeben hat und damit auf die positive Auskunft, dass alles ok ist. Eine weitergehende Nachforschungspflicht hält das Gericht auch unter Berücksichtigung der Maßstäbe des Obersten Gerichts in Polen für nicht berechtigt.
Im Ergebnis hat deshalb die Klägerin gutgläubig Eigentum an dem streitgegenständlichen Land Rover erworben. Damit erweist sich die Klage als begründet, womit die Widerklage gleichzeitig unbegründet ist …