Eine Nachbesserung durch die Installation eines Softwareupdates ist dem Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen – mangelhaften – Fahrzeugs unzumutbar (§ 440 Satz 1 Fall 3 BGB). Die Unzumutbarkeit folgt unter anderem daraus, dass der Käufer wenig Anlass hat, der Entwicklerin des Softwareupdates, der Volkswagen AG, zu vertrauen, nachdem diese sowohl die Behörden als auch die Käufer ihrer Fahrzeuge über Jahre hinweg systematisch irregeführt hat. Dieser Vertrauensverlust erfasst auch das Verhältnis des Käufers zum Verkäufer des Fahrzeugs, weil dieser für eine Nachbesserung auf das von der Volkswagen AG entwickelte Softwareupdate angewiesen ist.
LG Köln, Urteil vom 21.12.2017 – 2 O 137/17
Sachverhalt: Der Kläger verlangt von der Beklagten zu 1, einer Audi-Vertragshändlerin, die Rückabwicklung eines Kaufvertrags, der durch eine „verbindliche Bestellung“ vom 23.06.2015 zustande kam. Mit diesem Vertrag erwarb der Kläger von der Beklagten zu 1 für 30.000 € einen gebrauchten, im Mai 2012 zugelassenen Audi A6 2.0 TDI mit einer Laufleistung von 62.925 km.
Der Pkw ist mit einem EA189-Dieselmotor ausgestattet und deshalb vom VW-Abgasskandal betroffen. Eine Software aktiviert automatisch einen bestimmten Betriebsmodus („Modus 1“), sobald das Fahrzeug auf einem Prüfstand einen Emissionstest absolviert. In diesem Betriebsmodus ist der Stickoxidausstoß so niedrig, dass der einschlägige Euro-5-Emissionsgrenzwert eingehalten wird. Der reguläre Betrieb des Fahrzeugs im Straßenverkehr erfolgt demgegenüber im „Modus 0“, in dem der Stickoxidausstoß höher ist als auf dem Prüfstand.
Am 10.08.2016 gab das Kraftfahrt-Bundesamt eine vom VW-Konzern entwickelte Software frei, mit der der Motor von Fahrzeugen des streitgegenständlichen Typs so gesteuert werden kann, dass auch beim regulären Betrieb im Straßenverkehr der Euro-5-Grenzwert für den Stickoxidausstoß eingehalten wird. Das Softwareupdate kann in einer Vertragswerkstatt in weniger als einer Stunde installiert werden.
Mit einem an die Beklagte zu 1 gerichteten anwaltlichen Schreiben vom 27.12.2016 ließ der Kläger die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung und „hilfsweise“ den Rücktritt vom Kaufvertrag erklären. Zugleich wurde der Beklagten zu 1 eine Frist zur Rückabwicklung des Kaufvertrags bis zum 10.01.2017 gesetzt. Die Beklagte zu 1 lehnte mit Schreiben vom 29.12.2016 eine Rückabwicklung des Kaufvertrages ab und verwies darauf, dass für das Fahrzeug des Klägers ein Softwareupdate zur Verfügung stehe.
In der Klageschrift hat der Kläger sowohl die Anfechtungs- als auch die Rücktrittserklärung wiederholt.
Er will im übrigen festgestellt haben, dass ihm die Beklagte zu 2 – die Volkswagen AG – als Konzernmutter der Fahrzeugherstellerin (AUDI AG) Schäden, die aus der Manipulation seines Fahrzeugs resultieren, ersetzen müsse. Diesbezüglich behauptet der Kläger, ihm drohten die Nachforderung von Kraftfahrzeugsteuer und eine Stilllegung seines Fahrzeugs; außerdem könnten Körperschäden eintreten.
Die gegen die Beklagte zu 1 gerichtete Klage hatte überwiegend Erfolg, während die gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Feststellungsklage als unzulässig abgewiesen wurde.
Aus den Gründen: Der Kläger hat gegen die Beklagte zu 1 einen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises von 30.000 € abzüglich gezogener Gebrauchsvorteile in Höhe von 4.147,32 €, mithin 25.852,68 €, Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des … Fahrzeugs (§§ 346 I, 348, 437 Nr. 2 Fall 1, 323 I, 440 Satz 1 Fall 3 BGB). Die Klage gegen die Beklagte zu 2 ist unzulässig.
Im Einzelnen:
1. Die Anfechtung des Klägers wegen arglistiger Täuschung hat keinen Erfolg. Es ist nicht dargelegt, dass die Beklagte zu 1 im Zeitpunkt des Kaufvertrags (Juni 2015) wusste, dass eine Abschaltsoftware verbaut war. Jedoch ist der Kläger wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten. Die Rücktrittserklärung, die „hilfsweise“ erfolgte, ist als vorsorgliche auszulegen. Auch bei Anwaltsschreiben darf die Auslegung nicht am Wortlaut haften.
2. Das Fahrzeug wies im Zeitpunkt der Übergabe an den Kläger einen Sachmangel auf, weil es die Euro-5-Abgasnorm jedenfalls in Bezug auf den Stickoxidausstoß nicht erfüllte. Die Einhaltung dieser Norm war geschuldet, weil es der üblichen Beschaffenheit entspricht, dass ein Pkw-Motor die Abgasvorschriften einhält, die in den technischen Daten der Prospekte angegeben sind.
Dass das Fahrzeug die Vorgaben der Norm nicht einhielt, folgt schon aus dem Umstand, dass die Abgasbehandlung in zwei verschiedenen Modi vorgenommen wurde, von denen einer für die Situation auf Prüfständen galt. In diesem Modus war der Stickoxidausstoß so stark reduziert, dass die Vorgaben der Norm erfüllt wurden. Eine solche differenzierte Motorsteuerung je nach Situation war aus Sicht der Entwickler nur dann nötig, wenn das Fahrzeug im anderen Modus – auf der Straße – die Euro-5-Norm in Bezug auf Stickoxid nicht einhielt.
Die Ansicht der Beklagten, es komme rechtlich nur auf die Situation auf dem Prüfstand an, ist abwegig. Abgas- und Verbrauchswerte auf dem Prüfstand müssen zwar nicht mit denen im Straßenbetrieb übereinstimmen; Letztere sind höher. Jedoch muss die Motorsteuerung in beiden Situationen gleich sein, damit die Werte auf dem Prüfstand und auf der Straße zumindest korrelieren (so auch LG Krefeld, Urt. v. 14.09.2016 – 2 O 72/16, juris Rn. 25).
3. Die Pflichtverletzung der Beklagten zu 1 ist nicht unerheblich. Entgegen der Ansicht der Beklagten ist dabei nicht nur auf die Kosten des Softwareupdates in Relation zum Kaufpreis abzustellen. Vielmehr ist eine umfassende Abwägung der beiderseitigen Interessen im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nötig. Bei dieser fallen weitere Faktoren ins Gewicht, wie sie in den Urteilen des LG Köln vom 02.03.2017 – 2 O 317/16 – und vom 18.05.2017 – 2 O 422/16 – dargelegt worden sind:
a) Die Erheblichkeit wird indiziert, wenn der Mangel einen für den Gläubiger wesentlichen Qualitätsaspekt betrifft. Dies ist anzunehmen, denn die Einordnung in die Euro-5-Norm ist auch Voraussetzung für die möglichst weitgehende räumliche Benutzbarkeit des Autos, da der Betrieb von umweltschädlichen Pkw jedenfalls im Zentrum von Großstädten in den letzten Jahren eingeschränkt wurde und anzunehmen ist, dass weitere Einschränkungen folgen werden.
b) Arglist des Vertragspartners führt in der Regel dazu, dass die Pflichtverletzung nicht unerheblich ist. Arglistig gehandelt hat vorliegend der Volkswagen-Konzern, nicht die Beklagte zu 1. Jedoch spielt die Arglist der Herstellerin auch in dieser Konstellation eine Rolle: Ein Softwareupdate kann der Kläger nicht von der Beklagten zu 1 beziehen, sondern nur von der Herstellerin (über die Beklagte zu 1 oder eine andere Vertragswerkstatt). Der Kläger hat wenig Anlass, der Herstellerin in Bezug auf Motorsoftware zu vertrauen, nachdem diese sowohl die Behörden als auch ihre Kunden über Jahre hinweg systematisch irregeführt hat.
c) Die Motorsteuerung ist ein besonders sensibler Bereich eines Autos. Nicht ohne Grund erlischt die Herstellergarantie, wenn im Wege des sogenannten Chip-Tunings die Software eines nicht autorisierten Drittanbieters aufgespielt wird. So wie der Hersteller beim Chip-Tuning befürchtet, dass es zu Spätschäden am Motor kommt, hat vorliegend der Kläger Grund zur Sorge, das Softwareupdate könne bislang unbekannte Folgen für seinen Motor haben, die erst nach längerem Betrieb zutage treten.
d) Ebenso wenig kann ausgeschlossen werden, dass das Fahrzeug auch nach Aktualisierung der Software mit einem Makel behaftet ist, der den Wiederverkaufswert mindert. Dem steht nicht entgegen, dass bisherige Marktuntersuchungen keinen Wertverfall von Pkw mit EA189-Motor ergeben haben. Es ist allgemein bekannt, dass in ganz Deutschland eine Vielzahl von Klagen, die auf Rückabwicklung gerichtet sind, anhängig ist. Dies indiziert, dass eine Vielzahl von Käufern die Absicht hat, sich – vorzeitig – von ihrem Fahrzeug zu trennen. Dieses zusätzliche Angebot ist derzeit noch nicht auf dem Markt, weil die Käufer zunächst den Ausgang ihrer Prozesse abwarten.
Entgegen der Ansicht der Beklagten sind ein möglicherweise verbleibender Makel sowie ein möglicher späterer Motorschaden nicht deswegen außer Betracht zu lassen, weil es sich (nur) um „Spekulation“ handelt. Es geht insoweit nicht um die Frage, ob ein Sachmangel vorliegt oder nicht. Zu fragen ist vielmehr, ob der Mangel mehr als nur unerheblich ist. Unter diesem Blickwinkel fallen auch solche künftigen Umstände ins Gewicht, die nicht sicher prognostiziert werden können, aber jedenfalls nicht fernliegen.
Die genannten Umstände wiegen in der Gesamtbetrachtung deutlich schwerer als der vergleichsweise geringe Kostenaufwand eines Softwareupdates.
4. Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung war nicht erforderlich. Eine Nacherfüllung kommt aus tatsächlichen Gründen nur in Gestalt der Nachbesserung durch ein Softwareupdate in Betracht. Ein Softwareupdate ist dem Kläger jedoch nicht zumutbar (§ 440 Satz 1 Fall 3 BGB). Die Unzumutbarkeit folgt aus den oben (3 b–d) genannten Gründen.
Nach Auffassung des Gerichts ist auch im Rahmen der Unzumutbarkeit nicht Arglist der Beklagten zu 1 erforderlich, sondern es genügt, dass die Herstellerin arglistig gehandelt hat. § 440 Satz 1 Fall 3 BGB geht weiter als § 323 II Nr. 3 BGB, der eine Abwägung der beiderseitigen Interessen verlangt. § 440 Satz 1 Fall 3 BGB erfasst darüber hinaus alle Fälle, in denen das Vertrauensverhältnis der Vertragsparteien erheblich gestört ist; dazu zählt auch ein Vertrauensverlust, der primär aus dem früheren Verhalten der Herstellerin folgt, aber auf das Verhältnis der Vertragsparteien durchschlägt. Dies wiederum ist vorliegend der Fall, weil die Nachbesserung zwar von der Beklagten zu 1 vorgenommen werden kann, aber nur unter Verwendung eines von der Herstellerin entwickelten Softwareupdates.
5. Die Gebrauchsvorteile des Klägers sind mit 3.933,27 € anzusetzen. Das streitgegenständliche Fahrzeug ist mit einem 2,0-Liter-TDI-Motor ausgestattet, der grundsätzlich langlebig ist; eine Gesamtlaufleistung von 250.000 km kann berechtigt erwartet werden. Der Kläger erwarb das Fahrzeug mit einer Laufleistung von 62.925 km, sodass er noch 187.075 km mit dem Pkw hätte zurücklegen können. Tatsächlich ist er bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung (88.787 km − 62.925 km =) 25.862 km mit dem Wagen gefahren. Die Gebrauchsvorteile errechnen sich demnach wie folgt:
$${\frac{\text{30.000 €}\times\text{25.862 km}}{\text{187.075 km}}} = \text{4.147,32 km}.$$
6. Der gegen die Beklagte zu 2 gerichtete Feststellungsantrag ist unzulässig. Soweit er sich auf Vermögensschäden bezieht, ist nicht dargelegt, dass diese wahrscheinlich sind (Zöller/Vollkommer, ZPO, 32. Aufl, § 256 Rn. 9). Hinsichtlich möglicher körperlicher Schäden des Klägers fehlt jede Darlegung, dass solche (welche genau?) gerade durch das streitgegenständliche Fahrzeug möglich sind. Die Tatsache, dass Stickoxide generell gesundheitsschädlich sind, genügt insoweit nicht. Der Kläger hat das Fahrzeug zudem erst Mitte des Jahres 2015 erworben und konnte es bereits ab Sommer 2016 nachrüsten lassen.
7. Seit dem Ablauf der Frist zur Rücknahme des Fahrzeugs (10.01.2017) befindet sich die Beklagte zu 1 in Annahmeverzug.
8. Vorgerichtliche Anwaltskosten kann der Kläger nicht ersetzt verlangen.
Die Anwaltskosten sind mit Beauftragung der klägerischen Prozessbevollmächtigten entstanden und damit vor Eintritt des Verzugs der Beklagten zu 1 mit der Nacherfüllung. Ein vertraglicher Anspruch auf Schadensersatz in Form der Anwaltskosten ist nicht ersichtlich. Die Beklagte zu 1 trifft an dem Mangel kein Verschulden.
In Bezug auf die Beklagte zu 2 fehlt es schon an einer Hauptforderung, sodass erst recht nicht Ersatz vorgerichtlicher Anwaltskosten verlangt werden kann. …