- Ein vom VW-Abgasskandal betroffener Neuwagen ist zwar mangelhaft (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB), weil darin eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. der Art. 3 Nr. 10, 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zum Einsatz kommt. Der dem Fahrzeug anhaftende Mangel kann indes durch die Installation eines Softwareupdates beseitigt werden, ohne dass sich diese Nachbesserung (§ 439 I Fall 1 BGB) nachteilig auf den Kraftstoffverbrauch, den CO2-Ausstoß oder die Motorleistung des Fahrzeugs auswirkt.
- Der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Neuwagens kann deshalb grundsätzlich erst wirksam vom Kaufvertrag zurücktreten, nachdem er dem Verkäufer erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt hat (§ 323 I BGB). Eine Frist zur Nacherfüllung von nur zwei Wochen ist angesichts des Umstands, dass der VW-Abgasskandal viele Fahrzeuge betrifft und diese in Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt umgerüstet werden müssen, eindeutig zu kurz.
- Eine Fristsetzung i. S. des § 323 I BGB ist nicht deshalb entbehrlich, weil der Käufer das vom VW-Abgasskandal betroffene – mangelhafte – Fahrzeug von der Volkswagen AG erworben und diese den Käufer bei Abschluss des Kaufvertrages möglicherweise arglistig getäuscht hat. Zwar ist „im Regelfall“ anzunehmen, dass der Käufer ein die sofortige Rückabwicklung des Kaufvertrags rechtfertigendes Interesse i. S. des § 323 II Nr. 3 BGB hat, wenn ihm der Verkäufer einen Mangel bei Abschluss des Kaufvertrages arglistig verschwiegen hat. Die Nachbesserung eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs findet indes in Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt und damit unter Aufsicht einer unabhängigen Bundesbehörde statt. Es liegt deshalb ein Sonderfall vor, in dem sich der Käufer nicht vor einem neuerlichen Täuschungsversuch des Verkäufers schützen muss.
- Auch die bloße Möglichkeit, dass der Mangel, an dem ein vom VW-Abgasskandal betroffener Neuwagen leidet, durch die Installation eines Softwareupdates nicht vollständig und nachhaltig beseitigt wird oder dass das Update zu neuen Mängeln führt, rechtfertigt keinen sofortigen Rücktritt vom Kaufvertrag. Vielmehr ergibt sich aus § 440 Satz 2 BGB, dass der Käufer das Risiko, dass zwei Nachbesserungsversuche keinen Erfolg haben, hinnehmen muss.
- Die Volkswagen AG als Verkäuferin müsste den Käufer eines Neuwagens zwar dann darüber aufklären, dass in dem Fahrzeug eine unzulässige Abschalteinrichtung zum Einsatz kommt, wenn deshalb die EG-Typgenehmigung des Fahrzeugs erloschen wäre oder deren Entziehung drohte. Das ist jedoch nicht der Fall. Vielmehr erlischt die EG-Typgenehmigung durch die Vornahme der in § 19 II 2 StVZO genannten Änderungen nur, wenn diese Änderungen nach Abschluss des Produktionsprozesses vorgenommen werden (§§ 19 II 2, VII StVZO). Außerdem hat das Kraftfahrt-Bundesamt das ihm gemäß § 25 III EG-FGV zustehende Ermessen gerade nicht dahin gehend ausgeübt, dass es eine Entziehung der EG-Typgenehmigung in die Wege geleitet hat. Es ist vielmehr nach § 25 II EG-FVG vorgegangen und hat Nebenbestimmungen zur bestehenden Typgenehmigung angeordnet.
LG Braunschweig, Urteil vom 10.08.2017 – 3 O 1483/16
Sachverhalt: Der Kläger verlangt von der beklagten Kfz-Herstellerin im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal die Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrages.
Er erwarb von der Beklagten am 26.01.2013 für 26.575,26 € einen Neuwagen, der ihm im April 2013 übergeben wurde und seitdem 56.500 km zurückgelegt hat. Dieses Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor der Baureihe EA189 (Euro 5) ausgestattet. Mit – nicht angefochtenem – Bescheid vom 15.10.2015 stellte das Kraftfahrt-Bundesamt fest, dass EA189-Motoren mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgerüstet sind. Es ordnete gemäß § 25 II EG-FGV als nachträgliche Nebenbestimmungen zu den jeweils erteilten Typgenehmigungen an, dass die Beklagte zur Vermeidung des Widerrufs oder der Rücknahme der Typgenehmigungen die unzulässigen Abschalteinrichtungen entfernen und geeignete Maßnahmen ergreifen müsse, um die Vorschriftsmäßigkeit der betroffenen Fahrzeuge wiederherzustellen.
Mit Rundschreiben aus Februar 2016 informierte die Beklagte den Kläger darüber, dass der in seinem
„Fahrzeug eingebaute Dieselmotor von einer Software betroffen ist, durch welche die Stickoxidwerte (NOX) im Vergleich zwischen Prüfstandlauf (NEFZ) und realem Fahrbetrieb verschlechtert werden“,
versicherte ihm, dass sein Fahrzeug technisch sicher, fahrbereit und ohne jegliche Einschränkung in gewohnter Weise nutzbar sei, und kündigte des Weiteren an:
„Wir arbeiten mit Hochdruck an der Organisation der Rückrufmaßnahme durch zuständige Werkstätten. Aufgrund der Vielzahl der zu entwickelnden technischen Lösungen wird die Instandsetzung der Fahrzeuge in mehreren Stufen im Kalenderjahr 2016 erfolgen. Wir können Ihnen aber bereits jetzt mitteilen, das abhängig von dem in ihrem Fahrzeug verbauten Aggregat: 2.0 l ab KW 09/16, 1,6 l ab KW 36/16 und 1,2 l ab KW 22/16, die Reparaturmaßnahmen in den Werkstätten starten. Sie werden dann in einem weiteren Anschreiben von uns noch einmal konkret aufgefordert, umgehend einen Termin mit einem autorisierten Volkswagen-Partner zu vereinbaren. Volkswagen übernimmt selbstverständlich die Kosten für alle notwendigen Reparaturmaßnahmen und setzt alles daran, Ihr Vertrauen vollständig wiederzugewinnen.“
In diesem Rundschreiben findet sich ferner folgender Hinweis:
„Ihre Anschrift haben wir für diese Maßnahme gemäß § 35 II Nr. 1 StVG vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erhalten.“
Der Kläger forderte die Beklagte daraufhin mit Anwaltsschreiben vom 11.03.2016 zur Nachbesserung „innerhalb von zwei Wochen bis zum 26.03.2016“ auf. Nachdem die Beklagte auf diese Aufforderung nicht reagiert hatte, erklärte der Kläger mit Anwaltsschreiben vom 01.04.2016 gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte sie auf, diesen Vertrag bis zum 20.04.2016 rückabzuwickeln.
Mit Bescheid vom 01.06.2016 bestätigte das Kraftfahrt-Bundesamt unter Bezugnahme auf seinen Bescheid vom 15.10.2015, dass die von der Beklagten vorgestellte Änderung der Applikationsdaten bei den vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugtypen aus dem Cluster 6 geeignet sei, die Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge herzustellen. Die Beklagte informierte den Kläger davon mit ihrer Klageerwiderung vom 21.10.2016. Sie teilte des Weiteren mit, dass die technische Überarbeitung des streitgegenständlichen Fahrzeugs unmittelbar bevorstehe, weshalb der Kläger nunmehr einen Termin in einer Vertragswerkstatt vereinbaren könne. Der Kläger, der das Fahrzeug weiterhin ohne Gebrauchseinschränkungen nutzt, ist dem nicht nachgekommen.
Er ist der Ansicht, er habe gegen die Beklagte einen mangelbedingten Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages. Diesen Anspruch stützt der Kläger in erster Linie auf den erklärten Rücktritt vom Kaufvertrag und in zweiter Linie auf eine Anfechtung wegen arglistiger Täuschung, die er vorsorglich in der Klageschrift erklärt hat.
Der Kläger behauptet, er habe sich für den streitgegenständlichen Pkw unter anderem deshalb entschieden, weil er ein umweltfreundliches Fahrzeug habe erwerben wollen und das Fahrzeug in den Werbeprospekten der Beklagten und im Verkaufsgespräch als sparsam im Verbrauch bei geringem Schadstoffausstoß angepriesen worden sei.
Als er den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt habe – so meint der Kläger –, habe er die begründete Befürchtung haben dürfen, dass das von der Beklagten beabsichtigte Softwareupdate entweder nicht erfolgreich sein oder zu Folgemängeln führe würde. Insbesondere sei nicht auszuschließen gewesen, dass die Beseitigung der „Schummelsoftware“ negative Auswirkungen auf die übrigen Emissionswerte, den Kraftstoffverbrauch und die Motorleistung haben würde. Darüber hinaus seien Fahrzeuge, die von dem VW-Abgasskandal betroffen seien, dauerhaft mit einem Makel behaftet, was zu einem merkantilen Minderwert führe.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: A. … Dem Kläger steht gegen die Beklagte ein Anspruch auf Rückabwicklung des streitbefangenen Autokaufs weder aus §§ 434 I, 437 Nr. 2, 323, 346 BGB (I) noch aus §§ 812 I, 123 I, 142 I BGB (II) zu. Mangels Begründetheit der Hauptforderung konnte auch die Nebenforderung keinen Erfolg haben.
I. Das streitgegenständliche Fahrzeug war zwar bei Gefahrübergang mit einem Sachmangel behaftet, weil es mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 ausgerüstet war, die aufgrund des Bescheids des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 15.10.2015 zu beseitigen ist, womit dem Kläger die Gewährleistungsrechte aus § 437 BGB grundsätzlich eröffnet sind (1). Der Kläger ist jedoch nicht wirksam vom Kaufvertrag zurückgetreten, weil die der Beklagten gesetzte Frist zur Nacherfüllung unangemessen kurz (2) und eine solche Fristsetzung auch nicht entbehrlich war (3).
1. Nach ständiger Rechtsprechung des BGH, der die Kammer folgt, sind Verwaltungsakte in den Grenzen ihrer Bestandskraft für andere Gerichte und Behörden bindend (vgl. hierzu und zum Folgenden: BGH, Urt. v. 21.09.2006 – IX ZR 89/05, NJW-RR 2007, 398 [399] m. w. Nachw.). Gerichte haben Verwaltungsakte deshalb, auch wenn sie fehlerhaft sein sollten, grundsätzlich zu beachten, solange sie nicht durch die zuständige Behörde oder durch ein zuständiges Gericht aufgehoben worden sind. Sie haben die durch den Verwaltungsakt getroffene Regelung oder Feststellung unbesehen, das heißt ohne eigene Nachprüfung der Rechtmäßigkeit des Verwaltungsaktes, zugrunde zu legen.
Durch die bestandskräftigen Bescheide des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 15.10.2015 und vom 01.06.2016 ist in diesem Sinne bindend festgestellt bzw. geregelt,
- dass es sich bei der in den betreffenden Fahrzeugen verwendeten Software um eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. von Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 handelt;
- dass die Beklagte zur Vermeidung des Widerrufs oder der Rücknahme der Typgenehmigungen verpflichtet ist, diese unzulässigen Abschalteinrichtungen zu entfernen und geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit zu ergreifen, was durch Beibringen geeigneter Nachweise zu belegen ist;
- dass für die betroffenen Fahrzeuge dieser Nachweis inzwischen geführt wurde und dass die von der Beklagten vorgestellte Änderung der Applikationsdaten geeignet ist, die Vorschriftsmäßigkeit der genannten Fahrzeuge herzustellen;
- dass das Kraftfahrt-Bundesamt dabei folgende Sachverhalte mit folgenden Ergebnissen überprüft hat: keine unzulässigen Abschalteinrichtungen mehr, vorhandene Abschalteinrichtungen zulässig, Grenzwerte und andere Anforderungen an emissionsmindernde Einrichtungen eingehalten, ursprünglich vom Hersteller angegebene Kraftstoffverbrauchwerte und CO2-Emissionen in Prüfungen durch einen Technischen Dienst bestätigt, bisherige Motorleistung und maximales Drehmoment unverändert sowie bisherige Geräuschemissionswerte unverändert.
Aus diesen Feststellungen und Regelungen ergibt sich für die zivilrechtliche Würdigung, dass
- es sich bei der unzulässigen, zu beseitigenden Abschalteinrichtung um einen Sachmangel i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB handelt und
- die vom Kraftfahrt-Bundesamt freigegebene technische Überarbeitung durch ein Softwareupdate geeignet ist, diesen Mangel gemäß § 439 I Fall 1 BGB zu beseitigen, die Nachbesserung mithin möglich ist (so i. E. auch OLG Hamm, Beschl. v. 21.06.2016 – 28 W 14/16, juris Rn. 37).
2. § 323 I BGB bestimmt, dass der Gläubiger dem Schuldner vor seinem Rücktritt vom Vertrag erfolglos eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt haben muss.
Der Kläger hat der Beklagten zwar mit Anwaltsschreiben vom 11.03.2016 eine Frist von zwei Wochen bis zum 26.03.2016 gesetzt. Diese war unter den gegebenen Umständen aber eindeutig zu kurz, zumal die Beklagte den Kläger bereits mit ihrem Rundschreiben aus Februar 2016 über die in mehreren Stufen im Jahr 2016 erfolgende Rückrufmaßnahme informiert hatte.
Über die Frage der Angemessenheit der Fristsetzung im Zusammenhang mit dem sogenannten Abgasskandal liegen inzwischen auch schon Entscheidungen von Oberlandesgerichten vor: Das OLG München (Beschl. v. 23.03.2017 – 3 U 4316/16, juris Rn. 14) hat selbst circa sechs Wochen noch als zu kurz und eine Obergrenze für eine angemessene Frist erst bei einem Jahr gesehen, das OLG Oldenburg (Hinweisbeschl. v. 05.05.2017 – 6 U 46/17, n. v.) hat zwei Wochen – wie hier – ebenfalls als nicht angemessen erachtet, weil allgemein bekannt sei, dass die Umrüstung der Fahrzeuge aufgrund des sogenannten Abgasskandals nicht einzelne Fahrzeuge, sondern eine große Anzahl von Diesel-Pkw betreffe und dass die Beklagte die Nachrüstung in Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt vornehme, was angesichts der Zahl der nachzurüstenden Fahrzeuge nicht überall gleichzeitig und gewissermaßen auf Zuruf geschehen könne, auch wenn der einzelne Nachrüstungsvorgang nur etwa eine Stunde in Anspruch nehme. Die Kammer schließt sich dieser zweitinstanzlichen Rechtsprechung an.
Dadurch, dass der Kläger schon am 01.04.2016, das heißt nur sechs Tage nach dem Ablauf der von ihm gesetzten Frist, den Rücktritt erklärt hat, hat er sich darüber hinaus um die Möglichkeit gebracht, nach Ablauf einer angemessenen Frist, in die sich die zu kurze Frist umgewandelt hätte, den Rücktritt zu erklären (vgl. OLG Oldenburg, Hinweisbeschl. v. 05.05.2017 – 6 U 46/17, n. v.).
3. Der Kläger hätte deshalb nur dann am 01.04.2016 wirksam vom Vertrag zurücktreten können, wenn eine Fristsetzung ganz entbehrlich gewesen wäre. Das wäre … dann der Fall, wenn der Mangel entweder i. S. von §§ 326 V, 275 I BGB unbehebbar wäre (a) oder wenn besondere Umstände vorlägen, die nach § 323 II Nr. 3 BGB unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigten (b).
a) Dass der in der Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung bestehende Mangel durch das Softwareupdate behoben wird und dass dadurch auch keine Nachteile für Kraftstoffverbrauch, CO2-Ausstoß und Motorleistung verbleiben, ist durch die Freigabe des Kraftfahrt-Bundesamtes vom 01.06.2016 ausdrücklich festgestellt. Der Mangel ist mithin behebbar.
Zwar lag zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung die Freigabe durch das Kraftfahrt-Bundesamt noch nicht vor. Eine nur vorübergehende Unmöglichkeit der Nacherfüllung kann einer dauerhaften Unmöglichkeit aber nur dann gleichgestellt werden, wenn sie die Erreichung des Geschäftszwecks infrage stellt und dem anderen Teil das Festhalten am Vertrag bis zum Wegfall des Leistungshindernisses nicht zugemutet werden kann (vgl. Palandt/Grünberg, BGB, 76. Aufl., § 275 Rn. 11 m. w. Nachw.). Eine solche Situation bestand vorliegend nicht. Vielmehr wusste der Kläger aus dem Rundschreiben der Beklagten aus Februar 2016, dass er seinen Pkw „ohne jegliche Einschränkung in gewohnter Weise weiter nutzen“ durfte und dass es in absehbarer Zeit eine mit dem Kraftfahrt-Bundesamt abgestimmte Rückrufmaßnahme geben würde.
Soweit der Kläger darüber hinaus einen verbleibenden merkantilen Minderwert behauptet, ist sein Vorbringen gegenüber dem qualifizierten Bestreiten seitens der Beklagten nicht hinreichend substanziiert, weshalb die dazu angebotene Einholung eines Sachverständigengutachtens auf einen unzulässigen Ausforschungsbeweis hinausliefe. Der Kraftfahrzeugmarkt ist generell schon sehr transparent (wie z. B. durch die sog. Schwacke-Liste), die Preisentwicklung von gebrauchten Dieselfahrzeugen steht vor dem Hintergrund des sogenannten Abgasskandals zudem unter besonderer medialer Aufmerksamkeit (wie z. B. durch das „DAT Diesel-Barometer“), sodass es dem Kläger ohne Weiteres möglich wäre, etwaige Wertverschiebungen, die gerade auf die unzulässige Abschalteinrichtung zurückzuführen sind, darzulegen. Daran fehlt es hier aber.
b) Eine Fristsetzung war auch nicht nach § 323 II Nr. 3 BGB entbehrlich, und zwar weder unter dem Gesichtspunkt, dass nach der Rechtsprechung des BGH (vgl. Beschl. v. 08.12.2006 – V ZR 249/05, juris m. w. Nachw.) der Käufer im Regelfall berechtigt ist, sofort vom Kaufvertrag zurückzutreten, wenn der Verkäufer dem Käufer einen Mangel bei Abschluss des Kaufvertrages arglistig verschwiegen hat (aa), noch weil der Kläger zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung befürchtete, dass das zur Nacherfüllung vorgesehene Softwareupdate entweder nicht erfolgreich sein oder zu Folgemängeln führen würde (bb).
aa) Soweit hier ein arglistiges Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung und des damit verbundenen Verstoßes gegen Art. 5 II der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 in Betracht kommt, gebietet § 323 II Nr. 3 BGB gleichwohl eine Abwägung der beiderseitigen Interessen, weshalb auch der BGH ausdrücklich nur von einem „Regelfall“ spricht. Hinter diesem Regelfall steht die Erwägung, dass eine arglistige Täuschung die für die Nacherfüllung erforderliche Vertrauensgrundlage in der Regel beschädigt. Der Käufer hat dann ein berechtigtes Interesse daran, von einer weiteren Zusammenarbeit mit dem Verkäufer Abstand zu nehmen, um sich vor eventuellen neuerlichen Täuschungsversuchen zu schützen (vgl. BGH, Beschl. v. 08.12.2006 – V ZR 249/05, juris Rn. 13). Demgegenüber handelt es sich vorliegend insofern um einen Sonderfall, als die von der Beklagten angebotene Nachbesserung in Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt, das heißt der dafür zuständigen, unabhängigen Bundesbehörde, und damit unter staatlicher Aufsicht erfolgt. Die Befürchtung vor einem neuerlichen Täuschungsversuch ist vor diesem Hintergrund unbegründet.
bb) Die bloße Möglichkeit oder Befürchtung, dass nach der (ersten) Nachbesserung Mängel verbleiben oder neue Mängel entstehen, begründet nicht die Entbehrlichkeit einer Fristsetzung zur Mangelbeseitigung. Diese Möglichkeit hat der Gesetzgeber vielmehr in § 440 Satz 2 BGB ausdrücklich berücksichtigt. Danach gilt eine Nachbesserung jedenfalls grundsätzlich erst nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen. Der Kläger hat das von ihm beschriebene Risiko also zunächst hinzunehmen. Die Rechte aus § 437 Nr. 2 BGB bleiben ihm für den Fall, dass die durchgeführte Nachbesserung fehlschlagen sollte, unbenommen (vgl. LG Braunschweig, Urt. v. 14.07.2017 – 11 O 4200/16, juris Rn. 31 m. w. Nachw.).
II. Auf ein arglistiges Verschweigen der unzulässigen Abschalteinrichtung kann der Kläger aber auch nicht die mit seiner Klageschrift vorsorglich erklärte Anfechtung des Kaufvertrages gemäß § 123 I BGB stützen.
Eine aktive Täuschungshandlung der Beklagten ist insoweit weder dargetan noch ersichtlich. Soweit der Kläger darüber hinaus behauptet, sich für den Pkw unter anderem deshalb entschieden zu haben, weil es ihm daran gelegen gewesen sei, ein umweltfreundliches Fahrzeug zu erwerben, und das Auto in den Werbeprospekten der Beklagten und im Verkaufsgespräch als sparsam im Verbrauch bei geringem Schadstoffausstoß angepriesen worden sei, ist sein Vorbringen gegenüber dem Bestreiten seitens der Beklagten hinsichtlich der konkreten Prospekte sowie der im Einzelnen angegebenen Verbrauchs- und Emissionswerte sowie der behaupteten tatsächlichen Abweichungen davon unsubstanziiert geblieben und damit schon deshalb unbeachtlich. Hinzu kommt, dass sich Aussagen zum Schadstoffausstoß in Verkaufsprospekten immer allein auf den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) beziehen und deshalb auch nur insoweit vergleichbar sind.
Das Verschweigen von Tatsachen stellt nur dann eine Täuschung dar, wenn hinsichtlich der verschwiegenen Tatsache eine Aufklärungspflicht besteht. Entscheidend dafür ist, ob der andere Teil nach Treu und Glauben mit Rücksicht auf die Verkehrssitte redlicherweise Aufklärung erwarten durfte. Grundsätzlich ist es Sache jeder Vertragspartei, ihre Interessen selbst wahrzunehmen. Das gilt insbesondere für den Kaufvertrag, der von gegensätzlichen Interessen geprägt ist: Jeder möchte möglichst viel für sich selbst rausholen. Es besteht daher keine allgemeine Pflicht, alle Umstände zu offenbaren, die für die Entschließung des anderen Teils von Bedeutung sein können. Es muss sich vielmehr um besonders wichtige Umstände handeln, die für die Willensbildung der anderen Seite offensichtlich von ausschlagender Bedeutung sind. Das gilt vor allem für Umstände, die den Vertragszweck vereiteln oder erheblich gefährden können oder geeignet sind, dem Vertragspartner erheblichen wirtschaftlichen Schaden zuzufügen (vgl. Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Aufl., § 123 Rn. 5, 5b m. w. Nachw.).
Eine solche Aufklärungspflicht würde zwar dann bestehen, wenn durch die Verwendung der unzulässigen Abschalteinrichtung die EG-Typgenehmigung für das streitgegenständliche Fahrzeug erloschen wäre oder deren Entziehung drohen würde. Das ist aber nicht der Fall. § 19 VII StVZO i. V. mit § 19 II StVZO, wonach die Betriebserlaubnis in Form der Wirksamkeit der EG-Typgenehmigung für das einzelne Fahrzeug erlischt, wenn Änderungen vorgenommen werden, durch die das Abgas- oder Geräuschverhalten verschlechtert wird, gilt nur für Veränderungen, die nach Abschluss des Produktionsprozesses vorgenommen werden (vgl. Kammer, Urt. v. 02.08.2017 – 3 O 575/15 m. w. Nachw.). Auch droht keine Entziehung der EG-Typgenehmigung insgesamt, weil das Kraftfahrt-Bundesamt in seinem Bescheid vom 15.10.2015 sein ihm gemäß § 25 III EG-FGV zustehendes Ermessen gerade nicht dahin gehend ausgeübt hat, dass es eine Entziehung der EG-Typgenehmigung in die Wege geleitet hat. Die Behörde ist vielmehr nach § 25 II EG-FVG vorgegangen und hat Nebenbestimmungen zur bestehenden Typgenehmigung angeordnet.
Dass die Verwendung der zwar unzulässigen, aber allein durch das vom Kraftfahrt-Bundesamt freigegebene Softwareupdate zu beseitigende Abschalteinrichtung auf andere Weise einen wertbildenden Faktor darstellt, dem der Markt ein ganz besonderes Gewicht beimisst, ist weder hinreichend vorgetragen noch ersichtlich. Das gilt insbesondere für den vom Kläger behaupteten Verbleib eines merkantilen Minderwertes (s. oben A I 3 a). …