1. Ein Fahr­zeug­her­stel­ler – hier: die Volks­wa­gen AG – ist im Ver­hält­nis zu ei­nem recht­lich selbst­stän­di­gen Ver­trags­händ­ler „Drit­ter“ i. S. von § 123 II 1 BGB. Des­halb be­rech­tigt ein (mög­li­cher­wei­se) arg­lis­ti­ges Ver­hal­ten der Volks­wa­gen AG im VW-Ab­gas­skan­dal ei­nen Käu­fer, der ein von die­sem Skan­dal be­trof­fe­nes Fahr­zeug von ei­nem VW-Ver­trags­händ­ler er­wor­ben hat, nur dann zur An­fech­tung, wenn der Ver­trags­händ­ler das Ver­hal­ten der Fahr­zeug­her­stel­le­rin kann­te oder fahr­läs­sig nicht kann­te.
  2. Das Wis­sen der Volks­wa­gen AG, dass in be­stimm­ten Fahr­zeu­gen ei­ne den Schad­stoff­aus­stoß ma­ni­pu­lie­ren­de Soft­ware zum Ein­satz kommt, kann ei­nem recht­lich selbst­stän­di­gen VW-Ver­trags­händ­ler, der ein vom VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fe­nes Fahr­zeug in ei­ge­nem Na­men und für ei­ge­ne Rech­nung ver­kauft hat, schon man­gels ver­tre­ter­ähn­li­cher Stel­lung nicht ana­log § 166 II BGB zu­ge­rech­net wer­den.
  3. Ei­ne An­fech­tungs­er­klä­rung kann nicht ge­mäß § 140 BGB in ei­ne Rück­tritts­er­klä­rung um­ge­deu­tet wer­den, wenn der An­fech­ten­de aus­drück­lich klar­stellt, dass er „kei­ner­lei Ge­währ­leis­tungs­an­sprü­che“ gel­tend ma­che.

OLG Hamm, Ur­teil vom 15.08.2017 – 28 U 65/17

Sach­ver­halt: Die Klä­ge­rin ver­langt von der Be­klag­ten, ei­ner selbst­stän­di­gen VW-Ver­trags­händ­le­rin, im Zu­sam­men­hang mit der so­ge­nann­ten VW-Die­sel­af­fä­re die Rück­ab­wick­lung ei­nes Kfz-Kauf­ver­tra­ges.

In der Kla­ge­schrift hat die Klä­ge­rin ihr Be­geh­ren wie folgt be­grün­det:

„Die Klä­ge­rin kauf­te am 23.05.2013 bei der Be­klag­ten ei­nen Pkw VW Ti­gu­an ‚Sport & Style‘ mit 2,0 TDI-Mo­tor. Wie die Klä­ge­rin der Ta­ges­pres­se ent­neh­men muss­te, wur­den bei dem ein­ge­bau­ten Mo­tor mit der Ty­pen­be­zeich­nung ‚EA189‘ auf­fäl­li­ge Ab­wei­chun­gen beim Stick­oxid­aus­stoß zwi­schen Prüf­stands­wer­ten und rea­lem Fahr­be­trieb fest­ge­stellt. Der von der Be­klag­ten zu­ge­si­cher­te nied­ri­ge Stick­oxid­aus­stoß war sei­ner­zeit we­sent­li­ches Kauf­mo­tiv für die Klä­ge­rin. Die Klä­ge­rin fühl­te sich da­her ge­täuscht. Mit Schrift­satz des Un­ter­zeich­ners vom 01.12.2015 wur­de der Kauf­ver­trag vom 23.05.2013 we­gen arg­lis­ti­ger Täu­schung ge­mäß § 123 BGB an­ge­foch­ten. Die Be­klag­te wur­de zur Rück­zah­lung des Kauf­prei­ses in Hö­he von 29.891,75 € Zug um Zug ge­gen Rück­ga­be des Pkw VW Ti­gu­an auf­ge­for­dert. Mit Fax­schrei­ben vom 01.12.2015 teil­te die Be­klag­te ver­bind­lich mit, dem Rück­ab­wick­lungs­be­geh­ren nicht ent­spre­chen zu wol­len. Zin­sen in ge­setz­li­cher Hö­he wer­den da­her seit dem 01.12.2015 gel­tend ge­macht.“

Wei­te­ren Vor­trag ent­hält die Kla­ge­schrift, die auch kei­ne An­la­gen um­fasst, nicht.

Das Land­ge­richt hat ein schrift­li­ches Vor­ver­fah­ren an­ge­ord­net.

Die Be­klag­te hat den klä­ge­ri­schen Vor­trag in der Kla­ge­er­wi­de­rung mehr­fach als un­sub­stan­zi­iert ge­rügt und un­ter an­de­rem dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es be­reits an Vor­trag zu ei­ner Täu­schung der Klä­ge­rin durch die Fahr­zeug­her­stel­le­rin feh­le. Wei­ter hat die Be­klag­te vor­ge­tra­gen, dass ihr selbst der Ein­satz ei­ner die Schad­stoff­emis­sio­nen be­ein­flus­sen­den Soft­ware nicht be­kannt ge­we­sen sei, und war­um ihr hin­sicht­lich die­ser Un­kennt­nis kei­ne Fahr­läs­sig­keit vor­zu­wer­fen sei. Zu­dem hat die Be­klag­te Aus­füh­run­gen da­zu ge­macht, war­um ihr ei­ne et­wai­ge Täu­schung durch die Fahr­zeug­her­stel­le­rin nicht zu­ge­rech­net wer­den kön­ne. Dar­über hin­aus hat die Be­klag­te ge­äu­ßert, dass der Klä­ge­rin kein Rück­tritts­recht zu­ste­he; die­se Auf­fas­sung hat sie je­doch nicht nä­her aus­ge­führt.

Hier­auf hat die Klä­ge­rin schrift­sätz­lich nicht mehr re­agiert.

In der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Land­ge­richt hat die Klä­ge­rin im Rah­men ih­rer per­sön­li­chen An­hö­rung er­läu­tert, dass es ihr auf den Er­werb ei­nes um­welt­scho­nen­den Fahr­zeugs mit nied­ri­gem Kraft­stoff­ver­brauch an­ge­kom­men sei. Der Ver­kaufs­be­ra­ter der Be­klag­ten ha­be be­jaht, dass das streit­ge­gen­ständ­li­che Fahr­zeug um­welt­scho­nend sei. Was im Ver­kaufs­ge­spräch zu den Ab­gas­wer­ten des Fahr­zeugs ge­sagt wor­den sei, wis­se sie al­ler­dings nicht mehr. Sie mei­ne, dass der Ver­kaufs­be­ra­ter der Be­klag­ten den Kraft­stoff­ver­brauch mit 6 l/100 km an­ge­ge­ben ha­be. Das Fahr­zeug ver­brau­che in­so­fern mehr als an­ge­ge­ben; mo­men­tan lie­ge der Ver­brauch bei et­wa 8 l/100 km.

Der Pro­zess­be­voll­mäch­tig­te der Klä­ge­rin hat in der münd­li­chen Ver­hand­lung er­klärt: „Die Er­klä­rung, dass die Kla­ge al­lein auf arg­lis­ti­ger Täu­schung be­ruht, neh­me ich hier­mit zu­rück.“

Das Land­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Zur Be­grün­dung hat es aus­ge­führt, die Klä­ge­rin ha­be nicht be­haup­tet, dass die Be­klag­te bei Ab­schluss des streit­ge­gen­ständ­li­chen Kauf­ver­tra­ges Kennt­nis da­von ge­habt ha­be, dass in be­stimm­ten Fahr­zeu­gen des VW-Kon­zerns ei­ne den Schad­stoff­aus­stoß ma­ni­pu­lie­ren­de Soft­ware zum Ein­satz kom­me. Auch ha­be die Klä­ge­rin nichts da­zu vor­ge­tra­gen, dass die Be­klag­te von der Ver­wen­dung der Soft­ware Kennt­nis ge­habt ha­ben müs­se. Wei­ter feh­le es an Vor­trag da­zu, dass die Be­klag­te mit der Fahr­zeug­her­stel­le­rin, der Volks­wa­gen AG, ge­sell­schafts­recht­lich ver­bun­den sei oder sonst im La­ger der Her­stel­le­rin ge­stan­den ha­be. De An­fech­tungs­er­klä­rung der Klä­ge­rin – so das Land­ge­richt wei­ter – kön­ne zwar in ei­ne Rück­tritts­er­klä­rung um­ge­deu­tet wer­den, und das Fahr­zeug der Klä­ge­rin sei auch man­gel­haft. Ein Rück­tritt der Klä­ge­rin vom Kauf­ver­trag schei­te­re je­doch dar­an, dass sie von der Be­klag­ten we­der Nach­er­fül­lung (§ 439 I BGB) ver­langt noch vor­ge­tra­gen ha­be, war­um ein Nach­er­fül­lungs­ver­lan­gen ent­behr­lich ge­we­sen sei.

Hier­ge­gen rich­tet sich die Be­ru­fung der Klä­ge­rin, mit der sie ihr erst­in­stanz­li­ches Be­geh­ren un­ver­än­dert wei­ter­ver­folgt. Die Klä­ge­rin meint, die Be­klag­te müs­se sich das Ver­hal­ten der Fahr­zeug­her­stel­le­rin des­halb zu­rech­nen las­sen, weil sie de­ren Pro­duk­te ver­kau­fe. Hin­sicht­lich der – als „rich­ti­ger­wei­se“ be­zeich­ne­ten – Um­deu­tung ih­rer An­fech­tungs­er­klä­rung in ei­ne Rück­tritts­er­klä­rung durch das Land­ge­richt be­haup­tet die Klä­ge­rin nun, die Be­klag­te ha­be in ei­nem Schrei­ben vom 01.12.2015 un­miss­ver­ständ­lich mit­ge­teilt, dass das Fahr­zeug nicht zu­rück­ge­nom­men wer­de, da ein Sach­man­gel nicht be­ste­he. Da­mit ha­be sie ei­ne Nach­bes­se­rung (§ 439 I Fall 1 BGB) ernst­haft und end­gül­tig ver­wei­gert.

Das Be­ru­fungs­ge­richt hat dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es be­ab­sich­ti­ge, die Be­ru­fung der Klä­ge­rin ge­mäß § 522 II ZPO zu­rück­zu­wei­sen, weil sie of­fen­sicht­lich kei­ne Aus­sicht auf Er­folg ha­be.

Aus den Grün­den: II. … Die Be­ru­fung ist of­fen­sicht­lich un­be­grün­det. Das Land­ge­richt hat die Kla­ge zu Recht ab­ge­wie­sen. Die Kla­ge ist be­reits un­schlüs­sig.

1. Die von der Klä­ge­rin er­klär­te An­fech­tung des Kauf­ver­trags nach § 123 I Fall 1, II BGB setzt ei­ne Täu­schung vor­aus. Hier­zu fehlt sub­stan­zi­ier­ter Vor­trag von Klä­ger­sei­te.

a) Die Klä­ge­rin hat mit der Be­ru­fung kei­ne Ein­wen­dun­gen ge­gen die Fest­stel­lung des Land­ge­richts in dem an­ge­foch­te­nen Ur­teil er­ho­ben, ein ei­ge­nes arg­lis­ti­ges Ver­hal­ten der Be­klag­ten sei nicht ge­ge­ben.

b) Der Vor­trag der Klä­ge­rin kann aber auch nicht die An­nah­me recht­fer­ti­gen, die Be­klag­te müs­se sich ei­ne arg­lis­ti­ge Täu­schung der Her­stel­le­rin des Fahr­zeugs, der Volks­wa­gen AG, zu­rech­nen las­sen.

Die Klä­ge­rin trägt – auch in der Be­ru­fungs­in­stanz – aus­schließ­lich vor, dass der Stick­oxid­aus­stoß beim rea­len Fahr­be­trieb von den Prüf­stands­wer­ten ab­wei­che; ein Grund für die­se Ab­wei­chung wird nicht ge­nannt. Selbst wenn man da­von aus­gin­ge, dass die Klä­ge­rin sich die Er­klä­rung der Be­klag­ten, Ur­sa­che sei ei­ne von der Her­stel­le­rin zu die­sem Zweck in­stal­lier­te Soft­ware, zu ei­gen ma­che und dies als Täu­schungs­hand­lung der Her­stel­le­rin be­wer­te­te, so hät­te die Be­klag­te hier­für nur dann ein­zu­ste­hen, wenn sie die Ver­wen­dung der Soft­ware kann­te oder ih­re dies­be­züg­li­che Un­kennt­nis auf Fahr­läs­sig­keit be­ruh­te. Denn die Be­klag­te ist selbst­stän­di­ge Ver­trags­händ­le­rin. Mit der ganz herr­schen­den Auf­fas­sung in Recht­spre­chung und Li­te­ra­tur kann die Be­klag­te da­her nicht als Er­fül­lungs­ge­hil­fin der Her­stel­le­rin an­ge­se­hen wer­den, son­dern die Her­stel­le­rin ist Drit­te i. S. von § 123 II BGB (statt al­ler: OLG Hamm, Beschl. v. 18.05.2017 – 2 U 39/17, ju­ris Rn. 4 m. w. Nachw.). Nach § 123 II 1 BGB kann dem Ver­trags­part­ner aber die durch ei­nen Drit­ten ver­üb­te Täu­schung nur dann zu­ge­rech­net wer­den, wenn er die Täu­schung kann­te oder ken­nen muss­te.

Dass die Be­klag­te von der Ver­wen­dung der Soft­ware ge­wusst hät­te, be­haup­tet die Klä­ge­rin schon nicht. Sie ver­tritt al­ler­dings die An­sicht, das Wis­sen der Volks­wa­gen AG von der Ver­wen­dung der Soft­ware kön­ne der Be­klag­ten ana­log § 166 II BGB zu­ge­rech­net wer­den. Dem ist je­doch aus den vom Land­ge­richt dar­ge­leg­ten Grün­den nicht zu fol­gen. Es fehlt be­reits an ei­ner ver­tre­ter­ähn­li­chen Stel­lung im Ver­hält­nis der Be­klag­ten zur Volks­wa­gen AG. Zu­dem wä­re ei­ne ana­lo­ge An­wen­dung von § 166 II BGB ent­spre­chend dem mit der Be­ru­fung vor­ge­tra­ge­nen Ver­ständ­nis der Klä­ge­rin hier schon des­halb für die Klä­ge­rin nicht ziel­füh­rend, weil so nur dem „Hin­ter­mann“ ei­nes Ge­schäfts die Be­ru­fung auf die Gut­gläu­big­keit des von ihm zum Ge­schäfts­ab­schluss be­nutz­ten „Vor­der­manns“ ab­ge­schnit­ten wer­den könn­te, nicht aber der gut­gläu­bi­ge „Vor­der­mann“ als bös­gläu­big be­han­delt wer­den dürf­te (vgl. OLG Hamm, Beschl. v. 18.05.2017 – 2 U 39/17, ju­ris Rn. 6).

2. Auch ein Rück­tritt auf der Grund­la­ge des kauf­recht­li­chen Sach­män­gel­ge­währ­leis­tungs­rechts (§§ 434 I 2 Nr. 2, 437 Nr. 2 Fall 1, 323, 440 BGB) kommt nicht in Be­tracht.

Da­bei er­scheint die vom Land­ge­richt vor­ge­nom­me­ne Um­deu­tung der An­fech­tungs­er­klä­rung in ei­ne Rück­tritts­er­klä­rung hier al­ler­dings aus­ge­schlos­sen. Die Klä­ge­rin hat durch ih­ren Rechts­an­walt mehr­fach deut­lich ge­macht, dass ih­re Er­klä­rung als An­fech­tung nach § 123 I Fall 1, II BGB zu ver­ste­hen sei; dies gilt ins­be­son­de­re für das Schrei­ben ih­res jet­zi­gen Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ten vom 03.12.2015, in dem aus­drück­lich klar­ge­stellt wird, dass kei­ner­lei Ge­währ­leis­tungs­an­sprü­che gel­tend ge­macht wür­den.

Al­ler­dings er­scheint es mög­lich, die Er­klä­run­gen des Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ten der Klä­ge­rin am En­de der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Land­ge­richt am 12.01.2017 als kon­klu­den­te Rück­tritts­er­klä­rung zu ver­ste­hen. Dies kann hier aber of­fen­blei­ben. Denn der Vor­trag der Klä­ge­rin gibt – wie das Land­ge­richt be­reits zu­tref­fend aus­ge­führt hat – auch kein Rück­tritts­recht her. Ei­ne Auf­for­de­rung zur Nach­er­fül­lung ist un­strei­tig nicht er­folgt. Dies stün­de dem Rück­tritt nur dann nicht ent­ge­gen, wenn die Auf­for­de­rung (un­ter Frist­set­zung) ent­behr­lich ge­we­sen wä­re. Da­von ist hier aber nicht aus­zu­ge­hen:

Ei­ne Ent­behr­lich­keit nach § 323 II Nr. 1 BGB liegt nicht vor. Ent­ge­gen der An­sicht der Klä­ge­rin ist der In­halt des Schrei­bens der Be­klag­ten vom 01.12.2015 nicht als ernst­haf­te und end­gül­ti­ge Ver­wei­ge­rung der Nach­er­fül­lung zu ver­ste­hen, son­dern ganz im Ge­gen­teil als An­ge­bot ei­ner Nach­bes­se­rung – bei al­ler­dings noch of­fe­nem Zeit­plan.

Die Nach­frist­set­zung war auch nicht nach § 323 II Nr. 3 BGB we­gen arg­lis­ti­gen Ver­hal­tens ent­behr­lich, da – wie dar­ge­legt – der Be­klag­ten auf der Grund­la­ge des klä­ge­ri­schen Vor­trags kei­ne Arg­list vor­zu­wer­fen ist.

Schließ­lich kann nicht an­ge­nom­men wer­den, dass die Nach­frist­set­zung nach § 440 Satz 1 Fall 3 BGB we­gen Un­zu­mut­bar­keit der Nach­er­fül­lung oder nach § 275 I BGB we­gen Un­mög­lich­keit der Nach­er­fül­lung ent­behr­lich war, da in­so­weit je­der Vor­trag der Klä­ge­rin fehlt.

Hin­weis: Die Be­ru­fung wur­de zu­rück­ge­nom­men.

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