- Ein Käufer, der unwissentlich ein vom VW-Abgasskandal betroffenes Fahrzeug erwirbt, erleidet einen Schaden i. S. des § 826 BGB. Lebensnah betrachtet würde nämlich kein durchschnittlich informierter und wirtschaftlich vernünftig denkender Verbraucher ein Fahrzeug erwerben, das mit einer Software ausgetattet ist, die insbesondere den Stickoxidausstoß reduziert, sobald das Fahrzeug auf einem Prüfstand einen Emissionstest absolviert. Denn die Verwendung einer solchen Software verstößt gegen Art. 5 II 1 i. V. mit Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, weil es sich dabei um eine (unzulässige) Abschalteinrichtung im Sinne dieser Vorschriften handelt.
- Indem die Volkswagen AG Fahrzeuge mit Dieselmotoren in Verkehr gebracht hat, die die einschlägigen Emissionsgrenzwerte softwaregesteuert nur einhalten, wenn sie auf einem Prüfstand einen Emissionstest absolvieren, kann sie die – pflichtwidrig darüber nicht aufgeklärten – Fahrzeugkäufer i. S. des § 826 BGB sittenwidrig vorsätzlich geschädigt haben. Voraussetzung dafür ist, ein verfassungsmäßig berufener Vertreter der Volkswagen AG (§ 31 BGB) den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat. Davon kann auszugehen sein, wenn die Volkswagen AG sich trotz einer sie treffenden sekundären Darlegungslast nicht dazu erklärt, welches ihrer Organe Kenntnis von der den Schadstoffausstoß optimierenden Software hatte und das Inverkehrbringen der mit dieser Software versehenen Motoren veranlasst hat.
- Der heimliche Einsatz einer Software, die den Schadstoffausstoß eines Fahrzeugs (nur) während eines Emissionstests reduziert, ist sittenwidrig. Verwerflich erscheint insbesondere, dass ein Fahrzeugkauf jedenfalls für einen durchschnittlichen Verbraucher mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden ist, der bei lebensnaher Betrachtung auf einer wohlüberlegten und abwägenden Entscheidung fußt. Auch verstößt gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, dass die Software die Einhaltung gesetzlicher Umweltstandards vortäuscht, damit der Hersteller ein dem gesellschaftlichen Zeitgeist der Umweltfreundlichkeit und Umweltverträglichkeit entsprechendes Fahrzeug vermarkten kann.
- Die Volkswagen AG kann den Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes (§ 826 BGB) auch dann so zu stellen haben, als hätte er den für ihn wirtschaftlich nachteiligen Kfz-Kaufvertrag nicht geschlossen, wenn sie selbst nicht Partei dieses Vertrages geworden ist.
LG Paderborn, Urteil vom 07.04.2017 – 2 O 118/16
Sachverhalt: Der Kläger erwarb am 10.04.2013 von der Autohaus A-GmbH & Co. KG in X. einen VW Tiguan 2.0 TDI BMT Sport & Style zum Preis von 29.346,26 €. Der Pkw verfügt über einen EA189-Dieselmotor, und die beklagte Volkswagen AG hat ihn mit einer Software ausgestattet, die den Stickoxidausstoß optimiert, sobald sie erkennt, dass das Fahrzeug auf einem Prüfstand einen Emissionstest absolviert. Nur aufgrund dieser Software werden – während des Betriebs auf dem Prüfstand – die im technischen Datenblatt angegebenen Emissionswerte eingehalten. Wird das Fahrzeug dagegen unter realen Bedingungen im Straßenverkehr und deshalb mit einer geringeren Abgasrückführungsrate betrieben, so ist der Stickoxidausstoß höher als auf dem Prüfstand.
Die Beklagte kündigte an, die in Rede stehende Software unter Aufsicht des Kraftfahrt-Bundesamtes im Rahmen einer Rückrufaktion aus den betroffenen Fahrzeugen zu entfernen. Zudem beauftragte sie eine Rechtsanwaltskanzlei damit, die interne Aufklärung des VW-Abgasskandals zu begleiten.
Mit der Klage macht der Kläger gegen die Beklagte einen auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichteten Schadensersatzanspruch geltend; hilfsweise verlangt er den Ersatz des Wertverlustes, den sein Fahrzeug erlitten habe. Er meint, dass ihn die Beklagte vorsätzlich und in sittenwidriger Weise geschädigt habe, wobei sein Schaden darin bestehe, dass er einen Kaufvertrag geschlossen habe, den er bei Kenntnis der wahren Sachlage nicht eingegangen wäre. Die Beklagte habe ihn daher so zu stellen, als hätte er das Fahrzeug nicht gekauft. Jedenfalls habe das Fahrzeug einen ihm – dem Kläger – zu ersetzenden Wertverlust erlitten, weil seine Ist-Beschaffenheit hinter der Soll-Beschaffenheit zurückbleibe.
Die Klage hatte im Wesentlichen Erfolg.
Aus den Gründen: Die Klage ist hinsichtlich der Hauptforderung begründet. Dem Kläger steht ein Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 24.157,26 € Zug um Zug gegen Rückgabe … Fahrzeugs aus § 826 BGB i. V. mit § 31 BGB gegen die Beklagte zu.
Nach dieser Anspruchsgrundlage ist derjenige, der in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise einem anderem vorsätzlich Schaden zufügt, dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet. Diese Voraussetzungen sind vorliegend erfüllt. Die Beklagte hat dem Kläger durch eine gegen die guten Sitten verstoßende schädigende Handlung vorsätzlich einen Schaden zugefügt.
Ein Schaden i. S. des § 826 BGB ist nicht nur jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage, sondern darüber hinaus jede Beeinträchtigung eines rechtlich anerkannten Interesses und jede Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung (vgl. BGH, Urt. v. 19.07.2004 – II ZR 402/02). Der gemäß § 826 BGB ersatzfähige Schaden wird von der Rechtsprechung seit jeher weit verstanden und beschränkt sich gerade nicht auf die Verletzung bestimmter Rechte oder Rechtsgüter. Erfasst wird ganz allgemein jede nachteilige Einwirkung auf die Vermögenslage. In Parallele zur Betrugsdogmatik hat auch der Schadensbegriff des § 826 einen subjektiven Einschlag. Insbesondere werden auch solche Fälle erfasst, die im Strafrecht unter dem Stichwort des Eingehungsbetrugs gewürdigt werden. Das Vermögen wird nicht nur als ökonomischer Wert geschützt, sondern zugleich auch die auf das Vermögen bezogene Dispositionsfreiheit des jeweiligen Rechtssubjekts. Folglich stellt bereits die Belastung mit einer ungewollten Verpflichtung einen gemäß § 826 BGB zu ersetzenden Schaden dar (vgl. MünchKomm-BGB/Wagner, 7. Aufl. [2017], § 826 Rn. 42).
Die Tatsache, dass der Kläger aufgrund des Verschweigens der Beklagten über den Einsatz der sogenannten Prüfstandsentdeckungssoftware einen für ihn wirtschaftlich nachteiligen Vertrag mit der Autohaus A-GmbH & Co. KG in X. … geschlossen hat, hat seine Dispositionsfreiheit verletzt, sodass sein Vermögen nunmehr mit einer ungewollten Verpflichtung negativ belastet ist. Dabei ist es nicht entscheidend, ob der Kauf des Fahrzeugs für den Kläger einen messbaren Vermögensnachteil durch einen entstehenden Wertverlust bewirkt, da nach der höchstrichterlichen Rechtsprechung die Belastung mit einer ungewollten Verbindlichkeit bereits einen Schaden i. S. des § 826 BGB darstellt.
Dieses folgt, auf den vorliegenden Fall bezogen, allein daraus, dass bei verständiger Würdigung und unter lebensnaher Betrachtung kein durchschnittlich informierter und wirtschaftlich vernünftig denkender Verbraucher ein Fahrzeug erwerben würde, welches mit einer gesetzeswidrigen Software ausgestattet ist. Der Durchschnittskäufer eines Fahrzeugs kann und muss nicht davon ausgehen, dass die gesetzlich vorgegebenen und im technischen Datenblatt aufgenommenen Abgaswerte nur deshalb eingehalten und entsprechend attestiert werden, weil eine Software installiert worden ist, die dafür sorgt, dass der Prüfstandslauf erkannt und über eine entsprechende Programmierung der Motorsteuerung in gesetzlich unzulässiger Weise insbesondere der Stickoxidausstoß reduziert wird.
Der Kläger hat in seiner persönlichen Anhörung in der mündlichen Verhandlung am 07.04.2017 glaubhaft erklärt, dass er das Fahrzeug nicht erworben hätte, wenn er Kenntnis davon gehabt hätte, dass dieses Fahrzeug mit einer Prüfstandsoptimierungssoftware ausgestattet ist, da es ihm auch selbstverständlich darum gegangen sei, ein umweltfreundliches Fahrzeug zu erwerben. Er erklärte weiter, dass er früher zwar sehr viele Dieselfahrzeuge gefahren sei, unter den vorliegenden Umständen dann aber einen Benziner erworben hätte.
Die von der Beklagten vorgenommene Optimierung der Motorsteuerungssoftware ist gesetzeswidrig, da sie gegen Art. 5 II 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 in Verbindung mit Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 verstößt (vgl. LG Ellwangen, Urt. v. 10.06.2016 – 5 O 385/15; LG Hildesheim, Urt. v. 17.01.2017 – 3 O 139/16; LG Köln, Urt. v. 07.10.2016 – 7 O 138/16). Nach diesen Vorschriften ist eine Abschalteinrichtung, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringert, unzulässig, wobei eine Abschalteinrichtung als Konstruktionsteil legaldefiniert wird, nämlich als ein solches, das in der Lage ist, einen beliebigen Teil des Emissionskontrollsystems zu deaktivieren, sodass die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems unter Bedingungen, die bei normalem Fahrzeugbetrieb vernünftigerweise zu erwarten sind, verringert wird. Bei verständiger Auslegung der Vorschriften muss die von der Beklagten installierte Software als Abschalteinrichtung angesehen werden. Denn sie setzt die zu einem geringeren Stickoxidausstoß führende, ausschließlich für den Prüfstand bestimmte Programmierung der Motorsteuerung für den Fahrbetrieb auf der Straße außer Kraft mit der Folge, dass der Stickoxidausstoß im Fahrbetrieb auf der Straße höher ist als auf dem Prüfstand. Das Kraftfahrt-Bundesamt stellte mit rechtskräftigen Bescheid vom 15.10.2015 fest, dass es sich bei der von der Beklagten verwendeten Software um eine „unzulässige Abschalteinrichtung“ im Sinne des Unionsrechts handele und ordnete den verpflichtenden Rückruf der Dieselfahrzeuge an, von dem auch der Pkw des Klägers betroffen ist. Das im Widerspruch hierzu vorgetragene Bestreiten der Beklagten, wonach es sich bei der verwendeten „Optimierungssoftware“ nicht um eine „unzulässige Abschalteinrichtung“ handle, ist demgegenüber unzureichend qualifiziert und daher unbeachtlich.
Die den Kläger schädigende Handlung der Beklagten liegt im Inverkehrbringen – unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung – von Dieselmotoren zum Zweck des Weiterverkaufs unter anderem in Fahrzeugen, deren Motorsteuerungssoftware so programmiert war, dass sie den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) erkannte und die Abgasbehandlung „optimierte“. Es bestand eine Pflicht der Beklagten, jeden Endverbraucher ihrer Produkte darüber aufzuklären, dass in dem Fahrzeug eine Software verbaut wurde, die dafür sorgt, dass der Schadstoffausstoß nur im Prüfstandsbetrieb die angegebenen Grenzwerte einhält. Unter Berücksichtigung eines bei lebensnaher Betrachtung vorliegenden Informations- und Wissensgefälles zwischen dem Käufer als Verbraucher und dem Hersteller durfte und musste der Verbraucher davon ausgehen, dass das von ihm erworbene Fahrzeug die Schadstoffgrenzwerte nicht nur im Prüfstandsbetrieb, sondern auch unter Realbedingungen im Straßenverkehr einhält.
Soweit die Beklagte vorträgt, dass es zwischen dem Prüfstandsbetrieb und dem Straßenbetrieb „naturgemäß“ zu einer Abweichung des angegebenen Schadstoffausstoßes komme, kann derartiges Wissen bei lebensnaher Betrachtung zumindest nicht von einem durchschnittlichen Verbraucher erwartet werden.
Die schädigende Handlung ist der Beklagten auch gemäß § 31 BGB zuzurechnen.
Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB i. V. mit § 31 BGB voraussetzt, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter i. S. des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklichen muss (vgl. BGH, Urt. v. 28.06.2016 – VI ZR 536/15 Rn. 13). Angesichts der Tatsache, dass die Beklagte ihrer sekundären Darlegungslast hinsichtlich der Frage, welches ihrer Organe Kenntnis von der Optimierung der Motorsteuerungssoftware gehabt hatte und das Inverkehrbringen der mit der Software ausgerüsteten Motoren veranlasst hat, nicht im ausreichenden Maße nachgekommen ist, geht die Kammer gemäß § 138 III ZPO davon aus, dass die verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten Kenntnis vom Einsatz der sogenannten Prüfstandsentdeckungssoftware gehabt und eine Schädigung der Kunden billigend in Kauf genommen haben.
Die Beklagte traf im hiesigen Fall eine sekundäre Darlegungslast. Eine sekundäre Darlegungslast besteht nur in Fällen, in denen der Kläger außerhalb des betreffenden Geschehensablaufs steht und deshalb keine genaue Kenntnis der interessierenden Tatsachen hat, während der Beklagte über diese Kenntnis verfügt und daher ohne Weiteres die betreffenden Fragen zu klären in der Lage ist. Einfaches Bestreiten reicht in diesen Fällen nicht mehr aus, vielmehr müssen den zurückgewiesenen Behauptungen der Gegenseite substanzielle eigene Behauptungen entgegengesetzt werden (vgl. Ahrens, Der Beweis im Zivilprozess, 2015, Kap. 11 Rn. 23). Muss eine Partei Umstände beweisen, die zu dem ihrem Einblick entzogenen Bereich des Prozessgegners gehören, so entstehen ihr erhebliche Beweisprobleme, da Beweisermittlungs- und Ausforschungsanträge nicht zulässig sind (vgl. Zöller/Greger, ZPO, 31. Aufl. [2016], vor § 284 Rn. 34). Bei der sekundären Darlegungslast handelt es sich jedoch um ein beweisrechtliches Hilfskonstrukt, welches nur Anwendung findet, wenn die beweisbelastete Partei den Beweis mit dem ihr zur Verfügung stehenden Mittel nicht erbringen kann oder zu ihren Lasten erhebliche Beweisprobleme bestehen (vgl. Zöller/Greger, a. a. O., vor § 284 Rn. 34). Dieses ist zumindest so lange nicht der Fall, wie die beweisbelastete Partei die von ihr aufgestellten Behauptungen durch Zeugen unter Beweis stellen kann. Nachdem der zur Frage der Kenntnis des Vorstands hinsichtlich des Einsatzes der sogenannten Prüfstandsentdeckungssoftware vom Kläger benannte Zeuge W von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch gemacht und die Kammer mit Zwischenurteil vom 20.01.2017 die Berechtigung der Zeugnisverweigerung rechtskräftig festgestellt hatte, bestand für den Kläger keine Möglichkeit mehr, die von ihm aufgestellten Behauptungen mit dem ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zu beweisen.
Der Kläger hat als Verbraucher keinen Einblick in die internen Entscheidungsprozesse der Beklagten. Er hat den ihm insoweit zuzumutenden Vortrag erbracht. Der Kläger hat bereits überobligatorisch die ihm zur Verfügung stehenden öffentlichen Quellen ausgewertet und die entsprechenden Tatsachenbehauptungen schriftsätzlich vorgetragen. Dem Käufer eines derartigen Fahrzeugs kann nicht abverlangt werden, dass er Tatsachen vorträgt, die alleine im Organisations- und Kenntnisbereich des Herstellers liegen oder sich erst aus den noch andauernden Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen einzelne Mitarbeiter der Beklagten ergeben. Daher kann es dem Kläger nicht angelastet werden, dass er seine Behauptung nicht noch konkreter fassen und unter Beweis stellen konnte.
Nach der Rechtsprechung des BGH streiten für die beweisbelastete Partei bereits bei der unterbliebenen Offenbarung eines Mangels trotz Kenntnis vor Abschluss eines Grundstückskaufvertrags die Grundsätze der sekundären Darlegungslast (vgl. BGH, Urt. v. 12.11.2010 – V ZR 181/09 Rn. 12 ff.). Gemessen daran fehlt es bei der Beklagten an einem substanziierten Vortrag zu der Frage, wer bei der Beklagten Kenntnis über den Einsatz der sogenannten Prüfstandsentdeckungssoftware hatte. Der Kläger hat mit anwaltlichem Schriftsatz vom 04.10.2016 substanziiert vorgetragen, auf welchen Wegen und durch welche Köpfe die Idee bei der Beklagten zum Einsatz der sogenannten Prüfstandsentdeckungssoftware gereift ist und schließlich auch umgesetzt wurde. Hierbei wurde insbesondere zur Kenntnis des ausgeschiedenen Vorstandsvorsitzenden und damaligen Mitglieds des Vorstands, des Zeugen W, über den Einsatz der sogenannten Prüfstandsentdeckungssoftware vorgetragen. Überdies konnte der Kläger auch die Entscheidungsprozesse zum Einsatz der sogenannten Prüfstandsentdeckungssoftware innerhalb der Konzernstruktur der Beklagten skizzieren. Der Kläger hat die ihm obliegende Darlegungs- und Substanziierungslast damit erfüllt. Aufgrund des substanziierten klägerischen Vortrags konnte sich die Beklagte nicht mehr auf ein einfaches Bestreiten, wonach weder der Zeuge W noch andere Vorstandsmitglieder im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses Kenntnis vom Einsatz der sogenannten Prüfstandsentdeckungssoftware hatten, zurückziehen. Die Zurückweisung der klägerischen Behauptungen als unsubstanziiert war folglich nicht ausreichend. Dies gilt umso mehr, als die Beklagte ihrem eigenen Vortrag nach (Schriftsatz vom 24.11.2016, S. 8) eine Studie zu den internen Abläufen bei der Kanzlei D in Auftrag gegeben hat, die im 4. Quartal 2016 abgeschlossen werden sollte, sodass sie nunmehr einen entsprechenden Wissensvorsprung gegenüber dem Kläger besitzt.
Die Schadenszufügung erfolgte auch vorsätzlich und in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise.
Eine Schädigungsabsicht muss nicht bestehen, ein bedingter Vorsatz reicht bereits aus. Dabei braucht der Schädiger nicht im Einzelnen zu wissen, welche oder wie viele Personen durch sein Verhalten geschädigt werden; vielmehr reicht aus, dass er die Richtung, in der sich sein Verhalten zum Schaden irgendwelcher anderer auswirken könnte, und die Art des möglicherweise eintretenden Schadens vorausgesehen und mindestens billigend in Kauf genommen hat (vgl. BGH, Urt. v. 19.07.2004 – II ZR 402/02). Der Vorsatz enthält ein „Wissens-“ und ein „Wollenselement“. Der Handelnde muss die Umstände, auf die sich der Vorsatz bezieht, im Fall des § 826 BGB also die Schädigung des Klägers, gekannt bzw. vorausgesehen und in seinen Willen aufgenommen haben. Das setzt voraus, dass der Handelnde die relevanten Umstände jedenfalls für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat (vgl. BGH, Urt. v. 20.11.2012 – VI ZR 268/11 Rn. 32). Die Manipulation der Abgaswerte zielt nicht nur auf eine Umgehung von Umweltvorschriften ab, deren Einhaltung der Allgemeinheit dienen, sondern auch auf die individuelle Vermögensdisposition des Kunden. Die Kunden sollten zum Kauf eines Fahrzeugs bewegt werden, obwohl es zwingende umweltrechtliche, unionsrechtliche Vorschriften nicht einhält und deshalb mit einem Makel behaftet ist.
Dies gilt erst recht unter Berücksichtigung der Maßstäbe, die die Rechtsprechung des BGH zur persönlichen Haftung von Vorstandsmitgliedern aus § 826 BGB wegen fehlerhafter Ad-hoc-Mitteilungen festgelegt hat (vgl. BGH, Urt. v. 19.07.2004 – II ZR 402/02). Dort hatte der BGH wie folgt entschieden:
„Die Veröffentlichung der Mitteilung vom 20.05.1999 als Ad-hoc-Mitteilung setzte bereits nach dem Gesetz (§ 15 I WpHG a.F.) voraus, dass die mitgeteilte neue Tatsache ‚geeignet ist, den Börsenpreis der zugelassenen Wertpapiere erheblich zu beeinflussen‘. Da dies ohne Kauf- und Verkaufsentscheidungen von individuellen Marktteilnehmern als zu erwartender Reaktion auf die Mitteilung der meldepflichtigen Tatsache nicht möglich ist, wissen die verantwortlichen Vorstände, daß es infolge der fehlerhaften Ad-hoc-Information zu entsprechenden Anlageentscheidungen kommen wird (so zutreffend Fuchs/Dühn, BKR 2002, 1063 [1067]). Kennen sie die Unrichtigkeit der Ad-hoc-Mitteilung, so wissen sie auch, dass deshalb Wertpapierkäufe auf fehlerhafter Tatsachengrundlage getätigt werden. Da beide Beklagten die Bedeutung der konkreten Ad-hoc-Mitteilung und deren Unrichtigkeit kannten, ist – wie die Revision zutreffend geltend macht – schon nach der Lebenserfahrung davon auszugehen, daß die unrichtige Meldung keinen anderen Zweck hatte, als dem Börsenpublikum einen gestiegenen Unternehmenswert vorzuspiegeln und den Börsenpreis positiv zu beeinflussen.“
Dieser vom BGH entwickelte Maßstab muss auch im vorliegenden Fall Berücksichtigung finden. Den verantwortlichen Entscheidern bei der Beklagten war die Bedeutung ihres Verschweigens für die Beeinflussung der Kaufentscheidung der Kunden bewusst. Die Beklagte hat als Konzern in der Öffentlichkeit offensiv mit der Umweltverträglichkeit ihrer Fahrzeuge geworben. Den verantwortlichen Organen bei der Beklagten war dabei nach der allgemeinen Lebenserfahrung bewusst, dass die Kunden aufgrund des Verschweigens des Einsatzes der sogenannten Prüfstandsentdeckungssoftware die Entscheidung zum Kauf aufgrund einer fehlerhaften bzw. unvollständigen Tatsachengrundlage trafen, die sie bei der gebotenen Aufklärung entweder überhaupt nicht oder aber nur zu anderen Konditionen getroffen hätten. Derartige Schäden als Folgen ihrer vorsätzlichen Handlungsweise nahmen sie zumindest billigend in Kauf. Angesichts der Gesamtumstände bestehen hier an einer vorsätzlichen Handlungsweise der Beklagten in Bezug auf den Einsatz der sogenannten Prüfstandsentdeckungssoftware keine vernünftigen Zweifel.
Das Verhalten der Beklagten verstieß auch gegen die guten Sitten. Objektiv sittenwidrig ist nach der Rechtsprechung eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Ein Unterlassen ist dann sittenwidrig, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Dass das Verhalten gegen vertragliche Pflichten oder das Gesetz verstößt, unbillig erscheint oder einen Schaden hervorruft, genügt nicht. Insbesondere ist die Verfolgung eigener Interessen bei der Ausübung von Rechten im Grundsatz auch dann legitim, wenn damit eine Schädigung Dritter verbunden ist. Hinzutreten muss nach der Rechtsprechung eine nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als „anständig“ Geltenden besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (vgl. Palandt/Sprau, BGB, 75. Aufl. [2016], § 826 Rn. 4).
Bei Würdigung der Gesamtumstände war das Verschweigen des Einsatzes der sogenannten Prüfstandsentdeckungssoftware auch unter Berücksichtigung eines durchschnittlichen Anstandsmaßstabs als sittenwidrig zu bewerten, da ein derartiges Verhalten mit den Grundbedürfnissen loyaler Rechtsgesinnung unvereinbar ist und von einem redlichen und rechtstreuen Verbraucher auch nicht erwartet werden kann (vgl. BGH, Urt. v. 09. 07.1953 – IV ZR 242/52). Gerade das heimliche Vorgehen der Beklagten unter Ausnutzung eines eigenen Informations- und Wissensvorsprungs gegenüber dem nichtsahnenden Verbraucher lässt das Verhalten der Beklagten als rechtlich sittenwidrig erscheinen. Die Manipulation konnte von einem Verbraucher als technischen Laien nicht erkannt werden, sodass die Beklagte von vornherein einkalkulierte, dass die Manipulation nicht entdeckt wird. Dieses erscheint insbesondere vor dem Hintergrund besonders verwerflich, dass die Entscheidung zum Kauf einen Kraftfahrzeugs, zumindest für den durchschnittlichen Verbraucher, mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden ist, der bei lebensnaher Betrachtung auf einer wohlüberlegten und abwägenden Entscheidung fußt. Es verstößt auch gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden, wenn ein Hersteller eine Software einsetzt, die die Einhaltung der gesetzlichen Umweltstandards „vorspielt“, um damit ein dem gesellschaftlichen Zeitgeist der Umweltfreundlichkeit und Umweltverträglichkeit entsprechendes Fahrzeug zu vermarkten. Die objektive Sittenwidrigkeit der schädigenden Handlung rührt auch daher, dass die Beklagte gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstoßen und durch den millionenfachen Vertrieb der betroffenen Fahrzeuge nicht nur eine Schädigung der Umwelt unmittelbar, sondern auch der Gesundheit anderer Menschen in Kauf genommen hat. Ferner wurden Millionen Kunden über die Eigenschaften der von ihnen gekauften Fahrzeuge getäuscht.
Im Rahmen des § 826 BGB richtet sich die Rechtsfolge des Schadenersatzanspruchs auf den Ersatz des sogenannten negativen Interesses. Der Geschädigte hat einen Anspruch, so gestellt zu werden, wie er ohne Eintritt des schädigenden Ereignisses stünde (vgl. Staudinger/Oechsler, BGB, Neubearb. 2014, § 826 Rn. 153). Seinem Interesse kann durch Rückabwicklung des Vertrages oder durch Ersatz des durch die Täuschung verursachten wirtschaftlichen Mehraufwandes Rechnung getragen werden (vgl. Staudinger/Oechsler, a. a. O., § 826 Rn. 153). Der Kläger ist daher so zu stellen, wie wenn er den schädigenden Vertrag nicht abgeschlossen hätte, und hat folglich einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gegenüber der Beklagten.
Dabei verkennt die Kammer nicht, dass die Beklagte im vorliegenden Fall Dritte und damit nicht Vertragspartnerin des Klägers war. Grundsätzlich ist der Schadensersatz gemäß § 826 BGB, der auf die Befreiung einer durch Täuschung eingegangen vertraglichen Verbindlichkeit abzielt, in Art und Umfang nur gegen den direkten Vertragspartner möglich (vgl. MünchKomm-BGB/Wagner, a.a.O., § 826 Rn. 53). Ein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages kann aber auch gegenüber Dritten bestehen (vgl. OLG München, Urt. v. 20.08.1999 – 14 U 860/98). Das OLG München hat entschieden, dass der Käufer eines Gebrauchtwagens, den er von einem Kfz- Händler gekauft hat und der einen schweren Vorschaden aufweist, von dem privaten Verkäufer, der den Vorschaden beim Verkauf arglistig verschwiegen hatte, Schadensersatz in der Weise verlangen kann, dass er so gestellt wird, als hätte er das Fahrzeug nicht von dem Kfz- Händler gekauft.
Die Argumentation des OLG München greift auch im vorliegenden Fall. Ohne das Verschweigen der Beklagten hinsichtlich des Einsatzes der sog. Prüfstandsentdeckungssoftware hätte der Kläger das streitgegenständliche Fahrzeug nicht erworben. Damit kann der Kläger von der Beklagten aufgrund der von dieser ihm gegenüber bedingt vorsätzlich vorgenommenen Schädigung gemäß § 826 BGB Ersatz des ihm daraus entstandenen Schadens verlangen. Sein „negatives Interesse“ geht dabei nicht nur auf den möglicherweise eingetretenen Wertverlust, er kann vielmehr von der Beklagten auch die Herstellung des Zustands verlangen, der ohne den Kauf des Fahrzeugs bestehen würde.
In der Rechtsfolge sind analog § 346 I BGB die empfangenen Leistungen zurückzugewähren. Die Beklagte muss den gezahlten Kaufpreis erstatten und erhält neben dem streitgegenständlichen Fahrzeug auch die durch die Fahrleistung eingetretene Wertminderung des Fahrzeugs ersetzt (§ 346 II 1 Nr. 1 BGB). Auf den zurückzuerstattenden Kaufpreis in Höhe von 29.346,26 € hat sich der Kläger deswegen eine Nutzungsentschädigung in Höhe von 5.189 € anrechnen zu lassen. Die Kammer hat für die Berechnung die vom Kläger angegebene Laufleistung im Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung in Höhe von 53.046 km angesetzt. Die Gesamtlaufzeit des streitgegenständlichen Fahrzeugs schätzt die Kammer auf 300.000 km.
Der Anspruch auf die Rechtshängigkeitszinsen seit dem 26.04.2016 folgt aus §§ 291, 288 I BGB i. V. mit § 187 I BGB analog.
Voraussetzung für einen Anspruch auf Rechtshängigkeitszinsen ist, dass die geltend gemachte Forderung fällig ist. Dieses ist bei dem vorliegenden Zug-um-Zug-Antrag des Klägers nicht der Fall, da der Beklagten ein Zurückbehaltungsrecht aus § 320 BGB zusteht. Hierbei schadet es auch nicht, wenn die Beklagte nicht ausdrücklich das Zurückbehaltungsrecht geltend macht, da der Kläger dem Zurückbehaltungsrecht der Beklagten schon in seinem Antrag Rechnung getragen hat.
Etwas anderes gilt nur dann, wenn sich der Gläubiger bereits mit der Leistung in Annahmeverzug befindet. Dieses ist hier der Fall. Gemäß § 293 BGB kommt der Gläubiger in Annahmeverzug, wenn er die ihm angebotene Leistung nicht annimmt. Dabei setzt § 294 BGB bzw. § 295 BGB voraus, dass dem Gläubiger die Leistung tatsächlich oder wörtlich angeboten wird.
Gemäß § 295 Satz 1 BGB genügt ein wörtliches Angebot des Schuldners, wenn der Gläubiger ihm erklärt hat, dass er die Leistung nicht annehmen werde, oder wenn zur Bewirkung der Leistung eine Handlung des Gläubigers erforderlich ist, insbesondere wenn der Gläubiger die geschuldete Sache abzuholen hat. Ein wörtliches Angebot kann dabei bereits in einem Klageantrag Zug um Zug liegen (vgl. BGH, Urt. v. 15.11.1996 – V ZR 292/95; MünchKomm-BGB/Ernst, 7. Aufl. [2016], § 295 Rn. 2). Mit der Zustellung der Klageschrift ist die Beklagte auch in Schuldnerverzug geraten, sodass der Kläger seit dem 26.04.2016 einen Anspruch auf Verzugszinsen hat (vgl. BGH, Urt. v. 15.11.1996 – V ZR 292/95).
Der Anspruch auf Ersatz außergerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.242,82 € ergibt sich aus den §§ 826, 249 I BGB. Bei einer vorsätzlich sittenwidrigen Schädigung sind die Anwaltskosten Teil des zu ersetzenden Schadens. In der Höhe richten sich die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten jedoch nach dem Anspruch, den der Kläger berechtigterweise verlangen kann.
Der Zinsanspruch auf die vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten ist jedoch erst seit dem 26.04.2016 begründet. Dass sich die Beklagte bereits seit dem 19.03.2016 in Verzug befand, ist weder ersichtlich, noch wird es von dem Kläger vorgetragen, sodass die Kammer ohne Verstoß gegen § 308 I ZPO nur Zinsen seit Rechtshängigkeit zusprechen konnte. …