1. Die Software, die in einem vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeug zum Einsatz kommt, ist zwar eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. des Art. 5 II i. V. mit Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007. Diese Verordnung dient jedoch nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen, sodass ein Vermögensschaden, den ein Käufer möglicherweise durch den Erwerb eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs erleidet, nicht in ihren Schutzbereich fällt. Ein gegen die Volkswagen AG gerichteter Schadensersatzanspruch des Käufers wegen einer sittenwidrigen vorsätzlichen Schädigung (§ 826 BGB) besteht deshalb nicht.
  2. Vom VW-Abgasskandal betroffene Fahrzeugläufer werden dadurch nicht rechtlos gestellt. Denn sie haben in aller Regel Ansprüche – insbesondere aus der verschuldensunabhängigen Sachmängelhaftung – gegen den Verkäufer des Fahrzeugs. Sollten solche Ansprüche im Einzelfall einmal nicht bestehen, kann dies kein Argument für eine generelle Ausweitung der deliktischen Haftung der Volkswagen AG sein.

LG Köln, Urteil vom 07.10.2016 – 7 O 138/16

Sachverhalt: Der Kläger macht gegen die beklagte Volkswagen AG als Muttergesellschaft des VW-Konzerns Ansprüche im Zusammenhang mit dem sogenannten VW-Abgasskandal geltend.

Er erwarb von der X-GmbH & Co. KG am 12.04.2013 für 52.100 € einen Neuwagen. Der Kaufpreis wurde teilweise finanziert, indem der Kläger mit der B-Bank einen Darlehensvertrag schloss. Ausweislich dieses Vertrages hatte der Kläger Zinsen in Höhe von 2.505,93 € zu zahlen.

Der Kläger meint, die Beklagte hafte ihm wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung (§§ 826, 249 BGB) auf Schadensersatz.

Sein Fahrzeug – so behauptet der Kläger – sei vom sogenannten VW-Abgasskandal betroffen, weil es seitens eines Unternehmens des VW-Konzerns mit einer Abschalteinrichtung versehen worden sei, damit es bei einem Emissionstest die zulässigen Grenzwerte einhalte.

Die Beklagte habe aus Gewinnstreben und um die Marktführerschaft auf dem Markt für Personenfahrzeuge zu erreichen, Dieselmotoren entwickeln wollen, die die Voraussetzungen der Euro-5-Abgasnorm erfüllen. Zudem habe der Vorstand der Beklagten einen Angriff auf den amerikanischen Markt starten wollen, um dort wertvolle Marktanteile zu erkämpfen. Als es der Beklagten aus verschiedenen Gründen nicht gelungen sei, die Dieselmotoren im Einklang mit den gesetzlichen Bestimmungen zu entwickeln, seien die vorgenannten Ziele ernsthaft gefährdet gewesen. Die Entwicklungsingenieure hätten auf Anweisung des Vorstands der Beklagten eine Software, die ausschließlich für Testzwecke programmiert worden sei, in alle EA189-Dieselmotoren integriert, um im Falle eines Emissionstests die Stickoxid-Messwerte im Sinne der Beklagten zu manipulieren und so die Euro-5-Emissionsgrenzwerte bzw. die amerikanischen Grenzwerte zu unterschreiten. Sämtliche Führungsmitglieder der Beklagten einschließlich des Vorstands und des Aufsichtsrats seien über die Vorkommnisse informiert gewesen.

Auch das vom Kläger erworbene Fahrzeug verfüge über die Manipulationssoftware, bei der es sich – so die Auffassung des Klägers – um eine unzulässige Abschaltvorrichtung handele. Das Fahrzeug habe einen erheblich höheren Schadstoffausstoß als seitens der Beklagten angegeben. Für ihn sei gerade die Werbung der Beklagten mit der besonderen Umweltfreundlichkeit des Fahrzeugs ein besonders durchschlagendes Kaufargument gewesen. Der Kläger meint, es bestehe das Risiko, dass dem Fahrzeug aufgrund unmittelbarer oder analoger Anwendung des § 19 II 2 Nr. 3 StVZO die Allgemeine Betriebserlaubnis entzogen werde, wodurch auch der Versicherungsschutz erlösche. Er vertritt die Auffassung, eine weitere Nutzung des Fahrzeugs sei ihm ebenso wenig zuzumuten wie die Teilnahme an dem von der Beklagten initiierten Rückruf. Es sei – so behauptet der Kläger – zu besorgen, dass das Fahrzeug nach dem Eingriff entweder noch denselben Mangel wie derzeit (Stickoxidausstoß zu hoch) haben und/oder einen höheren Kraftstoffverbrauch und damit auch höhere CO2-Emissionen aufweisen werde. Zudem sei der Marktwert des Fahrzeugs wegen der Manipulation um mindestens 12.000 € gesunken.

Die Klage hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: Dem Kläger steht gegen die Beklagte weder der mit dem Hauptantrag verfolgte Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrags noch der mit dem Hilfsantrag geltend gemachte Anspruch auf Ersatz des Minderwerts zu.

Vertragliche Anspruchsgrundlagen scheiden aus, da zwischen den Parteien keine Vertragsbeziehung besteht.

Außervertragliche Anspruchsgrundlagen kommen ebenfalls nicht in Betracht. Insbesondere liegen nicht die Voraussetzungen des vom Kläger herangezogenen § 826 BGB vor.

Um eine Ausuferung der Haftung nach § 826 BGB zu vermeiden, beschränkt die Rechtsprechung den Haftungsumfang nach Maßgabe des Schutzzwecks der Norm. Dabei kommt es allerdings nicht auf den abstrakten Gesetzeszweck des § 826 BGB an, sondern auf den Schutzzweck der konkret verletzten Verhaltensnorm. Mittelbar Betroffene sind in den Schutzbereich nicht schon dann einbezogen, wenn sich die Handlung zwar gegen einen anderen richtet, der Täter indessen mit der Möglichkeit der Schädigung (auch) des Dritten gerechnet hat. Vielmehr kommt es darauf an, dass das Vermögen des Dritten nicht nur reflexartig als Folge der sittenwidrigen Schädigung eines anderen betroffen wird (vgl. MünchKomm-BGB/Wagner, 6. Aufl., § 826 Rn. 38 ff.).

In der behaupteten Verwendung von Abschaltvorrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, liegt ein Verstoß gegen Art. 5 II i. V. mit Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 20.06.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge. Wie die Erwägungsgründe der Verordnung erkennen lassen, dient diese nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen, sondern gesamtgesellschaftlichen Zielen, nämlich der Weiterentwicklung des Binnenmarkts durch Harmonisierung der technischen Vorschriften über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen sowie der Sicherstellung eines hohen Umweltschutzniveaus. Etwaige Vermögensschäden der Käufer von Fahrzeugen mit unzulässigen Abschaltvorrichtungen fallen daher nicht in den Schutzbereich der verletzten Norm.

Die betroffenen Käufer werden hierdurch nicht rechtlos gestellt, da sie in aller Regel über Rechtsschutzmöglichkeiten im Verhältnis zum Verkäufer verfügen, insbesondere aus der verschuldensunabhängigen Sachmängelhaftung. Soweit solche Ansprüche im konkreten Einzelfall einmal nicht bestehen sollten, kann dies kein Argument für eine generelle Ausweitung deliktischer Haftungstatbestände sein.

Ein Anspruch auf Erstattung seiner vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten steht dem Kläger mangels einer begründeten Hauptforderung ebenfalls nicht zu.

Soweit der Kläger mit Schriftsatz vom 28.09.2016 eine weitere Verlängerung der ihm eingeräumten Schriftsatzfrist beantragt hat, war diese nicht zu bewilligen. Die gemäß § 225 II ZPO angehörte Beklagte hat einer weiteren Fristverlängerung widersprochen. Die im genannten Schriftsatz mitgeteilten Gründe sind nicht erheblich i. S. des § 224 II ZPO. Für die fristgerechte Übersetzung fremdsprachiger Dokumente und die Aufbringung der hierfür erforderlichen Kosten hat grundsätzlich die Partei Sorge zu tragen. Die Frist war unter anderem im Hinblick auf die vorgetragene Notwendigkeit der Übersetzung der neu erlangten Informationen bereits bis zum 28.09.2016 verlängert worden. Einer weiteren Verlängerung standen das Gebot der Verfahrensbeschleunigung und die Rücksicht auf Interessen des Antragsgegners entgegen (vgl. Zöller/Stöber, ZPO, 31. Aufl., § 224 Rn. 6) …

PDF erstellen