1. Darauf, ob ein vom VW-Abgasskandal betroffener Gebrauchtwagen – insbesondere i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB – mangelhaft ist, kommt es für die Wirksamkeit eines vom Käufer erklärten Rücktritts vom Kaufvertrag nicht an, wenn der Käufer dem Verkäufer vor der Erklärung des Rücktritts keine Frist zur Nacherfüllung (§ 323 I BGB) gesetzt hat und eine Fristsetzung auch nicht gemäß § 323 II BGB oder § 440 BGB entbehrlich war.
  2. Eine Nachbesserung ist dem Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs jedenfalls dann nicht wegen des Fehlverhaltens der Volkswagen AG unzumutbar i.S. des § 440 Satz 1 Fall 3 BGB, wenn die Volkswagen AG nicht Partei des Kaufvertrages ist.
  3. Ebenso genügt für eine Unzumutbarkeit der Nachbesserung (§ 440 Satz 1 Fall 3 BGB) die bloße Möglichkeit, dass die Nachbesserung – hier: das Aufspielen eines Softwareupdates – zu einem neuen Mangel etwa in Gestalt eines überhöhten Kraftstoffverbrauchs führt oder ein merkantiler Minderwert verbleibt, nicht.

LG Münster, Urteil vom 05.04.2017 – 010 O 359/16

Sachverhalt: Der Kläger bestellte bei der beklagten Kfz-Händlerin am 13.08.2013 einen gebrauchten VW Passat Variant 2.0 TDI in der Ausstattungsvariante „Comfortline“ zum Preis von 24.500 €. Dieses Fahrzeug wurde dem Kläger am 19.08.2013 übergeben.

Es ist mit einem EA189-Dieselmotor ausgestattet und deshalb vom sogenannten VW-Abgasskandal betroffen. Davon erlangte der Kläger im September 2015 Kenntnis. Er erfuhr, dass in seinem Fahrzeug eine Software zum Einsatz kommt, die nur dann eine Reduzierung des Stickoxidausstoßes bewirkt, wenn der Pkw auf einem Prüfstand einen Emissionstest absolviert. Die Euro-5-Emissionsgrenzwerte hält das streitgegenständliche Fahrzeug deshalb zwar auf dem Prüfstand, aber nicht im normalen Fahrbetrieb ein.

Das Kraftfahrt-Bundesamt verzichtete nach Bekanntwerden des VW-Abgasskandals zunächst darauf, den davon betroffenen Fahrzeugen die Zulassung zu entziehen. Einen von der Volkswagen AG entwickelten Maßnahmenplan zur technischen Überarbeitung der vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge erklärte das Kraftfahrt-Bundesamt im Oktober 2015 für verbindlich. Nachdem die Entwicklung des Maßnahmen Ende November 2015 abgeschlossen war, bestätigte das Kraftfahrt-Bundesamt bestätigte, dass die vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeuge nach der seitens der Volkswagen AG vorgesehenen technischen Überarbeitung den gesetzlichen Vorgaben entsprechen würden.

Mit anwaltlichem Schreiben vom 18.02.2016 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag. Hilfsweise verlangte er die Lieferung eines mangelfreien Fahrzeugs (§§ 437 Nr. 1, 439 I Fall 2 BGB). Gleichzeitig setzte der Kläger der Beklagte eine Frist für die Rückabwicklung des Kaufvertrages bis zum 03.03.2016. Die Beklagte lehnte eine Rücknahme des streitgegenständlichen Pkw mit anwaltlichem Schreiben vom 02.03.2016 ab.

Am 15.07.2016 erhielt das Fahrzeug des Klägers das im Maßnahmenplan der Volkswagen AG vorgesehene Softwareupdate („Aktion 23Q7“).

Die im Wesentlichen auf Zahlung von 24.500 € nebst Zinsen gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.

Aus den Gründen: I. Der geltend gemachte Zahlungsanspruch besteht nicht.

1. Dem Kläger steht kein Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gemäß §§ 434, 435, 437 Nr. 2 Fall 1, 440, 323 BGB zu. Der Kläger hat der Beklagten weder eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt, noch war die Fristsetzung entbehrlich.

Voraussetzung für den Rücktritt vom Kaufvertrag ist das Vorliegen eines Sach- oder Rechtsmangels (§§ 434, 435 BGB) und grundsätzlich eine erfolglose Fristsetzung zur Nacherfüllung (§§ 437 Nr. 2 Fall 1, 323 I BGB). Der Käufer hat dem Verkäufer grundsätzlich wegen jeden Mangels Gelegenheit zur Nachbesserung zu geben (Palandt/Weidenkaff, BGB, 76. Aufl., § 440 Rn. 8). Nur ausnahmsweise ist eine Fristsetzung unter den in § 323 II BGB und § 440 BGB abschließend geregelten Voraussetzungen entbehrlich (BGH, Urt. v. 23.01.2013 – VIII ZR 140/12, juris Rn. 22).

Ob der streitgegenständliche Pkw bei Gefahrübergang sach- oder rechtsmangelbehaftet war, musste das Gericht nicht entscheiden. Auch wenn der Pkw bei Gefahrübergang mangelbehaftet gewesen sein sollte, hat der Kläger der Beklagten schon nicht die erforderliche Frist zur Nachbesserung gesetzt.

Die Voraussetzungen dafür, dass eine Fristsetzung ausnahmsweise entbehrlich war, lagen zum Zeitpunkt der Rücktrittserklärung nicht vor. Die Beklagte hat die Nacherfüllung weder gemäß §§ 440 Satz 1 Fall 1, 323 II Nr. 1 BGB verweigert, noch handelte es sich bei der Pkw-Lieferung um eine termingebundene Leistung i. S. des § 323 II Nr. 2 BGB, noch war die Nacherfüllung fehlgeschlagen gemäß § 440 Satz 1 Fall 2 BGB.

Die Fristsetzung war auch nicht wegen Unzumutbarkeit der Nacherfüllung gemäß § 440 Satz 1 Fall 3 BGB entbehrlich.

Zur Beurteilung der Unzumutbarkeit i. S. des § 440 Satz 1 Fall 3 BGB sind neben der Art der Sache und des Mangels alle tatsächlichen Umstände des Einzelfalls – in Bezug auf den Käufer – zu berücksichtigen; neben Art und Ausmaß einer Beeinträchtigung der Interessen des Käufers sind insbesondere die Zuverlässigkeit des Verkäufers, diesem vorzuwerfende Nebenpflichtverletzungen oder der Umstand, dass der Verkäufer bereits bei dem ersten Erfüllungsversuch, also bei Übergabe der Kaufsache, einen erheblichen Mangel an fachlicher Kompetenz hat erkennen lassen und das Vertrauensverhältnis zwischen den Parteien nachhaltig gestört ist, zu berücksichtigen (BGH, Urt. v. 15.04.2015 – VIII ZR 80/14, juris Rn. 22; Urt. v. 26.10.2016 – VIII ZR 240/15, juris Rn. 23; Palandt/Weidenkaff, a. a. O., § 440 Rn. 8).

Die Art des hier möglicherweise vorliegenden Mangels macht die Nacherfüllung nicht unzumutbar i. S. des § 440 Satz 1 Fall 3 BGB.

Ein Sachmangel liegt gemäß § 434 I BGB vor, wenn eine Sache nicht der sogenannten Soll-Beschaffenheit entspricht (Palandt/Weidenkaff, a.a.O., § 434 Rn. 9). Ob die Parteien eine Beschaffenheitsvereinbarung i. S. des § 434 I 1 BGB getroffen haben, musste das Gericht nicht entscheiden. Nach klägerischem Vortrag dürfte jedenfalls ein Sachmangel i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB vorgelegen haben. Ein Sachmangel liegt gemäß § 434 I 2 Nr. 2 BGB vor, wenn eine Sache sich nicht für die gewöhnliche Verwendung eignet oder keine Beschaffenheit aufweist, die bei Sachen der gleichen Art üblich ist und die der Käufer nach der Art der Sache erwarten kann. Der Kläger macht geltend, dass der streitgegenständliche Pkw die Grenzwerte der Schadstoffklasse Euro 5 hinsichtlich der tatsächlich ausgestoßenen Stickoxide bei Gefahrübergang nicht eingehalten habe; danach war der streitgegenständliche Pkw bei Lieferung grundsätzlich nicht in der Schadstoffklasse Euro 5 zulassungsfähig und eignete sich nicht für die gewöhnliche Verwendung (Palandt/Weidenkaff, a. a. O., § 434 Rn. 23, 28). Vorliegend hatte die möglicherweise mangelnde Zulassungsfähigkeit aber keinerlei Auswirkungen auf die Möglichkeit des tatsächlichen Gebrauchs. Die Zulassung wurde nicht entzogen. Der Kläger hat seinen Pkw durchgängig genutzt und tut dies noch heute. Konkrete Auswirkungen des möglicherweise vorliegenden Mangels, die die Anwendung der Ausnahmeregelung des § 440 Satz 1 Fall 3 BGB rechtfertigen würde, trägt der Kläger hinsichtlich der Art des Mangels nicht vor. Gleiches gilt, wenn die mangelnde Zulassungsfähigkeit als Rechtsmangel i. S. des § 435 BGB gewertet wird.

Die Nacherfüllung ist auch nicht wegen der seitens des Klägers behaupteten möglichen, hypothetischen Folgen der Nacherfüllung unzumutbar i. S. des § 440 Satz 1 Fall 3 BGB. Die hypothetische Möglichkeit, dass auch nach Nacherfüllung Mängel verbleiben oder neue Mängel entstehen, begründet nicht ohne Weiteres die Anwendung der Ausnahmeregelung des § 440 Satz 1 Fall 3 BGB. Gerade weil grundsätzlich die hypothetische Möglichkeit besteht, dass auch nach Nacherfüllung Mängel verbleiben oder entstehen, hat der Gesetzgeber in § 440 Satz 2 BGB festgehalten, dass eine Nacherfüllung grundsätzlich nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen gilt (Palandt/Weidenkaff, a. a. O., § 440 Rn. 7). Damit hat der Gesetzgeber eine einheitliche Regelung geschaffen, die eine Vermutung aufstellt, von der auch wiederum nur in Ausnahmefällen abzuweichen ist. Die pauschale Behauptung des Klägers, dass die Durchführung des Softwareupdates zu einer „einheitlichen weiteren Mangelhaftigkeit“ führe „wie etwa dem damit direkt zusammenhängenden Mehrverbrauch am streitgegenständlichen Fahrzeug oder/und die Wertminderung am Fahrzeug selbst“, … ist nicht geeignet die Anwendung der Ausnahmeregelung des § 440 Satz 1 Fall 3 BGB herbeizuführen und von der grundsätzlichen gesetzlichen Regelung der §§ 434, 435, 437 Nr. 2 Fall 1, 323 I BGB abzuweichen. Der Rücktritt vom Kaufvertrag bleibt dem Käufer für den Fall des Fehlschlagens der Nacherfüllung unbenommen.

Auch Gründe, die für eine nachhaltige Störung des Vertrauensverhältnisses der Parteien dieses Rechtsstreits sprechen, konnte das Gericht nicht feststellen. Die Beklagte hat dem Kläger einen möglicherweise mangelhaften Pkw geliefert, eine über das Übliche hinausgehende Pflichtverletzung konnte das Gericht seitens der Beklagten aber nicht feststellen. Es ist weder ersichtlich, noch behauptet der Kläger, dass die Beklagte Kenntnis von einem möglicherweise vorliegenden Mangel oder von den dem VW-Abgasskandal zugrunde liegenden Tatsachen hatte. Eine Wissenszurechnung sieht das BGB grundsätzlich nur unter den Voraussetzungen der §§ 164, 166 BGB, im Rahmen eines Vertretungsverhältnisses, vor. Vertretung i. S. der §§ 164 ff. BGB ist das rechtsgeschäftliche Handeln im Namen des Vertretenen mit der Wirkung, dass die Rechtsfolgen unmittelbar in der Person des Vertretenen eintreten (Palandt/Ellenberger, BGB, 76 Aufl., Einf. v. § 164 Rn. 1). Umstände, die die Annahme eines Vertretungsverhältnisses zwischen dem Fahrzeughersteller und der Beklagten rechtfertigen, legt der Kläger nicht dar; der streitgegenständliche Kaufvertrag ist zwischen Kläger und Beklagter zustande gekommen, der Fahrzeughersteller ist nicht Vertragspartei. Eine Haftung der Beklagten für ein Fehlverhalten des Fahrzeugherstellers könnte sich im Rahmen des Kaufrechts wohl nur aus § 278 BGB ergeben, dann müsste der Fahrzeughersteller aber Erfüllungsgehilfe der Beklagten sein, dies ist jedoch nicht der Fall. Der Hersteller ist beim Kaufvertrag im Verhältnis zum Käufer nicht Erfüllungsgehilfe des Verkäufers, da sich die Pflicht des Verkäufers nicht auf die Herstellung der Sache erstreckt (Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl., § 278 Rn. 13).

Die Fristsetzung war aus den oben genannten Gründen auch nicht unter Abwägung der beiderseitigen Interessen gemäß § 323 II Nr. 3 BGB entbehrlich. Die Fristsetzung ist nach § 323 II Nr. 3 BGB entbehrlich, wenn besondere Umstände vorliegen, die unter Abwägung der beiderseitigen Interessen den sofortigen Rücktritt rechtfertigen. Diese Voraussetzungen können unter anderem gegeben sein, wenn das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Schuldners entfallen ist, wenn der Verkäufer einen Mangel der Kaufsache arglistig verschwiegen hat oder wenn der Schuldner seine Leistungspflicht vorsätzlich verletzt (Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 323 Rn. 22).

Eine weitere Einschränkung der Rechte der Beklagten, die über das im Rahmen der §§ 323 II, 440 Satz 1 Fall 3 BGB Mögliche hinausgeht, ist auch unter Verbraucherschutzgesichtspunkten nicht angezeigt. Die europarechtlichen Verbraucherschutzrichtlinien hat der Gesetzgeber gerade in den § 474 BGB, § 323 BGB und § 440 BGB umgesetzt (Palandt/Weidenkaff, a. a. O., Vorb. v. § 474 Rn. 1 ff., § 474 Rn. 1, § 440 Rn. 4; Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 323 Rn. 22). Sanktionsmaßnahmen sieht das Kaufrecht gerade nicht vor.

2. Der Kläger kann eine Zahlung auch nicht über die Vorschriften des Deliktsrechts (§§ 823 ff. BGB) verlangen.

Eine eigene unerlaubte Handlung der Beklagten i. S. des § 823 I BGB ist nicht ersichtlich.

Auch eine Haftung der Beklagten aus § 823 II BGB in Verbindung mit einem Schutzgesetz ist nicht ersichtlich. Voraussetzung für die Haftung aus § 823 II BGB ist unter anderem die schuldhafte, das heißt zumindest fahrlässige Verletzung eines Schutzgesetzes (Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl., § 823 Rn. 61). Eine solche auch nur fahrlässige Verletzung eines Schutzgesetzes durch die Beklagte ist nicht vorgetragen und nicht ersichtlich.

Auch eine Haftung der Beklagten für den Fahrzeughersteller aus § 831 BGB ist nicht ersichtlich. Der Fahrzeughersteller ist nicht Verrichtungsgehilfe der Beklagten. Verrichtungsgehilfe ist, wem eine Tätigkeit von einem anderen übertragen worden ist, unter dessen Einfluss er allgemein oder im konkreten Fall handelt und zu dem er in einer gewissen Abhängigkeit steht; der zu Verrichtung Bestellte muss bei der Ausführung der Verrichtung vom Willen des Geschäftsherrn abhängig sein (Palandt/Sprau, a. a. O., § 831 Rn. 5). Der Fahrzeughersteller ist seitens der Beklagten weder zu einer Verrichtung bestellt worden, noch ist er bei der Ausführung seiner Tätigkeiten vom Willen der Beklagten abhängig.

II. Auch die übrigen seitens des Klägers geltend gemachten Ansprüche auf Feststellung des Annahmeverzugs und auf Freistellung von Kreditkosten und außergerichtlichen Kosten der Rechtsverfolgung bestehen mangels Rückabwicklungs- bzw. Zahlungsanspruchs nicht. …

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