- Die Software, die in einem vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeug zum Einsatz kommt und dessen Stickoxidausstoß (nur) verringert, sobald das Fahrzeug einem Emissionstest unterzogen wird, ist eine unzulässige Abschalteinrichtung i. S. des Art. 5 II i. V. mit Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007.
- Dass die Volkswagen AG dem Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs im Wege des Schadensersatzes den Kaufpreis erstatten muss, kommt sowohl mit Blick auf eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung (§ 826 BGB) als auch unter dem Gesichtspunkt eines Betrugs (§ 823 II BGB i. V. mit § 263 StGB) in Betracht.
- Die zu erwartende Gesamtlaufleistung eines Škoda Yeti 2.0 TDI (Elegance Plus Edition) beträgt 300.000 km.
LG Hildesheim, Urteil vom 17.01.2017 – 3 O 139/16
Sachverhalt: Der Kläger begehrt von der beklagten Volkswagen AG unter dem Gesichtspunkt des Schadensersatzes die Rückzahlung des Kaufpreises für einen Pkw; hilfsweise verlangt er Schadensersatz wegen einer Wertminderung, die das Fahrzeug erlitten habe.
Den streitgegenständlichen Pkw, einen Škoda Yeti 2.0 TDI (Elegance Plus Edition), erwarb der Kläger mit Kaufvertrag vom 21.03./03.04.2013. Die Motorsteuerung des mit einem Dieselmotor ausgestatteten Fahrzeugs ist so programmiert, dass sie erkennt, ob sich der Pkw zur Messung der Schadstoffemissionen auf einem Prüfstand befindet. In diesem Fall arbeitet sie im sogenannten Modus 1, während das Fahrzeug im Straßenverkehr im Modus 0 betrieben wird. Im Modus 1 ist die Abgasrückführungsrate höher und deshalb der Ausstoß von Stickoxiden niedriger als im Modus 0. Ein von der Beklagten seit Bekanntwerden der Betriebsmodi entwickeltes Softwareupdate soll dafür sorgen, dass der Motor nur noch im Modus 1 „adaptiert“ betrieben wird.
Der Kläger meint, die Beklagte habe ihn dadurch, dass sie den von ihr entwickelten Motor mit einer Abschaltsoftware ausgestattet und diesen an ihre Schwesterunternehmen geliefert habe, vorsätzlich geschädigt. Der Schaden bestehe darin, dass er ein Geschäft abgeschlossen habe, das er bei Kenntnis der Sachlage nicht getätigt hätte. Die Naturalrestitution müsse deshalb dahin gehen, dass er so gestellt werde, als hätte er das Fahrzeug nicht gekauft.
Der Vorstand der Beklagten – so behauptet der Kläger – habe von der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware gewusst. Die Beklagte habe auch gewusst, dass hiermit ausgestattete Fahrzeuge einen Wertverlust erleiden würden, sobald der Mangel auf dem Markt bekannt würde. Der Minderwert des Fahrzeugs belaufe sich auf mindestens 30 % des vorherigen Werts des Fahrzeugs auf dem Gebrauchtwagenmarkt im September 2015. Dieser habe circa 16.500 € betragen, sodass der Minderwert 5.500 € betrage. Die Teilnahme an der Rückrufaktion der Beklagten, in deren Rahmen ein Softwareupdate installiert werden solle, sei für ihn – den Kläger – unzumutbar, weil zu besorgen sei, dass das Fahrzeug danach entweder noch denselben Mangel aufweise wie zurzeit (zu hoher Ausstoß von Stickoxid) und/oder das Fahrzeug einen höheren Kraftstoffverbrauch und damit auch höhere CO2-Emissionen haben werde. Auch sei eine geringere Haltbarkeit des Motors und des Partikelfilters zu befürchten.
Die Beklagte bestreitet unter anderem, dass das Fahrzeug des Klägers über eine unzulässige Abschalteinrichtung verfüge. Sie behauptet, die streitgegenständliche Software wirke nicht auf das Emissionskontrollsystem des Fahrzeugs ein. Vielmehr erkenne die Software des Motorsteuergeräts, dass das Fahrzeug den Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) durchfahre. Die Software bewirke nicht, dass beim normalen Fahrbetrieb die Wirksamkeit des Emissionskontrollsystems verringert werde. Das Abgasrückführungssystem sei nicht Bestandteil des Emissionskontrollsystems, sondern eine innermotorische Maßnahme. Auch erfolge keine „Einwirkung“ auf das Emissionskontrollsystem und damit keine „Abschaltung“ im normalen Fahrbetrieb.
Die Klage hatte mit dem auf die Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichteten Hauptantrag Erfolg.
Aus den Gründen: I. Die Klage ist hinsichtlich der Hauptforderung aus § 826 BGB i. V. mit § 31 BGB begründet. Die Beklagte hat dem Kläger in einer gegen die guten Sitten verstoßenden Weise vorsätzlich Schaden zugefügt.
Die Handlung, durch die die Beklagte den Kläger geschädigt hat, war das Inverkehrbringen – unter Verschweigen der gesetzeswidrigen Softwareprogrammierung – von Dieselmotoren zum Zweck des Weiterverkaufs unter anderem in Fahrzeugen der Marke Škoda, deren Motorsteuerungssoftware so programmiert war, dass sie den Betrieb des Fahrzeugs auf einem Prüfstand im Neuen Europäischen Fahrzyklus (NEFZ) erkannte und die Abgasbehandlung in den sogenannten Modus 1 versetzte.
Durch die Handlung der Beklagten hat der Kläger einen Vermögensschaden erlitten. Dieser besteht darin, dass er in Unkenntnis der nicht gesetzeskonformen Motorsteuerungssoftware den streitgegenständlichen Pkw erworben und damit einen ihm wirtschaftlich nachteiligen Vertrag abgeschlossen hat. Dass es sich bei diesem Vertrag um einen für den Kläger wirtschaftlich nachteiligen handelt, zeigt schon die Überlegung, dass kein verständiger Kunde ein Fahrzeug mit dieser Motorsteuerungssoftware erwerben würde, wenn die Beklagte ihn vor dem Kauf darauf hinweisen würde, dass die Software nicht gesetzeskonform sei und er deshalb jedenfalls mit Problemen für den Fall der Entdeckung der Manipulation durch das Kraftfahrt-Bundesamt rechnen müsse. Der Kläger hat nicht das bekommen, was ihm aus dem Kaufvertrag zustand, nämlich ein technisch einwandfreies, den gesetzlichen Bestimmungen entsprechendes Fahrzeug.
Die streitgegenständliche Programmierung der Motorsteuerungssoftware ist gesetzeswidrig. In der Verwendung von Abschaltvorrichtungen, die die Wirkung von Emissionskontrollsystemen verringern, liegt ein Verstoß gegen Art. 5 II i. V. mit Art. 3 Nr. 10 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 des europäischen Parlaments und des Rates vom 20.6.2007 über die Typgenehmigung von Kraftfahrzeugen hinsichtlich der Emissionen von leichten Personenkraftwagen und Nutzfahrzeugen (Euro 5 und Euro 6) und über den Zugang zu Reparatur- und Wartungsinformationen für Fahrzeuge.
Bei verständiger Auslegung muss die von der Beklagten installierte Programmierung als Abschalteinrichtung angesehen werden. Denn sie setzt die zu einem geringeren Stickoxidausstoß führende, ausschließlich für den Prüfstand bestimmte Programmierung der Motorsteuerung im Modus 1 für den Fahrbetrieb auf der Straße außer Kraft mit der Folge, dass der Stickoxidausstoß im Fahrbetrieb auf der Straße höher ist als auf dem Prüfstand. Umgekehrt wird die im normalen Fahrbetrieb wirksame Programmierung etwa für die Abgasrückführung auf dem Prüfstand außer Kraft gesetzt, indem die Motorsteuerung den sogenannten Modus 0, nämlich den Betriebszustand für den normalen Fahrbetrieb auf der Straße, zugunsten eines ausschließlich für den Prüfstandbetrieb bestimmten Modus abschaltet.
Dies gilt unabhängig davon, ob tatsächlich eine Einwirkung auf das Emissionskontrollsystem vorhanden ist oder aber lediglich eine Einwirkung auf einen innermotorischen Vorgang erfolgt. Schon die Testzykluserkennung in Verbindung mit einer ausschließlich im Testzyklus erfolgenden Einwirkung auf die Abgasrückführung ist ein Verstoß gegen das Verbot von Abschalteinrichtungen. Zudem liegt auf der Hand, dass auch eine Schadstoffmessung auf dem Prüfstand nur sinnvoll ist und einen Vergleich von Fahrzeugen verschiedener Hersteller ermöglicht, wenn das zu testende Fahrzeug gerade hinsichtlich der Abgasbehandlung dem Zustand entspricht, der auch auf der Straße gegeben ist, da ansonsten Tricks und Manipulationen jedweder Art Tür und Tor geöffnet würden und eine Vergleichbarkeit selbst unter den dem realen Fahrbetrieb fernen genormten Prüfstandbedingungen nicht mehr herzustellen wäre.
Eine ausschließlich auf den Testzyklus zugeschnittene Programmierung der Abgasbehandlung kann deshalb nur als unzulässige Umgehung der einschlägigen Vorschriften angesehen werden.
Die schädigende Handlung ist der Beklagten zuzurechnen.
Zwar setzt die Haftung einer juristischen Person aus § 826 BGB i. V. mit § 31 BGB voraus, dass ein verfassungsmäßig berufener Vertreter i. S. des § 31 BGB den objektiven und subjektiven Tatbestand des § 826 BGB verwirklicht hat (BGH, Urt. v. 28.6.2016 – VI ZR 536/15, NJW 2017, 250 Rn. 13). Davon ist aber für die hier zu treffende Entscheidung auszugehen. Denn die Beklagte ist ihrer sekundären Darlegungslast zu der Frage, welches ihrer Organe Kenntnis von der Manipulation der Motorsteuerungssoftware hatte und das Inverkehrbringen entsprechend ausgerüsteter Motoren veranlasst hat, trotz Hinweises der Kammer in der mündlichen Verhandlung nicht einmal ansatzweise nachgekommen.
Entgegen der Auffassung der Beklagten trifft sie eine entsprechende sekundäre Darlegungslast.
Die Beklagte selbst weist zutreffend darauf hin, dass eine solche sekundäre Darlegungslast besteht, wenn der beweisbelasteten Partei näherer Vortrag nicht möglich oder nicht zumutbar ist, während die bestreitende Partei alle wesentlichen Tatsachen kennt und es ihr zumutbar ist, nähere Angaben zu machen. Der Gegner der (primär) darlegungspflichtigen Partei darf sich nicht auf ein einfaches Bestreiten beschränken, wenn die darlegungspflichtige Partei außerhalb des von ihr darzulegenden Geschehensablaufs steht und keine nähere Kenntnis der maßgebenden Tatsachen besitzt, während der Prozessgegner sie hat und ihm nähere Angaben zumutbar sind (BGH, Urt. v. 07.12.1998 – II ZR 266/97, BGHZ 140, 156 [158 f.]).
Das ist hier der Fall: Der Kläger hat naturgemäß keinerlei Einblick in die internen Entscheidungsvorgänge bei der Beklagten und ist auf Veröffentlichungen der Medien und auf Rückschlüsse und Vermutungen angewiesen. Er hat den ihm insoweit zuzumutenden Vortrag erbracht. Die Beklagte hingegen (und wer, wenn nicht sie?) hat jede Möglichkeit, die in ihrem Unternehmen im Zusammenhang mit der Programmierung und Implementierung der streitgegenständlichen Software abgelaufenen Vorgänge und Entscheidungsprozesse darzulegen, um es so dem Kläger zu ermöglichen, seinerseits die ihm obliegende weitergehende Darlegung und den erforderlichen Beweisantritt vornehmen zu können.
Der Vortrag der Beklagten, sie „kläre gerade die Umstände auf“, wie es zur Entwicklung und zum Einbau der Software gekommen sei; hierfür habe sie unter anderem die Kanzlei Jones Day mit einer Untersuchung beauftragt; nach dem derzeitigen Ermittlungsstand lägen keine Erkenntnisse dafür vor, dass einzelne Vorstandsmitglieder an der Entwicklung der Software beteiligt gewesen seien oder die Entwicklung oder Verwendung der Software des Dieselmotors EA189 EU5 in Auftrag gegeben oder gebilligt hätten, ist gänzlich unzureichend und genügt dem § 138 I ZPO, wonach die Parteien ihre Erklärungen über tatsächliche Umstände vollständig und der Wahrheit gemäß abzugeben haben, nicht. Angesichts des Zeitablaufs seit Entdeckung der Softwaremanipulation ist der Vortrag, die Beklagte habe das ihr Mögliche unternommen, um den Behauptungen des Klägers entgegenzutreten, unzureichend und darüber hinaus schlicht unglaubhaft. Was die Kanzlei Jones Day oder die Beklagte selbst in diesem Zusammenhang überhaupt unternommen haben, um die Initiatoren, Täter und Mitwisser der Manipulation namhaft zu machen, ist ebenso wenig vorgetragen wie eine Begründung dafür, dass trotz des erheblichen Zeitablaufs seit Bekanntwerden der Softwaremanipulation bis heute angeblich immer noch keine Ergebnisse der angeblich durchgeführten Untersuchung vorliegen. Zu einer substanziierten Darlegung hätte umso mehr Anlass bestanden, als es sich bei der Einführung einer manipulierten, auf Verzerrung der Prüfstandwerte ausgerichteten Motorsteuerungssoftware um eine wesentliche strategische Entscheidung mit enormer wirtschaftlicher Reichweite und – wie die wirtschaftlichen Folgen des sogenannten Abgasskandals zeigen – ebenso großen Risiken handelt, bei der kaum anzunehmen ist, dass sie von einem am unteren Ende der Betriebshierarchie angesiedelten Entwickler in eigener Verantwortung getroffen worden ist.
Deshalb muss in der hier zur Entscheidung stehenden prozessualen Lage mangels substanziierter gegenteiliger Darlegung durch die Beklagte davon ausgegangen werden, dass diese Entscheidung vom Vorstand angeordnet oder doch jedenfalls „abgesegnet“ worden ist.
Die Beklagte hat dem Kläger den Schaden vorsätzlich zugefügt. Mangels jeglicher entgegenstehender Anhaltspunkte muss davon ausgegangen werden, dass den Organen der Beklagten völlig klar war, dass die Beklagte Dieselmotoren an Tochterunternehmen wie etwa Škoda lieferte und auch selbst in eigenen Fahrzeugen verkaufte, die hinsichtlich der Abgaswerte nicht den einschlägigen Vorschriften entsprachen, und dass somit die Kunden der Beklagten selbst und ihrer Tochterunternehmen wirtschaftlich nachteilige Kaufverträge abschlossen.
Das Verhalten der Beklagten verstieß gegen die guten Sitten.
Objektiv sittenwidrig ist eine Handlung, die nach Inhalt oder Gesamtcharakter, der durch zusammenfassende Würdigung von Inhalt, Beweggründen und Zweck zu ermitteln ist, gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt, das heißt mit den grundlegenden Wertungen der Rechts- und Sittenordnung nicht vereinbar ist. Abzustellen ist auf die in der Gemeinschaft oder in der beteiligten Gruppe anerkannten moralischen Anschauungen. Dabei ist ein durchschnittlicher Maßstab anzulegen (BGH, Urt. v. 09.07.1953 – IV ZR 242/52, BGHZ 10, 228 [232]); besonders strenge Anschauungen sind ebenso wie besonders laxe Auffassungen unbeachtlich (Palandt/Sprau, BGB, 76. Aufl., § 826 Rn. 4; Palandt/Ellenberger, BGB, 76. Aufl., § 138 Rn. 2 ff.).
Hinzutreten muss zu der objektiven Sittenwidrigkeit eine besondere Verwerflichkeit des Verhaltens, die sich aus dem verfolgten Ziel, den eingesetzten Mitteln, der zutage tretenden Gesinnung oder den eintretenden Folgen ergeben kann (Palandt/Sprau, a. a. O., § 826 Rn. 4). Der BGH (Urt. v. 03.12.2013 – XI ZR 295/12, NJW 2014, 1098 Rn. 23) hat hierzu ausgeführt:
Ein Verhalten ist sittenwidrig, wenn es gegen das Anstandsgefühl aller billig und gerecht Denkenden verstößt (st. Rspr. seit RGZ 48, 114 [124]). In diese rechtliche Beurteilung ist einzubeziehen, ob es nach seinem aus der Zusammenfassung von Inhalt, Beweggrund und Zweck zu entnehmenden Gesamtcharakter mit den guten Sitten nicht zu vereinbaren ist (BGH, Urt. v. 20.11.2012 – VI ZR 268/11, WM 2012, 2377 Rn. 25; Urt. v. 04.06.2013 – VI ZR 288/12, WM 2013, 1310 Rn. 14, jeweils m. w. Nachw.). Ein Unterlassen verletzt die guten Sitten nur dann, wenn das geforderte Tun einem sittlichen Gebot entspricht. Hierfür reicht die Nichterfüllung einer allgemeinen Rechtspflicht, aber auch einer vertraglichen Pflicht nicht aus. Es müssen besondere Umstände hinzutreten, die das schädigende Verhalten wegen seines Zwecks oder wegen des angewandten Mittels oder mit Rücksicht auf die dabei gezeigte Gesinnung nach den Maßstäben der allgemeinen Geschäftsmoral und des als ‚anständig‘ Geltenden verwerflich machen (BGH, Urt. v. 20.11.2012 – VI ZR 268/11, WM 2012, 2377 Rn. 25; Urt. v. 04.06.2013 – VI ZR 288/12, WM 2013, 1310 Rn. 14, jeweils m. w. Nachw.).“
Nach diesen Grundsätzen hat der BGH im dort zu entscheidenden Fall das Verhalten von Fondsinitiatoren, die Anlegern einen Weiterveräußerungsgewinn verschwiegen hatten, als sittenwidrig eingestuft.
Unter Anwendung dieser Grundsätze muss auch das Verhalten der Beklagten als sittenwidrig angesehen werden. Die Täuschung durch die Beklagte diente – andere Motive sind weder von der Beklagten dargelegt noch sonst ersichtlich – dem Zweck, zur Kostensenkung (und möglicherweise zur Umgehung technischer Probleme) rechtlich und technisch einwandfreie, aber teurere Lösungen der Abgasreinigung zu vermeiden und mithilfe der scheinbar umweltfreundlichen Prüfstandwerte Wettbewerbsvorteile zu erzielen.
Schon dieses Gewinnstreben um den Preis der bewussten Täuschung und Benachteiligung von Kunden gibt dem Handeln der Beklagten das Gepräge der Sittenwidrigkeit und lässt das teilweise in den Medien verharmlosend als „Schummelei“ bezeichnete Vorgehen weder als „Kavaliersdelikt“ noch als „lässliche Sünde“ erscheinen. Hinzu tritt, dass die Beklagte durch die Manipulation der Motorsteuerungssoftware einen Teil des Motors beeinflusst hat, den ein technischer Laie keinesfalls und selbst ein Fachmann nur mit Mühe durchschaut, sodass die Entdeckung der Manipulation mehr oder weniger vom Zufall abhing und die Beklagte darauf hoffen konnte, niemals erwischt zu werden. Ein solches die Verbraucher täuschendes Verhalten, das – wie unten noch darzulegen sein wird – den Tatbestand des Betrugs erfüllt, ist auch bei Anwendung eines durchschnittlichen, nicht übermäßig strengen Maßstabs als sittenwidrig anzusehen und ebenso verwerflich wie in der Vergangenheit etwa die Beimischung von Glykol in Wein oder von Pferdefleisch in Lasagne. Das Verhalten der Beklagten wiegt umso schwerer, als es sich beim Kauf eines Pkw für viele Verbraucher um eine wirtschaftliche Entscheidung von erheblichem Gewicht mit oft deutlichen finanziellen Belastungen handelt, die durch das unredliche Verhalten der Beklagten nachteilig beeinflusst worden ist. Die Beklagte hat die Ahnungslosigkeit der Verbraucher bewusst zu ihrem eigenen Vorteil ausgenutzt.
Eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB scheidet – entgegen der etwa vom LG Köln (Urt. v. 07.10.2016 – 7 O 138/16) vertretenen Auffassung – nicht deshalb aus, weil die oben genannte Verordnung nicht dem Schutz individueller Vermögensinteressen, sondern gesamtgesellschaftlichen Zielen dient. Denn die Haftung aus § 826 BGB hängt nicht davon ab, auf welchem Weg und unter Verstoß gegen welche Normen der Schädiger gehandelt hat. Unerheblich ist auch, ob die betroffenen Fahrzeugkäufer bei Nichtanwendung des § 826 BGB nicht rechtlos gestellt würden, weil sie in aller Regel über Rechtsschutzmöglichkeiten im Verhältnis zum Verkäufer verfügen würden (so aber LG Köln, v. 07.10.2016 – 7 O 138/16). Denn das Bestehen von kaufrechtlichen Ansprüchen gegen den Verkäufer schließt deliktische Ansprüche gegen einen Dritten keinesfalls aus. Das bedeutet keine Ausweitung des Deliktsrechts, sondern lediglich dessen konsequente Anwendung. Kaufrechtliche Gewährleistungsansprüche werden zudem – wie auch im vorliegenden Fall – oft wegen Verjährung nicht mehr durchsetzbar sein.
II. Der Anspruch des Klägers folgt auch aus §§ 823 II, 31 BGB i. V. mit § 263 StGB.
§ 263 StGB ist Schutzgesetz i. S. des § 823 II BGB. Die Organe der Beklagten (im Folgenden: die Beklagte) haben den Tatbestand des Betrugs gegenüber dem Kläger – jedenfalls in mittelbarer Täterschaft unter Benutzung ihrer Tochterunternehmen und deren Händlern – vorsätzlich, rechtswidrig und schuldhaft verwirklicht.
Die Beklagte hat den Kläger über die Gesetzeskonformität des Fahrzeugs getäuscht. Schon das Inverkehrbringen des Fahrzeugs ohne Hinweis auf den Umstand, dass die Stickoxidwerte, die Grundlage der allgemeinen Betriebserlaubnis waren, mithilfe einer Abschaltvorrichtung erzielt worden waren, spiegelte dem Kläger vor, dass der Pkw in einem gesetzeskonformen Zustand die Betriebserlaubnis erhalten habe. Die Täuschung ist zudem durch die Angabe der Schadstoffwerte in der Prospektwerbung erfolgt, die für den Käufer nur den Schluss zuließ, dass es sich um ordnungsgemäß ermittelte und nicht etwa mithilfe einer manipulierten Motorsteuerungssoftware herbeigeführte Werte handelte. Hierbei handelt es sich kaufrechtlich um eine Beschaffenheitsangabe (§ 434 I 3 BGB), die im Zweifel als für den Kaufentschluss wesentliche Tatsache anzusehen ist.
Die Täuschung ist durch die Beklagte selbst erfolgt. Dies gilt trotz des Umstands, dass das Fahrzeug nicht von ihr, sondern von Škoda hergestellt worden ist. Denn der Motor des Fahrzeugs des Klägers ist von der Beklagten wenn nicht geliefert, so doch konstruiert worden. Sollte Škoda von den technischen Eigenschaften des Motors, insbesondere der Besonderheit der Motorsteuerung, keine Kenntnis gehabt haben, hätte die Beklagte, wie bereits ausgeführt, den Kläger in mittelbarer Täterschaft getäuscht. Andernfalls wäre ihr Mittäterschaft, jedenfalls aber Beihilfe anzulasten.
Die Täuschungshandlung ist, wie oben ausgeführt, der Beklagten auch zuzurechnen. Mangels substanziierter Darlegung der Beklagten zu den Zuständigkeiten, Verantwortlichkeiten und Entscheidungsprozessen in ihrem Unternehmen muss für die Entscheidung davon ausgegangen werden, dass die Organe der Beklagten von der Täuschungshandlung Kenntnis hatten.
Für die Entscheidung ist davon auszugehen, dass der Kläger sich aufgrund der falschen Beschaffenheitsangabe sowohl über die Gesetzeskonformität der Motorsteuerungssoftware als auch über die Richtigkeit der von dem Fahrzeug auf dem Prüfstand im NEFZ zu erzielenden Schadstoffwerte, insbesondere den Stickoxidwert, geirrt hat. Da es sich bei den Stickoxidwerten um eine Beschaffenheitsangabe handelt, die in Zeiten drohender Fahrverbote für Dieselfahrzeuge erhebliche Bedeutung gewonnen hat, greift zugunsten des Klägers eine Vermutung dahin ein, dass er die Schadstoffwerte zur Kenntnis genommen und seiner Kaufentscheidung zugrunde gelegt hat.
Der Irrtum des Klägers über die Richtigkeit der Schadstoffangaben und die Ordnungsmäßigkeit der Ermittlung der Prüfstandwerte ist durch die falschen Angaben der Beklagten verursacht.
Die Vermögensverfügung liegt in dem Abschluss des Kaufvertrags über ein nicht gesetzeskonformes Fahrzeug.
Die Vermögensverfügung ist durch den Irrtum des Klägers verursacht worden. Hätte der Kläger gewusst, dass die Angaben über den Schadstoffausstoß des Fahrzeugs und über die Einhaltung der gesetzlichen Vorgaben für die Messung falsch waren, hätte er den Wagen nicht gekauft.
Der Schaden des Klägers liegt in dem Abschluss des Kaufvertrags über ein Kraftfahrzeug, dessen Abgaswerte unter Verwendung einer manipulierten Motorsteuerungssoftware erzielt worden sind. Dieser Kaufvertrag ist dem Kläger ungünstig, weil davon auszugehen ist, dass er ihn bei Kenntnis der Sachlage nicht abgeschlossen hätte.
Der Vermögensnachteil in Form des nachteiligen Geschäfts ist unmittelbar durch dessen Abschluss eingetreten. Die Vermögensverfügung ist also für den Schaden kausal geworden.
Auch das ungeschriebene Tatbestandsmerkmal der Stoffgleichheit ist gegeben. Der aus dem Betrug erwachsene Vorteil ist unmittelbare Folge der täuschungsbedingten Verfügung, die den Schaden des Klägers herbeigeführt hat. Der Vorteil ist der Abschluss des für den Kläger nachteiligen Kaufvertrags und damit die Begründung des Kaufpreisanspruchs. Dieser Vorteil ist zwar nicht bei der Beklagten, sondern bei Škoda oder einem Händler eingetreten. Das steht aber der Stoffgleichheit nicht entgegen. Vielmehr handelt es sich um einen fremdnützigen Betrug, bei dem Täuschender und Vorteilsempfänger personenverschieden sind (Fischer, StGB, 61. Aufl., § 263 Rn. 187 f.).
Auch die erforderliche Bereicherungsabsicht liegt vor. Hierfür reicht es aus, dass es dem Täter darauf ankommt, einem Dritten einen Vermögensvorteil zu verschaffen. Der erstrebte Vorteil war auch rechtswidrig, weil hierauf kein Rechtsanspruch bestand.
Die Beklagte hat vorsätzlich gehandelt. Die ausgefeilte Manipulation der Abgaswerte lässt keinen anderen Schluss zu. Dabei erstreckte sich der Vorsatz auch auf das Bewusstsein der Rechtswidrigkeit des zugunsten Dritter angestrebten Vermögensvorteils.
Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich.
Die Beklagte hat schuldhaft gehandelt. Sie wusste um die Gesetzeslage; Schuldausschließungsgründe oder auch nur ein vermeidbarer Verbotsirrtum sind nicht ersichtlich.
III. Rechtsfolge der gegen die guten Sitten verstoßenden vorsätzlichen Schädigung und der unerlaubten Handlung in Form eines Betrugs ist ein Anspruch des Klägers auf Schadensersatz.
Der Kläger braucht sich insoweit nicht auf die Erstattung eines etwaigen Minderwerts des Fahrzeugs verweisen zu lassen. Dies käme nur in Betracht, wenn der Vermögensnachteil des Klägers durch Zahlung des Minderwerts vollständig ausgeglichen werden könnte. Das ist aber gerade nicht der Fall. Denn der Vermögensnachteil liegt nicht allein darin, dass der Kläger ein mit dem Makel des „Dieselskandals“ behaftetes und deshalb womöglich schlechter verkäufliches Auto erhalten hat. Vielmehr besteht der Vermögensnachteil auch darin, dass der abgeschlossene Kaufvertrag dem Kläger gerade deshalb ungünstig ist, weil die technischen Folgen der Softwaremanipulation und des dadurch erforderlich gewordenen Updates nicht abzuschätzen sind. Es besteht die konkrete Befürchtung, dass die vermehrte Rückführung von Abgas mit vermehrtem Stickoxid und Rußpartikeln in dem nach Durchführung des Updates ausschließlich wirksamen Modus 1 (früherer Prüfstandmodus) zu erhöhtem Wartungsaufwand (häufigerer Wechsel des Partikelfilters) oder sogar zu vorzeitigen Motorschäden führen kann.
Die Beklagte selbst trägt insoweit mit … Schriftsatz vom 27.12.2016 einen Artikel aus „FOCUS online“ vor, in dem es wörtlich heißt:
„Dennoch müssen VW-Besitzer weiter mit der Unsicherheit leben, ob bei umgerüsteten, also von der Schummel-Software ‚befreiten‘ Autos möglicherweise Folgeschäden nach dem Update zu befürchten sind. Wie der ‚Spiegel‘ berichtet, gehen Beamte der EU-Kommission von solchen Folgeschäden aus: Das Abgasrückführungsventil, der Speicherkatalysator oder auch der Partikelfilter könnten vorzeitig versagen, so der Verdacht.
Was für diese Theorie spricht: Die Schummel-Software kam unter anderem deshalb zum Einsatz, weil bei VW-internen Tests vor mehreren Jahren bei voller Abgasrückführung (entsprechend den gesetzlichen Vorgaben) schon nach 50.000 Meilen (rund 80.000 Kilometer) der Partikelfilter zerstört wurde. Darüber berichtet die Staatsanwaltschaft New York in einer Klageschrift gegen VW. Durch die Software-Trickserei (volle Abgasrückführung nur auf dem Prüfstand) wollte VW also offenbar die Dauerhaltbarkeit erhöhen und trotzdem die geforderten Grenzwerte einhalten. Das Problem: Nach dem Update, also nach Entfernung der Abschalteinrichtung, laufen die Dieselmotoren nun wieder mit voller Abgasrückführung. Partikelfilter und andere Komponenten werden aber nicht ausgetauscht …
Es bleibt also die Frage, ob die neue Software langfristig mit der unveränderten Hardware harmoniert. VW verweigert eine entsprechende Garantie – gibt aber immerhin eine allgemeine Zusicherung: ‚Das Software-Update zeigt keine nachteiligen Einflüsse auf den Verbrauch oder die Dauerhaltbarkeit des Motors und seiner Komponenten.‘ Die Beweislast dürfte im Falle des Falles wohl beim Autobesitzer liegen.“
Dementsprechend hat die Beklagte in der den Kunden auszuhändigenden Bescheinigung über die Durchführung der Rückrufaktion zwar zugesichert, dass mit der Umsetzung der Maßnahme hinsichtlich Kraftstoffverbrauch, CO2-Emissionen, Motorleistung und Drehmoment sowie Fahrzeugakustik keine Verschlechterungen verbunden sind, hinsichtlich des Ausbleibens von negativen Auswirkungen auf die Motorlebensdauer und den Wartungsbedarf aber keinerlei Erklärungen abgegeben.
Schon deshalb muss der Kläger sich nicht auf das Behalten des Fahrzeugs und eine bloße merkantile Wertminderung verweisen lassen. Sein Schadensersatzanspruch geht deshalb dahin, dass die Beklagte ihn so stellen muss, wie er ohne die Täuschung über die nicht gesetzeskonforme Motorsteuerungssoftware gestanden hätte. Insoweit ist ohne Weiteres davon auszugehen, dass der Kläger – wie jeder verständige, Risiken vermeidende Kunde – bei Kenntnis des Sachverhalts und der damit verbundenen Risiken für den Fortbestand der Betriebserlaubnis den Vertrag nicht geschlossen hätte. Die Beklagte muss danach die wirtschaftlichen Folgen des Kaufs dadurch ungeschehen machen, dass sie den Kaufpreis gegen Herausgabe des Pkw erstattet (vgl. für den Fall des Erwerbs einer nachteiligen Kapitalanlage BGH, Urt. v. 08.03.2005 – XI ZR 170/04, BGHZ 162, 306 = NJW 2005, 1579).
Dabei muss der Kläger sich nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen lassen. Diese sind entsprechend der Darlegung des Klägers gemäß § 287 ZPO mit 4.681,66 € zu schätzen. Dabei legt die Kammer eine Gesamtlaufleistung des gerichtsbekannt robusten Fahrzeugs von 300.000 km zugrunde. Für die gefahrenen 53.000 km ergibt sich damit der genannte Betrag.
Für höhere gezogene Nutzungen ist die Beklagte darlegungs- und beweisfällig geblieben. Nachdem der Kläger die maßgeblichen Daten vorgetragen und so seiner sekundären Darlegungslast (vgl. BGH, Urt. v. 11.2.2014 – II ZR 276/12) genügt hatte, wäre es Sache der Beklagten gewesen, für einen höheren Wert der Nutzungen Beweis anzutreten (vgl. BGH, Urt. v. 24.04.1985 – VIII ZR 95/84, BGHZ 94, 195 [217] = NJW 1985, 1539; Urt. v. 23.06.1992 – XI ZR 247/91, NJW-RR 1992, 1397; Urt. v. 17.10.2003 – V ZR 84/02, NJW-RR 2004, 79 [81]) …
V. Der Anspruch auf Erstattung der außergerichtlichen Anwaltskosten folgt aus § 826 BGB, 823 II BGB i. V. mit § 263 StGB. Die Anwaltskosten sind Teil des dem Kläger entstandenen Schadens.
Der Höhe nach kann der Kläger die Anwaltskosten aber nur nach einem zutreffenden Gegenstandswert von 21.818,33 € verlangen, weil der Vorteil vom Schadensersatzanspruch abzuziehen ist, ohne dass es einer Gestaltungserklärung oder Einrede des Schädigers bedarf (BGH, Urt. v. 23.06.2015 – XI ZR 536/14, NJW 2015, 3160 Rn. 23).
Die vorgerichtlichen Anwaltskosten berechnen sich danach wie folgt:
1,3 Geschäftsgebühr (§§ 13, 14 RVG; Nr. 2300 VV RVG) | 964,60 € | |
Telekommunikationspauschale (Nr. 7002 VV RVG) | + | 20,00 € |
Zwischensumme | 984,60 € | |
19 % Umsatzsteuer | + | 187,07 € |
Endsumme | 1.171,67 € |
…