Die Anforderungen an eine i. S. von § 377 I HGB ordnungsgemäße Untersuchung der Kaufsache (hier: eines Neuwagens) dürfen zwar nicht überspannt werden. Selbst von einem Kaufmann (hier: einer Handelsgesellschaft i. S. von § 13 III GmbHG i. V. mit § 6 I HGB), der nicht regelmäßig Fahrzeuge ankauft, kann aber erwartet werden, dass er ein gekauftes Fahrzeug unverzüglich oberflächlich auf optische Mängel untersucht und eine intensivere Untersuchung durchführt, sobald Anhaltspunkte für einen Mangel („Mangelverdacht“) gegeben sind.
LG Heilbronn, Urteil vom 30.11.2016 – II 3 O 309/14
Sachverhalt: Die Klägerin kaufte von der Beklagten mit Vertrag vom 27.03.2012 für 59.500 € ein Neufahrzeug. Dieses Fahrzeug – einen Ford Mustang Shelby GT 500 – holte der Geschäftsführer der Klägerin am 11.05.2012 selbst in Bremerhaven ab. Dabei unterschrieb er ein mit „Fahrzeugübergabe- und Abnahmebescheinigung“ überschriebenes Dokument.
Mit E-Mail vom 14.05.2015 wies die Klägerin die Beklagte auf eine Beschädigung der vorderen linken Felge hin.
Nachdem sich aus Sicht der Klägerin mehrere (weitere) Mängel an dem Fahrzeug gezeigt hatten, ließ die Klägerin am 14.07.2012 ein Gutachten durch den Sachverständigen H erstellen. Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.08.2012 wurde die Beklagte hinsichtlich der folgenden behaupteten Mängel zur Nacherfüllung aufgefordert: Nacherfüllung für folgende behauptete Mängel aufgefordert:
- Höhenschlag an allen vier Reifen,
- Standabflachungen im Bereich der Profillaufflächen,
- kerbenartige Einkerbung im Scheibenrad vorne links,
- Frontspoilerlippe linksseitig an der Unterkante kerbenartig eingedrückt/geschürft und plastisch verformt,
- Kühlgitterrahmen verkratzt,
- rechter vorder Kotflügel hinten zur Beifahrertür hin verkratzt und
- Vibrationen an der Kardanwelle.
Mit Schreiben vom 25.11.2013 erklärte die – anwaltlich vertretene – Klägerin sodann den Rücktritt dem mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag und forderte die Beklagte – erfolglos – auf, diesen bis zum 09.12.2013 rückabzuwickeln.
Mit ihrer Klage hat die Klägerin die Rückzahlung des Kaufpreises (59.500 €) abzüglich einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 1.666 € und zuzüglich Zinsen verlangt. Außerdem hat sie die Feststellung begehrt, dass die Klägerin mit der Rücknahme des Fahrzeugs in Annahmeverzug sei. Darüber hinaus hat die Klägerin die Beklagte auf Zahlung von 1.765,70 € nebst Zinsen und auf Freistellung von vorgerichtlich entstandenen Rechtsanwaltskosten (1.642,40 €) in Anspruch genommen.
Die Klägerin behauptet, ihr Geschäftsführer habe die „Fahrzeugübergabe- und Abnahmebescheinigung“ am 11.05.2012 unterzeichnen müssen, bevor er das streitgegenständliche Fahrzeug überhaupt gesehen habe. Bereits zwei Minuten nach der Übergabe des Pkw habe ihr Geschäftsführer wegen eines zu niedrigen Reifendrucks an einer Tankstelle anhalten müssen, wo er dann die Beschädigung der vorderen linken Feige bemerkt habe. Er habe daraufhin erfolglos versucht, die Beklagte zu erreichen, um diese Beschädigung anzuzeigen. Das aus ihrer Sicht nicht fabrikneue Fahrzeug – so hat die Klägerin geltend gemacht – habe schon bei der Übergabe mehrere Mängel aufgewiesen. Die Beschädigungen an den Reifen seien durch eine lange Standzeit von circa einem Jahr entstanden.
Die Beklagte hat geltend gemacht, die Klägerin habe die behaupteten Mängel nicht im Sinne von § 377 I, III HGB, § 121 I 1 BGB unverzüglich angezeigt. Angezeigt worden seien die Mängel vielmehr erst unter dem 27.08.2012. Jedenfalls seien mögliche Ansprüche der Klägerin verjährt. Die „Fahrzeugübergabe- und Abnahmebescheinigung“ – so hat die Beklagte behauptet – habe der Geschäftsführer der Klägerin erst nach einer Untersuchung des Fahrzeugs unterzeichnet. Jedenfalls habe die Klägerin bestätigt, dass das streitgegenständliche Fahrzeug bei der Übergabe optisch mangelfrei gewesen sei. Die behaupteten Kratzer am vorderen und hinteren Stoßfänger, auf der Motorhaube und am vorderen rechten Kotflügel seien im Zeitpunkt der Übergabe des Pkw nicht vorhanden gewesen. Es habe sich lediglich um leichte Kratzer gehandelt, die durch Polieren einfach hätten beseitigt werden können. Sie, die Beklagte, habe der Klägerin aus Kulanz unter dem 07.09.2012 und unter dem 26.11.2013 angeboten, die beschädigt Felge auszutauschen und die leichten Kratzer zu beseitigen.
Die (zulässige) Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: II. 1. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsausfallentschädigung gemäß § 437 Nr. 2 Fall 1, § 434 I, 323 I, 346 BGB.
a) Die Gewährleistungsansprüche der Klägerin sind jedenfalls gemäß § 377 II, III HGB ausgeschlossen.
aa) § 377 HGB ist auf den hier vorliegenden Kaufvertrag anwendbar. Der Kaufvertrag ist für beide Parteien ein Handelsgeschäft i. S. von § 343 HGB. Demnach sind alle Geschäfte eines Kaufmanns, die zum Betrieb des Handelsgewerbes gehören, Handelsgeschäfte. Die Klägerin ist eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung (GmbH), bei der es sich gemäß § 13 III GmbHG um eine Handelsgesellschaft im Sinne des Handelsgesetzbuchs handelt. Gemäß § 6 I HGB finden die in betreff der Kaufleute gegebenen Vorschriften auch auf die Handelsgesellschaften Anwendung. Bei der Klägerin handelt es sich um einen Formkaufmann. Die Beklagte betreibt unstreitig ein Handelsgewerbe, sodass es sich hier um ein beidseitiges Handelsgeschäft handelt.
bb) Die Klägerin ist ihrer Rügeobliegenheit nicht nachgekommen.
Gemäß § 377 I hat der Käufer die Ware unverzüglich nach der Ablieferung durch den Verkäufer, soweit dies nach dem ordnungsgemäßen Geschäftsgange tunlich ist, zu untersuchen und, wenn sich ein Mangel zeigt, dem Verkäufer unverzüglich Anzeige zu machen. Soweit es sich um einen Mangel handelt, der bei der Untersuchung erkennbar war („offener Mangel“) gilt gemäß § 377 II HGB im Falle der unterlassenen unverzüglichen Anzeige die Ware als genehmigt. Soweit es sich um einen Mangel handelt, der bei der Untersuchung nicht erkennbar war („verborgener Mangel“) muss die Anzeige gemäß § 377 III HGB unverzüglich nach Entdeckung nachgeholt werden, ansonsten gilt auch dieser Mangel als genehmigt.
Selbst wenn es sich bei der Klägerin nicht um ein Unternehmen handelt, das regelmäßig Ankäufe von Fahrzeugen durchführt, entbindet es sie nicht gänzlich von jeglicher Untersuchungspflicht. Zwar dürfen die Anforderungen nicht überspannt werden; allerdings kann jedenfalls eine oberflächliche Untersuchung im Hinblick auf optische Mängel und zum Zeitpunkt des Auftretens eines Mangelverdachts eine entsprechend intensivere Untersuchung erwartet werden.
(1) Das streitgegenständliche Fahrzeug wurde der Klägerin unstreitig am 11.05.2012 übergeben.
(2) Am selben Tag wurde vom Geschäftsführer der Klägerin im Rahmen der sogenannten „Fahrzeugübergabe- und Abnahmebescheinigung“ (Anlage K 2) mit der Unterschrift bestätigt, dass das Fahrzeug im einwandfreien Zustand übernommen wurde. Soweit die Klägerin behauptet, sie habe diese Erklärung unterschreiben müssen, ohne das Fahrzeug gesehen zu haben, wurde dies von der Beklagten bestritten. Die Klägerin ist hierfür jedenfalls beweisfällig geblieben.
(3) Auch im Hinblick auf ein behauptetes Telefonat am 13.05.2012 mit der Zeugin Z wurde ein solches – unabhängig von der Frage, ob diese zur Entgegennähme von Mängelanzeigen berechtigt war – von der Beklagten bestritten, sodass nach Verzicht auf die Zeugin die Klägerin hierfür beweisfällig geblieben ist.
(4) Ausweislich der vorgelegten E-Mail vom 14.05.2012 (Anlage B 5) zeigte die Klägerin zunächst lediglich einen – so wörtlich – „Schönheitsfehler“ in Form einer beschädigten Felge vorne links an.
(5) Mit anwaltlichem Schreiben vom 27.08.2012 (Anlage K 9) wurde die Beklagte zur Nacherfüllung für folgende Mängel aufgefordert: Höhenschlag an allen vier Reifen, Standabflachungen im Bereich der Profillaufflächen, kerbenartige Einkerbung im Scheibenrad vorne links, Frontspoilerlippe linksseitig an der Unterkante kerbenartig eingedrück/geschürft und plastisch verformt, Kühlgitterrahmen verkratzt, rechter Vorderkotflügel hinten zur Beifahrertür verkratzt, Vibrationen an der Kardanwelle.
Zumindest bei den letztgenannten Punkten handelt es sich um offene Mängel, für die die Mängelrüge mehr als drei Monate nach Übergabe jedenfalls nicht unverzüglich i. S. von § 377 I HGB erfolgte.
Allenfalls für den behaupteten Höhenschlag könnte man von verborgenen Mängel i. S. von § 377 III HGB ausgehen. Im Hinblick auf etwaige behauptete verborgene Mängel wären diese der Klägerin spätestens mit Eingang des Gutachtens des Sachverständigen bekannt gewesen. Hierbei ist allerdings zu beachten, dass der Geschäftsführer der Klägerin im Rahmen der Anhörung selbst ausführte, dass er nicht genau wisse, wann er die Mängel im Einzelnen bemerkt habe; einen Versuch, die Rügeobliegenheit zu erfüllen, führte der Geschäftsführer der Klägerin jedenfalls nicht aus. Wie der Sachverständige im Rahmen seiner Versicherung an Eides statt vom 05.10.2016 mitteilte, wurde das Gutachten per E-Mail am 15.08.2012 übermittelt, mithin zwölf Tage vor der Mangelanzeige im Schreiben vom 27.08.2012. Bereits hier stellt sich die Frage, ob dies eine Mangelanzeige ohne schuldhaftes Zögern darstellt.
Entscheidend dürfte allerdings sein, dass ausweislich des Gutachtens des Sachverständigen (Anlage K 4) ein Besichtigungstermin unter Anwesenheit des Geschäftsführers der Klägerin am 13.07.2012 stattgefunden hat. Bereits zu diesem Zeitpunkt lag ausweislich der Ausführungen des Sachverständigen in seinem Gutachten ein Prüfbericht eines Fachbetriebs zu dem Höhenschlag vor. Ausweislich des Klagevortrags erfolgte eine entsprechende Untersuchung … bereits am 23.05.2012. Somit hätte spätestens zu diesem Zeitpunkt eine Mängelanzeige erfolgen müssen. Die Mangelanzeige über zwei Monate nach Kenntnis ist jedenfalls nicht unverzüglich i. S. von § 377 III HGB.
cc) Von einem arglistigen Verschweigen i. S. von § 377 V HGB kann nicht ausgegangen werden.
Ausreichend für die Annahme der Arglist ist nicht, dass der Verkäufer einen etwaigen Mangel lediglich kennt; vielmehr muss noch eine vorsätzliche Täuschungshandlung oder ein vorsätzlicher Verstoß des Verkäufers gegen eine Aufklärungspflicht aus Treu und Glauben oder aus dem Handelsbrauch vorliegen.
Für eine positive Kenntnis der Beklagten von einem behaupteten Mangel, auf den der begehrte Rücktritt gestützt wird, fehlt es an hinreichenden Anhaltspunkten, dies insbesondere unter Beachtung des eingeholten TUV-Gutachtens vor Ablieferung der Sache. Weiter ist zu beachten, dass gerade die Mängel, auf die sich das Rücktrittsbegehren der Klägerin zulässigerweise stützt, auch nicht in dem Aufnahmeprotokoll (Anlage B 1) enthalten sind, sodass noch nicht einmal nachgewiesen ist, dass der Beklagten entsprechende Mängel bekannt waren.
Ein Ausschluss des Berufens auf § 377 HGB kann nur angenommen werden, wenn gerade die behaupteten Mängel arglistig verschwiegen wurden. Dies konnte nicht nachgewiesen werden.
dd) Somit könnte zum relevanten Zeitpunkt der Rücktrittserklärung am 25.11.2013 allenfalls die defekte Feige einen den Rücktritt stützenden Mangel darstellen, nachdem nur dieser Mangel unverzüglich angezeigt wurde. Ausweislich des anwaltlichen Schreibens des jetzigen Prozessbevollmächtigen der Beklagten vom 07.09.2012 (Anlage B 3) wurde diesbezüglich eine Nachbesserung angeboten, sodass es zumindest hierfür an der erförderlichen erfolglosen Fristsetzung fehlt. Weiterhin ist diesbezüglich von einer unerheblichen Pflichtverletzung i. S. von § 323 V 2 BGB auszugehen.
b) Nachdem die Klägerin ihrer Rügeobliegenheit nicht nachgekommen ist, kommt es nicht darauf an, ob die in der Klageschrift behaupteten Mängel zum Zeitpunkt der Übergabe auch wirklich vorlagen, insbesondere auch im Hinblick auf Ausführungen zur Eigenschaft der Fabrikneuheit.
c) Ebenso kommt es nicht auf die Frage der Wirksamkeit des Gewährleistungsausschlusses an. Auch die Frage der Verjährung muss somit nicht weiter vertieft werden.
2. Mangels Bestehens eines Rückabwicklungsanspruchs kann die Klägerin von der Beklagten auch nicht die begehrten Zahlung in Höhe von 1.765,70 € verlangen.
3. Nachdem kein Anspruch auf Rücknahme des Fahrzeugs besteht, befindet sich die Beklagte auch mit der Annahme nicht in Verzug, sodass auch kein Anspruch auf die begehrte Feststellung besteht.
III. Mangels Hauptsacheanspruchs besteht auch kein Anspruch auf Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten oder auf Zinsen. …