Dem Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs kann zugemutet werden, dem Verkäufer für die Beseitigung des dem Fahrzeug (möglicherweise) anhaftenden Mangels eine Frist von mindestens 14 Monaten zu setzen. Denn der (mögliche) Mangel des Fahrzeugs besteht allein darin, dass sein Stickoxidausstoß softwaregesteuert reduziert wird, sobald das Fahrzeug unter Laborbedingungen einen Emissionstest absolviert. Im regulären Fahrbetrieb sind hingegen keine Einschränkungen festzustellen, und auch von außen ist dem Fahrzeug kein Mangel anzumerken.
(nachfolgend: OLG München, Beschluss vom 23.03.2017 – 3 U 4316/16)
Sachverhalt: Der Kläger erwarb von der Beklagten, einer VW-Vertragshändlerin, am 20.04.2015 einen gebrauchten VW Golf 1.6 TDI mit BlueMotion-Technologie zum Preis von 15.900 €. Das Fahrzeug wies damals eine Laufleistung von 31.000 km auf und ist vom hinlänglich bekannten „VW-Skandal“ betroffen.
Weil der Kläger darin einen Mangel sieht, forderte er die Beklagte mit Schreiben vom 09.10.2015 zur Nachbesserung auf und setzte ihr hierfür eine Frist bis zum 23.11.2015. Nachdem innerhalb dieser Frist der nach Auffassung des Klägers vorliegende Mangel nicht beseitigt worden war, erklärte der Kläger unter dem 11.12.2015 den Rücktritt vom Kaufvertrag.
Er meint, dem erworbenen Fahrzeug fehle eine i. S. des § 434 I 1 BGB vereinbarte Beschaffenheit, weil die tatsächlichen Schadstoffemissionen höher seien als von der Fahrzeugherstellerin angegeben.
Die im Wesentlichen auf Rückzahlung des um eine Nutzungsentschädigung verminderten Kaufpreises gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Der Kläger hat gegenüber der Beklagten keinen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gemäß §§ 433 I 2, 434 I 2 Nr. 2, 437 Nr. 2 Fall 1, 323 I BGB, weil es jedenfalls an der Setzung einer angemessenen Frist zur Nacherfüllung fehlt.
Es kann dahinstehen, ob überhaupt ein Sachmangel vorliegt, ob dieser erheblich ist und ob die Beklagte insoweit ein zurechenbares Verschulden trifft. Vom Beistand der Beklagten wurde in der mündlichen Verhandlung vom 29.08.2016 unbestritten vorgetragen, dass die manipulierte Software lediglich den Stickoxidausstoß unter Laborbedingungen betrifft und dazu führt, dass bei diesem Labortest die vorgeschriebenen Werte erreicht werden, obwohl dies tatsächlich nicht der Fall ist. Für den tatsächlichen Fahrzeuggebrauch hat dies überhaupt keine Auswirkungen, insbesondere nicht auf die CO2-Emissionswerte, mit denen der VW-Konzern seine Fahrzeuge regelmäßig bewirbt.
Wenn der Kläger in der mündlichen Verhandlung ausgeführt hat, ihm wäre es vor allem auf das Vorliegen der „BlueMotion Technology“ angekommen, also auf einen niedrigeren Kraftstoffverbrauch, eine höhere Effizienzklasse und weniger CO2-Emissionen, muss dem entgegengehalten werden, dass sein Fahrzeug all diese Eigenschaften tatsächlich aufweist und diese Dinge nicht vom sogenannten VW-Skandal betroffen sind.
Dies alles wurde in der mündlichen Verhandlung vom 29.08.2016 von den Parteien unbestritten vorgetragen. Nachdem in der mündlichen Verhandlung vom 29.08.2016 der Abschluss eines Vergleichs sehr wahrscheinlich erschien, hat das Gericht davon abgesehen, diese Ausführungen beider Parteien zu protokollieren.
Letztlich kommt es auf diese Gesichtspunkte überhaupt nicht an, und zwar aus folgendem Grund:
Es fehlt an der Setzung einer angemessenen Frist zur Nacherfüllung. Der Kläger hat … durch Schriftsatz vom 09.10.2015 eine Frist zur Mängelbeseitigung bis 23.11.2015 gesetzt. Diese Frist war eindeutig zu kurz. Entgegen der Auffassung der Beklagten wurde dadurch nicht etwa gar keine Frist in Lauf gesetzt, sondern es begann wie üblich eine angemessene Frist zu laufen.
Bei der Frage der Angemessenheit der Frist zur Nachbesserung bzw. Nacherfüllung ist insbesondere auf Art und Umfang des vorliegenden Sachmangels abzustellen. Im vorliegenden Fall ist zu berücksichtigen, dass der Kläger mit seinem Auto faktisch keinerlei Einschränkungen oder sonstigen Unannehmlichkeiten unterworfen ist. Im Fahrbetrieb sind keine Einschränkungen oder Mängel feststellbar, auch von außen ist dem Gegenstand kein Sachmangel anzusehen oder anzumerken. Der (mögliche) Sachmangel liegt allein darin, dass durch das Softwareprogramm der Stickoxidausstoß bei der Durchführung eines Testprogramms unter Laborbedingungen beeinflusst wird. Unstreitig wurden die ursprünglich vom Hersteller angegebenen CO2-Emissionen in Prüfungen durch einen technischen Dienst bestätigt. Weiter muss gesehen werden, dass eine extrem große Anzahl von VW-Fahrzeugen nachgebessert werden muss, dass in jedem Einzelfall eine vorherige Abstimmung mit dem Kraftfahrt-Bundesamt erfolgen muss und dass nach dem unbestrittenen Sachvortrag der Beklagtenvertreter eine Nachbesserung derzeit zwar technisch möglich und durchführbar wäre, es aber für einige Fahrzeuge, zu denen auch das Auto des Klägers gehört, derzeit noch an der erforderlichen Freigabe des Softwareupdates fehlt. Auf der anderen Seite kann der Kläger fest damit rechnen und darauf vertrauen, dass in den nächsten Monaten die kostenlose Nachbesserung an seinem Fahrzeug durchgeführt und der Sachmangel damit beseitigt werden wird.
Ein weiteres Zuwarten mit der Mängelbeseitigung ist dem Kläger nach Auffassung des Gerichtes zumindest bis zum Ende des Jahres 2016 zumutbar, da es für ihn mit keinerlei Nachteilen, Unannehmlichkeiten oder Gebrauchseinschränkungen verbunden ist und der Kläger insbesondere an den von ihm hervorgehobenen Vorteilen der „BlueMotion Technology“ keine Abstriche hinnehmen muss. Selbst wenn die Beklagte wollte, könnte sie derzeit die Nachbesserung beim klägerischen Pkw nicht durchführen. Dies muss … zugunsten der Beklagten berücksichtigt werden.
Bei Abwägung aller Gesichtspunkte und unter Berücksichtigung der berechtigten Interessen des Klägers ist diesem ein weiteres Zuwarten mit der Mängelbeseitigung zumindest bis Ende des Kalenderjahres 2016 zumutbar. Diese Frist zur Nachbesserung ist vorliegend noch nicht abgelaufen.
Deshalb war die Klage insgesamt als unbegründet abzuweisen. …
Hinweis: In seinem Beschluss vom 23.03.2017 – 3 U 4316/16 – hat das OLG München als Berufungsgericht ausgeführt, es sei abweichend vom Landgericht der Auffassung, dass die Frist zur Nacherfüllung, die ein Pkw-Käufer dem Verkäufer nach § 323 I BGB grundsätzlich setzen müsse, nicht länger als ein Jahr sein könne.