1. Ein vom VW Ab­gas­skan­dal be­trof­fe­ner Neu­wa­gen ist i. S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB man­gel­haft. Denn ein durch­schnitt­li­cher Neu­wa­gen­käu­fer darf da­von aus­ge­hen, dass das Fahr­zeug die ge­setz­lich vor­ge­ge­be­nen Emis­si­ons­grenz­wer­te nicht nur des­halb (schein­bar) ein­hält, weil ins­be­son­de­re der Aus­stoß von Stick­oxi­den in ge­setz­lich un­zu­läs­si­ger Wei­se re­du­ziert wird, so­bald ei­ne Soft­ware er­kennt, dass sich das Fahr­zeug auf ei­nem Emis­si­ons­prüf­stand be­fin­det.
  2. Der dem Fahr­zeug an­haf­ten­de Man­gel ist schon des­halb nicht i. S. des § 323 V 2 BGB ge­ring­fü­gig, weil er erst be­ho­ben wer­den kann, nach­dem das Kraft­fahrt-Bun­des­amt die er­for­der­li­che Frei­ga­be er­teilt hat. Dar­über hin­aus ist nicht aus­zu­schlie­ßen, dass sich die Be­richt­er­stat­tung über den VW-Ab­gas­skan­dal ne­ga­tiv auf den Wie­der­ver­kaufs­wert der be­trof­fe­nen Fahr­zeu­ge aus­wirkt.

LG Dort­mund, Ur­teil vom 29.09.2016 – 25 O 49/16

Sach­ver­halt: Der Klä­ger er­warb von der be­klag­ten Kfz-Händ­le­rin, die un­ter an­de­rem Fahr­zeu­ge der Mar­ke Ško­da ver­treibt, mit Ver­trag vom 29.11.2013 ei­nen Neu­wa­gen (Ško­da Ye­ti) zum Preis von 25.894,72 €. Auf den Kauf­preis zahl­te der Klä­ger 10.000 € an und schloss zur Fi­nan­zie­rung des rest­li­chen Kauf­prei­ses ei­nen Dar­le­hens­ver­trag mit der Ško­da-Bank. Bis De­zem­ber 2015 zahl­te der Klä­ger 25 Ra­ten in Hö­he von je­wels 119 €, mit­hin 2.975 €.

Das Fahr­zeug des Klä­gers ist vom VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fen. Es ist mit ei­nem 2-Li­ter-Die­sel­mo­tor (EA189) aus­ge­stat­tet, und in dem Fahr­zeug kommt ei­ne „Schum­mel­soft­ware“ zum Ein­satz, die den Stick­oxid­aus­stoß in ge­setz­lich un­zu­läs­si­ger Wei­se op­ti­miert, so­bald sich das Fahr­zeug auf ei­nem Prüf­stand be­fin­det. Um die­se Ma­ni­pu­la­ti­on zu be­he­ben, ist ein Soft­ware­up­date aus­rei­chend, das mit ei­nem Zeit­auf­wand von cir­ca ei­ner hal­ben Stun­de und ei­nem Kos­ten­auf­wand von un­ter 100 € ver­bun­den ist. Nach dem Soft­ware­up­date wer­den – wie das Kraft­fahrt-Bun­des­amt am 27.01.2016 erst­mals fest­stell­te – die ein­schlä­gi­gen Emis­si­ons­grenz­wer­te ein­ge­hal­ten.

Am 15.10.2015 gab der Bun­des­ver­kehrs­mi­nis­ter öf­fent­lich be­kannt, dass das Kraft­fahrt-Bun­des­amt ei­nen be­hörd­lich an­ge­ord­ne­ten Rück­ruf al­ler be­trof­fe­nen und in Deutsch­land zu­ge­las­se­nen Au­tos ver­fügt und der Volks­wa­gen AG zu­ge­stellt ha­be.

Mit Schrei­ben vom 11.10.2015 for­der­te der Klä­ger die Be­klag­te zur Nach­bes­se­rung auf. Dar­auf­hin teil­te die Be­klag­te mit, dass der Her­stel­ler mit Hoch­druck an ei­ner tech­ni­schen Lö­sung ar­bei­te, und wies dar­auf hin, dass al­le be­trof­fe­nen Fahr­zeu­ge tech­nisch si­cher und be­triebs­be­reit sei­en.

Am 03.11.2015 for­der­te der Klä­ger die Be­klag­te mit An­walts­schrei­ben auf, den sei­nem Fahr­zeug an­haf­ten­den Man­gel bis zum 17.11.2015 zu be­sei­ti­gen. Auf die­se Auf­for­de­rung re­agier­te die Be­klag­te mit An­walts­schrei­ben vom 06.11.2015 und teil­te mit, dass die Volks­wa­gen AG bis­lang die tech­ni­sche Um­set­zung für ei­ne Re­pa­ra­tur nicht ha­be rea­li­sie­ren kön­nen.

Dar­auf­hin er­klär­te der Klä­ger mit Schrei­ben vom 29.12.2015 den Rück­tritt vom Kauf­ver­trag und for­der­te die Be­klag­te auf, die­sen Ver­trag bis zum En­de des Jah­res rück­ab­zu­wi­ckeln bzw. ei­ner Rück­ab­wick­lung zu­zu­stim­men.

Der Be­ginn der mit dem Kraft­fahrt-Bun­des­amt ab­ge­stimm­ten Rück­ruf­ak­ti­on des Fahr­zeug­her­stel­lers wur­de für die 9. Ka­len­der­wo­che 2016 be­stimmt. Bis zum jet­zi­gen Zeit­punkt er­folg­te kein Rück­ruf des Fahr­zeugs des Klä­gers.

Der Klä­ger meint, dass sein Fahr­zeug we­gen der „Schum­mel­soft­ware“ man­gel­haft sei. Die­ser Man­gel sei auch nicht un­er­heb­lich, denn zu den er­for­der­li­chen Kos­ten für die Man­gel­be­sei­ti­gung ge­hör­ten un­ter an­de­rem die Kos­ten für die Ent­wick­lung des Soft­ware­up­dates, so­dass die Man­gel­be­sei­ti­gung tat­säch­lich ei­nen Kos­ten­auf­wand von mehr als 100 € er­for­de­re. Das Fahr­zeug sei – so be­haup­tet der Klä­ger – auch er­heb­lich im Wert ge­min­dert, da ein Wei­ter­ver­kauf er­heb­lich er­schwert sei. Ein ge­werb­li­cher Ge­braucht­wa­gen­händ­ler wür­de das Fahr­zeug nicht an­kau­fen, weil es nicht mög­lich sei, die Ge­währ­leis­tung aus­zu­schlie­ßen, und ein pri­va­ter Käu­fer wür­de sich nicht fin­den, weil Fol­ge­schä­den nicht aus­ge­schlos­sen wer­den könn­ten.

Die im We­sent­li­chen auf Zah­lung von 12.975 € nebst Zin­sen ge­rich­te­te Kla­ge hat­te zum Teil Er­folg.

Aus den Grün­den: Der Klä­ger hat ge­gen die Be­klag­te ei­nen An­spruch auf Rück­zah­lung des ge­zahl­ten Kauf­prei­ses ab­züg­lich ei­nes Nut­zungs­er­satz­an­spruchs in Hö­he von ins­ge­samt 7.064,58 € Zug um Zug ge­gen Rück­ga­be des Fahr­zeugs … ge­mäß §§ 433, 434, 437 Nr. 2, 323, 346, 348 BGB.

1. Die Par­tei­en schlos­sen ei­nen Kauf­ver­trag ge­mäß § 433 BGB über das streit­ge­gen­ständ­li­che Fahr­zeug.

2. Das Fahr­zeug war bei Über­ga­be man­gel­haft i.S. des § 434 I 2 Nr. 2 BGB.

Zwar eig­net sich das Fahr­zeug trotz der ein­ge­bau­ten „Schum­mel­soft­ware“ und der so ma­ni­pu­lier­ten Ab­gas­wer­te für die ge­wöhn­li­che Ver­wen­dung, näm­lich das Füh­ren des Fahr­zeugs im Stra­ßen­ver­kehr. Al­ler­dings weist das Fahr­zeug an­ge­sichts der Ma­ni­pu­la­ti­on nicht die Be­schaf­fen­heit auf, die bei Sa­chen glei­cher Art üb­lich ist und die der Käu­fer nach der Art der Sa­che er­war­ten darf. Ein durch­schnitt­li­cher Käu­fer ei­nes Neu­fahr­zeugs kann da­von aus­ge­hen, dass die ge­setz­lich vor­ge­ge­be­nen und im tech­ni­schen Da­ten­blatt auf­ge­nom­me­nen Ab­gas­wer­te nicht al­lein des­halb ein­ge­hal­ten und ent­spre­chend be­schei­nigt wer­den, weil ei­ne Soft­ware in­stal­liert wor­den ist, die ver­an­lasst, dass der Prüf­stands­lauf er­kannt und über ei­ne Pro­gram­mie­rung der Mo­tor­steue­rung in ge­setz­lich un­zu­läs­si­ger Wei­se ver­än­dert und hier­bei ins­be­son­de­re der Stick­oxid­aus­stoß re­du­ziert wird. Die Man­gel­haf­tig­keit re­sul­tiert dar­aus, dass der Mo­tor die Vor­ga­ben im Prüf­stands­lauf nur auf­grund der ma­ni­pu­lier­ten Soft­ware ein­hält, und nicht et­wa dar­aus, dass die un­ter La­bor­be­din­gun­gen ge­mes­se­nen Wer­te im all­täg­li­chen Stra­ßen­ver­kehr nicht ein­ge­hal­ten wer­den (so auch OLG Hamm, Beschl. v. 21.06.2016 – 28 W 14/16; LG Müns­ter, Urt. v. 14.03.2016 – 11 O 341/15).

3. Mit Schrei­ben vom 29.12.2016 hat der Klä­ger ge­gen­über der Be­klag­ten den Rück­tritt vom Kauf­ver­trag er­klärt (§ 349 BGB).

4. Dem Rück­tritt des Klä­gers steht nicht ent­ge­gen, dass er der Be­klag­ten ei­ne zu kur­ze Frist zur Nach­er­fül­lung ge­mäß § 323 I BGB ge­setzt hat. Die Nach­er­fül­lung ist vor­lie­gend nach Wür­di­gung al­ler Um­stän­de des Ein­zel­falls für den Klä­ger nicht zu­mut­bar. Ab­zu­stel­len ist da­bei al­lein auf die ob­jek­ti­ven Um­stän­de im Zeit­punkt des Rück­tritts.

Der Klä­ger setz­te der Be­klag­ten so­wohl mit Schrei­ben aus Ok­to­ber 2015 als auch mit Schrei­ben sei­nes Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ten aus No­vem­ber 2015 ei­ne Frist zur Nach­er­fül­lung. Dem Klä­ger war so­dann im Zeit­punkt des Rück­tritts im De­zem­ber 2015 das Ab­war­ten ei­ner län­ge­ren Nach­er­fül­lungs­frist schon des­halb nicht mehr zu­mut­bar, weil er be­fürch­ten muss­te, dass die ge­plan­te Man­gel­be­sei­ti­gung durch den Her­stel­ler nicht er­folg­reich sein oder zu Fol­ge­män­geln füh­ren könn­te.

Be­reits am 06.11.2015 kün­dig­te der Her­stel­ler an, dass an ei­ner Lö­sung ge­ar­bei­tet wür­de, ei­ne sol­che aber noch nicht vor­lie­ge. Ei­nen Mo­nat spä­ter, al­so zum Zeit­punkt des Rück­tritts, war ei­ne Lö­sung für das streit­ge­gen­ständ­li­che Fahr­zeug nicht ge­fun­den. Zum Zeit­punkt des klä­ge­ri­schen Rück­tritts­ver­lan­gens am 29.12.2015 lag noch kei­ne Zu­stim­mung des Kraft­fahrt-Bun­des­am­tes zu ei­ner Man­gel­be­sei­ti­gungs­me­tho­de vor, und es stand auch noch nicht fest, dass die Grenz­wer­te des Ab­gas­aus­sto­ßes trotz so­ge­nann­ter Schum­mel­soft­ware ein­ge­hal­ten wer­den. Im Ge­gen­teil wur­den Be­fürch­tun­gen, dass die Ent­fer­nung der Ma­ni­pu­la­ti­ons­soft­ware ne­ga­ti­ve Aus­wir­kun­gen auf die Emis­si­ons­wer­te, den Kraft­stoff­ver­brauch und die Mo­tor­leis­tung ha­ben wür­den, von Fach­leu­ten mehr­fach ge­äu­ßert. Mit­hin be­stand ein be­grün­de­ter Man­gel­ver­dacht, wel­cher aus­reicht, um das wei­te­re Ab­war­ten ei­ner Nach­er­fül­lung für den Klä­ger un­zu­mut­bar zu ma­chen (so auch LG Kre­feld, Urt. v.14.09.2016 – 2 O 72/16, a. A. LG Fran­ken­thal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15).

Auch zeit­lich war es dem Klä­ger nicht zu­zu­mu­ten, auf ei­ne Nach­er­fül­lung zu war­ten. Nach ob­jek­ti­ver Be­trach­tungs­wei­se ist zwar zu be­rück­sich­ti­gen, dass die Ent­wick­lung ei­nes Soft­ware­up­dates zur Man­gel­be­sei­ti­gung bei ei­ner Viel­zahl von be­trof­fe­nen Fahr­zeu­gen ei­ne län­ge­re Zeit in An­spruch nimmt. An­de­rer­seits konn­te die Be­klag­te zum Zeit­punkt des Rück­tritts im De­zem­ber 2015 ei­ne Nach­bes­se­rung noch nicht durch­füh­ren, da je­den­falls die er­for­der­li­che Soft­ware durch das Kraft­fahrt-Bun­des­amt noch nicht frei­ge­ge­ben war.

5. Der Rück­tritt ist auch nicht nach § 323 V 2 BGB aus­ge­schlos­sen. Der Man­gel ist un­ter Wür­di­gung al­ler Um­stän­de nicht un­er­heb­lich.

Ei­ne Er­heb­lich­keits­prü­fung nach § 323 V 2 BGB er­for­dert ei­ne um­fas­sen­de In­ter­es­sen­ab­wä­gung. Zu be­rück­sich­ti­gen ist im Rah­men der Ab­wä­gung ne­ben dem für die Man­gel­be­sei­ti­gung er­for­der­li­chen Auf­wand und den hier­für an­fal­len­den Kos­ten auch der Auf­wand, der zur Durch­füh­rung der Man­gel­be­sei­ti­gung auf­ge­bracht wer­den muss. Vor­lie­gend ist für die tech­ni­sche Vor­be­rei­tung der durch­zu­füh­ren­den Man­gel­be­sei­ti­gung ei­ne nicht un­er­heb­li­che Vor­lauf­zeit er­for­der­lich. Zu be­rück­sich­ti­gen ist fer­ner, dass die Be­klag­te ei­ne Man­gel­be­sei­ti­gung nicht oh­ne Zu­stim­mung des Kraft­fahrt-Bun­des­amts vor­neh­men durf­te. Ei­ne Man­gel­be­sei­ti­gung, die ei­ner be­hörd­li­chen Prü­fung und der Ge­neh­mi­gung be­darf, ist schon nicht un­er­heb­lich. Zum Zeit­punkt des Rück­tritts im De­zem­ber 2015 war es der Be­klag­ten auch nicht mög­lich, dem Klä­ger zu ver­si­chern, dass die vom Her­stel­ler ent­wi­ckel­ten tech­ni­schen Maß­nah­men er­folg­reich sein wür­den und die Man­gel­be­sei­ti­gung in der ent­wi­ckel­ten Form vom Kraft­fahrt-Bun­des­amt ge­neh­migt wer­den wür­de. Dar­über hin­aus ist zum jet­zi­gen Zeit­punkt nicht aus­zu­schlie­ßen, dass sich die Pres­se­be­richt­er­stat­tung zum VW-Ab­gas­skan­dal ne­ga­tiv auf den Wie­der­ver­kaufs­wert der be­trof­fe­nen Fahr­zeu­ge aus­wir­ken wird. Das des­halb be­ste­hen­de Ri­si­ko ei­nes blei­ben­den mer­kan­ti­len Min­der­werts führt eben­falls da­zu, dass der Man­gel nicht als un­er­heb­lich an­ge­se­hen wer­den kann.

II. Auf­grund des wirk­sa­men Rück­tritts sind ge­mäß § 346 I BGB die emp­fan­ge­nen Leis­tun­gen zu­rück­zu­ge­wäh­ren. Die Be­klag­te hat den Kauf­preis zu er­stat­ten und er­hält ne­ben dem Fahr­zeug auch die durch die Fahr­leis­tung ein­ge­tre­te­ne Wert­min­de­rung er­setzt (§ 346 I, II Nr. 1 BGB). Auf den zu er­stat­ten­den Kauf­preis in Hö­he von 12.975 € muss sich der Klä­ger des­halb ei­ne Nut­zungs­ent­schä­di­gung an­rech­nen las­sen. Das Fahr­zeug weist ei­ne Lauf­zeit von 57.062 km auf. Das Ge­richt schätzt die Ge­samt­lauf­leis­tung des streit­ge­gen­ständ­li­chen Fahr­zeugs auf 250.000 km. Der Klä­ger muss für den Ge­brauchs­vor­teil Nut­zungs­er­satz in Hö­he von 5.910,42 € leis­ten …

III. Der Zins­an­spruch folgt aus §§ 286, 288 I BGB.

IV. Die Be­klag­te be­fin­det sich auch ge­mäß §§ 293 ff. BGB im An­nah­me­ver­zug. Nach § 295 Satz 1 Halb­satz 2 BGB ist ein wört­li­ches An­ge­bot des Klä­gers aus­rei­chend, den Ver­zug der Be­klag­ten zu be­grün­den. Mit Schrei­ben vom 29.12.2015 for­der­te der Klä­ger die Be­klag­te un­ter Frist­set­zung auf, den Ver­trag rück­ab­zu­wi­ckeln bzw. der Rück­ab­wick­lung zu­zu­stim­men …

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