- Ein vom VW-Abgasskandal betroffenes Fahrzeug, dessen Schadstoffausstoß softwaregesteuert (nur) reduziert wird, sobald das Fahrzeug einen Emissionstest absolviert, ist mangelhaft. Das ergibt sich schon daraus, dass das Fahrzeug zwingend einem Softwareupdate unterzogen werden muss, um entsprechenden Auflagen des Kraftfahrt-Bundesamtes zu genügen und nicht den Verlust der Betriebserlaubnis zu riskieren. Denn wenn der Käufer eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs das Softwareupdate installieren lassen muss, um die Zulassung des Fahrzeugs zum Verkehr auf öffentlichen Straßen zu erhalten, dann kann aus dem Fehlen des Updates auf die Mangelhaftigkeit des Fahrzeugs geschlossen werden.
- Die Pflichtverletzung des Verkäufers, die in der Lieferung eines vom VW-Abgasskandal betroffenen Fahrzeugs liegt, ist unerheblich, sodass ein Rücktritt des Käufers gemäß § 323 V 2 BGB ausgeschlossen ist. Denn der Mangel, an dem ein vom VW-Abgasskandal betroffenes Fahrzeug leidet, lässt sich mit einem Kostenaufwand von nur etwa 100 € beseitigen, und ein behebbarer Mangel ist in der Regel geringfügig, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind. Das ist ohne Zweifel der Fall, wenn der Mangelbeseitigungsaufwand bei nur circa 0,4 % des Kaufpreises liegt.
- Mit Blick darauf, dass ein vom VW-Abgasskandal betroffenes Fahrzeug voll funktionstüchtig und verkehrssicher ist, kann dem Käufer eines solchen Fahrzeugs zugemutet werden, die Instandsetzung des Fahrzeugs im Rahmen einer mit dem Kraftfahrt-Bundesamt koordinierten Rückrufaktion der Volkswagen AG abzuwarten. Zwar verärgert den Käufer zu Recht, dass er bis dahin durch die Nutzung seines Fahrzeugs der Umwelt einen größeren Schaden zufügt als beim Kauf des Fahrzeugs erwartet. Ursächlich dafür ist aber nicht eine schuldhafte Pflichtverletzung des Verkäufers, sondern ausschließlich das Verhalten der Volkswagen AG als Fahrzeugherstellerin.
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 13.09.2016 – 4 O 1525/16
Sachverhalt: Der Kläger verlangt im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal die Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrages.
Der Kläger kaufte mit Vertrag vom 04.09.2015 von der beklagten Vertragshändlerin einen Pkw zum Preis von 24.500,01 €. Das Fahrzeug ist mit einem 2,0-Liter-TDI-Motor vom Typ EA189 ausgestattet und deshalb vom VW-Abgasskandal betroffen: Der Stickoxid(NOX)-Ausstoß des Fahrzeugs wird softwaregesteuert reduziert, sobald es sich zur Ermittlung seiner Schadstoffemissionen auf einem Prüfstand befindet, während im realen Fahrbetrieb eine Verringerung der Schadstoffemissionen unterbleibt. Das Fahrzeug des Klägers ist gleichwohl technisch sicher und fahrbereit.
Der Kläger hält sein Fahrzeug für mangelhaft, weil es mit einer den Schadstoffausstoß manipulierenden Software ausgestattet ist. Er forderte die Beklagte mit Schreiben vom 28.10.2015 auf, diesen Mangel bis zum 28.11.2015 zu beseitigen. Die Beklate erwiderte darauf unter dem 06.11.2015, dass der Kläger abwarten müsse, bis sein Fahrzeug im Rahmen einer Rückrufaktion der Volkswagen AG an der Reihe sei. Dies lehnte der Kläger mit Schreiben vom 20.11.2015 ab und erklärte, dass ihm ein längeres Zuwarten nicht zuzumuten sei. Mit Schreiben vom 24.11.2015 teilte die Beklagte mit, dass sie keine verbindlichen Zusagen bezüglich einer Nachbesserung des Fahrzeugs machen könne, da die Rückrufaktion der Volkswagen AG noch nicht angelaufen sei. Unter dem 21.12.2015 setzte der Kläger der Beklagten eine weitere, am 31.12.2015 endende Frist zur Nachbesserung seines Fahrzeugs.
Schließlich erklärte der Kläger mit Schreiben vom 04.01.2016 den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte die Beklagte auf, ihm den Kaufpreis abzüglich einer Nutzungsausfallentschädigung in Höhe von 431,72 € für 4.000 gefahrene Kilometer bis zum 15.01.2016 zu erstatten. Die Beklagte lehnte eine Rückabwicklung des Kaufvertrages mit Schreiben vom 20.01.2016 ab und verwies in diesem Zusammenhang erneut auf die Rückrufaktion der Volkswagen AG.
Der Kläger ist der Auffassung, er sei von dem mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag wirksam zurückgetreten. Das Fahrzeug sei unstreitig mangelhaft, da es mehr Schadstoffe ausstoße als angegeben und die einschlägigen Vorschriften nicht einhalte. Dieser Mangel sei schon bei der Übergabe des Pkw vorhanden gewesen. Er – der Kläger – habe der Beklagten erfolglos zwei Fristen zur Nachbesserung gesetzt, die angemessen gewesen seien. Dass vom VW-Abgasskandal eine Vielzahl von Fahrzeugen betroffen sei, könne die Beklagte nicht schützen.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Die zulässige Klage erwies sich als unbegründet.
Der Kläger ist nicht gemäß §§ 437 Nr. 2 Fall 1, 323 I BGB wirksam von dem mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrag zurückgetreten und hat deshalb auch nicht gemäß § 346 I BGB Anspruch auf Rückzahlung des geleisteten Kaufpreises – abzüglich der Nutzungsentschädigung – in Höhe von 24.068,29 €.
Zwar ist das vom Kläger erworbene Fahrzeug mangelhaft. Dieser Mangel ist jedoch nicht so erheblich, dass er einen Anspruch auf Rücktritt begründen könnte (§ 323 V 2 BGB; vgl. LG Bochum, Urt. v. 16.03.2016 – I-2 O 425/15; LG Frankenthal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 21.06.2016 – 4 O 441/16).
Dabei kann zugunsten des Klägers davon ausgegangen werden, dass die Tatsache, dass das streitgegenständliche Fahrzeug unstreitig vom sogenannten VW-Abgasskandal betroffen ist, als Fahrzeugmangel anzusehen ist. Dies folgt im Grunde genommen schon daraus, dass das Fahrzeug auch nach dem Vorbringen der Beklagten im Laufe des Jahres 2016 oder 2017 einem Softwareupdate unterzogen werden muss, um den entsprechenden Auflagen des Kraftfahrt-Bundesamtes zu genügen und nicht den Verlust der allgemeinen Betriebserlaubnis zu riskieren. Wenn es dem Kläger nicht freisteht, dem Rückruf seines Fahrzeugs im Laufe des Jahres 2016 Folge zu leisten und dessen Zulassung im Straßenverkehr damit zu erhalten, dann kann aus dem derzeitigen Fehlen des beim Rückruf aufzuspielenden Softwareupdates auch auf die Mangelhaftigkeit des klägerischen Fahrzeugs geschlossen werden.
Ein Rücktritt des Klägers ist jedoch gemäß § 323 V 2 BGB ausgeschlossen, da die Pflichtverletzung der Beklagten nicht so erheblich ist, dass sie zu einem Rücktritt berechtigt. Sie ist gemäß § 323 V 2 BGB unerheblich (vgl. LG Bochum, Urt. v. 16.03.2016 – I-2 O 425/15; LG Frankenthal, Urt. v. 12.05.2016 – 8 O 208/15; LG Nürnberg-Fürth, Urt. v. 21.06.2016 – 4 O 441/16).
Im Rahmen der Erheblichkeitsprüfung gemäß § 323 V 2 BGB ist eine umfassende Interessenabwägung auf der Grundlage der Umstände des Einzelfalls vorzunehmen. Im Rahmen dieser umfassenden Interessenabwägung ist bei behebbaren Mängeln grundsätzlich auf die Kosten der Mängelbeseitigung abzustellen (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13 Rn. 17).
Hier ist nach dem derzeitigen Kenntnisstand der Mangel behebbar. Das Kraftfahrt-Bundesamt hat dem von der Volkswagen AG vorgelegten Maßnahmenplan zugestimmt, sodass nach Durchführung der festgelegten Maßnahmen nach Einschätzung des Kraftfahrt-Bundesamtes eine Beseitigung des Mangels erfolgt sein wird.
Von einer Geringfügigkeit eines behebbaren Mangels und damit von einer Unerheblichkeit der Pflichtverletzung ist nach dem BGH in der Regel auszugehen, wenn die Kosten der Mangelbeseitigung im Verhältnis zum Kaufpreis geringfügig sind (BGH, Urt. v. 28.05.2014 – VIII ZR 94/13 Rn. 17). Bei einem Mangelbeseitigungsaufwand von nur knapp 1 % des Kaufpreises liegt dieser ohne Zweifel unterhalb der Bagatellgrenze (BGH, Urt. v. 14.09.2015 – VIII ZR 363/04).
Bei dem Fahrzeug des Klägers wird die Mängelbeseitigung nach der Behauptung der Beklagten einen Kostenaufwand von nur 100 €, also circa 0,4 % des Kaufpreises des Pkw verursachen und liegt damit unterhalb der regelmäßig zu beachtenden Bagatellgrenze.
Für eine Abweichung vom Regelfall besteht hier keine Veranlassung. Erhebliche Umstände hierfür hat der Kläger nicht dargetan. Zwar hat er mitgeteilt, dass es ihm nicht zumutbar sei, noch länger auf die Mängelbeseitigung zu warten, und dass auch der Zeitplan nicht voraussehbar sei. Weiterhin hat der Kläger behauptet, dass sein Fahrzeug einen erhebliche Wertverlust zu verkraften habe. Der Kläger hat jedoch nicht vorgetragen, warum nach Einspielen des Softwareupdates der Wiederverkaufswert des Fahrzeugs nicht erneut steigen könnte. Weiterhin ist dem Kläger im vorliegenden Fall es weiterhin zumutbar, mit dem völlig funktionstüchtigen und verkehrssicheren Fahrzeug noch bis zu der Rückrufaktion des Volkswagen-Konzerns sich im Straßenverkehr zu bewegen.
Ferner ist im Rahmen der Pflichtverletzung, die die Beklagte gemäß § 323 V 2 BGB treffen muss, zu berücksichtigen, dass sie selbst davon abhängig ist, welche Nachbesserungsmaßnahmen seitens des Herstellers des Fahrzeugs angeboten werden. Sie kann daher erst nacherfüllen, sobald der Fahrzeughersteller geeignete Mittel zur Verfügung stellt. Es ist dem Kläger zuzumuten, die Durchführung der mit dem Kraftfahrt-Bundesamt abgestimmten Mängelbeseitigungsmaßnahmen abzuwarten. Dass er während der Nutzung seines Fahrzeugs der Umwelt einen höheren Schaden zufügt,, als er es beim Kauf des Fahrzeugs erwartete, verärgert ihn zu Recht, beruht aber nicht auf einem Verschulden der Beklagten, sondern nur auf dem Verschulden des Fahrzeugherstellers. Die Beklagte hat die Manipulation ebenso wenig zu vertreten wie der Kläger.
Auch aus dem Umstand, dass das Kraftfahrt-Bundesamt die Nachbesserung solcher Fahrzeuge wie dem des Klägers angeordnet hat, folgt nicht, dass der Mangel erheblich wäre (vgl. LG Bochum, Urt. v. 16.03.2016 – I-2 O 425/15). Eher kann daraus abgeleitet werden, dass der Mangel nicht so erheblich ist, dass die Typgenehmigung der betroffenen Fahrzeuge sofort zu widerrufen gewesen wäre. …