Der Man­gel, der ei­nem vom VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fe­nen Ge­braucht­wa­gen (mög­li­cher­wei­se) an­haf­tet, ist i. S. des § 323 V 2 BGB ge­ring­fü­gig, weil er sich mit ei­nem Kos­ten­auf­wand von nur 100 € be­sei­ti­gen lässt, und be­rech­tigt des­halb des Käu­fer nicht zum Rück­tritt vom Kauf­ver­trag. Dar­an än­dert nichts, dass das Kraft­fahrt-Bun­des­amt ei­ne Nach­bes­se­rung der vom VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fe­nen Fahr­zeu­ge an­ge­ord­net hat. Eher kann dar­aus ab­ge­lei­tet wer­den, dass der (mög­li­che) Man­gel nicht so er­heb­lich ist, dass die Typ­ge­neh­mi­gung der be­trof­fe­nen Fahr­zeu­ge so­fort zu wi­der­ru­fen wä­re.

LG Bo­chum, Ur­teil vom 11.08.2016 – I-2 O 423/15
(nach­fol­gend: OLG Hamm, Ur­teil vom 20.07.2017 – 28 U 182/16)

Sach­ver­halt: Der Klä­ger er­warb von der Be­klag­ten auf der Grund­la­ge ei­ner ver­bind­li­chen Be­stel­lung vom 16.05.2015 ei­nen ge­brauch­ten VW Pas­sat CC 2.0 TDI zum Preis von 27.125 €. Das Fahr­zeug wies bei der Über­ga­be an den Klä­ger ei­nen Ki­lo­me­ter­stand von 27.720 auf.

Mit an­walt­li­chem Schrei­ben vom 29.10.2015 er­klär­te der Klä­ger den Rück­tritt vom Kauf­ver­trag. Zur Be­grün­dung führ­te er aus, sein Fahr­zeug sei vom VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fen, und die Fahr­zeug­her­stel­le­rin, die Volks­wa­gen AG, ha­be ihn – den Klä­ger – über die Ab­gas­wer­te und da­mit über die Zu­las­sungs­fä­hig­keit des Fahr­zeugs ge­täuscht ha­be.

Der Klä­ger meint, das streit­ge­gen­ständ­li­che Fahr­zeug wei­se ei­nen er­heb­li­chen Man­gel auf, weil ihm die zu­ge­si­cher­te Um­welt­freund­lich­keit feh­le. Er be­haup­tet, die Schad­stoff­emis­sio­nen des Pkw über­schrit­ten die Eu­ro-5-Grenz­wer­te, so­dass die Vor­aus­set­zun­gen für die Er­tei­lung ei­ner grü­nen Um­welt­pla­ket­te nicht vor­lä­gen. Dar­über hin­aus sei­en die Be­triebs­er­laub­nis des Fahr­zeugs und der Ver­si­che­rungs­schutz er­lo­schen oder droh­ten zu er­lö­schen. Ei­ne Nach­er­fül­lung – so meint der Klä­ger – sei ihm nicht zu­mut­bar. Das er­ge­be sich schon dar­aus, dass die Volks­wa­gen AG ihn – den Klä­ger – arg­lis­tig ge­täuscht ha­be. Dar­über hin­aus sei nicht ge­währ­leis­tet, dass ei­ne Nach­er­fül­lung im Rah­men der vor­ge­se­he­nen Rück­ruf­ak­ti­on zur Man­gel­frei­heit sei­nes Fahr­zeugs füh­ren wer­de; je­den­falls ver­blei­be dau­er­haft ein mer­kan­ti­ler Min­der­wert.

Die Kla­ge hat­te kei­nen Er­folg.

Aus den Grün­den: Der Klä­ger hat kei­nen An­spruch auf Zah­lung von 26.221,71 € Zug um Zug ge­gen Rück­ga­be des Pkw …. Die Vor­aus­set­zun­gen für ei­nen Rück­ab­wick­lungs­an­spruch ge­mäß § 437 Nr. 2 Fall 1 BGB i. V. mit §§ 440, 323 ff. BGB lie­gen nicht vor. Dem Klä­ger steht für den er­klär­ten Rück­tritt kein Rück­tritts­recht zur Sei­te.

Die Kam­mer kann of­fen­las­sen, ob die Ma­ni­pu­la­ti­on der Ab­gas­wer­te durch ei­ne Soft­ware des Her­stel­lers das vom Klä­ger er­wor­be­ne Fahr­zeug man­gel­haft macht. Je­den­falls über­schrei­tet ein et­wai­ger Man­gel nicht die Er­heb­lich­keits­schwel­le des § 323 V 2 BGB, da der Her­stel­ler die Be­sei­ti­gung des Man­gels an­bie­tet und die Be­klag­te un­wi­der­spro­chen vor­ge­tra­gen hat, dass die Be­sei­ti­gung des Man­gels we­ni­ger als 100 € und da­mit we­ni­ger als ein Pro­zent des Kauf­prei­ses kos­tet.

Im Rah­men der Er­heb­lich­keits­prü­fung ge­mäß § 323 V 2 BGB ist ei­ne um­fas­sen­de In­ter­es­sen­ab­wä­gung auf der Grund­la­ge der Um­stän­de des Ein­zel­falls vor­zu­neh­men. Im Rah­men die­ser um­fas­sen­den In­ter­es­sen­ab­wä­gung ist bei be­heb­ba­ren Män­geln grund­sätz­lich auf die Kos­ten der Män­gel­be­sei­ti­gung ab­zu­stel­len (BGH, Ur­t. v. 28.05.2014 – VI­II ZR 94/13, BGHZ 201, 290 Rn. 17).

Hier ist nach der­zei­ti­gem Er­kennt­nis­stand der Man­gel be­heb­bar. Das Kraft­fahrt-Bun­des­amt hat durch Be­scheid vom 21.07.2016 fest­ge­stellt, dass die im Rah­men der Rück­ruf­ak­ti­on von der Volks­wa­gen AG ge­plan­te Än­de­rung der Ap­pli­ka­ti­ons­da­ten ge­eig­net ist, die Vor­schrifts­mä­ßig­keit der Fahr­zeu­ge mit den be­trof­fe­nen Mo­to­ren her­zu­stel­len. Von ei­nem Er­lö­schen der Be­triebs­er­laub­nis oder sons­ti­ger er­for­der­li­cher Zu­las­sun­gen und Ge­neh­mi­gun­gen kann nach der­zei­ti­gem Er­kennt­nis­stand nicht aus­ge­gan­gen wer­den.

Von ei­ner Ge­ring­fü­gig­keit ei­nes be­heb­ba­ren Man­gels und da­mit von ei­ner Un­er­heb­lich­keit der Pflicht­ver­let­zung ist nach der Ent­schei­dung des BGH in der Re­gel aus­zu­ge­hen, wenn die Kos­ten der Man­gel­be­sei­ti­gung im Ver­hält­nis zum Kauf­preis ge­ring­fü­gig sind (BGH, Ur­t. v. 28.05.2014 – VI­II ZR 94/13, BGHZ 201, 290 Rn. 17). Bei ei­nem Man­gel­be­sei­ti­gungs­auf­wand, der – wie hier – we­ni­ger als 100 € und da­mit we­ni­ger als ein Pro­zent des Kauf­prei­ses aus­macht, ist die Er­heb­lich­keits­schwel­le des § 323 V 2 BGB er­sicht­lich nicht über­schrit­ten.

Be­son­de­re Um­stän­de, die trotz des ge­ring­fü­gi­gen Man­gel­be­sei­ti­gungs­auf­wands für ei­ne er­heb­li­che Pflicht­ver­let­zung der Be­klag­ten spre­chen könn­ten, lie­gen nicht vor. Na­ment­lich führt der mit dem VW-Ab­gas­skan­dal ver­bun­de­ne Vor­wurf ei­ner Täu­schung nicht zu ei­ner er­heb­li­chen Pflicht­ver­let­zung im Sin­ne der ge­nann­ten Vor­schrift. In­so­weit ist zu be­ach­ten, dass die Pflich­ten, um de­ren Ver­let­zung und um de­ren Er­heb­lich­keit es im Rah­men des § 323 V 2 BGB geht, je­weils im Kon­text des Ver­trags­ver­hält­nis­ses ge­se­hen wer­den müs­sen. Die Kam­mer ver­mag nicht fest­zu­stel­len, dass die Be­klag­te als un­ab­hän­gi­ge Au­to­händ­le­rin Kennt­nis von ei­ner Ma­ni­pu­la­ti­on der Ab­gas­wer­te durch die Soft­ware des VW-Kon­zerns be­saß. Von ei­ner Täu­schung kann da­her, was das Ver­hal­ten der Be­klag­ten an­geht, kei­ne Re­de sein.

Ei­ne Er­heb­lich­keit des Man­gels er­gibt sich auch nicht dar­aus, dass des­sen Be­he­bung im Rah­men der Rück­ruf­ak­ti­on des VW-Kon­zerns mög­li­cher­wei­se noch ei­ni­ge Zeit in An­spruch neh­men wird. Da das Fahr­zeug auch vor Be­sei­ti­gung des et­wai­gen Man­gels in vol­lem Um­fang ver­kehrstaug­lich und funk­ti­ons­fä­hig ist, kann dem Klä­ger zu­ge­mu­tet wer­den, die Durch­füh­rung der mit dem Kraft­fahrt-Bun­des­amt ab­ge­stimm­ten Män­gel­be­sei­ti­gungs­maß­nah­men ab­zu­war­ten. Über­dies hat die Be­klag­te un­wi­der­spro­chen vor­ge­tra­gen, dass die Ab­hil­fe­ar­bei­ten an den be­trof­fe­nen Fahr­zeu­gen be­reits an­ge­lau­fen sei­en.

Auch aus dem Um­stand, dass das Kraft­fahrt-Bun­des­amt die Nach­bes­se­rung sol­cher Fahr­zeu­ge wie dem des Klä­gers an­ge­ord­net hat, folgt nicht, dass der Man­gel er­heb­lich wä­re. Eher kann dar­aus ab­ge­lei­tet wer­den, dass er nicht so er­heb­lich ist, dass die Typ­ge­neh­mi­gung der be­trof­fe­nen Fahr­zeu­ge so­fort zu wi­der­ru­fen ge­we­sen wä­re. Ge­ra­de die Tat­sa­che, dass das Kraft­fahrt-Bun­des­amt den VW-Kon­zern die Mög­lich­keit ein­räumt, den Man­gel nach­zu­bes­sern, zeigt, dass die Durch­füh­rung die­ser Nach­bes­se­rungs­maß­nah­me dem ein­zel­nen Fahr­zeug­käu­fer zu­mut­bar ist (LG Bo­chum, Urt. v. 16.03.2016 – I-2 O 425/15).

Dass der be­haup­te­te Man­gel im kon­kre­ten Fall zu ei­ner Wert­min­de­rung des klä­ge­ri­schen Fahr­zeugs ge­führt hät­te, ver­mag die Kam­mer eben­falls nicht fest­zu­stel­len.

Selbst wenn man ent­ge­gen dem vor­ste­hend Aus­ge­führ­ten an­neh­men woll­te, das Fahr­zeug des Klä­gers lei­de an ei­nem er­heb­li­chen Man­gel, war der Klä­ger gleich­wohl nicht zum Rück­tritt be­rech­tigt. Viel­mehr hät­te der Klä­ger ge­mäß § 439 I BGB [ge­meint wohl: § 323 I BGB] der Be­klag­ten vor Er­klä­rung des Rück­tritts Ge­le­gen­heit zur Nach­bes­se­rung ge­ben müs­sen. Ei­ne Frist­set­zung zur Nach­bes­se­rung war nicht ge­mäß § 440 Satz 1 Fall 3 BGB ent­behr­lich. Ei­ne Nach­bes­se­rung ist mög­lich und dem Klä­ger zu­mut­bar. Das Kraft­fahrt-Bun­des­amt hat durch Be­scheid vom 21.07.2016 fest­ge­stellt, dass die im Rah­men der Rück­ruf­ak­ti­on von der Volks­wa­gen AG ge­plan­te Än­de­rung der Ap­pli­ka­ti­ons­da­ten ge­eig­net ist, die Vor­schrifts­mä­ßig­keit der Fahr­zeu­ge mit den be­trof­fe­nen Mo­to­ren her­zu­stel­len. Ei­ne Nach­bes­se­rung ist dem Klä­ger auch zu­mut­bar, da je­den­falls sei­tens der Be­klag­ten ei­ne zur Un­zu­mut­bar­keit der Nach­bes­se­rung füh­ren­de Täu­schungs­hand­lung nicht ge­ge­ben ist. …

Hin­weis: Wäh­rend des Be­ru­fungs­ver­fah­rens hat die Be­klag­te die For­de­run­gen des Klä­gers „aus Ku­lanz­grün­den und oh­ne An­er­ken­nung ei­ner Rechts­pflicht“ er­füllt. Der Klä­ger hat dar­auf­hin – er­folg­los – die Fest­stel­lung be­gehrt, dass die Be­klag­te zur Er­fül­lung der Kla­ge­for­de­rung ver­pflich­tet war (s. OLG Hamm, Urt. v. 20.07.2017 – 28 U 182/16).

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