- Der Verkäufer eines Gebrauchtwagens muss ihm bekannte Umstände, die für den Kaufentschluss des Käufers erkennbar maßgebliche Bedeutung haben (hier: das Vorliegen eines Lenkgetriebeschadens, dessen Reparatur über 1.000 € kosten würde), ungefragt offenbaren.
- Hat der Verkäufer (lediglich) den Verdacht, dass dem Fahrzeug ein besonders schwerwiegender Mangel anhaftet, so muss er dem Käufer diesen Verdacht ungefragt mitteilen.
LG Köln, Urteil vom 17.03.2016 – 2 O 355/14
Sachverhalt: Die Parteien schlossen am 19.04.2014 einen Kaufvertrag über einen gebrauchten Ford Focus. Das Fahrzeug, das der Beklagte etwa sechs Monate zuvor erworben hatte, wurde dem Kläger am selben Tag gegen Zahlung des Kaufpreises in Höhe von 3.600 € übergeben und übereignet.
Mit anwaltlichem Schreiben vom 21.05.2014 verlangte der Kläger wegen eines Lenkgetriebeschadens von dem Beklagten unter Fristsetzung Schadensersatz in Höhe der Reparaturkosten von 1.107,65 €. Außerdem forderte er den Beklagten zum Ersatz von Gutachterkosten (380,80 €) und aufgewendeten Anwaltskosten (201,71 €) auf. Vorsorglich erklärte der Kläger zudem die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung. Der Beklagte wies die Schadensersatzansprüche mit Anwaltsschreiben vom 02.06.2014 zurück.
Der Kläger behauptet, der Beklagte habe ihm gegenüber bei der Besichtigung des Fahrzeugs erklärt, dass der Pkw mangelfrei und in einem technisch einwandfreien Zustand sei. Während der kurzen Probefahrt seien ihm, dem Kläger, keine Mängel an der Lenkung aufgefallen. In der Folgezeit seien dann aber bei einer längeren Fahrt Probleme mit der Lenkung aufgetreten, und bei einer nachfolgenden Untersuchung des Fahrzeugs sei ein Lenkgetriebsschaden festgestellt worden. Dieser Schaden – so behauptet der Kläger weiter – sei dem Beklagten bekannt gewesen. Der Beklagte habe ihm, dem Kläger, nach Mitteilung des Schadens nämlich am 06.05.2014 um 12:56 Uhr eine SMS mit folgendem Inhalt geschickt:
„Der Wagen hatte Mängel, Lenkgetriebe und der Unfall. Der Kaufvertrag wurde gemacht und das Geld hab ich und Sie das Auto. Gute Fahrt … L“.
Der Beklagte bestreitet, dass diese SMS von ihm stammt, und behauptet, der Kläger habe nach der Probefahrt, die etwa 20 Minuten gedauert habe, die Schwergängigkeit der Lenkung bemängelt. Deshalb habe man sich auf einen Preisnachlass von 150 € geeinigt.
Die hauptsächlich auf Rückabwicklung des Kaufvertrages gerichtete Klage hatte im Wesentlichen Erfolg.
Aus den Gründen: 1. Der Kläger hat gemäß § 812 I 1 Fall 1 BGB gegen den Beklagten einen Anspruch auf Herausgabe des vereinbarten Kaufpreises Zug um Zug gegen Herausgabe des Fahrzeugs.
Der Beklagte erlangte den Kaufpreis durch Leistung vom Kläger. Diese Leistung erfolgte jedoch ohne Rechtsgrund, da der Kläger seine Willenserklärung erfolgreich wegen arglistiger Täuschung am 21.05.2014 angefochten hat (§§ 142 I, 123 I BGB).
Der Beklagte hat den Kläger über das Vorhandensein des Lenkgetriebeschadens vorsätzlich getäuscht, indem er diesen Mangel nicht im Zuge des Verkaufs am 18./19.04.2014 offenbart hat. Insoweit lag ein Informationsgefälle vor. Es kann dabei dahinstehen, ob der Beklagte beim Verkaufsgespräch gesagt hat, dass das Fahrzeug mangelfrei und in einem technisch einwandfreien Zustand sei. Jedenfalls müssen Umstände, die für die Willensbildung des anderen Teils offensichtlich von ausschlaggebender Bedeutung sind, ungefragt offenbart werden. Bei besonders schwerwiegenden Mängeln muss sogar bereits der Verdacht geäußert werden (Palandt/Ellenberger, BGB 75. Aufl. [2016], § 123 Rn. 5b).
Die Bagatellgrenze ist hier ohne Weiteres überschritten, da die Reparatur des Schadens fast 1/3 des vereinbarten Kaufpreises ausmachte. Zudem lässt sich festhalten, dass der Arglistvorwurf auch nicht durch eine gleichwohl erteilte TÜV-Plakette entkräftet wird (OLG Koblenz, Urt. v. 18.05.2000 – 5 U 1928/98).
Dem Beklagten war der Lenkgetriebeschaden zum Zeitpunkt der Veräußerung des Fahrzeugs auch bekannt. Der Beklagte hat seine Kenntnis in einer an den Kläger am 06.05.2014 gerichteten SMS offenbart, in der es heißt:
„Der Wagen hatte Mängel, Lenkgetriebe und der Unfall. Der Kaufvertrag wurde gemacht und das Geld hab ich und Sie das Auto. Gute Fahrt … L“.
Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme durch Einholung eines Sachverständigengutachtens steht zur Überzeugung des Gerichts fest, dass die SMS … von dem Mobiltelefon des Beklagten versandt wurde.
Auf dem Mobiltelefon des Klägers war diese Nachricht zum Zeitpunkt der Begutachtung vorhanden und der Beklagte als Absender ausgewiesen. Da auch die Kurzmitteilungszentrale mit der aus vorherigen Nachrichten des Beklagten identisch ist, ist das Gericht davon überzeugt, dass die SMS vom Mobiltelefon des Beklagten stammt. Dass die Nachricht nicht auf dem Mobiltelefon des Beklagten zu finden ist, vermag die Annahme, dass die Nachricht von ihm stammt, hingegen nicht zu entkräften. Wie unstreitig feststeht, ist es ohne besondere informationstechnische Kenntnisse ohne Weiteres möglich, einzelne Nachrichten zu löschen, ohne gleich die gesamte Konversation zu entfernen. Das Gericht geht davon aus, dass der SMS-Datenverkehr auf dem Mobiltelefon des Beklagten nachträglich manipuliert wurde. Dem liegt das Gutachten des Sachverständigen W zugrunde, das auch das von dem Kläger eingeholte Gutachten des Sachverständigen S ausdrücklich mitträgt. Der Sachverständige W hat festgestellt, dass sich auf dem Mobiltelefon des Beklagten Software namens „…“ befindet. Diese Software ist unter anderem dazu geeignet, den SMS-Datenverkehr zu manipulieren. Insbesondere bietet sie ein Löschverfahren für Nachrichten, sodass eine Widerherstellung nicht mehr möglich ist. Der Beklagte erklärt zwar, er habe am 01.10.2014 seinen kompletten SMS-Verkehr … ausgedruckt, dennoch ist es nach dem Ergebnis des Sachverständigengutachtens nicht auszuschließen, dass bereits vorher einzelne SMS-Nachrichten gelöscht wurden. Die Annahme einer Manipulation des SMS-Verkehrs auf dem Gerät des Beklagten wird zusätzlich dadurch gestützt, dass sich auf dem Gerät des Klägers auf der anderen Seite keine Anwendung/App befindet, mit der das nachträgliche Erstellen und Einfügen einer sogenannten „Fake-SMS“ in den tatsächlichen SMS-Verkehr möglich wäre. Es liegen auch keine Anhaltspunkte dafür vor, dass der Kläger im Bereich der Programmierung so versiert ist, dass er ohne eine solche App nachträglich eine solche SMS erstellen könnte.
Der Rückzahlungsanspruch des Klägers ist allerdings um 635,55 € wegen vom Kläger gezogener Nutzungen gemindert. Das Gericht geht bei diesem Pkw von einer maximalen Laufleistung von 250.000 km aus (§ 287 II ZPO). Unter Berücksichtigung der Laufleistung beim Kläger von 17.331 km … und einer Restlaufleistung von 98.169 km waren insgesamt 635,55 € … von der Klageforderung in Abzug zu bringen, sodass ein Anspruch in Höhe von 2.964,45 € verbleibt. Soweit der Kläger von einem geringeren Ersatzanspruch bzw. einem höheren Zahlungsanspruch ausgeht, war die demnach Klage abzuweisen.
2. Darüber hinaus hat der Kläger gegen den Beklagten einen Anspruch auf Ersatz der Reparaturkosten in Höhe von 1.107,65 €, der Kosten für das Auslesen des Fehlerspeichers in Höhe von 26,78 €, der weiteren Reparaturkosten … in Höhe von 359,25 €, der Kosten für die Erstellung des Kfz-Gutachtens in Höhe von 380,80 €, der Kosten für das IT-Gutachten in Höhe von 321,30 € und der aufgewendeten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 201,71 € gemäß §§ 280 I, 311 II, 241 II, 249 I BGB.
Ein Schuldverhältnis mit Pflichten nach § 241 II BGB entsteht auch bei Aufnahme der Vertragsverhandlungen. Danach ist jeder Teil zur Rücksicht auf die Rechte, Rechtsgüter und Interessen des anderen Teils verpflichtet. Hierunter fallen auch Aufklärungs- und Schutzpflichten. Durch die oben bereits festgestellte arglistige Täuschung des Beklagten hat dieser seine Pflichten aus dem Schuldverhältnis schuldhaft verletzt. Die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung schießt dabei die Haftung aus einer culpa in contrahendo nicht aus.
Gemäß § 249 I BGB ist der Kläger so zu stellen, wie er ohne Abschluss des Vertrages stünde. Daher sind die Kosten der Lenkgetriebereparatur, die Kosten für das Auslesen des Fehlerspeichers, die Kosten der Reparatur des Zahnriemens, die Kosten der beiden Privatgutachten und die Anwaltskosten zu ersetzten, die ohne den Abschluss des Kaufvertrages nicht angefallen wären.
Unerheblich ist dabei, dass die Kosten im Wesentlichen nach Kenntnis des Klägers von der Täuschungshandlung des Beklagten am 06.05.2014 verursacht wurden. Die Reparaturkosten des Lenkgetriebeschadens und des Zahnriemens waren notwendig. Der Kläger hat das Fahrzeug zur Eigennutzung erworben und hatte daher ein berechtigtes Interesse daran, das Fahrzeug in einen fahrbereiten Zustand zu versetzen bzw. in einem fahrbereiten Zustand zu erhalten. Soweit der Beklagte moniert, dass in der Reparaturkostenrechnung vom 12.05.2014 über 1.107,65 € neben der Position „Lenkgetriebe“ auch eine Position „Spurstangen(end)stück“ und „Achsvermessung“ enthalten ist, ist nicht ersichtlich, dass der Kläger diese Aufwendungen im Zuge der Reparatur des Lenkgetriebes nicht für zweckmäßig und und notwendig erachten durfte, zumal eine Spurstange gerichtsbekannt Bestanteil der Lenkung ist und die Achsvermessung auch der Überprüfung der Lenkung dient.
Die Sachverständigenkosten sind als Kosten der Schadensfeststellung ebenfalls Teil des zu ersetzenden Schaden. Die Feststellung des Lenkgetriebeschadens diente der zweckentsprechenden Verfolgung der Ansprüche gegen den Beklagten. Auch die Einholung des IT-Gutachtens nach der mündlichen Verhandlung am 31.01.2015 war erforderlich und zweckmäßig, da das Gericht zuvor darauf hingewiesen hatte, dass nach seiner vorläufigen Würdigung die Inaugenscheinnahme der Mobiltelefone nicht ausreichend war, um die volle Überzeugung des Gerichts davon zu begründen, dass am 6.5.2014 vom Mobiltelefon des Beklagten an den Kläger eine SMS mit dem vom Kläger behaupteten Inhalt geschrieben wurde.
3. Annahmeverzug des Beklagten gemäß § 293 BGB bestand erst ab dem 11.06.2014, sodass der auf Feststellung gerichtete Antrag dahingehend einzuschränken war. Ein Angebot des Fahrzeugs i. S. des § 295 BGB enthält das vorprozessuale Schreiben des Klägers vom 21.05.2014 nicht. Die Rückabwicklung des Kaufvertrages wurde lediglich angedroht. Allerdings hat der Kläger unbestritten vorgetragen, dass der Beklagte mit nachfolgendem Schreiben vom 10.06.2014 die geforderte Rückabwicklung des Kaufvertrages nebst dem Ersatz der Schadenspositionen insgesamt zurückwies, sodass nach diesem Zeitpunkt Annahmeverzug gemäß §§ 293, 295 BGB bestand.
4. Der Anspruch auf Verzinsung des geminderten herauszugebenden Kaufpreises folgt aus §§ 819 I, 818 IV, 291 BGB.
Der Anspruch auf Verzinsung der Aufwendungen in Höhe von 1.488,45 € und der Anwaltskosten ab dem 03.06.2014 folgt aus §§ 286 II Nr. 3, 288 I BGB. Gegenstand des anwaltlichen Schreibens … vom 21.05.2014 waren zunächst nur Schadensersatzansprüche in dieser Höhe, sodass sich auch die Zahlungsverweigerung des Beklagten vom 02.06.2014 nur hierauf beziehen konnte. Die Begleichung der restlichen Forderungen in Höhe von 386,02 € … wurde erst mit Schreiben vom 10.06.2014 zurückgewiesen.
Der Anspruch auf Verzugszinsen hinsichtlich der weiteren Gutachterkosten von 321,30 € besteht gemäß §§ 291, 288 I BGB …