Ein Fahrzeug ist nicht mehr unfallfrei, wenn es durch Vandalismus beschädigt wurde und ihm dabei großflächige, tief ins Blech gehende Kratzer zugefügt wurden.
LG Bochum, Urteil vom 06.02.2015 – 2 O 209/14
Sachverhalt: Der Kläger erwarb von dem Beklagten am 28.01.2014 einen gebrauchten BMW mit einer Laufleistung von 170.000 km für 14.500 €. Im schriftlichen Kaufvertrag hieß es: „Das Auto ist unfallfrei.“
In der Folgezeit beauftragte der Kläger den Sachverständigen S mit einer Begutachtung des Fahrzeugs. S maß unter anderem die Dicke der Lackschichten und kam zu dem Ergebnis, dass Teile des Fahrzeugs gespachtelt worden seien und es folglich Schäden mit Blechbeteiligung erlitten haben müsse.
Mit Anwaltsschreiben vom 17.02.2014 erklärte der Kläger daraufhin den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte den Beklagten unter Fristsetzung insbesondere zur Erstattung des Kaufpreises, Zug um Zug gegen Rückübereignung des Fahrzeugs, auf.
Der Kläger hat behauptet, während der Vertragsverhandlungen habe ihm der Beklagte ihm lediglich gesagt, dass das Fahrzeug an der rechten Seite leichte Kratzer gehabt habe und daher in diesem Bereich teilweise nachlackiert worden sei. Demgegenüber hat der Beklagte behauptet, er habe den Kläger darüber aufgeklärt, dass das Fahrzeug von einem Unbekannten verkratzt worden sei, kurz nachdem er – der Beklagte – es im September 2011 erworben habe. Die Kratzer hätten sich auf der gesamten rechten Seite befunden und seien recht tief ins Blech gegangen. Daraufhin habe er – der Beklagte – das Fahrzeug, ausgenommen das Dach, neu lackieren lassen. Die Lackierung sei im Wesentlichen ordnungsgemäß erfolgt; lediglich an einer Stelle an der Stoßstange sei der Lack zu dick aufgetragen worden.
Die Klage war größtenteils erfolgreich.
Aus den Gründen: 1. Der Kläger hat einen Anspruch aus §§ 437 Nr. 2, 434, 323, 346 BGB auf Zahlung von 10.150 €.
a) Vereinbarte Beschaffenheit des Fahrzeugs war, dass dieses unfallfrei sein sollte. Das ergibt sich aus dem unstreitigen Inhalt des schriftlichen Kaufvertrags. Die Vertragsurkunde hat die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit für sich. Der Beklagte ist für seine Behauptung, den Kläger über den Vandalismusschaden aufgeklärt zu haben, beweisfällig geblieben.
b) Tatsächlich war das Fahrzeug nicht unfallfrei. Auch der durch Vandalismus verursachte Schaden ist ein Unfall im Sinne einer von außen her auf das Fahrzeug plötzlich einwirkenden mechanischen Gewalt.
Der BGH hat im Urteil vom 20.05.2009 – VIII ZR 191/07, BGHZ 181, 170 Rn. 16 f. –, betreffend einen Fall, in dem Kratzschäden durch eine Neulackierung beseitigt wurden, ausgeführt:
„Bei einem Unfallfahrzeug kann auch dann, wenn der Unfallschaden vollständig und fachgerecht beseitigt wurde, wegen eines merkantilen Minderwerts noch ein Mangel bestehen bleiben, weil der Charakter eines Fahrzeugs als Unfallfahrzeug sich nicht durch Nachbesserung korrigieren lässt (BGH, Urt. v. 07.06.2006 – VIII ZR 209/05, BGHZ 168, 64 Rn. 17; Senat, Urt. v. 12.03.2008 – VIII ZR 253/05, NJW 2008, 1517 Rn. 21). Dem liegt die Überlegung zugrunde, dass trotz völliger und ordnungsgemäßer Instandsetzung eines erheblich beschädigten Kraftfahrzeugs bei einem großen Teil des Publikums, vor allem wegen eines nicht auszuschließenden Verdachts verborgen gebliebener Schäden und des Risikos höherer Schadensanfälligkeit infolge nicht fachgerechter Reparatur, eine den Preis beeinflussende Abneigung gegen den Erwerb eines derart beschädigten Kraftfahrzeugs besteht (vgl. BGH, Urt. v. 23.11.2004 – VI ZR 357/03, BGHZ 161, 151 [159 f.]).
Eine solche Fallgestaltung ist indessen bei einer Neulackierung zur Beseitigung von Kratzschäden an der äußeren Hülle des Fahrzeugs nicht gegeben, weil dieser Schaden durch eine fachgerechte Neulackierung ohne verbleibende technische Risiken zuverlässig beseitigt werden kann. Anders als bei Unfallschäden steht hier nicht zu befürchten, dass verborgen gebliebene Schäden zurückbleiben oder sonst unkalkulierbare Risiken einer erhöhten Schadensanfälligkeit bestehen. Genauso wie der Austausch beschädigter Teile eines Kraftfahrzeugs für sich allein nicht die Zubilligung eines Anspruchs auf Ersatz eines merkantilen Minderwerts rechtfertigen kann (MünchKomm-BGB/Oetker, 5. Aufl., § 249 Rn. 54), bleibt auch unter den hier gegebenen Umständen nach einer fachgerecht durchgeführten Neulackierung kein ersatzfähiger merkantiler Minderwert zurück.“
Um reine Kratzschäden wie in dem vom BGH entschiedenen Fall geht es vorliegend nicht. Wie der Beklagte vorträgt, sind die Kratzer „recht tief ins Blech gegangen“, und es wurden Spachtelarbeiten durchgeführt. Die Kratzschäden haben also vorliegend den Charakter von Blechschäden. Bei Bechschäden kann trotz vollständiger und fachgerechter Beseitigung ein merkantiler Minderwert verbleiben, weshalb es sich um Unfallschäden handelt.
c) Eine Fristsetzung zur Nacherfüllung nach § 323 I BGB ist nicht erforderlich, da die Nacherfüllung nach § 275 BGB unmöglich ist. Ein unfallbehaftetes Fahrzeug kann nie mehr, auch nicht durch eine fachgerechte Reparatur, zu einem unfallfreien Fahrzeug gemacht werden. Eine Nachlieferung ist nicht möglich, da der gekaufte Gebrauchtwagen einzigartig ist.
d) Der Kläger hat den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt.
e) Nach § 346 I BGB sind die empfangenen Leistungen zurückzugewähren, mithin der Kaufpreis zurückzuzahlen.
Der Kläger hat für die gezogenen Nutzungen Wertersatz zu leisten. Bei dem BMW ist von einer Gesamtfahrleistung bis zur annähernden Wertlosigkeit des Fahrzeugs von 250.000 km auszugehen (nicht 300.000 km, wie der Kläger meint). Bei Kaufvertragsschluss betrug der Kilometerstand 170.000, sodass von einer Restlaufleistung von 80.000 km auszugehen ist. Der aktuelle Kilometerstand beträgt 194.000, sodass der Wertersatz für die Nutzung … 4.350 € beträgt.
Entsprechend besteht noch ein Anspruch des Klägers in Höhe von (14.500 € − 4.350 €) = 10.150 €.
2. Der Kläger hat einen Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 434, 284 BGB auf Zahlung von 2.117,38 €. Die Aufwendungen für Reparaturen des Fahrzeugs und Vorführungen zur Hauptuntersuchung hat der Kläger im Vertrauen auf den Erhalt der mangelfreien Leistung gemacht und durfte sie auch billigerweise machen, sodass sie von dem Beklagten zu ersetzen sind.
Insgesamt ergibt sich so ein Hauptanspruch in Höhe von (10.150 € + 2.117,38 € =) 12.267,38 €.
3. …
4. Bei Klageerhebung hatte der Kläger … einen Gebrauchsvorteil von 892,30 € abgezogen. Der zuletzt gestellte Antrag berücksichtigt wegen der nunmehrigen Laufleistung … von 24.000 km einen Gebrauchsvorteil von 2.676,92 €. Die Klageänderung ist daher dahin auszulegen, dass hinsichtlich der Differenz von 1.784,62 € nebst Zinsen der Rechtsstreit für erledigt erklärt, das heißt ein Antrag auf Feststellung der Erledigung gestellt wird. Der Antrag ist begründet. Bei der bei Klageerhebung zurückgelegten Laufleistung von 8.000 km war ein Wertersatz für die Nutzung in Höhe von … 1.450 € abzuziehen. Nun sind es, wie oben ausgeführt, 4.350 €, sodass die Klage in Umfang von 1.784,62 € nebst Zinsen erledigt ist (hinsichtlich der darüber hinausgehenden Differenz zwischen 4.350 € und 1.450 € ist die Klage unbegründet, da der Kläger von einer falschen zu erwartenden Gesamtlaufleistung ausgeht).
5. Entsprechend dem klägerischen Antrag ist der Beklagte zur Leistung Zug um Zug gegen Rückübereignung des Pkw zu verurteilen.
6. Der Antrag auf Feststellung des Annahmeverzugs des Beklagten … ist begründet. Der Beklagte geriet in Annahmeverzug, indem er das Angebot im Schreiben vom 17.02.2014, ihm bei unverzüglicher (Rück-)Zahlung des Kaufpreises … den Pkw zurückzuübereignen, mangels Zahlung nicht annahm.
7. Der Kläger hat einen Anspruch aus §§ 437 Nr. 3, 280 I BGB auf Ersatz der Kosten des Sachverständigengutachtens in Höhe von 841,69 €. Es handelt sich um durch den Mangel verursachte Rechtsverfolgungskosten …