- § 439 II BGB erfasst verschuldensunabhängig auch Sachverständigenkosten, die einem Käufer entstehen, um die Ursache der Mangelerscheinungen des Kaufgegenstandes aufzufinden und auf diese Weise zur Vorbereitung eines die Nacherfüllung einschließenden Gewährleistungsanspruchs die Verantwortlichkeit für den Mangel zu klären.
- Stehen der Mangel und die Mangelverantwortlichkeit des Verkäufers fest, besteht der Erstattungsanspruch für die „zum Zwecke der Nacherfüllung“ aufgewandten Sachverständigenkosten auch dann fort, wenn der Käufer später zur Minderung übergeht.
BGH, Urteil vom 30.04.2014 – VIII ZR 275/13
Sachverhalt: Die Kläger kauften im Herbst 2009 bei der Beklagten, die unter anderem mit Bodenbelägen handelt, Massivholzfertigparkett, das sie anschließend durch einen Schreiner in ihr Wohnhaus einbauen ließen. Dieser ging dabei nach einer von der Beklagten mitgelieferten Verlegeanleitung vor, die von der der Streithelferin der Beklagten als Herstellerin des Parketts stammte.
In der Folgezeit traten an dem verlegten Parkett Verwölbungen und andere Veränderungen wie etwa ein Schrumpfen in Randbereichen auf. Die von den Klägern erhobene Mängelrüge wies die Beklagte nach Rücksprache mit der Streithelferin zurück, weil die Veränderungen nach deren Einschätzung auf einer zu geringen Raumfeuchte beruhten. Die Kläger beauftragten daraufhin einen Privatsachverständigen mit der Begutachtung der Mangelerscheinungen und wandten dafür 1.258,72 € an Sachverständigenhonorar auf. Als Gutachtensergebnis stellte sich heraus, dass die Veränderungen des Bodenbelages auf eine in diesem Fall ungeeignete, in der mitgelieferten Verlegeanleitung so aber als zulässig und möglich empfohlene Art der Verlegung zurückzuführen war. Hierauf gestützt begehrten die Kläger anschließend eine Minderung des Kaufpreises um 30 %.
Der auf Erstattung des Minderungsbetrages, auf Ersatz der für die Einholung des Privatgutachtens aufgewandten Kosten sowie auf Freistellung der Kläger von vorgerichtlichen Anwaltskosten gerichteten Klage hat das Amtsgericht nur hinsichtlich des Minderungsbetrages stattgegeben. Auf die Berufung der Kläger hat das Landgericht ihnen auch den Ersatz der Sachverständigenkosten nebst Zinsen zugesprochen.
Insoweit erstrebte die Streithelferin der Beklagten mit ihrer Revision die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: [4] I. Das Berufungsgericht hat, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, zur Begründung seiner Entscheidung im Wesentlichen ausgeführt:
[5] Die Kläger könnten eine Erstattung der der Höhe nach unstreitigen Sachverständigenkosten zwar mangels eines der Beklagten zurechenbaren Herstellerverschuldens nicht als Schadensersatz beanspruchen. Ihnen stehe ein solcher Anspruch aber gemäß § 439 II BGB zu. Nach dieser Vorschrift müsse der Verkäufer entsprechend den darin umgesetzten Wertungen des Art. 3 der Richtlinie 1999/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter (ABl. 1999 L 171, 12; im Folgenden: Richtlinie) die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen ungeachtet der Frage tragen, ob er den Mangel verschuldet habe und ob der Käufer anschließend tatsächlich Nacherfüllung und nicht etwa Minderung verlange.
[6] Zu diesen Aufwendungen zählten auch die geltend gemachten Sachverständigenkosten. Das ergebe sich aus der Rechtsprechung des BGH (Urt. v. 23.01.1991 – VIII ZR 122/90; Urt. v. 17.02.1999 – X ZR 40/96), wonach der zur Nachbesserung Verpflichtete verschuldensunabhängig zugleich die Kosten für die Erstellung von Gutachten zu tragen habe, soweit diese zur Auffindung des zu beseitigenden Mangels erforderlich seien. Denn ein Nachbesserungsverlangen setze voraus, dass die Schadensursache festgestellt sei. Diese Sichtweise stehe zudem im Einklang mit der Auslegung der Richtlinie durch den Gerichtshof der Europäischen Union (Urt. v. 16.06.2011 – C-65/09), nach der die dem Verkäufer auferlegte Verpflichtung, den vertragsgemäßen Zustand des Verbrauchsguts unentgeltlich und ohne erhebliche Unannehmlichkeiten zu bewirken, den Verbraucher auch vor drohenden finanziellen Belastungen schützen solle, welche ihn davon abhalten könnten, seine Ansprüche geltend zu machen.
[7] Dem Anspruch aus § 439 II BGB stehe nicht entgegen, dass die Kläger nach Vorlage des Gutachtens nicht Nacherfüllung verlangt hätten, sondern zur Minderung (§§ 437 Nr. 2 Fall 2, 441 BGB) übergegangen seien. Ob und welche Gewährleistungsrechte sinnvollerweise geltend gemacht werden könnten, könne ein Käufer erst entscheiden, wenn feststehe, ob ein Mangel vorliege, worauf er zurückzuführen sei und auf welche Weise und mit welchem Aufwand er beseitigt werden könne. Da die Beklagte die Mangelerscheinungen einer unzureichenden Raumfeuchte, also der Risikosphäre der Kläger, zugeordnet und damit das Vorliegen eines Mangels bestritten habe, sei die Einholung des Gutachtens aus der maßgeblichen Ex-ante-Sicht der Kläger erforderlich gewesen. Nach dem Ergebnis des Gutachtens habe sich der durch die fehlerhafte Verlegeanleitung bedingte Mangel zudem bestätigt und wäre die Beklagte zum Ausbau des mangelhaften Bodenbelags sowie zum mangelfreien Einbau eines Ersatzbelags auf ihre Kosten bzw. bei absolut unverhältnismäßigen Kosten einer solchen Ersatzlieferung zur Kostenerstattung in Höhe eines angemessenen Betrages verpflichtet gewesen; dabei wären ihr verschuldensunabhängig zugleich die Kosten für das eingeholte Sachverständigengutachten zur Last gefallen.
[8] Wenn sich der Käufer in dieser Lage für eine den Verkäufer eher noch begünstigende Minderung entscheide, würde es ihn unangemessen benachteiligen, wenn man ihm eine Erstattung der Sachverständigenkosten, die nach ihrem Sinn und Zweck offensichtlich auch bereits vor Durchführung der Nacherfüllung anfallen könnten, nur deshalb versagen wollte, weil er aufgrund der durch das Gutachten gewonnenen Erkenntnisse – hier sogar nach verweigerter Nacherfüllung – die Minderung gewählt habe. Dies folge nicht nur aus der Systematik der Gewährleistungsrechte, sondern auch aus dem in der Richtlinie verschiedentlich zum Ausdruck gekommenen Gebot, dem Käufer bei Ausübung seiner Gewährleistungsrechte keine erheblichen Unannehmlichkeiten zu bereiten. Umgekehrt werde der Verkäufer durch die Kostentragung nicht unangemessen benachteiligt, da es angesichts seines Bestreitens eines Mangels nicht unbillig sei, ihm die zur Klärung der Schadensursache erforderlichen Kosten aufzuerlegen.
[9] II. Diese Beurteilung hält revisionsrechtlicher Nachprüfung stand, sodass die Revision zurückzuweisen ist.
[10] Zu Recht hat das Berufungsgericht angenommen, dass den Klägern ein verschuldensunabhängiger Anspruch aus § 439 II BGB auf Erstattung der Kosten des Privatgutachtens zusteht.
[11] 1. § 439 II BGB bestimmt, dass der Verkäufer die zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Kosten, insbesondere Transport-, Wege-, Arbeits- und Materialkosten zu tragen hat. Ob und unter welchen Voraussetzungen darunter auch Kosten fallen, die der Käufer durch Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Feststellung des Vorliegens eines Mangels aufwendet, hat der Senat bislang noch nicht entschieden. Er hat in anderem Zusammenhang lediglich ausgesprochen, dass es sich hierbei um eine Kostentragungsregelung mit Anspruchscharakter handelt, welche die von Art. 3 III 1, IV der Richtlinie geforderte Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung gewährleisten soll, dabei aber keine Rückschlüsse auf sonstige Rechte und Pflichten der Kaufvertragsparteien zulässt (Senat, Urt. v. 13.04.2011 – VIII ZR 220/10, BGHZ 189, 196 Rn. 23 ff., 37). Außerdem hat der Senat klargestellt, dass die Vorschrift, nach der der Käufer Anspruch auf Übernahme der „zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Aufwendungen“ durch den Verkäufer hat, in zeitlicher Hinsicht voraussetzt, dass sich der Vollzug des Kaufvertrags bei Entstehung der Aufwendungen im Stadium der Nacherfüllung gemäß § 439 I BGB befindet (Senat, Urt. v. 15.07.2008 – VIII ZR 211/07, BGHZ 177, 224 Rn. 9), und dass solche zum Zwecke der Nacherfüllung getätigten Aufwendungen nur dann vom Verkäufer zu tragen sind, wenn tatsächlich ein Mangel vorliegt (vgl. Senat, Urt. v. 21.12.2005 – VIII ZR 49/05, WM 2006, 1355 Rn. 21).
[12] 2. Im Schrifttum ist umstritten, ob zu den zum Zwecke der Nacherfüllung erforderlichen Kosten, die § 439 II BGB zugunsten des Käufers ersatzfähig stellt, auch Aufwendungen zählen, die – wie hier nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts – nötig sind, um die Ursache der Mangelerscheinungen aufzufinden und auf diese Weise zur Vorbereitung eines die Nacherfüllung einschließenden Gewährleistungsanspruchs die Verantwortlichkeit für den Mangel zu klären.
[13] a) Teilweise wird angenommen, dass § 439 II BGB keine Anspruchsgrundlage bilde für Aufwendungen des Käufers, die lediglich der Vorbereitung von Gewährleistungsansprüchen dienten; derartige Aufwendungen seien, da sie mit der Behebung des Mangels nicht zusammenhingen, nur auf der Grundlage von § 280 I BGB ersatzfähig (MünchKomm-BGB/Westermann, 6. Aufl., § 439 Rn. 15; BeckOK-BGB/Faust, Stand: März 2011, § 439 Rn. 21 f.). Überwiegend wird jedoch die Auffassung vertreten, dass darunter auch Aufwendungen zur Klärung einer unklaren Mängelursache fielen, weil das damit verbundene Kostenrisiko grundsätzlich dem Verkäufer zugewiesen sei (Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB, Neubearb. 2014, § 439 Rn. 16, 90; Palandt/Weidenkaff, BGB, 73. Aufl., § 439 Rn. 11; Jauernig/Berger, BGB, 15. Aufl., § 439 Rn. 37; Erman/Grunewald, BGB, 13. Aufl., § 439 Rn. 7; jurisPK-BGB/Pammler, 6. Aufl., § 439 Rn. 51; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl., Rn. 757 f.; Martis, MDR 2011, 1218, 1223 f.).
[14] b) Letztgenannte, der Senatsrechtsprechung zum früheren Recht (Senat, Urt. v. 23.01.1991 – VIII ZR 122/90, BGHZ 113, 251, 261) entsprechende Ansicht verdient den Vorzug.
[15] aa) § 439 II BGB stellt entgegen Faust (BeckOK-BGB/Faust, a. a. O., § 439 Rn. 21) eine eigenständige Anspruchsgrundlage dar (Senat, Urt. v. 13.04.2011 – VIII ZR 220/10, BGHZ 189, 196 Rn. 37; Urt. v. 15.07.2008 – VIII ZR 211/07, BGHZ 177, 224 Rn. 9). Der Wortlaut lässt es ohne Weiteres zu, darunter auch die zur Klärung der Mangelursache erforderlichen Sachverständigenkosten zu fassen. Denn Letztere werden mit der Zielrichtung, dem Käufer die Durchsetzung eines daran anknüpfenden Nacherfüllungsanspruchs zu ermöglichen, und damit „zum Zwecke der Nacherfüllung“ aufgewandt.
[16] bb) Dieses Verständnis spiegelt sich bereits in der Entstehungsgeschichte der Norm wider. Denn es war die Absicht des Gesetzgebers, mit Schaffung des § 439 II BGB den auf das vereinbarte Nachbesserungsrecht bezogenen, ansonsten aber weitgehend wortlautidentischen bisherigen § 476a Satz 1 BGB a.F. zu übernehmen und darin aufgehen zu lassen (BT-Drs. 14/6040, S. 205, 231). Für diesen war durch die höchstrichterliche Rechtsprechung (BGH, Urt. v. 23.01.1991 – VIII ZR 122/90, BGHZ 113, 251; Urt. v. 17.02.1999 – X ZR 40/96, NJW-RR 1999, 813 [unter II]; ähnlich auch schon BGH, Urt. v. 22.03.1979 – VII ZR 142/78, WM 1979, 724 [unter I 3]) geklärt, dass es sich um eine eigenständige, von einem Verschulden des Verkäufers unabhängige Anspruchsgrundlage des Käufers auf Erstattung seiner notwendigen Aufwendungen handelt. Dazu zählen auch Kosten, die für ein die Schadensursache untersuchendes und der Vorbereitung der Nachbesserung dienendes Gutachten aufgewandt werden. Dass der Gesetzgeber von dem so geprägten Normverständnis abrücken wollte, ist nicht ersichtlich.
[17] cc) Zu Unrecht geht die Revision davon aus, dass die in Art. 3 II der Richtlinie aufgeführten Rechtsbehelfe keine verschuldensunabhängige Haftung für die in § 439 II BGB genannten Aufwendungen zuließen, sondern dass es dazu einer in Art. 8 I der Richtlinie angesprochenen Verschuldenshaftung bedürfe. Diese Sichtweise verkennt nicht nur den gegenüber den sonstigen Rechten und Pflichten der Kaufvertragsparteien eigenständigen Anspruchscharakter des § 439 II BGB und die hiermit verbundene Absicht des nationalen deutschen Gesetzgebers, mit dieser Norm die von Art. 3 III 1, IV der Richtlinie geforderte Unentgeltlichkeit der Nacherfüllung verschuldensunabhängig zu gewährleisten (BT-Drs. 14/6040, S. 231; vgl. dazu auch Senat, Urt. v. 21.12.2011 – VIII ZR 70/08, BGHZ 192, 148 Rn. 50). Sie lässt auch außer Acht, dass der deutsche Gesetzgeber, nicht gehindert gewesen wäre, die Richtlinie durch die Übernahme der in § 476a Satz 1 BGB a.F. vorgefundenen Regelung überschießend umzusetzen, ohne dabei auf die von der Revision angenommenen gesetzessystematischen Grenzen zu stoßen. Denn Art. 8 II der Richtlinie hat es – wie in Erwägungsgrund 24 eigens hervorgehoben ist – den Mitgliedstaaten freigestellt, im Anwendungsbereich der Richtlinie strengere Bestimmungen zu erlassen oder aufrechtzuerhalten, um ein höheres Schutzniveau für die Verbraucher sicherzustellen. Das schließt es ein, den nach bisherigem Recht gemäß § 476a Satz 1 BGB a.F. für das vertraglich vereinbarte Nachbesserungsrecht enthaltenen Schutzstandard beizubehalten und auf das gesetzliche Nacherfüllungsrecht gemäß § 439 I BGB auszudehnen.
[18] 3. Dem Ersatzanspruch der Kläger aus § 439 II BGB steht – anders als die Revision meint – nicht entgegen, dass sie nach der Erstellung des Privatgutachtens nicht mehr gemäß § 439 I BGB Nacherfüllung verlangt, sondern den Kaufpreis gemäß § 441 BGB gemindert haben. Dies ändert nichts daran, dass die angefallenen Sachverständigenkosten jedenfalls zum Zeitpunkt ihrer für den Ersatzanspruch maßgeblichen Entstehung nach den unangegriffe-nen Feststellungen des Berufungsgerichts zumindest auch zum Zwecke der Nacherfüllung als dem anderen Gewährleistungsrechten vorgeschalteten Gewährleistungsrecht aufgewandt worden sind und aus damaliger Sicht zur Klärung der Ursache des Mangels und seiner Zurechnung erforderlich waren (vgl. BGH, Urt. v. 08.05.2012 – XI ZR 61/11, WM 2012, 1189 Rn. 28 [zu § 670 BGB]). Ob derartige Aufwendungen anschließend tatsächlich zu einer (erfolgreichen) Nacherfüllung führen, ist für den zuvor bereits wirksam entstandenen Ersatzanspruch ohne Bedeutung (jurisPK-BGB/Pammler, 6. Aufl., § 439 Rn. 50). Das gilt insbesondere auch dann, wenn der Verkäufer – wie hier nach den unangegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts geschehen – anschließend weiterhin jegliche Mängel bestritten hat und deshalb der Käufer eine Nacherfüllung auch im Falle einer Fristsetzung unter keinen Umständen erwarten konnte, sodass für ihn gemäß §§ 437 Nr. 2 Fall 2, 440, 323 II Nr. 1, 441 I BGB der letztlich eingeschlagene Weg zur Kaufpreisminderung eröffnet war.