Bei einem Gebrauchtwagenkauf liegt eine „Verdachtssituation“ vor und besteht deshalb für den potenziellen Käufer Anlass zu weiteren Nachforschungen, wenn der Verkäufer und der in der Zulassungsbescheinigung Teil II (Kfz-Brief) verzeichnete Halter nicht identisch sind. Das gilt auch beim Verkauf eines Gebrauchtwagens unter Privatleuten, und es gilt erst recht, wenn auch weitere Umstände verdächtig sind.
LG Köln, Urteil vom 07.01.2014 – 22 O 312/12
(nachfolgend: OLG Köln, Beschluss vom 28.04.2014 – 11 U 14/14)
Sachverhalt: Der Kläger begehrt die Feststellung, das er Eigentümer eines bestimmten Fahrzeugs ist.
Er wollte am 06.02.2012 beim Straßenverkehrsamt Düsseldorf einen Pkw zulassen. Dort wurde ihm mitgeteilt, dass das Fahrzeug als gestohlen gemeldet und zur Fahndung ausgeschrieben sei. Der Kläger wandte sich daraufhin umgehend an die Polizei und erfuhr, dass die Beklagte das Fahrzeug als gestohlen gemeldet habe. Der Pkw, die Fahrzeuschlüssel und die Fahrzeugpapiere wurden von der Staatsanwaltschaft beschlagnahmt, später aber wieder an den Kläger herausgegeben.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen den Kläger wegen des Verdachts der Hehlerei bzw. des Diebstahls. Sie hat ihm aufgegeben, das Fahrzeug an die Beklagte herauszugeben. Das AG Düsseldorf hat dem Kläger aufgegeben, den Zivilrechtsweg zu beschreiten und die von ihm behaupteten Ansprüche bezüglich des Fahrzeugs gerichtlich geltend zu machen.
Der Kläger behauptet, er habe das streitgegenständliche Fahrzeug am 02.02.2012 im Internet entdeckt. Dort sei es von einem L zum Kauf angeboten worden. Nachdem er, der Kläger, zunächst mit dessen Sohn telefoniert und einen Treffpunkt in Bremen vereinbart habe, habe er mit L selbst gesprochen. Mit ihm habe er sich dann am 03.02.2012 in Bremen getroffen, wo handschriftlich ein Kaufvertrag aufgesetzt worden sei. L habe gesagt, dass es sich bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug um ein Firmenfahrzeug handele, das er ursprünglich für seinen Sohn erworben habe. Er habe sich jedoch entschieden, das Fahrzeug weiterzuveräußern. L habe ihm, dem Kläger, die Zulassungsbescheinigungen Teil I und Teil II im Original sowie die Fahrzeugschlüssel und das „Scheckheft“ zum Fahrzeug übergeben. In der Zulassungsbescheinigung Teil II sei die Beklagte eingetragen gewesen. Erst nachdem L den Treffpunkt verlassen habe, habe er, der Kläger, im Fahrzeug einen auf den 24.01.2012 datierten Kaufvertrag gefunden, wonach L das Fahrzeug von einem X für 8.500 € erworben habe.
Die Beklagte behauptet, der streitgegenständliche Pkw sei gestohlen worden. Sie habe ihn 2009 bei der Firma F in Köln erworben, über die B-Bank – die die Zulassungsbescheinigung Teil II zunächst einbehalten habe – finanziert und bei der V-AG haftpflichtversichert. Ende September 2011 habe die Staatsanwaltschaft Köln gegen die Verantwortlichen der Beklagten wegen des Verdachts der Steuerverkürzung ermittelt und ihre sämtlichen Geschäftsunterlagen beschlagnahmt. Der Geschäftsbetrieb der Beklagten sei deshalb zum Erliegen gekommen. Die Verantwortlichen der Beklagten hätten sich in der Folge darum bemüht, die noch im Umlauf befindlichen Fahrzeuge der Beklagten zusammenzuziehen und die laufenden Leasing- bzw. Darlehensverträge abzuwickeln. Die Fahrzeuge, darunter der streitgegenständliche Pkw, in dem sich die Zulassungsbescheinigung Teil I befunden habe, seien auf einem Parkplatz in Bergisch Gladbach gesammelt worden. Den Schlüssel für das streitgegenständliche Fahrzeug, das im Unterschied zu den anderen Fahrzeugen nicht abgemeldet gewesen sei, um weiter genutzt werden zu können, habe H gehabt. Der Bruder seiner Freundin habe mehere Fahrzeugschlüssel bei ihm entwendet.
Am 23.01.2012 habe die Ehefrau des Geschäftsführers der Beklagten festgestellt, dass sich (auch) das streitgegenständliche Fahrzeug nicht mehr auf dem Parkplatz in Bergisch Gladbach befunden habe. Der Diebstahl sei noch am selben Abend zur Anzeige gebracht worden. In der Folgezeit habe man mehere Fahrzeuge in Bremen aufgefunden.
Noch im Februar 2012 habe die B-Bank mit der Beklagten hinsichtlich der rückständigen Darlehensraten korrespondiert. Erst nach vollständiger Rückzahlung des Darlehens habe die Bank der Beklagten die Zulassungsbescheinigung Teil II ausgehändigt.
Die Feststellungsklage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: I. … Der Kläger hat keinen Anspruch auf Feststellung, dass er Eigentümer des streitgegenständlichen Fahrzeugs ist (§ 256 ZPO). Er ist nicht Eigentümer des Fahrzeugs geworden.
Der Kläger konnte nicht gemäß § 929 Satz 1 BGB Eigentümer werden, da der Veräußerer, L, nicht Eigentümer des streitgegenständlichen Fahrzeugs war …
Nach dem derzeitigen Sach- und Streitstand steht … zur Überzeugung des Gerichts fest, dass Eigentümerin im Zeitpunkt des von der Beklagtenseite behaupteten Diebstahls die B-Bank war. Damit ist das Fahrzeug der B-Bank als mittelbarer Besitzerin abhandengekommen. Dabei verkennt das Gericht nicht, dass die Beklagte das Nichteigentum des Veräußerers (hier des L) beweisen muss. § 1006 II BGB gilt nur für die Zeit ihres Besitzes …
Dem Eigentumserwerb gemäß § 932 BGB steht damit § 935 I BGB entgegen, wonach ein Eigentumserwerb gemäß § 932 BGB ausgeschlossen ist, wenn die Sache dem Eigentümer gestohlen worden, verlorengegangen oder sonst abhandengekommen war. Das Gleiche gilt, wenn der Eigentümer nur mittelbarer Besitzer war, dann, wenn die Sache dem Besitzer abhandengekommen war. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme steht es zur Überzeugung des Gerichts fest, dass das Fahrzeug der B-Bank abhandengekommen ist. Konkrete Anhaltpunkte für eine willentliche Veräußerung durch die Beklagte bestehen nicht.
Darüber hinaus wäre auch ein gutgläubiger Erwerb gemäß § 932 II BGB ausgeschlossen. Der Kläger handelte beim Kauf grob fahrlässig. Unter grober Fahrlässigkeit ist ein Handeln zu verstehen, bei dem die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich hohem Maße verletzt worden und bei dem dasjenige unbeachtet geblieben ist, was im gegebenen Fall jedem hätte einleuchten müssen (st. Rspr.; BGH, Urt. v. 09.02.2005 – VIII ZR 82/03, NJW 2005, 1365 [1366]). Beim Erwerb eines gebrauchten Kraftfahrzeugs besteht keine allgemeine Nachforschungspflicht. Die Übergabe und Prüfung des Kfz-Briefs bzw. der Zulassungsbescheinigung Teil II sind aber die Mindestanforderungen für einen gutgläubigen Erwerb von Kraftfahrzeugen.
Vorliegend war – anders als im vom Kläger angeführten Fall (OLG Braunschweig, Urt. v. 01.09.2011 – 8 U 170/10) – gerade nicht der Veräußerer L als Halter eingetragen.
Grobe Fahrlässigkeit ist beim Erwerb vom Nichtberechtigten nur dann anzunehmen, wenn der Erwerber trotz Vorliegens von Verdachtsgründen, die Zweifel an der Berechtigung des Veräußerers wecken müssen, sachdienliche Nachforschungen nicht unternimmt. Wann eine solche Nachforschungspflicht, die nicht allgemein als Voraussetzung für einen gutgläubigen Eigentumserwerb bejaht werden kann, besteht, ist eine Frage des Einzelfalls. Für den Gebrauchtwagenhandel hat der BGH wegen der dort nicht selten vorkommenden Unregelmäßigkeiten in ständiger Rechtsprechung bei der Bewertung der Umstände, die für den Käufer eines gebrauchten Kraftfahrzeugs eine Nachforschungspflicht hinsichtlich der Verfügungsberechtigung des Veräußerers begründen, einen strengen Maßstab angelegt (BGH, Urt. v. 01.07.1987 – VIII ZR 331/86, NJW-RR 1987, 1456 [1457]; OLG Braunschweig, Urt. v. 01.09.2011 – 8 U 170/10).
Im vorliegenden Einzelfall lagen die Umstände so, dass der Kläger vor dem Erwerb weitere Nachforschungen hätte anstellen müssen. Zunächst wurde ihm unmittelbar vor dem Vertragsabschluss eine andere Anschrift genannt, an der das Treffen mit dem Veräußerer stattfinden sollte. Zudem war in der Zulassungsbescheinigung Teil II die Beklagte eingetragen. Bei Gebrauchtwagen ist Bösgläubigkeit gegeben, wenn der Erwerber sich nicht aufgrund der Eintragung in der Zulassungsbescheinigung II davon überzeugt, dass der Veräußerer verfügungsbefugt ist (Palandt/Bassenge, BGB, 73. Aufl. [2014], § 932 Rn. 13). Ist eine juristische Person – wie vorliegend – eingetragen, so erstreckt sich die Prüfungspflicht auch auf die Vertretungsmacht des Handelnden. Beim Erwerb vom Veräußerer, der die Bescheinigung besitzt, ohne selbst eingetragen zu sein, sind weitere Nachforschungen jedenfalls dann geboten, wenn die Umstände der Veräußerung zweifelhaft sind (Palandt/Bassenge, a. a. O., § 932 Rn. 13).
Auch wenn grundsätzlich keine umfassende Prüfpflicht dahin gehend besteht, dass die Nummer der Zulassungsbescheinigung Teil II mit der Nummer des Fahrzeugscheins übereinstimmt (eine Übereinstimmung liegt im vorliegenden Fall gerade nicht vor), spricht auch dies im Rahmen der Gesamtumstände für eine grobe Fahrlässigkeit des Klägers.
Eine plausible Erklärung, weshalb L zur Veräußerung des Fahrzeugs berechtigt gewesen sein soll, hat sich der Kläger nicht geben lassen …
Hinweis: Mit Beschluss vom 28.04.2014 – 11 U 14/14 – hat das OLG Köln darauf hingewiesen, dass es beabsichtige, die Berufung des Klägers gemäß § 522 II ZPO zurückzuweisen, da sie keine Aussicht auf Erfolg habe. In dem Hinweisbeschluss heißt es:
„1. … Das angefochtene Urteil entspricht der Sach- und Rechtslage. Die Berufungsbegründung rechtfertigt eine Abänderung der Entscheidung nicht. Sie gibt lediglich zu folgenden Hinweisen Anlass:
Ein Eigentumserwerb des Klägers kam nur nach § 932 BGB in Betracht. Dieser scheitert jedoch sowohl daran, dass das Fahrzeug dem Eigentümer abhandengekommen ist (§ 935 BGB), als auch an der fehlenden Gutgläubigkeit des Klägers.
a) Das Landgericht nimmt zu Recht an, dass das Fahrzeug im Eigentum der den Leasingvertrag der Beklagten finanzierenden B-Bank stand, und dass es dieser durch die Entwendung aus dem unmittelbaren Besitz der Beklagten, die Besitzmittlerin der B-Bank war, abhandengekommen ist. Es hält dies aufgrund der Beweisaufnahme für bewiesen. Dem ist zu folgen. Die Feststellungen des Landgerichts stützen sich auf die Aussage der Zeugin Z, die Entsprechendes bekundet hat. Konkrete Anhaltspunkte, die Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussage der Zeugin und damit an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der darauf gestützten Feststellungen begründen könnten, werden weder von der Berufung aufgezeigt, noch sind sie sonst ersichtlich (§ 529 I Nr. 2 ZPO). Daraus folgt zum einen, dass ein Eigentumserwerb des Veräußerers, L, als auch ein anschließender Erwerb des Klägers von L nur nach § 932 BGB hätte erfolgen können, und dass dem zum anderen jeweils § 935 BGB entgegenstand.
b) Zudem fehlte es an der Gutgläubigkeit des Klägers. Es entspricht ständiger Rechtsprechung, dass beim Gebrauchtwagenkauf immer dann Anlass zu weiteren Nachforschungen besteht (‚Verdachtssituation‘), wenn der Veräußerer und der in dem Kraftfahrzeugbrief bzw. der Zulassungsbescheinigung Teil II verzeichnete Halter nicht identisch sind (BGH, Urt. v. 01.07.1987 – VIII ZR 331/86, NJW-RR 1987, 1456 [1457]; Urt. v. 11.03.1991 – II ZR 88/90, NJW 1991, 1415 [1417]). Das gilt auch beim Verkauf eines gebrauchten Kraftfahrzeugs unter Privatleuten (OLG Karlsruhe, Urt. v. 02.07.1998 – 12 U 67/98, OLGR 1999, 125; LG Mönchengladbach, Urt. v. 29.08.2005 – 2 O 36/05, NJW 2005, 3578 [5379]; MünchKomm-BGB/H. P. Westermann, 6. Aufl., § 632 Rn. 55; jurisPK-BGB/Beckmann, 6. Aufl., § 932 Rn. 32; Reinking/Eggert, Der Autokauf, 12. Aufl., Rn. 4717), erst recht, wenn auch die sonstigen Umstände der Veräußerung zweifelhaft sind (vgl. Palandt/Bassenge, BGB, 73. Aufl., § 932 Rn. 13). Da in der Zulassungsbescheinigung Teil II nicht der Veräußerer, L, sondern die Beklagte als Halterin eingetragen war, oblag es dem Kläger, weitere geeignete Nachforschungen bezüglich der Eigentumsverhältnisse oder der Verfügungsbefugnis des L anzustellen. Nach der Schilderung des Klägers bei seiner Anhörung durch das Landgericht hat L angegeben, es handele sich um ein Firmenfahrzeug, das er ursprünglich für seinen Sohn gekauft habe. In Anbetracht der Tatsache, dass das Fahrzeug nicht auf den angeblichen Erwerber umgeschrieben war, hätte der Kläger sich einen etwaigen Kaufvertrag mit der Beklagten vorlegen lassen oder zumindest nach den Umständen des Vorerwerbes erkundigen müssen. Beides hat er nicht getan.
Auch waren die weiteren Umstände der Veräußerung zweifelhaft. Das Landgericht verweist insoweit zu Recht darauf, dass dem Kläger unmittelbar vor dem Vertragsschluss eine andere Anschrift für das Treffen mit dem Veräußerer genannt wurde als die zunächst vereinbarte. Die Abweichung der Nummer der ihm übergegebenen Ausfertigung der Zulassungsbescheinigung Teil II von der des Fahrzeugscheins war ein zusätzliches Verdachtsmoment …“