- Ein Gebrauchtwagenverkäufer handelt arglistig, wenn er im Kaufvertrag „ins Blaue hinein“ erklärt, das Fahrzeug sei „lt. Vorbesitzer“ unfallfrei, obwohl der Vorbesitzer eine entsprechende Erklärung nicht abgegeben und er selbst das Fahrzeug nicht untersucht hat.
- Von einem gewerblichen Gebrauchtwagenverkäufer, der sich trotz fehlender Angaben des Vorbesitzers zur Unfallfreiheit eines Fahrzeugs äußern will, ist zu verlangen, dass er das Fahrzeug entweder untersucht oder Informationen über bisherige Reparaturen des Fahrzeugs einholt. Das gilt jedenfalls dann, wenn der Hersteller des Fahrzeugs zugleich dessen erster und bisher einziger Besitzer ist und eine jederzeit abrufbare „Reparaturhistorie“ bereithält.
OLG Naumburg, Urteil vom 24.10.2013 – 1 U 44/13
Sachverhalt: Die Klägerin kauft bei der Beklagten mit Vertrag vom 16.12.2008 einen gebrauchten Pkw zum Preis von 18.490 €. Im Kaufvertrag ist die Laufleistung des Fahrzeugs mit 7.735 km angegeben. Weiter heißt es in dem Vertrag:
„Zahl, Umfang und Art von Mängeln und Unfallschäden lt. Vorbesitzer: [nein]
Dem Verkäufer sind auf andere Weise Mängel und Unfallschäden bekannt: [nein]“
Die Beklagte hatte das Fahrzeug, das seinerzeit eine Laufleistung von 7.731 km aufwies, ihrerseits mit Vertrag vom 13.8.2008 von der H-GmbH erworben. Diese Gesellschaft ist nach dem Vortrag der Beklagten eine gewerbliche Zwischenhändlerin, über die die X-AG Dienstfahrzeuge veräußert. In einer Rechnung der X-AG vom 11.08.2008, die sie der H-GmbH bezüglich des hier interessierenden Fahrzeugs stellte, heißt es unter anderem: „Optische Mängel 335,70 €“. Weitere Angaben zu Vorschäden des Pkw enthält weder diese Rechnung noch die an die Beklagte adressierte Rechnung der H-GmbH vom 13.08.2011.
Am 08.07.2011 wurde die Klägerin in einen Auffahrunfall verwickelt. Im Rahmen der Regulierung des Unfallschadens wurde ein Sachverständigengutachten eingeholt. Darin führte der Sachverständige R unter „Behobene Vorschäden“ aus: „Seitenwand links erneuert; Tür hinten links mit erhöhter Lackschichtendicke“. Den durch den Auffahrunfall entstandenen Minderwert am streitgegenständlichen Fahrzeug gab er mit 300 € an.
Mit Anwaltsschreiben vom 27.07.2011 hat die Klägerin den Rücktritt vom Kaufvertrag erklärt und dessen Rückabwicklung verlangt. Sie meint, die Beklagte habe sie über die bei Abschluss des Kaufvertrags bestehenden Mängel habe aufklären müssen.
Das Landgericht hat der Klage ganz überwiegend stattgegeben, nachdem es unter anderem eine Auskunft der X-AG eingeholt hatte. Dort heißt es, am Fahrzeug der Klägerin seien „ausweislich der Reparaturhistorie vor dem 16.12.2008 folgende Maßnahmen durchgeführt worden“:
„Abdeckung für Stoßfänger hinten aus- und eingebaut, Stoßfänger-Abdeckung instandgesetzt. Seitenteile demontiert. Seitenteil hinten ersetzt. Seitenteil hinten montiert; Karosserielackierung vorbereitet. Abdeckung der Stoßfänger hinten lackiert; Seitenteil hinten lackiert. Zierleiste NTL lackiert“
Angaben darüber, was die Ursache für die Reparatur gewesen sei, könnten nicht gemacht werden.
Zur Begründung seines Urteils hat das Landgericht ausgeführt, dass nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme feststehe, dass der streitgegenständliche Schaden nicht während der Besitzzeit der Klägerin entstanden sei. Im Übrigen treffe die Beklagte eine Untersuchungspflicht. Sie habe sich – was nach Auskunft der X-AG allen Händlern möglich sei – über die Reparaturhistorie informieren müssen. Die Beklagte habe daher das Vorliegen von Mängeln und Unfallschäden verneint, obgleich sie es habe besser wissen müssen.
Mit ihrer Berufung rügt die Beklagte, dass das Landgericht die Voraussetzungen einer arglistigen Täuschung zu Unrecht bejaht habe. Das Rechtsmittel hatte zum Teil Erfolg.
Aus den Gründen: II. … Gegenüber dem Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises ist die Nutzungsentschädigung im Rahmen der Abwicklung des Kaufvertrags (§ 346 I BGB) zu berücksichtigen.
Der Anspruch auf Rücktritt vom Vertrag gemäß § 437 Nr. 2 BGB ist nicht verjährt. Zwar wurde … die Gewährleistungsfrist grundsätzlich wirksam auf ein Jahr begrenzt … Die Verjährungsfrist von einem Jahr gilt aber nicht, soweit der Mangel arglistig verschwiegen wurde. In diesem Fall verweist § 438 III 1 BGB auf die regelmäßige Verjährungsfrist. Diese beträgt nach § 195 BGB drei Jahre. Die Verweisungsvorschrift aus § 438 III 1 BGB bezieht sich dabei nicht nur auf die Verjährungsfrist, sondern auch auf den Zeitpunkt des Verjährungsbeginns gemäß § 199 BGB (MünchKomm-BGB/H. P. Westermann, BGB, 6. Aufl., § 438 Rn. 28; Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 8. Aufl., Rn. 695). Im Falle von Arglist konnte die Verjährungsfrist somit nicht vor dem 31.12.2011 enden und konnte durch die Klageerhebung vom 19.12.2011 (Zustellung der Klageschrift: 23.12.2011) gehemmt werden (§ 204 I Nr. 1 BGB).
Im Ergebnis ist mit dem Landgericht von einem arglistigen Verhalten der Beklagten auszugehen. Die Beklagte hat im Kaufvertrag eine Erklärung „ins Blaue hinein“ zur Frage der Unfallfreiheit des streitgegenständlichen Fahrzeugs abgegeben, soweit es dort heißt, dass nach Angaben des Vorbesitzers keine Unfallschäden vorliegen. Eine solche Erklärung hat aber weder die X-AG gegenüber der Firma H … noch diese gegenüber der Beklagten abgegeben. Der Erklärung im Kaufvertrag mit der Klägerin fehlte damit die tatsächliche Grundlage. Machte der Vorbesitzer … keine Angaben zur Unfallfreiheit, musste die Klägerin, bevor sie selbst diese Erklärung abgab, entweder das Fahrzeug untersuchen oder die Reparaturhistorie bei der X-AG abfragen. Zwar mögen solche Rückfragen bei Vorbesitzern nicht in allen Fällen von Gebrauchtwagenverkäufen erforderlich sein … Ist aber der Hersteller des Fahrzeuges (jedenfalls rein tatsächlich) auch der erste – und bislang einzige – Besitzer (Nutzer und Halter) des Fahrzeuges, und hält dieser (jederzeit abrufbare) Informationen über die Reparaturhistorie vor, dann muss (jedenfalls) ein gewerblicher Händler auf diese Information zurückgreifen, bevor er eine Erklärung über die Unfallfreiheit abgibt. Nimmt er diese Möglichkeit nicht in Anspruch, handelt er dann arglistig, wenn die Nachfrage einen offenbarungspflichtigen Mangel erbracht hätte. Davon ist im Hinblick auf den Inhalt der Auskunft der X-AG gegenüber dem Landgericht und den unstreitig am Fahrzeug vorgenommenen Arbeiten auszugehen. Wenn Karosserieteile herausgeschweißt und durch neue ersetzt werden, kann es sich nur um einen Unfallschaden handeln, der ja nicht nur dann angenommen werden kann, wenn mehrere Fahrzeuge in das Geschehen verwickelt sind (zum Begriff des Unfalls: Reinking/Eggert, Der Autokauf, 11. Aufl., Rn. 3094). Gab es aber Anhaltspunkte, die das Vorliegen eines Unfallschadens evident naheliegend erscheinen lassen mussten, hätte die Beklagte die Klägerin darüber ungefragt aufklären müssen. Dass die Klägerin dann vom Kauf Abstand genommen hätte, hat sie bei ihrer Anhörung durch den Senat glaubhaft dargelegt.
Da nach den Gesamtumständen von einem Unfallschaden auszugehen ist, steht dem Rücktritt nicht entgegen, dass im Schreiben vom 27.07.2011 keine Frist i. S. von § 323 I BGB gesetzt wurde. Eine Fristsetzung ist entbehrlich, wenn der Mangel seiner Natur nach nicht beseitigt werden kann, was für den Umstand, dass ein Unfallschaden vorliegt, immer gilt, weil dieser nachträglich nicht mehr entfallen kann (es kann somit dahinstehen, ob eine Fristsetzung beim Verbrauchsgüterkauf überhaupt erforderlich ist oder insoweit das Abwarten einer angemessenen Frist ausreicht [dazu: Palandt/Grüneberg, BGB, 72. Aufl., § 323 Rn. 12] und ob eine solche Frist im Zeitpunkt 27.07.2011 bereits abgelaufen war).
Im Falle der Durchführung des Rücktritts sind die empfangenen Leistungen zurückzugewähren und die gezogenen Nutzungen herauszugeben. Insoweit spielt es keine Rolle, dass sich die Beklagte nicht auf die Berücksichtigung der Nutzungsentschädigung beruft, weil dies von § 346 I BGB bereits vorausgesetzt wird. Die Klägerin hat unwidersprochen eine Gesamtnutzungsstrecke von 34.627 Kilometern vorgetragen. Bei einer (gem. § 287 ZPO zu schätzenden) Restlaufleistung von 150.000 km ergibt sich (Berechnung nach Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 3564) eine Nutzungsentschädigung von 12 Cent/km oder gesamt von 4.155,24 €. Um diesen Betrag ist der zurückzuzahlende Kaufpreis … zu mindern.
Weiter abzusetzen ist der vom Sachverständigen R ermittelte Minderwert in Bezug auf den Auffahrunfall in Höhe von 300 €, sodass ein Restbetrag von 14.034,76 € verbleibt, den die Beklagte Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs an die Klägerin zu zahlen hat.
Die Klägerin hat weiter Anspruch auf Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, soweit ihr Anspruch begründet ist. Ausgehend von einem Gegenstandswert von bis zu 16.000 € errechnet sich ein Betrag von … 923,20 €. Da das Landgericht nur 899,40 € zugesprochen hat, kann die Berufung insoweit keinen Erfolg haben …