Bei ei­nem ge­brauch­ten Mo­tor­rad be­grün­det das Aus­ein­an­der­fal­len von Bau­jahr und Jahr der Erst­zu­las­sung kei­nen Sach­man­gel. Denn es gibt kei­nen Er­fah­rungs­satz des In­halts, dass Kraft­fahr­zeu­ge stets als­bald nach der Her­stel­lung zum Stra­ßen­ver­kehr zu­ge­las­sen wür­den.

LG It­ze­hoe, Ur­teil vom 20.04.2011 – 3 O 394/10

Sach­ver­halt: Der Klä­ger be­gehrt die Rück­ab­wick­lung ei­nes Kauf­ver­trags über ein ge­brauch­tes Mo­tor­rad.

Mit Ver­trag vom 21.05.2010 kauf­te der Klä­ger von der Be­klag­ten ein ge­brauch­tes Mo­tor­rad vom Typ X (Bau­jahr 2004, Ki­lo­me­ter­stand 11.800 km) zum Preis von 6.670 €. Zu­vor hat­te der Klä­ger das Mo­tor­rad be­sich­tigt und ei­ne Pro­be­fahrt un­ter­nom­men. Die Be­klag­te hat­te das Mo­tor­rad in ei­ner An­zei­ge, auf die der Klä­ger im Vor­feld des Ver­trags­schlus­ses auf­merk­sam wur­de, be­wor­ben. In die­ser An­zei­ge wur­de das Erst­zu­las­sungs­da­tum mit „03/2006“ an­ge­ge­ben. Zum Bau­jahr des Mo­tor­rads ent­hielt die An­zei­ge kei­ne An­ga­ben.

Mit Schrei­ben sei­ner Pro­zess­be­voll­mäch­tig­ten vom 14.07.2010 for­der­te der Klä­ger die Be­klag­te auf, bis zum 30.07.2010 ein ver­trags­ge­rech­tes Mo­tor­rad zu lie­fern, und be­grün­de­te dies mit der zeit­li­chen Dif­fe­renz zwi­schen Her­stel­lungs­zeit­punkt und Zeit­punkt der Erst­zu­las­sung. Un­ter dem 09.08.2010 er­klär­te der Klä­ger den Rück­tritt vom Kauf­ver­trag und hilfs­wei­se des­sen An­fech­tung.

Der Klä­ger meint, das ver­kauf­te Mo­tor­rad sei man­gel­haft, weil die Mo­del­le des Bau­jahrs 2006 ge­gen­über de­nen des Bau­jahrs 2004 tech­nisch aus­ge­reif­ter und ver­bes­sert ge­we­sen sei­en. Zu­dem sei ei­ne zwei­jäh­ri­ge Zeit­span­ne zwi­schen Bau­jahr und Erst­zu­las­sung auch bei Ge­braucht­fahr­zeu­gen ein of­fen­ba­rungs­pflich­ti­ger Um­stand. Er meint, er ha­be man­gels Hin­wei­ses der Be­klag­ten auf die zeit­li­che Dif­fe­renz zwi­schen Bau­jahr und Erst­zu­las­sung dar­auf ver­trau­en dür­fen, dass das Mo­tor­rad im Jahr sei­ner Erst­zu­las­sung 2006 ge­baut wor­den sei.

Die Kla­ge hat­te kei­nen Er­folg.

Aus den Grün­den: I. Der Klä­ger hat kei­nen An­spruch auf die von ihm ver­lang­te Rück­ab­wick­lung des Kauf­ver­trags. Die Vor­aus­set­zun­gen der in Be­tracht kom­men­den An­spruchs­grund­la­gen lie­gen nicht vor.

1. Dem Klä­ger steht kein An­spruch aus § 346 I Fall 2 BGB zu. Es fehlt ein Sach­man­gel i. S. des § 434 I BGB, so­dass der Klä­ger nicht ge­mäß §§ 437 Nr. 2, 323 I Fall 2 BGB vom Ver­trag zu­rück­tre­ten konn­te.

a) Kei­ner Ent­schei­dung be­darf die Fra­ge, ob ei­ne X des Bau­jahrs 2004 ne­ga­tiv ab­weicht von ei­ner X des Bau­jah­res 2006. Das klä­ge­ri­sche Vor­brin­gen, dass ein Mo­dell X des Bau­jahrs 2004 we­ni­ger aus­ge­reift als ei­nes des Bau­jahrs 2006 sei und noch un­ter „Kin­der­krank­hei­ten“ lei­de, ist eben­so pau­schal und un­sub­stan­zi­iert wie der Vor­trag, die 2006er Mo­del­le hät­ten über ver­schie­de­ne Mo­tor­spe­zi­fi­ka­tio­nen aus hö­her­klas­si­gen Mo­dell­rei­hen ver­fügt. Er­for­der­lich wä­re schon die Dar­le­gung ein­zel­ner Ei­gen­schaf­ten ge­we­sen, aus de­nen sich er­gibt, dass ei­ne X des Bau­jahrs 2006 ne­ga­tiv von ei­ner des Bau­jah­res 2004 ab­weicht. Ob der in­so­weit ein­zig kon­kre­te Vor­trag, dass die 2006er Mo­del­le über ei­ne hö­her­wer­ti­ge Guss­schwin­ge ver­füg­ten, für die Dar­le­gung ei­ner ne­ga­ti­ven Ab­wei­chung ge­nügt, kann of­fen­blei­ben.

Ent­schei­dend ist, dass schon nach dem klä­ge­ri­schen Vor­brin­gen nicht er­sicht­lich ist, dass die Par­tei­en als Soll­be­schaf­fen­heit ver­ein­bart hät­ten, die streit­ge­gen­ständ­li­che X sei im Jahr 2006 ge­baut wor­den. Der schrift­li­che Kauf­ver­trag ent­hielt da­zu kei­ne An­ga­ben eben­so wie die Wer­be­an­zei­ge der Be­klag­ten, die le­dig­lich das Da­tum der Erst­zu­las­sung mit­teil­te. Auch münd­lich gab es schon nach dem Klä­ger­vor­trag kei­ne Ver­ein­ba­rung der Par­tei­en zu dem Bau­jahr des Mo­tor­rads.

Der Klä­ger durf­te auch nicht ge­mäß § 434 I 3 BGB auf­grund der be­wor­be­nen Erst­zu­las­sung er­war­ten, dass das Mo­tor­rad im Jahr 2006 ge­baut wur­de. Her­stel­lungs­da­tum und Da­tum der Erst­zu­las­sung kön­nen und müs­sen un­ter­schie­den wer­den. Es gibt kei­nen Er­fah­rungs­satz des In­halts, dass Kraft­fahr­zeu­ge im­mer als­bald nach der Her­stel­lung zum Stra­ßen­ver­kehr zu­ge­las­sen wür­den. Der Klä­ger kann für sei­nen Rechts­stand­punkt auch nicht Ent­schei­dun­gen in An­spruch neh­men, in de­nen es um Fahr­zeu­ge ging, die auf­grund sehr ge­rin­ger Fahr­leis­tun­gen als na­he­zu neu­wer­tig ver­kauft wur­den. Denn in die­sen Fäl­len ging es für die Be­ur­tei­lung der Soll­be­schaf­fen­heit nicht al­lein um das zeit­li­che Aus­ein­an­der­fal­len von Her­stel­lungs- und Erst­zu­las­sungs­da­tum, son­dern zu­dem um die Fra­ge, ob der Käu­fer das von ihm er­war­te­te prak­tisch neue Fahr­zeug er­hält oder nicht. Die­se Recht­spre­chung kann nicht ana­log an­ge­wen­det wer­den auf ei­nen Fall wie den vor­lie­gen­den, in de­nen der Käu­fer oh­ne­hin ein ge­brauch­tes Kraft­fahr­zeug er­wer­ben will, weil hier zur Er­war­tung des Käu­fers die Ei­gen­schaft „prak­tisch neu“ eben nicht ge­hört. Für den Käu­fer ei­nes ge­brauch­ten Kraft­fahr­zeugs sind zwei­fel­los re­le­vant die Fra­gen, wie lan­ge und in wel­chem Um­fang das Fahr­zeug be­nutzt wur­de – d. h. die Fra­gen nach Erst­zu­las­sung und Lauf­leis­tung – so­wie der tech­ni­sche und op­ti­sche Zu­stand des Fahr­zeugs. Da­zu hat der Klä­ger Aus­kunft be­kom­men über die An­non­ce bzw. durch die von ihm selbst ge­mach­te Pro­be­fahrt. Wä­re es dem Klä­ger dar­auf an­ge­kom­men, ein Mo­tor­rad mit der Guss­schwin­ge der Mo­del­le des 2006er Bau­jah­res zu be­kom­men, hät­te es na­he­ge­le­gen, das streit­ge­gen­ständ­li­che Mo­tor­rad dar­auf­hin zu prü­fen, zu­mal die Un­ter­schie­de der Guss­schwin­ge nach dem un­be­strit­te­nen Be­klag­ten­vor­brin­gen – selbst­ver­ständ­lich nur für den in­so­weit in­ter­es­sier­ten Käu­fer – mit ei­nem Blick er­kenn­bar wa­ren. Dass der Klä­ger das Mo­tor­rad nicht auf die Guss­schwin­ge ge­prüft hat, zeigt, dass de­ren Kon­struk­ti­on für ihn nicht kauf­ent­schei­dend war.

b) Ein Sach­man­gel des streit­ge­gen­ständ­li­chen Mo­tor­rads er­gibt sich auch nicht dar­aus, dass es in der Stand­zeit zwi­schen Her­stel­lung und Erst­zu­las­sung Stand­schä­den er­lit­ten hät­te. Ent­spre­chen­des hat der Klä­ger näm­lich schon nicht be­haup­tet.

2. Das Kla­ge­be­geh­ren ist auch nicht aus § 812 I 1 Fall 1 BGB ge­recht­fer­tigt. Die Be­klag­te hat den von dem Klä­ger zu­rück­ver­lang­ten Kauf­preis mit recht­li­chem Grund er­hal­ten, weil die er­klär­te An­fech­tung nicht durch­greift. Da­bei kann da­hin­ste­hen, ob die – nicht vor­ge­leg­te – An­fech­tungs­er­klä­rung über­haupt hin­rei­chend deut­lich er­ken­nen lässt, dass der Klä­ger den Kauf­ver­trag we­gen arg­lis­ti­ger Täu­schung nicht gel­ten las­sen wol­le.

Die er­klär­te An­fech­tung schei­tert je­den­falls am Feh­len ei­nes An­fech­tungs­grunds. Ins­be­son­de­re ist der An­fech­tungs­grund der arg­lis­ti­gen Täu­schung ge­mäß § 123 I BGB nicht dar­ge­legt. Die Be­klag­te hat zwar dem Klä­ger das Her­stel­lungs­da­tum des streit­ge­gen­ständ­li­chen Mo­tor­rads we­der vor noch bei Ver­trags­schluss mit­ge­teilt. Ei­ne Täu­schung könn­te dar­in aber nur ge­se­hen wer­den, wenn die Be­klag­te in­so­weit – auch oh­ne aus­drück­li­che Nach­fra­ge des Klä­gers, die es un­strei­tig nicht gab – ei­ne Auf­klä­rungs­pflicht traf. Ei­ne sol­che Auf­klä­rungs­pflicht des Ver­käu­fers ge­mäß § 123 I BGB be­steht aber im Hin­blick auf Ei­gen­schaf­ten der Kauf­sa­che nur in­so­weit, als sie nicht der Soll­be­schaf­fen­heit der Sa­che ge­mäß § 434 I BGB ent­spre­chen. Dass das ver­kauf­te Mo­tor­rad in­des der Soll­be­schaf­fen­heit ent­sprach, wur­de be­reits aus­ge­führt …

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