Der gegen einen Dritten gerichtete Schadensersatzanspruch des arglistig getäuschten Käufers (§ 823 II BGB i. V. mit § 263 StGB) ist darauf gerichtet, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn die Täuschung nicht erfolgt wäre (Abgrenzung zu Senat, Urt. v. 25.11.1997 – VI ZR 402/96).
BGH, Urteil vom 18.01.2011 – VI ZR 325/09
Sachverhalt: Mit notariellem Vertrag vom 01.09.1998 erwarb der Kläger von der G-GmbH ein mit einem Mehrfamilienhaus und einer Gewerbehalle bebautes Grundstück zum Preis von 750.000 DM. Den Kaufpreis setzten die Vertragsparteien später einvernehmlich auf 740.000 DM herab. Der Beklagte, der damals einer der beiden Geschäftsführer der Verkäuferin war, hatte dem Kläger vor Abschluss des Vertrags mehrfach erklärt, das Dach der Gewerbehalle sei kurz zuvor erneuert worden. Tatsächlich hatte er 1997 auf dem schadhaften Dachbelag nur eine neue Schalung und darauf eine Bitumenbahn sowie eine Schweißbahn aufbringen lassen.
In der Folgezeit kam es zu Feuchtigkeitsschäden im Bereich des Dachs. Ausweislich eines von dem Kläger eingeholten Angebots beliefen sich die Kosten für den kompletten Abriss der Dacheindeckung und die vollständige Erneuerung des Dachs auf 259.891,14 DM. Der Kläger zahlte auf den Kaufpreis nur 680.000 DM. Er erklärte zunächst die Minderung und später in Höhe des Restkaufpreises die Aufrechnung mit einem Schadensersatzanspruch von mindestens 60.000 DM. Die Zwangsvollstreckung der Verkäuferin wurde insoweit für unzulässig erklärt.
Im vorliegenden Rechtsstreit hat der Kläger zunächst die Verkäuferin und den Beklagten als Gesamtschuldner unter anderem auf weiteren Schadensersatz in Höhe von 199.891,14 DM nebst Zinsen in Anspruch genommen. Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Verkäuferin hat das Landgericht angeordnet, die Ansprüche gegen sie und den Beklagten in getrennten Prozessen zu verhandeln. Im vorliegenden Rechtsstreit verfolgt der Kläger sein Begehren gegenüber dem Beklagten weiter.
Das Landgericht hat dem Kläger 18.227,56 € zuerkannt und die weitergehende Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil haben beide Parteien Berufung eingelegt. Das Rechtsmittel des Klägers, mit dem dieser unter anderem die Zahlung weiterer 83.975,16 € nebst Zinsen begehrt hat, hatte keinen Erfolg. Die Berufung des Beklagten führte zur vollständigen Klageabweisung. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter. Das Rechtsmittel hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: [3] I. Das Berufungsgericht hat offengelassen, ob der Beklagte arglistig gehandelt hat, als er dem Kläger erklärte, das Dach sei kurz zuvor erneuert worden. Es verneint aus rechtlichen Gründen einen Schadensersatzanspruch des Klägers, weil allein eine Haftung aus unerlaubter Handlung in Betracht komme. Da der Kläger danach lediglich Anspruch auf das negative Interesse habe, könne er verlangen, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Beklagte ihn nicht über den tatsächlichen Umfang der durchgeführten Dacharbeiten getäuscht hätte. Demnach könne er gegebenenfalls beanspruchen, so gestellt zu werden, als habe er den Kaufvertrag über das Grundstück nicht abgeschlossen. Ein auf Rückabwicklung des Vertrags gerichteter Anspruch sei jedoch nicht Gegenstand der Klage. Zwar könne der Ersatzanspruch in Ausnahmefällen auch auf das Erfüllungsinteresse gerichtet sein. Das gelte etwa dann, wenn ohne das schuldhafte Verhalten des Schädigers ein anderer, für den Geschädigten günstigerer Vertrag mit demselben Vertragspartner oder einem Dritten zu Stande gekommen wäre, doch sei dafür vorliegend nichts ersichtlich. Auf Ersatz des positiven Interesses, das der Kläger mit seinem Begehren auf Ersatz der notwendigen Reparaturkosten geltend mache, sei der deliktische Anspruch nicht gerichtet. Es sei auch nicht gerechtfertigt, den allein aus unerlaubter Handlung haftenden Schädiger haftungsrechtlich dem nach Gewährleistungsrecht haftenden Verkäufer gleichzustellen.
[4] II. Das angefochtene Urteil hält der revisionsrechtlichen Nachprüfung stand.
[5] 1. Da das Berufungsgericht offengelassen hat, ob die subjektiven Voraussetzungen für einen Schadensersatzanspruch gemäß § 823 II BGB i. V. mit § 263 StGB erfüllt sind, ist der diesbezügliche Sachvortrag des Klägers im Revisionsrechtszug zu seinen Gunsten zu unterstellen.
[6] 2. Dem Schadensersatzbegehren steht entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung nicht entgegen, dass der Kläger ursprünglich die Minderung erklärt hat. Abgesehen davon, dass er schon mangels Vollzugs der Minderung (§ 465 BGB a.F.) sein Wahlrecht hinsichtlich der ihm gegen die Verkäuferin zustehenden Gewährleistungsansprüche nicht verloren hat (vgl. BGH, Urt. v. 08.01.1959 – VIII ZR 174/57, BGHZ 29, 148, 151; Urt. v. 24.11.1982 – VIII ZR 263/81, BGHZ 85, 367, 372; Urt. v. 11.07.1990 – VIII ZR 219/89, NJW 1990, 2680, 2681), macht der Kläger vorliegend keinen Gewährleistungsanspruch, sondern einen deliktischen Schadensersatzanspruch geltend, und zwar gegen den Beklagten, der am Kaufvertrag nicht als Verkäufer beteiligt war und für dessen Haftung die sich aus §§ 459 ff. BGB a.F. ergebenden Beschränkungen nicht zum Tragen kommen.
[7] 3. Der Umfang der gegebenenfalls bestehenden Ersatzpflicht des Beklagten bestimmt sich, da das behauptete schädigende Ereignis vor dem 01.08.2002 eingetreten ist, nach den Vorschriften der §§ 249 ff. BGB in der seinerzeit geltenden Fassung (Art. 229 § 8 I EGBGB).
[8] a) Ob ein zu ersetzender Vermögensschaden vorliegt, ist nach der sogenannten Differenzhypothese grundsätzlich durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben hätte, zu beurteilen (Senat, Urt. v. 03.07.1984 – VI ZR 264/82, VersR 1984, 944; BGH, Beschl. v. 09.07.1986 – GSZ 1/86, BGHZ 98, 212, 217; Urt. v. 15.12.1982 – VIII ZR 315/80, BGHZ 86, 128, 130; Urt. v. 10.12.1986 – VIII ZR 349/85, BGHZ 99, 182, 196; Urt. v. 30.05.2000 – IX ZR 121/99, NJW 2000, 2669, 2670, insoweit in BGHZ 144, 343 nicht abgedruckt; Urt. v. 26.09.1997 – V ZR 29/96, VersR 1998, 906). Der nach § 823 II BGB i. V. mit § 263 StGB zum Schadensersatz Verpflichtete hat lediglich den Differenzschaden zu ersetzen (vgl. BGH, Urt. v. 10.03.2010 – VIII ZR 65/09, NJW-RR 2010, 1579 m. w. Nachw.; Staudinger/Schiemann, BGB, Neubearb. 2005, § 249 Rn. 195; Staudinger/Matusche-Beckmann, BGB, Neubearb. 2004, § 437 Rn. 56; Schermaier, JZ 1998, 857 f.). Davon zu unterscheiden ist der Anspruch auf Ersatz des Erfüllungsinteresses. Dieses ist zu ersetzen, wenn der Anspruchsinhaber verlangen kann, so gestellt zu werden, als ob eine Verbindlichkeit ordnungsgemäß erfüllt worden wäre. Da die deliktische Haftung nicht an das Bestehen einer Verbindlichkeit und deren Nicht- oder Schlechterfüllung anknüpft, stellt sich im Deliktsrecht die Frage nach dem Erfüllungsinteresse als solche nicht (vgl. MünchKomm-BGB/Oetker, 5. Aufl., § 249 Rn. 125). Der deliktische Schadensersatzanspruch richtet sich allein auf das „Erhaltungsinteresse“ (Lange/Schiemann, Schadensersatz, 3. Aufl., S. 67, § 2 IV 4).
[9] Das gilt für die deliktische Haftung grundsätzlich auch dann, wenn sie neben einer vertraglichen Schadensersatzpflicht besteht. Der durch eine unerlaubte Handlung Geschädigte hat grundsätzlich keinen Anspruch darauf, besser zu stehen, als er stünde, wenn der Schädiger die unerlaubte Handlung nicht begangen hätte (vgl. Reinicke/Tiedtke, Kaufrecht, 8. Aufl., S. 323 Rn. 867). Dieser Grundsatz findet bei einem Kaufvertrag jedenfalls dann Anwendung, wenn dieser aufgrund falscher Angaben eines Dritten zustande gekommen ist. Die im Gewährleistungsrecht verankerte Besserstellung des Käufers (vgl. § 463 BGB a.F.) ist nur gerechtfertigt, weil sie auf einem Rechtsgeschäft beruht, denn nur dieses, nicht aber die unerlaubte Handlung, kann den Käufer besser stellen, als er vorher stand. Der Käufer kann nur von dem Verkäufer Erfüllung oder Schadensersatz wegen Nichterfüllung verlangen. Die unerlaubte Handlung eines Dritten kann nicht dazu führen, dass dieser haftungsrechtlich wie ein Verkäufer behandelt wird (Tiedtke, DB 1998, 1019, 1020; Schaub, ZEuP 1999, 941, 951 f.).
[10] Allerdings muss der Differenzschaden nicht notwendigerweise geringer sein als das positive Interesse des Geschädigten an der Vertragserfüllung. So ist anerkannt, dass die Anwendung der Differenzhypothese in dem Fall, in dem der Geschädigte nachweist, dass er ohne die für den Abschluss des Vertrages ursächliche Täuschungshandlung einen anderen, günstigeren Vertrag – mit dem Verkäufer oder einem Dritten – abgeschlossen hätte, im Ergebnis das Erfüllungsinteresse verlangen kann, und zwar deswegen, weil der Schaden in diesem Ausnahmefall dem Erfüllungsinteresse entspricht (vgl. Tiedtke, DB 1998, 1019; Rust, NJW 1999, 339; Imping, MDR 1998, 267).
[11] b) Nach diesen Grundsätzen geht das Berufungsgericht zutreffend davon aus, dass der Kläger verlangen kann, so gestellt zu werden, wie er stünde, wenn der Beklagte ihn nicht über den tatsächlichen Umfang der durchgeführten Dacharbeiten getäuscht hätte. Mithin könnte er gegebenenfalls beanspruchen, so gestellt zu werden, als habe er den Kaufvertrag über das Grundstück nicht abgeschlossen. Einen Anspruch auf Rückabwicklung des Vertrages macht er jedoch nicht geltend. Vielmehr will er das Kaufgrundstück behalten und daneben den ihm „aus dem Erwerb entstandenen Schaden“ ersetzt erhalten. Diesen Schaden will er anhand der Kosten berechnen, die nach seiner Behauptung zur Mängelbeseitigung erforderlich sind. In der Sache ist sein Begehren mithin darauf gerichtet, so gestellt zu werden, als wäre das Dach der Gewerbehalle, wie vom Beklagten vor Vertragsabschluss erklärt, tatsächlich erneuert worden. Damit beansprucht er aber das Erfüllungsinteresse, denn er möchte im Ergebnis so gestellt werden, als hätte die Verkäuferin den Kaufvertrag ordnungsgemäß erfüllt. Ein solcher Anspruch steht ihm jedenfalls gegenüber dem Beklagten als Drittem nach den für Ersatzansprüche aus unerlaubter Handlung gemäß § 249 Satz 1 BGB a.F. maßgebenden Grundsätzen der Differenzhypothese nicht zu.
[12] c) Ohne Erfolg macht die Revision geltend, der Kläger habe zumindest einen Anspruch auf den Betrag von 18.227,56 € (35.650 DM), der ihm in erster Instanz zuerkannt worden sei. Das Landgericht hat der Schadensbestimmung ersichtlich die für die Berechnung der Minderung maßgebende Vorschrift des § 472 I BGB a.F. zugrunde gelegt. Es hat dabei nicht beachtet, dass für den vom Kläger gegen den Beklagten geltend gemachten Schadensersatzanspruch aus unerlaubter Handlung nicht die Regeln des kaufrechtlichen Gewährleistungsrechts zur Anwendung gelangen. Vielmehr ist der Schaden, wie dargelegt, nach der sogenannten Differenzhypothese durch einen Vergleich der infolge des haftungsbegründenden Ereignisses eingetretenen Vermögenslage mit derjenigen, die sich ohne dieses Ereignis ergeben hätte, zu beurteilen. Dafür, dass der Kläger einen geminderten Kaufpreis hätte zahlen müssen, wenn der Beklagte nicht erklärt hätte, dass das Dach der Gewerbehalle vor kurzem erneuert worden sei, ist jedoch nichts ersichtlich. Sachvortrag dazu zeigt die Revision auch nicht auf. Soweit sie geltend macht, nach ständiger Rechtsprechung könne der Käufer den Wertunterschied zwischen der mangelfreien und der mangelhaften Sache durch Ermittlung der für eine Herrichtung des Kaufgegenstands in einen mangelfreien Zustand erforderlichen Kosten berechnen, lässt sie außer Acht, dass der Kläger gegen den Beklagten keine kaufrechtlichen Gewährleistungsansprüche hat, und der von ihm allein auf unerlaubte Handlung gestützte Schadensersatzanspruch eben nicht auf das Erfüllungsinteresse gerichtet ist.
[13] d) Etwas anderes lässt sich auch nicht der früheren höchstrichterlichen Rechtsprechung entnehmen. Der vom Berufungsgericht zitierten Entscheidung des Reichsgerichts (RG, Urt. v. 10.11.1921 – VI 195/21, RGZ 103, 154) lag ein mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde. Soweit das Reichsgericht in älteren Urteilen angenommen hat, der deliktische Anspruch des getäuschten Käufers könne ausnahmsweise auf das positive Interesse gerichtet sein (RG, Urt. v. 12.11.1904 – V 227/04, RGZ 59, 155, 157; Urt. v. 28.03.1906 – V 356/05, RGZ 63, 110, 112; Urt. v. 02.10.1907 – V 8/07, RGZ 66, 335, 337), betrafen die zugrunde liegenden Fallgestaltungen nicht die Haftung eines Dritten aus unerlaubter Handlung (vgl. Schaub, ZEuP 1999, 941, 952). Auch die vom Berufungsgericht zitierte Entscheidung des VIII. Zivilsenats des BGH (BGH, Urt. v. 29.10.1959 – VIII ZR 125/58, NJW 1960, 237, 238) betraf allein die Haftung des Verkäufers. Die Frage, ob der Käufer, der den Kaufvertrag wegen arglistiger Täuschung angefochten hat, von dem Verkäufer gemäß § 823 II BGB i. V. mit § 263 StGB das positive Interesse verlangen kann, ist dort erörtert, letztlich aber offengelassen worden. Soweit in dem Senatsurteil vom 25.11.1997 (VI ZR 402/96) in einer für das Ergebnis der Entscheidung nicht tragenden Bemerkung zum Umfang des Anspruchs des Käufers auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung Abweichendes ausgeführt ist, wird daran nicht festgehalten. …