Ein SUV, bei dem ab ei­ner Ge­schwin­dig­keit von 220 km/h von ei­nem Kfz-Sach­ver­stän­di­gen als „stö­rend“ be­schrie­be­ne Wind­ge­räu­sche auf­tre­ten, wie sie bei ei­nem Pkw auch ent­ste­hen, wenn bei hö­he­rer Ge­schwin­dig­keit ein Fens­ter ei­nen Spalt ge­öff­net wird, weist – al­len­falls – ei­nen i. S. des § 323 V 2 BGB ge­ring­fü­gi­gen Man­gel auf, der den Käu­fer nicht zum Rück­tritt vom Kauf­ver­trag be­rech­tigt.

OLG Frank­furt a. M., Urt. v. 09.12.2010 – 4 U 161/10

Sach­ver­halt: Der Klä­ger hat von der Be­klag­ten ei­nen Pkw er­wor­ben und be­gehrt die Rück­ab­wick­lung des Kauf­ver­tra­ges.

Das Land­ge­richt (LG Frank­furt a.M., Urt. v. 14.06.2010 – 2/27 O 300/08) hat der Kla­ge in vol­lem Um­fang statt­ge­ge­ben und fest­ge­stellt, dass sich die Be­klag­te mit der Rück­nah­me des Fahr­zeugs im Ver­zug be­fin­de. Au­ßer­dem hat es die Be­klag­te ver­ur­teilt, dem Klä­ger vor­ge­richt­li­che An­walts­kos­ten zu er­set­zen. Zur Be­grün­dung hat das Land­ge­richt aus­ge­führt, dass das Fahr­zeug des Klä­gers nach den Fest­stel­lun­gen in dem ein­ge­hol­ten Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­ten man­gel­haft sei. Die bei ei­ner Ge­schwin­dig­keit von über 220 km/h ent­ste­hen­den Wind­ge­räu­sche ent­sprä­chen nicht dem Stand der Tech­nik. Der Man­gel sei auch er­heb­lich. Bei ei­nem Fahr­zeug des ge­ho­be­nen Preis­seg­ments sei das vom Sach­ver­stän­di­gen an­schau­lich be­schrie­be­ne Wind­ge­räusch nicht mehr zu to­le­rie­ren.

Da­ge­gen wen­det sich die Be­klag­te mit der Be­ru­fung. Sie rügt, dass das Land­ge­richt die Wind­ge­räu­sche auf der Grund­la­ge des ein­ge­hol­ten Sach­ver­stän­di­gen­gut­ach­tens als Sach­man­gel qua­li­fi­ziert ha­be, ob­wohl der Sach­ver­stän­di­ge kein dem streit­ge­gen­ständ­li­chen Pkw ver­gleich­ba­res Fahr­zeug ge­tes­tet ha­be. Sei­ne Aus­sa­ge zum „Stand der Tech­nik“ sei des­halb nicht nach­voll­zieh­bar. Zu­dem er­for­de­re die Be­ant­wor­tung der Fra­ge, ob ein zum Rück­tritt be­rech­tig­ter Man­gel vor­lie­ge, re­gel­mä­ßig die Kennt­nis der Man­gel­ur­sa­che. Hier­zu ha­be der Sach­ver­stän­di­ge je­doch kei­ner­lei Fest­stel­lun­gen ge­trof­fen. Un­ab­hän­gig da­von sei das vom Sach­ver­stän­di­gen fest­ge­stell­te Wind­ge­räusch al­len­falls ein ge­ring­fü­gi­ger Man­gel i. S. des § 323 V 2 BGB und recht­fer­ti­ge des­halb ei­nen Rück­tritt vom Kauf­ver­trag nicht. Ei­ne Ge­schwin­dig­keit von über 220 km/h kön­ne auf deut­schen Stra­ßen und Stra­ßen im eu­ro­päi­schen Aus­land nur sel­ten und dann auch nur kurz­zei­tig er­reicht wer­den.

Das Rechts­mit­tel hat­te Er­folg.

Aus den Grün­den: II. … Der Klä­ger ist we­gen des auf­tre­ten­den Wind­ge­räuschs bei ei­ner Ge­schwin­dig­keit von über 220 km/h nicht zum Rück­tritt vom Kauf­ver­trag ge­mäß den §§ 433, 434 I 2 Nr. 2, 437 Nr. 2 Fall 1, 440323 V 2 BGB be­rech­tigt, weil der Sach­man­gel un­er­heb­lich i. S. des § 323 V 2 BGB ist.

Es ist be­reits zwei­fel­haft, ob das Wind­ge­räusch über­haupt ei­nen Man­gel i. S. des § 434 I BGB dar­stellt. Man­gels ei­ner Be­schaf­fen­heits­ver­ein­ba­rung und ei­ner ver­trag­lich vor­aus­ge­setz­ten Ver­wen­dung ist hin­sicht­lich der Man­gel­haf­tig­keit des Fahr­zeugs auf des­sen Eig­nung zur ge­wöhn­li­chen Ver­wen­dung und ei­ne bei Sa­chen der glei­chen Art üb­li­che und vom Käu­fer zu er­war­ten­de Be­schaf­fen­heit ab­zu­stel­len (§ 434 I 2 Nr. 2 BGB ). Ver­gleichs­maß­stab ist die üb­li­che Be­schaf­fen­heit bei Sa­chen glei­cher Art, ins­be­son­de­re glei­chen Qua­li­täts­stan­dards. Hin­sicht­lich der be­rech­tig­ten Er­war­tun­gen des Käu­fers ist auf den Durch­schnitts­käu­fer ab­zu­stel­len, nicht je­doch auf im Ein­zel­fall über­zo­ge­ne An­sprü­che des je­wei­li­gen ein­zel­nen Käu­fers, auch wenn sie vor dem Kauf­ver­trags­ab­schluss für den Ver­käu­fer er­kenn­bar wa­ren. Da­bei ist für das, was der Käu­fer be­rech­tig­ter­wei­se er­war­ten darf, auch der ver­ein­bar­te Kauf­preis von Be­deu­tung.

Nach der bis­he­ri­gen Be­weis­auf­nah­me lässt sich auf der Ba­sis vor­ste­hen­der Grund­sät­ze ein Man­gel nicht hin­rei­chend si­cher fest­stel­len. Der Sach­ver­stän­di­ge hat im schrift­li­chen Gut­ach­ten das von ihm deut­lich wahr­ge­nom­me­ne und stö­rend emp­fun­de­ne Wind­ge­räusch bei ei­ner Ge­schwin­dig­keit von über 220 km/h nach­voll­zieh­bar und vor­stell­bar da­hin ge­hend be­schrie­ben, dass die­ses Ge­räusch mit Wind­ge­räu­schen, wie sie sich im Fahr­zeu­gin­nen­raum ein­stel­len, wenn wäh­rend der Fahrt im hö­he­ren Ge­schwin­dig­keits­ni­veau ei­ne Sei­ten­schei­be ei­nen Spalt ge­öff­net wird, ver­gleich­bar ist. Ob es sich da­bei aber um ein „ab­nor­mes“, nicht dem „Stand der Tech­nik“ ent­spre­chen­des Fahr­ge­räusch han­delt, lässt sich sei­nen Aus­füh­run­gen im schrift­li­chen Gut­ach­ten nicht ent­neh­men.

Der Sach­ver­stän­di­ge hät­te sich ins­be­son­de­re mit dem Ein­wand der Be­klag­ten, dass SUV-Fahr­zeu­ge nicht zum „Ra­sen“ kon­stru­iert sei­en, bau­art­be­dingt in­fol­ge des er­heb­lich hö­he­ren Luft­wi­der­stands zwangs­läu­fig hö­he­re Wind­ge­räu­sche er­zeug­ten, aus­ein­an­der­set­zen müs­sen. Zur Ob­jek­ti­vie­rung der Aus­sa­ge zum „Stand der Tech­nik“ wä­ren si­cher­lich auch Aus­füh­run­gen des Sach­ver­stän­di­gen zu Wind­ge­räu­sche bei Ver­gleichs­fahr­zeu­gen hilf­reich ge­we­sen.

Zu der Be­schaf­fen­heit i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB ge­hö­ren zwar auch Ei­gen­schaf­ten, die der Käu­fer nach den öf­fent­li­chen Äu­ße­run­gen des Her­stel­lers, ins­be­son­de­re in der Wer­bung, er­war­ten kann. In­so­weit fehlt es aber an kon­kre­tem Vor­brin­gen des Klä­gers zu der von der Be­klag­ten er­folg­ten Wer­bung für den Pkw … Es sind we­der Pro­spek­te noch sons­ti­ge Wer­be­ma­te­ria­li­en vor­ge­legt wor­den, de­nen kon­kre­te Ver­spre­chen und An­ga­ben zur Ge­räusch­ent­wick­lung des Pkw zu ent­neh­men sind; ent­spre­chen­de Aus­sa­gen via In­ter­net sind eben­falls nicht vor­ge­tra­gen wor­den.

Die von der Be­klag­ten be­reits erst­in­stanz­lich be­an­trag­te und vom Land­ge­richt ver­fah­rens­feh­ler­haft über­gan­ge­ne münd­li­che Gut­ach­ten­ser­läu­te­rung war je­doch ent­behr­lich, weil das vom Sach­ver­stän­di­gen be­schrie­be­ne Wind­ge­räusch ab ei­ner Ge­schwin­dig­keit von 220 km/h als un­er­heb­li­cher Man­gel i. S. des § 323 V 2 BGB ein­zu­stu­fen ist. Es han­delt sich bei den fest­ge­stell­ten Wind­ge­räu­schen, da ei­ne Funk­ti­ons­be­ein­träch­ti­gung des Pkw in kei­ner Wei­se vom Klä­ger vor­ge­tra­gen wor­den ist, um ei­nen so­ge­nann­ten Kom­fort­man­gel. Die in den be­schrie­be­nen Wind­ge­räu­schen ab ei­ner Ge­schwin­dig­keit von 220 km/h be­grün­de­te Kom­fort­ein­bu­ße stellt ei­nen un­er­heb­li­chen Man­gel dar.

Für die Be­ur­tei­lung, ob es sich nur um ei­nen un­er­heb­li­chen Man­gel han­delt, der den Rück­tritt nicht recht­fer­ti­gen wür­de, ist ei­ne um­fas­sen­de In­ter­es­sen­ab­wä­gung nach der Ver­kehrs­an­schau­ung und un­ter Wür­di­gung der Um­stän­de des Ein­zel­falls vor­zu­neh­men. Die Fra­ge der Er­heb­lich­keit ist ob­jek­tiv an der Be­schaf­fen­heit, Ver­wen­dung und Eig­nung für den Ge­brauch so­wie nach dem Wert der Sa­che zu be­mes­sen. Zu be­rück­sich­ti­gen sind da­bei un­ter an­de­rem der für ei­ne et­wai­ge Män­gel­be­sei­ti­gung er­for­der­li­che Auf­wand bzw. die mit dem Man­gel ver­bun­de­nen funk­tio­nel­len, äs­the­ti­schen oder sons­ti­gen Be­ein­träch­ti­gung. Ist der Man­gel­be­sei­ti­gungs­auf­wand nicht fest­ge­stellt wor­den oder – wie hier nach der nach Vor­brin­gen des Klä­gers drei­mal fehl­ge­schla­ge­nen Nach­bes­se­rung des Man­gels na­he­lie­gend – der Man­gel als nicht be­heb­bar ein­zu­stu­fen, weil ei­ne wirk­sa­me Mög­lich­keit zur end­gül­ti­gen Be­he­bung der Wind­ge­räu­sche auch nicht dar­ge­legt wor­den ist, kommt es auf die mit dem Man­gel ver­bun­de­nen kon­kre­ten Be­ein­träch­ti­gun­gen an. Die­se sind nicht so be­trächt­lich, dass der Man­gel als er­heb­lich ein­zu­stu­fen ist.

Das Wind­ge­räusch ist vom Sach­ver­stän­di­gen zwar als deut­lich wahr­nehm­bar be­schrie­ben und als stö­rend emp­fun­den wor­den. Kei­nes­wegs hat der Sach­ver­stän­di­ge aber von ei­ner „ab­nor­men“ Ge­räusch­ent­wick­lung ge­spro­chen. Die Wind­ge­räu­sche tre­ten erst bei ei­ner Ge­schwin­dig­keit von über 220 km/h auf, die auf deut­schen Au­to­bah­nen nur sel­ten (in den spä­ten Abend­stun­den bzw. nachts) und auf re­la­tiv kur­zen Stre­cken­ab­schnit­ten er­reicht wer­den kann. In den eu­ro­päi­schen Nach­bar­län­dern (z. B. Ös­ter­reich, Schweiz, Frank­reich, Po­len) gel­ten weit dar­un­ter lie­gen­de Ge­schwin­dig­keits­be­gren­zun­gen bzw. Richt­ge­schwin­dig­kei­ten. Be­zeich­nen­der­wei­se hat der Sach­ver­stän­di­ge in sei­nem Gut­ach­ten fest­ge­hal­ten, dass auf­grund des ho­hen Ver­kehrs­auf­kom­mens es bei Tag ihm kaum mög­lich ge­we­sen sei, län­ger als cir­ca ei­ne Mi­nu­te ei­ne Ge­schwin­dig­keit von über 220 km/h zu er­zie­len. Da­her hat er die im Gut­ach­ten auf­ge­lis­te­ten Test­ergeb­nis­se im We­sent­li­chen in dem Zeit­kor­ri­dor von 22.00 Uhr bis 01.00 Uhr er­zielt.

Au­ßer­dem be­ein­träch­tigt die Ge­räusch­ent­wick­lung den Fahr­kom­fort le­dig­lich in dem re­la­tiv schma­len Spit­zen­ge­schwin­dig­keits­kor­ri­dor von 220 km/h bis zur zu­läs­si­gen Höchst­ge­schwin­dig­keit von 240 km/h. Das Fah­ren in die­sem Spit­zen­be­reich für ei­nen län­ge­ren Zeit­raum ist nach der un­wi­der­spro­chen ge­blie­be­nen Er­fah­rung der Be­klag­ten kei­ne die Kauf­ent­schei­dung des Durch­schnitts­käu­fers die­ser Fahr­zeug­mo­del­le prä­gen­de Er­war­tung. Es han­delt sich bei den SUV-Fahr­zeu­gen ge­ra­de nicht um Kom­fort­li­mou­si­nen wie zum Bei­spiel ei­nen 7er BMW. Der All­rad­an­trieb, die „fik­ti­ve“ Ge­län­de­taug­lich­keit, das Durch­zugs­ver­mö­gen und die hö­he­re Sitz­po­si­ti­on sind die für den Durch­schnitts­käu­fer von SUV-Mo­del­len maß­geb­li­che­ren Kauf­kri­te­ri­en.

Da hin­sicht­lich der be­rech­tig­ten Er­war­tun­gen des Käu­fers – wie be­reits dar­ge­legt – auf den Durch­schnitts­käu­fer ab­zu­stel­len ist, nicht je­doch auf im Ein­zel­fall über­zo­ge­ne An­sprü­che des je­wei­li­gen ein­zel­nen Käu­fers, ist das Vor­brin­gen des Klä­gers, für ihn sei die mit dem Fahr­zeug nach Her­stel­ler­an­ga­ben zu er­rei­chen­de Höchst­ge­schwin­dig­keit von 240 km/h ein ganz we­sent­li­ches Kauf­kri­te­ri­um ge­we­sen, oh­ne durch­schla­gen­de Re­le­vanz. Da­her kann auch da­hin­ge­stellt blei­ben, ob der Klä­ger – wie in der münd­li­chen Ver­hand­lung vor dem Se­nat an­schau­lich dar­ge­stellt – re­la­tiv häu­fig und auch über län­ge­re Stre­cken das Fahr­zeug im Höchst­ge­schwin­dig­keits­be­reich fährt. Gleich­wohl ist an­zu­mer­ken, dass Zwei­fel an die­sem Vor­brin­gen an­ge­bracht sind. Die Zwei­fel grün­den dar­in, dass der Klä­ger nach ei­ge­nen An­ga­ben erst­mals im April 2007 nach cir­ca 3.900 km ei­ne Ge­schwin­dig­keit von über 220 km/h ge­fah­ren ist. Auch in­di­ziert der re­la­tiv lan­ge Zeit­raum zwi­schen dem zwei­ten Werk­statt­auf­ent­halt am 29.05.2007 mit ei­nem Ki­lo­me­ter­stand von 5.216 und dem drit­ten Werk­statt­auf­ent­halt am 28.02.2008 (Ki­lo­me­ter­stand: 16.308), dass der Klä­ger in die­ser Zeit ent­we­der nur re­la­tiv sel­ten ei­ne Ge­schwin­dig­keit von über 220 km/h ge­fah­ren ist oder aber die – nach sei­nem Vor­brin­gen – da­bei ent­ste­hen­den Wind­ge­räu­sche nicht als son­der­lich stö­rend emp­fun­den hat.

Der hier ver­tre­te­nen Be­wer­tung steht die vom Klä­ger in Be­zug ge­nom­me­ne Ent­schei­dung des OLG Düs­sel­dorf (Urt. v. 18.08.2008 – I-1 U 238/07) nicht ent­ge­gen. In dem dort zu­grun­de lie­gen­den Fall trat das Wind­ge­räusch be­reits in ei­nem Ge­schwin­dig­keits­be­reich ab 130 km/h auf. Trotz die­ses für Au­to­bahn­fahr­ten un­ge­mein re­le­van­ten Ge­schwin­dig­keits­be­rei­ches hat das Ober­lan­des­ge­richt die Fra­ge, ob die Ge­räusch­ent­wick­lung be­reits für sich al­lein ge­nom­men im Grenz­be­reich der Rück­tritts­er­heb­lich­keit liegt, aus­drück­lich of­fen­ge­las­sen. In ei­nem an­de­ren, vom LG Co­burg (Urt. v. 18.11.2008 – 22 O 513/07, DAR 2009, 529) ent­schie­de­nen Fall zeigt sich ein „pfei­fen­des, sur­ren­des Ge­räusch“ be­reits im Ge­schwin­dig­keits­be­reich von 60–130 km/h, dem re­gel­mä­ßig am häu­figs­ten ge­nutz­ten Ge­schwin­dig­keits­kor­ri­dor. …

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