Der Erwerber eines Gebrauchtwagens handelt zwar in der Regel grob fahrlässig (§ 932 II BGB), wenn er sich vom Veräußerer nicht den Fahrzeugbrief – die Zulassungsbescheinigung Teil II – vorlegen lässt. Der Vorwurf der groben Fahrlässigkeit ist aber nicht berechtigt, wenn es sich bei dem Gebrauchtwagen um ein von dem Erwerber selbst genutztes Leasingfahrzeug handelt und Verkäufer des Fahrzeugs der Kfz-Vertragshändler ist, von dem der Erwerber das Fahrzeug zu Beginn der Leasingzeit erhalten hatte und der den Wagen nach Ablauf der Leasingzeit zurücknehmen sollte.
AG Neuss, Urteil vom 13.07.2010 – 87 C 667/10
Sachverhalt: Der Kläger leaste mit Vertrag vom 23.05.2008 von der Beklagten einen Neuwagen. Ursprünglich hatte er dieses Fahrzeug von einer Vertragshändlerin erwerben wollen; wirtschaftliche Erwägungen hatten den Kläger dann aber veranlasst, das Fahrzeug zunächst zu leasen und erst nach Ablauf der Leasingzeit zu erwerben.
Mit Schreiben vom 01.04.2009 forderte die Beklagte den Kläger auf, das Leasingfahrzeug nach Ablauf des Leasingvertrags am 29.07.2009 bei einem Vertragshändler in O. zurückzugeben. Von diesem Vertragshändler hatte der Kläger das Fahrzeug ursprünglich erwerben wollen, und dieser Vertragshändler hatte dem Kläger den Pkw bei Beginn des Leasingvertrags auch übergeben. Der Kläger vereinbarte mit dem Mitarbeiter M des Vertragshändlers, dass er gegen Zahlung von 7.259 € Eigentümer des Fahrzeugs werde und den Fahrzeugbrief erhalte. Den in Rede stehenden Betrag überwies der Kläger am 20.07.2009 auf ein Konto des Vertragshändlers. Bereits am 18.06.2009 war über das Vermögen des Vertragshändlers ein vorläufiges Insolvenzverfahren eröffnet und eine vorläufige Insolvenzverwalterin bestellt worden.
Der Kläger forderte von der Beklagten mit anwaltlichem Schreiben vom 03.08.2009 die Herausgabe des zu dem streitgegenständlichen Fahrzeug gehörenden Fahrzeugbriefs. Die Beklagte verlangte von dem Kläger die Vorlage des Kaufvertrags. Den Fahrzeugbrief gab sie im Hinblick darauf, dass die vorläufige Insolvenzverwalterin den Betrag von 7.259 € noch nicht an die Beklagte weitergeleitet hatte, zunächst nicht heraus.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Beklagte ursprünglich auf Herausgabe des Fahrzeugbriefs und auf Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten in Anspruch genommen. Er hat gemeint, dass er jedenfalls gutgläubig Eigentümer des streitgegenständlichen Pkw, der sich zum maßgeblichen Zeitpunkt in seinem Besitz befunden habe, geworden sei. Er sei deshalb auch Eigentümer des zu diesem Fahrzeug gehörenden Fahrzeugbriefs und könne von der Beklagten, die Besitzerin dieser Urkunde sei, deren Herausgabe verlangen.
Die Klageschrift ist am 30.09.2009 beim LG Düsseldorf eingegangen; sie wurde der Beklagten am 12.11.2009 zugestellt.
Nachdem die Beklagte den Fahrzeugbrief noch vor Zustellung der Klageschrift herausgegeben hatte, hat der Kläger die Klage hinsichtlich des Herausgabeanspruchs zurückgenommen. Er hat dementsprechend zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 603,93 € (Rechtsanwaltskosten) nebst Zinsen zu verurteilen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat geltend gemacht, ein gutgläubiger Erwerb des Eigentums an dem streitgegenständlichen Pkw scheide schon deshalb aus, weil sich der Kläger nicht den Fahrzeugbrief habe vorlegen lassen. Dies wäre aber für einen gutgläubigen Erwerb erforderlich gewesen, weil das Fahrzeug zum maßgeblichen Zeitpunkt ein Gebrauchtwagen gewesen sei. Zudem habe der Kläger gewusst, dass der Pkw nicht Eigentum des Vertragshändlers gewesen sei. Denn in dem zwischen ihr, der Beklagten, und dem Kläger geschlossenen Leasingvertrag sei „Erwerb ausgeschlossen“ vermerkt, und in den Leasingbedingungen werde darauf hingewiesen, dass sie, die Beklagte, Eigentümerin des Fahrzeugs sei.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: 1. … Unabhängig von der Frage, ob dem Kläger gegen die Beklagte ein Anspruch auf Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugbriefs zustand (s. dazu unten), kann der Kläger auch im Bejahensfall von der Beklagten nicht Ersatz der vorgerichtlichen Anwaltskosten verlangen. Insbesondere scheidet ein Anspruch aus Verzug i. S. der §§ 280 I, II, 286 BGB aus, da die verzugsbegründenden Handlungen und Mahnungen nicht ersatzfähig sind (Palandt/Grüneberg, BGB, 69. Aufl. [2010], § 286 Rn. 44 m. w. Nachw.). Nach seinem eigenen Vortrag hat der Kläger die Beklagte mit anwaltlichem Schreiben vom 03.08.2009 zur Übersendung des Fahrzeugbriefs aufgefordert. Mithin ist die Beklagte erst durch den anwaltlichen Schriftsatz in Verzug gesetzt worden. Dass bereits vorher Mahnungen erfolgten, ist weder dargelegt noch unter Beweis gestellt.
2. Mangels einer Hauptforderung, kann der Kläger auch keinen Zinsanspruch gegenüber der Beklagten geltend machen.
3. Die Entscheidung über die Kosten ergibt sich aus §§ 92 I, 269 III 3 ZPO.
Soweit der Kläger im Schriftsatz vom 13.10.2009 beantragt festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm die Kosten des vorliegenden Rechtsstreits zur ersetzen, legt das Gericht diesen Antrag als allgemeinen Kostenantrag insbesondere im Hinblick auf die zurückgenommene Forderung i. S. des § 269 III 3 ZPO und nicht als zusätzlichen Feststellungsantrag aus. Dies hat der Klägervertreter im Übrigen in der mündlichen Verhandlung entsprechend klargestellt.
Die Kosten des Verfahrens waren zu 10 % dem Kläger und zu 90 % der Beklagten aufzuerlegen.
Soweit der Kläger die Klage hinsichtlich des Herausgabeanspruchs zurückgenommen hat, bestimmt sich die Kostentragungspflicht nach § 269 III 3 ZPO unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands nach billigem Ermessen. Insoweit wäre die Beklagte unterlegen. Denn dem Kläger hat gegen die Beklagte ein Herausgabeanspruch im Hinblick auf den Fahrzeugbrief des streitgegenständlichen Fahrzeugs zugestanden, da der Kläger gemäß § 929 Satz 2, § 932 BGB, § 366 HGB gutgläubig das Eigentum an dem streitgegenständlichen Pkw und damit gemäß § 952 BGB analog auch an dem Fahrzeugbrief erlangt hat.
Eine Kenntnis des Klägers, dass das streitgegenständliche Fahrzeug im Eigentum der Beklagten stand, vermag das Gericht nicht zu sehen. Hierfür ist die Beklagte darlegungs- und beweisbelastet. (Palandt/Bassenge, BGB, 69. Aufl. [2010], § 932 Rn. 15). Dass der Kläger positiv wusste, dass das Autohaus A nicht befugt war, über das Fahrzeug zu verfügen, ist nicht zu erkennen. Soweit die Beklagte auf den Leasingvertrag und die Leasingbedingungen verweist, in denen vermerkt ist, dass Eigentümerin des Fahrzeugs die Beklagte ist bzw. der Erwerb ausgeschlossen ist, kann hieraus allein noch keine positive Kenntnis des Klägers abgeleitet werden. In Betracht käme in diesem Zusammenhang lediglich die Prüfung einer grob fahrlässigen Unkenntnis.
Allerdings vermag das Gericht auch keine grobe Fahrlässigkeit des Klägers festzustellen.
Zwar ist grundsätzlich von grober Fahrlässigkeit auszugehen, wenn bei einem Gebrauchtwagenkauf der Käufer sich den Fahrzeugbrief nicht vorlegen lässt (BGH, Urt. v. 13.05.1996 – II ZR 222/95, NJW 1996, 2226, 2227). Etwas anderes wird im Allgemeinen nur angenommen, wenn es um den Kauf eines Neuwagens geht (OLG Düsseldorf, Urt. v. 16.05.1990 – 11 U 82/89, NJW-RR 1992, 381, 382). Auch beim Kauf von Leasingfahrzeugen unter Kraftfahrzeughändlern wird grobe Fahrlässigkeit angenommen, wenn der Fahrzeugbrief nicht vorgelegt wurde (BGH, Urt. v. 13.05.1996 – II ZR 222/95, NJW 1996, 2226, 2227).
Der hier zu entscheidende Fall liegt allerdings anders. Denn vorliegend handelt es sich nicht um den Erwerb eines fremden Gebrauchtwagens von einer dritten unbekannten Person, bei der die Vorgeschichte des Fahrzeugs unbekannt ist. Vielmehr hat der Kläger selbst das streitgegenständliche Fahrzeug als Neuwagen geleast und war bis zum Zeitpunkt des Ablaufs der Leasingzeit sowie des anvisierten Kaufs im Besitz des Pkw, den ihm die Firma Autohaus A mit offensichtlichem Einverständnis der Beklagten eingeräumt hat (vgl. auch LG Darmstadt, Urt. v. 30.08.2001 – 8 O 490/00, NJW-RR 2002, 417). Damit kamen für den Kläger als Eigentümer nur die Firma Autohaus A und die Beklagte in Betracht. Für den letzteren Fall konnte der Kläger aufgrund der gegebenen Umstände durchaus davon ausgehen, dass das Autohaus A zur Veräußerung des Fahrzeugs autorisiert war. Denn schließlich handelte es sich bei diesem um einen X-Vertragshändler, während es sich bei der Beklagten um eine X-Leasing-Gesellschaft handelt (ähnlich LG Darmstadt, Urt. v. 30.08.2001 – 8 O 490/00, NJW-RR 2002, 417). Zudem forderte die Beklagte den Kläger noch mit Schreiben vom 01.04.2009 nach Ablauf der Leasingszeit auf, das Fahrzeug bei dem Autohaus A zurückzugeben. Der Zusammenhang zwischen dem Autohaus A und der Beklagten war für den Kläger aus der Sicht eines juristischen Laien damit offensichtlich. Schließlich ist es im Kfz-Handel nicht unüblich, wenn der Vertragshändler das zunächst geleaste Fahrzeug nach Ablauf des Leasingvertrags an den Kunden weiterveräußert (LG Darmstadt, Urt. v. 30.08.2001 – 8 O 490/00, NJW-RR 2002, 417).
Die Tatsache, dass der Kläger mit der fehlenden Eigentümerstellung des Autohauses A rechnen musste, steht dem Gutglaubenserwerb nicht entgegen, da § 366 HGB den guten Glauben an die Verfügungsbefugnis schützt.
Die Umstände des hiesigen Falls sind auch nicht mit der Fallkonstellation zu vergleichen, in der bei der Veräußerung von Leasingfahrzeugen unter Kfz-Händlern grobe Fahrlässigkeit angenommen wird, wenn sich der Erwerber den Kfz-Brief nicht vorlegen lässt. Denn im vorliegenden Fall handelt es sich bei dem Kläger nicht um einen Kfz-Händler, sondern einen privaten Vertragspartner. Diesem sind die juristischen und wirtschaftlichen Umstände bzw. Geschäftspraktiken zwischen den Vertragshändlern und der finanzierenden Bank bzw. Gesellschaft nicht in der Weise vertraut, wie es der Fall bei einem Kfz-Händler ist (LG Darmstadt, Urt. v. 30.08.2001 – 8 O 490/00, NJW-RR 2002, 417).
Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass in dem Leasingformular als Zusatz zum Leasinggegenstand vermerkt war, dass der Erwerb ausgeschlossen ist. Denn insoweit sollte das streitgegenständliche Fahrzeug zum Zeitpunkt des Abschlusses des Leasingvertrags auch gar nicht verkauft werden. Dass der Erwerb auch für die Zeit nach Ablauf der Leasingzeit ausgeschlossen sein sollte, ist dem Vermerk nicht zu entnehmen. Auch aus dem Hinweis in den Leasingvertragsbedingungen, dass Eigentümerin des Fahrzeugs die Beklagte ist, ergibt sich keine abweichende Würdigung. Denn die fehlende Eigentümerstellung des Autohauses A steht dem gutgläubigen Erwerb nicht entgegen, da § 366 HGB den guten Glauben an die Verfügungsbefugnis schützt.
Eine fehlende Verfügungsbefugnis musste sich dem Kläger – auch im Hinblick auf das Schreiben der Beklagten vom 01.04.2009 zum Ablauf des Leasingvertrags – nicht aufdrängen, sodass – wenn überhaupt – lediglich eine mittlere Fahrlässigkeit des Klägers angenommen werden kann. Guter Glaube nach § 366 HGB ist aber nur bei grober Fahrlässigkeit, nämlich wenn die erforderliche Sorgfalt nach den gesamten Umständen in ungewöhnlich grobem Maß verletzt wurde, ausgeschlossen. Allein der Umstand, dass sich der Kläger vom Mitarbeiter des Autohauses M nicht den Fahrzeugbrief vorlegen ließ, stellt keine Tatsache dar, woraus sich dem Kläger aufgedrängt hätte, dass dieser nicht zu Veräußerung autorisiert war. …