Das Aus­ein­an­der­fal­len von Pro­duk­ti­ons­da­tum und Erst­zu­las­sung um meh­re­re Jah­re ist bei ei­nem Ge­braucht­wa­gen ein Sach­man­gel i. S. von § 434 I 1 BGB.

OLG Cel­le, Ur­teil vom 13.07.2006 – 11 U 254/05

Sach­ver­halt: Die Par­tei­en strei­ten um die Rück­ab­wick­lung ei­nes Kauf­ver­trags über ei­nen Ge­braucht­wa­gen.

Der Klä­ger kauf­te das streit­ge­gen­ständ­li­che Fahr­zeug, das ur­sprüng­lich bei ei­nem Ci­troën-Ver­trags­händ­ler als Vor­führ­wa­gen ge­dient hat­te, für 11.400 €. Es hat­te ei­nen Ki­lo­me­ter­stand von le­dig­lich 10 km und des­halb – je­den­falls nach der Zeu­gen­aus­sa­ge des Ehe­manns der Be­klag­ten – auch ei­nen so güns­ti­gen Preis (min­des­tens 7.000 € un­ter Neu­preis).

We­gen ver­schie­de­ner strei­ti­ger Sach­män­gel – ob die­se tat­säch­lich vor­lie­gen und dem Be­klag­ten Ge­le­gen­heit zur Nach­bes­se­rung ein­ge­räumt wur­de, ist vom Land­ge­richt nicht auf­ge­klärt wor­den – be­gehrt der Klä­ger die Rück­ab­wick­lung des Kauf­ver­trags. Da­bei hat er sich hilfs­wei­se auf sein vor­pro­zes­sua­les Schrei­ben vom 01.04.2005 be­zo­gen, mit dem er die An­fech­tung des Kauf­ver­trags we­gen arg­lis­ti­ger Täu­schung er­klärt hat­te. In die­sem Schrei­ben heißt es aus­zugs­wei­se:

„Un­ab­hän­gig hier­von hat un­ser Man­dant nun­mehr dar­über hin­aus fest­stel­len müs­sen, dass das Fahr­zeug be­reits im Fe­bru­ar 2002 ge­baut wor­den ist. Aus dem von der CC-Bank über­sand­ten Fahr­zeug­brief er­gibt sich des Wei­te­ren, dass das Fahr­zeug über ei­nen Zeit­raum von 3 Mo­na­ten auf Ci­troën zu­ge­las­sen wor­den ist. Hier­von hat Ih­re Auf­trag­ge­be­rin je­doch kein Wort er­wähnt. Im Ge­gen­teil: Ih­re Auf­trag­ge­be­rin hat nach­weis­lich er­klärt, dass es sich bei dem Pkw um ei­ne Ta­ges­zu­las­sung han­deln wür­de.“

Das Land­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben, weil das streit­ge­gen­ständ­li­che Fahr­zeug nicht die ver­ein­bar­te Be­schaf­fen­heit auf­ge­wie­sen ha­be (§ 434 I 1 BGB). An­ders als bei ei­nem Neu­wa­gen kön­ne der Käu­fer ei­nes Ge­braucht­wa­gens man­gels nä­he­rer An­ga­ben zwar nicht oh­ne Wei­te­res da­von aus­ge­hen, dass das Fahr­zeug so­fort nach der Her­stel­lung vom Stra­ßen­ver­kehr zu­ge­las­sen wor­den sei. Er dür­fe aber grund­sätz­lich dar­auf ver­trau­en, dass zwi­schen Her­stel­lung und Erst­zu­las­sung ein re­la­tiv über­schau­ba­rer Zeit­raum lie­ge. Auch wenn die An­ga­be des Bau­jah­res im Kfz-Brief nicht mehr vor­ge­nom­men wer­de, än­de­re dies nichts dar­an, dass nach der Ver­kehrs­an­schau­ung das Bau­jahr ei­ne kauf­ent­schei­den­de Rol­le spie­le. Der Käu­fer ei­nes Ge­braucht­fahr­zeugs kön­ne des­halb eben­falls grund­sätz­lich da­von aus­ge­hen, dass das Pro­duk­ti­ons­da­tum des Fahr­zeugs ei­ni­ger­ma­ßen zeit­nah zur Erst­zu­las­sung lie­ge (OLG Cel­le, Urt. v. 26.02.1998 – 7 U 58/97, OLGR 1998, 160; OLG Karls­ru­he, Urt. v. 26.05.2004 – 1 U 10/04, NJW 2004, 2456). Dem­ge­gen­über hät­ten hier et­wa zwei Jah­re zwi­schen dem Pro­duk­ti­ons­zeit­punkt und der Erst­zu­las­sung ge­le­gen. Der Klä­ger ha­be so­mit ei­nen An­spruch auf Rück­gän­gig­ma­chung des Kauf­ver­trags.

Hier­ge­gen wen­det sich die Be­klag­te mit ih­rer Be­ru­fung. Das Rechts­mit­tel hat­te kei­nen Er­folg.

Aus den Grün­den: II. … 1. Das Land­ge­richt hat zu Recht auf das Al­ter des Fahr­zeugs ab­ge­stellt, weil die­ses Ge­gen­stand des Kla­ge­vor­trags war. Das An­fech­tungs­schrei­ben vom 01.04.2005, auf das sich der Klä­ger im ers­ten Rechts­zug je­den­falls hilfs­wei­se be­zo­gen hat, so­wie sei­ne Stel­lung­nah­me zum Er­geb­nis der Be­weis­auf­nah­me ma­chen deut­lich, dass es ihm ne­ben den zu­nächst in den Vor­der­grund ge­rück­ten, nach wie vor strei­ti­gen Män­geln auch auf das Al­ter des Fahr­zeugs an­kam.

Zur Rechts­la­ge in sol­chen Fäl­len hat der BGH, wenn auch hin­sicht­lich ei­nes als fa­brik­neu ver­kauf­ten Pkw, in sei­nem Ur­teil vom 15.10.2003 aus­ge­führt, nach der Ver­kehrs­an­schau­ung sei die La­ger­dau­er ei­nes Au­tos für die Wert­schät­zung von we­sent­li­cher Be­deu­tung. Ei­ne lan­ge Stand­dau­er sei ein wert­min­dern­der Fak­tor, weil je­des Kraft­fahr­zeug ei­nem Al­te­rungs­pro­zess un­ter­lie­ge, der mit dem Ver­las­sen des Her­stel­lungs­be­trie­bes ein­set­ze. Grund­sätz­lich ver­schlech­te­re sich der Zu­stand ei­nes Fahr­zeugs durch Zeit­ab­lauf auf­grund von Ma­te­ri­al­er­mü­dung, Oxi­da­ti­on und an­de­ren phy­si­ka­li­schen Ver­än­de­run­gen. Selbst ei­ne Auf­be­wah­rung un­ter op­ti­ma­len Be­din­gun­gen ver­mö­ge dies nur zu ver­lang­sa­men, aber nicht zu ver­hin­dern. Im Re­gel­fall sei des­halb da­von aus­zu­ge­hen, dass ei­ne La­ger­zeit von mehr als zwölf Mo­na­ten die Fa­brik­neu­heit ei­nes Kraft­fahr­zeugs im Rechts­sin­ne be­sei­ti­ge (BGH, Urt. v. 15.10.2003 – VI­II ZR 227/02, NJW 2004, 160; vgl. auch OLG Köln, Urt. v. 01.04.2004 – 8 U 89/03, OLGR 2005, 9).

Die­se Er­wä­gun­gen sind von der ober­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung auch auf Ge­braucht­wa­gen über­tra­gen wor­den. Da­nach stellt ein Aus­ein­an­der­fal­len von Pro­duk­ti­ons und Erst­zu­las­sungs­da­tum um meh­re­re Jah­re ei­nen Sach­man­gel i. S. des § 459 I BGB a.F. bzw. des § 434 I 1 BGB n.F. dar. In­so­weit ist auf die vom Land­ge­richt zu­tref­fend zi­tier­ten Ur­tei­le des OLG Cel­le und des OLG Karls­ru­he zu ver­wei­sen, die hier ein­schlä­gig sind. Denn auch im vor­lie­gen­den Fall ist das Erst­zu­las­sungs­da­tum bzw. die re­la­ti­ve Neu­wer­tig­keit des Fahr­zeugs Ver­trags­grund­la­ge ge­wor­den. So hat der Klä­ger un­strei­tig ei­nen Vor­führ­wa­gen mit ei­nem Ki­lo­me­ter­stand von le­dig­lich 10 km er­wor­ben, den er selbst, wenn auch im recht­li­chen Sinn nicht zu­tref­fend, so­gar als Neu­wa­gen be­trach­tet hat. Zu­dem war, wenn auch nicht aus dem Be­stell­for­mu­lar, so doch aus der Rech­nung vom 08.11.2004, das Erst­zu­las­sungs­da­tum 29.01.2004 er­sicht­lich.

Nach den oben dar­ge­leg­ten, von der Recht­spre­chung ent­wi­ckel­ten Grund­sät­zen, von de­nen ab­zu­wei­chen der Se­nat kei­nen An­lass sieht, ist im vor­lie­gen­den Fall, in dem die Erst­zu­las­sung ein Jahr und elf Mo­na­te nach dem Her­stel­lungs­da­tum er­folgt ist, ob­jek­tiv vom Vor­lie­gen ei­nes Sach­man­gels nach § 434 I 1 BGB aus­zu­ge­hen. So­mit kommt es auch auf den von der Be­klag­ten an­ge­führ­ten Ge­sichts­punkt, ihr sei das Her­stel­lungs­da­tum nicht be­kannt ge­we­sen, so­dass sie den Klä­ger hier­auf nicht hät­te hin­wei­sen kön­nen, nicht an. Denn hier geht es, an­ders als in dem vom OLG Karls­ru­he ent­schie­de­nen Fall, nicht um die Durch­bre­chung ei­nes Ge­währ­leis­tungs­aus­schlus­ses auf­grund ei­ner arg­lis­ti­gen Täu­schung. Der Be­klag­ten wird mit dem an­ge­foch­te­nen Ur­teil nicht vor­ge­wor­fen, das Her­stel­lungs­da­tum ge­kannt, trotz Be­ste­hens ei­ner Of­fen­ba­rungs­pflicht aber (arg­lis­tig) ver­schwie­gen zu ha­ben. Es geht viel­mehr um die „nor­ma­le“ Sach­män­gel­haf­tung nach §§ 434 ff. BGB, wel­che al­lein an das ob­jek­ti­ve Vor­lie­gen ei­nes Sach­man­gels an­knüpft, da­ge­gen kei­nen sub­jek­ti­ven Tat­be­stand des In­halts, dass dem Ver­käu­fer der be­tref­fen­de Man­gel be­kannt war und er über die­sen ge­täuscht ha­ben müss­te, er­for­dert.

2. Schließ­lich ist die von der Be­klag­ten ge­rüg­te Ver­let­zung der rich­ter­li­chen Hin­weis­pflicht durch das Land­ge­richt recht­lich nicht er­heb­lich. Selbst wenn man der Be­klag­ten dar­in fol­gen woll­te, dass der Vor­der­rich­ter ei­ne Hin­weis­pflicht ge­habt hät­te, ist we­der dar­ge­tan noch sonst er­sicht­lich, was die Be­klag­te hät­te vor­tra­gen wol­len und kön­nen, um ei­ne Ver­ur­tei­lung zu ver­mei­den. Denn zwi­schen den Par­tei­en ist un­strei­tig, dass das Fahr­zeug im Fe­bru­ar 2002 her­ge­stellt und im Ja­nu­ar 2004 das ers­te Mal zu­ge­las­sen wor­den ist. Hier­an kann im Nach­hin­ein nichts mehr ge­än­dert wer­den.

Aus die­sem Grund be­stand in­so­weit auch kei­ne Nach­bes­se­rungs­mög­lich­keit, wes­halb der im Hin­blick auf die ge­rüg­ten tech­ni­schen Män­gel recht­lich er­heb­li­che Ein­wand der Be­klag­ten, ihr sei vom Klä­ger kei­ne Ge­le­gen­heit zur Nach­bes­se­rung ge­ge­ben wor­den, in Be­zug auf das Aus­ein­an­der­fal­len von Pro­duk­ti­ons- und Erst­zu­las­sungs­da­tum nicht durch­grei­fen kann (vgl. Pa­landt/Putzo, BGB, 64. Aufl., § 437 Rn. 50).

3. Vom Kauf­preis ist, wie vom Klä­ger zu­ge­stan­den, ei­ne wei­te­re Nut­zungs­ent­schä­di­gung von 1.145,70 € ab­zu­set­zen, weil er wei­te­re 15.000 km mit dem streit­ge­gen­ständ­li­chen Fahr­zeug zu­rück­ge­legt hat. Zur Be­rech­nung wird auf die auch in­so­weit zu­tref­fen­den Aus­füh­run­gen der Land­ge­richts hin­sicht­lich der Nut­zungs­ent­schä­di­gung für die ers­ten 15.000 km Be­zug ge­nom­men.

Nach al­le­dem ver­blei­ben vom Kauf­preis (11.400 €) ab­züg­lich der vom Land­ge­richt zu­tref­fend er­rech­ne­ten Nut­zungs­ent­schä­di­gung von 1.145,70 € so­wie ei­ner wei­te­ren Nut­zungs­ent­schä­di­gung von 1.145,70 € rest­li­che 9.108,60 €. Hin­zu kom­men vor­ge­richt­li­che An­walts­kos­ten von 408,20 €, die als sol­che im Be­ru­fungs­rechts­zug nicht im Streit ge­stan­den ha­ben.

III. … Die Zu­las­sung der Re­vi­si­on kommt nicht in Be­tracht. Sach­li­che Grün­de da­für, wes­halb der vom BGH für Neu­fahr­zeu­ge ent­wi­ckel­te Grund­satz, ein Pkw mit ei­ner La­ger­zeit von mehr als zwölf Mo­na­ten sei nicht mehr fa­brik­neu, nicht ent­spre­chend der zi­tier­ten ober­ge­richt­li­chen Recht­spre­chung in der Wei­se auf Ge­braucht­wa­gen über­tra­gen wer­den soll­te, dass das we­sent­li­che Aus­ein­an­der­fal­len von Erst­zu­las­sung und Pro­duk­ti­ons­da­tum als Sach­man­gel an­ge­se­hen wird, sind nicht er­sicht­lich. Dies gilt je­den­falls bei ver­meint­lich neu­wer­ti­gen Fahr­zeu­gen wie im vor­lie­gen­den Fall.

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