Ein gewerblicher Gebrauchtwagenverkäufer ist verpflichtet, den Käufer vor Abschluss des Kaufvertrags – auch ungefragt – über Unfallschäden zu informieren, wenn er sich nicht dem Vorwurf des arglistigen Verschweigens aussetzen will. Der bloße Hinweis „Unfallauto“ in einem schriftlichen Vertrag stellt keine ausreichende Information des Käufers über vorhandene Unfallschäden dar. Vielmehr ist der schlichte Hinweis, ein Fahrzeug sei ein „Unfallwagen“, wegen seiner Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit als Bagatellisierung anzusehen.
LG Berlin, Urteil vom 20.12.2005 – 5 O 210/05
Sachverhalt: Der Kläger begehrt die Minderung des Kaufpreises für einen Gebrauchtwagen.
Mit schriftlichem Kaufvertrag vom 06.09.2004 erwarb der Kläger von der Beklagten einen gebrauchten Pkw Mercedes-Benz CLK 320 zu einem Kaufpreis von 12.000 €. In dem Kaufvertrag heißt es unter anderem:
„Sondervereinbarungen: Unfallauto Der Kaufvertrag wird zwischen den Parteien mit Unterschriftenleistung verbindlich geschlossen. Das Fahrzeug hat einen Unfallschaden wie im Gutachten ausgewiesen und wird in dem Zustand, unzerteilt und mit der Ausstattung verkauft, wie diese im Gutachten und mit den oben angegebenen Extras ausgeführt ist … Falls Vorschäden vorhanden sind und diese im Gutachten nicht angegeben sein sollten, müssen diese durch den Verkäufer angegeben werden.“
Für die von der Beklagten durchgeführte Reparatur eines Schadens im Frontbereich des Fahrzeugs zahlte der Kläger weitere 500 €. Nach Übergabe des Fahrzeugs stellte der Kläger weitere Schäden fest und ließ das Getriebe des Fahrzeugs für ca. 800 € und die Hinterachse für 400 € auswechseln. Da der Kläger in der Folgezeit weitere Mängel feststellte, ließ er ein Sachverständigengutachten erstellen. In seinem Gutachten stellte der Dipl.-Ing. S eine Vielzahl von Mängeln fest. Die Reparaturkosten schätzte der Sachverständige insgesamt auf 9.601,11 € zzgl. MwSt.
Der Kläger begehrt nunmehr Minderung des Kaufpreises um die Reparaturkosten und berechnet die Klageforderung wie folgt:
Minderungsbetrag | 9.601,11 € |
Sachverständigenkosten | 720,19 € |
Gesamt | 10.321,30 € |
nicht anrechnungsfähige Rechtsanwaltsgebühren | 351,90 € |
Klageforderung | 10.673,20 € |
Er behauptet, der Geschäftsführer der Beklagten habe ihm bei Abschluss des Kaufvertrags mitgeteilt, die Reparaturkosten für den Vorschaden im Frontbereich betrügen ungefähr 1.500 €. Ein Gutachten sei ihm bei den Vertragsverhandlungen nicht vorgelegt worden. Vielmehr sei ihm erklärt worden, dass ein solches Gutachten nicht existiere; das Kaufvertragsformular werde ansonsten von der Beklagten beim Ankauf eines Fahrzeugs von einer Versicherung verwendet. Die Beklagte habe das Fahrzeug von dem Voreigentümer für 4.000 € erworben.
Die Klage hatte zum Teil Erfolg.
Aus den Gründen: Der Kläger hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Zahlung von 6.503,50 € aus §§ 434, 437 Nr. 2, 441, 444, 475, 476 BGB (Minderung); §§ 434, 437 Nr. 3, 280 BGB (Sachverständigenkosten und Rechtsanwaltsgebühren); denn sie hat die Vorschäden des Fahrzeuge arglistig verschwiegen.
Nach Durchführung der Reparatur der Ölwanne (so die Beklagte) bzw. des Frontschadens (so der Kläger) durch die Beklagte befanden sich unstreitig weitere erhebliche Unfallschäden an dem Fahrzeug. Ausweislich der unstreitigen Feststellungen des Dipl.-Ing. S war der Fahrzeugboden erheblich beschädigt. Die Fahrwerks- und Lenkteile vorne und hinten waren derart beschädigt, dass es zu Radierungen der Reifen an den Radhausschalen kam. Auch die Querträger vorne waren zu erneuern. Durch die Durchführung der Reparatur entstehen Kosten von etwa 11.137,29 € inklusive Mehrwertsteuer. Nach den gut nachvollziehbaren Angaben des Sachverständigen sind diese Kosten notwendig, um den Pkw in einen betriebs- und verkehrssicheren Zustand zu versetzen.
Die Beklagte war als gewerbliche Gebrauchtwagenverkäuferin verpflichtet, den Kläger vor Abschluss des Kaufvertrags über die Unfallschäden – auch ungefragt – zu informieren, wenn sie sich nicht dem Vorwurf des arglistigen Verschweigens aussetzen wollte (vgl. BGH, NJW-RR 1987, 436 [437]; NJW 1982, 1386). Der bloße Hinweis „Unfallauto“ in dem schriftlichen Vertrag stellt keine ausreichende Information des Käufers über vorhandene Unfallschäden dar. Gerade wenn der Verkäufer das Unfallauto selbst repariert, wird an seine Aufklärungspflicht eine strenge Anforderung gestellt (OLG Köln, NJW-RR 1986, 1380). Der schlichte Hinweis, das Fahrzeug sei ein Unfallwagen, ist wegen seiner Unbestimmtheit und Vieldeutigkeit als Bagatellisierung des wirklichen Unfallgeschehens anzusehen (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 9. Aufl., Rn. 1666 m. w. Nachw.).
Wer zur Offenbarung der ihm bekannten vollen Wahrheit nach Treu und Glauben verpflichtet ist, kann dieser Pflicht nicht durch einen treuwidrig unvollständig und dem Zusammenhang nach bagatellisierend wirkenden Teilhinweis auf den Vertragspartner überwälzen. Der gewerbliche Verkäufer, der aufgrund seiner Sachkunde die Beschädigung des Fahrzeugs erkannt hat, hat diese dem Käufer konkret mitzuteilen.
Die vorgenannten Anforderungen ergeben sich auch aus dem Wortlaut des von den Parteien geschlossenen Kaufvertrags vom 06.09.2004; denn in dem Vertrag heißt es: „Falls Vorschäden vorhanden sind und diese im Gutachten nicht angegeben sein sollten, müssen diese durch den Verkäufer angegeben werden“. Dieser Satz zeigt, dass Vorschäden konkret benannt werden sollen und nicht durch die Bezeichnung „Unfallauto“ allein mitgeteilt werden sollen.
Die Beklagte hat dem Kläger die Beschädigungen des Pkw nicht mitgeteilt. Unstreitig mitgeteilt wurden von ihr die später von ihr reparierten Schäden im Frontbereich bzw. der Ölwanne. Darüber hinaus erfolgt die – wie oben dargelegt – nicht ausreichende Bezeichnung „Unfallauto“ im Vertrag. Diese Bezeichnung reicht auch deshalb nicht aus, weil die Beklagte davon ausgehen musste, dass der Kläger den unstreitig mitgeteilten und später reparierten Frontschaden als den einzigen Unfallschaden versteht und davon ausgeht, dass ansonsten keine Schäden vorhanden sind und das Fahrzeug fahrbereit ist.
Tatsächlich war das Fahrzeug schon aufgrund der Radierungen der Reifen an den Radhausschalen nicht fahrbereit.
Weitere Schäden hat die Beklagte dem Kläger nicht mitgeteilt. Die mündliche Mitteilung weiterer Schäden behauptet die Beklagte nicht. Das in dem Vertrag vom 06.09.2004 in Bezug genommene Gutachten lag bei Vertragsabschluss am 06.09.2004 nicht vor. Dies hat der Kläger im Termin am 01.12.2005 im Rahmen seiner persönlichen Anhörung auch in den Einzelheiten geschildert. Diesem – bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung – unbestrittenen Vortrag ist der ebenfalls persönlich geladene Geschäftsführer … nicht entgegengetreten …
Lediglich ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass auch bei – unterstellter – Übergabe des eingereichten Gutachtens vom 19.08.2004 eine Information des Klägers über die Unfallvorschäden nicht erfolgt ist, denn dieses Gutachten ist ersichtlich unvollständig und enthält keine Angaben zu Vorschäden. Es besteht einzig aus dem Deckblatt sowie den Seiten 1 und 8. Die dazwischenliegenden Seiten mit etwaigen konkreten Schadensangaben wurden trotz entsprechender Auflage des Gerichts im Termin nicht eingereicht. Die in dem ebenfalls im Termin überreichten Schriftsatz vom 27.10.2005 als „Kurzgutachten“ bezeichneten drei Blatt Gutachten enthalten keinerlei Angabe über konkrete Schäden.
Bei der Berechnung des Minderungsbetrags geht das Gericht davon aus, dass bei einem Neufahrzeug der Minderungsbetrag häufig den Reparaturkosten entspricht. Nach der Schwacke-Liste September 2004 liegt der Einkaufspreis für einen neuen Pkw Mercedes-Benz CLK 320 bei 41.042 €, der Verkaufspreis eines gebrauchten Pkw CLK 320 bei 20.950 € (jeweils inkl. MwSt.). Der von dem Kläger erworbene Pkw hätte somit grundsätzlich nach Durchführung der von der Beklagten vorgenommenen Reparatur – also bei Übergabe des Fahrzeugs nach Abschluss des Kaufvertrags – in etwa die Hälfte des Wertes eines Neufahrzeugs. Dies lässt es angemessen erscheinen, den Minderungsbetrag ebenfalls nur auf die Hälfte der Reparaturkosten zu schätzen.
Die begründete Klageforderung berechnet sich danach wie folgt:
Reparaturkosten | 11.137,29 € |
hiervon ½ | 568,65 € |
Sachverständigenkosten | 720,19 € |
Gesamt | 6.288,84 € |
61 % der nicht anrechnungsfähigen Rechtsanwaltsgebühren | 214,66 € |
Begründete Klageforderung | 6.503,50 € |