- Einem Kfz-Käufer können (weitere) Nacherfüllungsversuche i. S. von § 440 Satz 1 Fall 3 BGB unzumutbar sein, wenn sein Vertrauen in das Fahrzeug aufgrund einer Vielzahl immer neuer Mängel erschüttert ist und eine Fehleranfälligkeit des Fahrzeugs für die Zukunft nicht ausgeschlossen werden kann.
- Mehrere eher geringfügige Mängel, die einzeln betrachtet einen Rücktritt vom Kaufvertrag nicht rechtfertigen (vgl. § 323 V 2 BGB), können in ihrer Gesamtheit ein Rücktrittsrecht begründen.
- Ein Kfz-Käufer verwirkt sein Recht zum Rücktritt vom Kaufvertrag nicht dadurch, dass er das Fahrzeug nach Erklärung des Rücktritts weiter nutzt. Vielmehr ist davon auszugehen, dass die Weiterbenutzung des Fahrzeugs im Interesse des Verkäufers liegt, der auf diese Weise einen Anspruch auf eine Nutzungsentschädigung in erheblicher Höhe erlangen kann.
LG Zweibrücken, Urteil vom 02.08.2004 – 1 O 274/03
Sachverhalt: Die Klägerin nimmt die Beklagte auf Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrags in Anspruch.
Die Parteien schlossen am 17.01.2002 einen Kaufvertrag über einen Neuwagen Mercedes-Benz mit umfangreicher Sonderausstattung. Die Klägerin erhielt das Fahrzeug am 28.04.2003 und zahlte den Kaufpreis von 53.957,40 €.
Nachdem Probleme im Bereich der Fahrzeugelektronik aufgetreten waren, forderte die Klägerin die Beklagte mit – unbeantwortetem – Schreiben vom 04.07.2003 unter Fristsetzung auf, den vertragsgerechten Zustand des Pkw herzustellen.
Die Klägerin behauptet, es habe zunächst Probleme mit dem COMAND-System (bestehend aus Radio, CD/DVD, Telefon und GPS) gegeben. Dieses System sei komplett untauglich. Es gebe Schwierigkeiten mit dem Navigationssystem und dem Radio mit CD-Wechsler. Auch das im COMAND-System installierte Telefonbuch funktioniere nicht. Der Fahrtrichtungsanzeiger, der Sitz, die Außenspiegel, die Scheibenwischer und der DVD-Player wiesen Fehler auf. Die Mängel seien der Beklagten bekannt gewesen und auf eine fehlerhafte Steuerplatine zurückzuführen. Die Beklagte habe eingeräumt, dass bei anderen Fahrzeugen desselben Typs in gleicher Weise Mängel aufträten und man sich außerstande sehe, diese zu beseitigen.
Weitere, später aufgetretene Mängel ließen eine gefahrlose Nutzung des Pkw nicht mehr zu. Schon ein geringer Lenkeinschlag verursache starke, schleifenden Bremsgeräuschen ähnlichen Geräusche im Vorderbau des Fahrzeugs. Der rechte Außenspiegel klappe ein und fahre bei Starten des Fahrzeugs nicht mehr aus. Auch die Bremsanlage des Fahrzeugs sei mangelhaft. Der Fahrer müsse immer kräftiger auf das Bremspedal treten, um die volle Bremsleistung zu erhalten.
Die Klägerin meint, sie brauche sich nicht mehr auf eine Nachbesserung einzulassen, weil ihr Fahrzeug ein ganzes Mängelpaket aufweise. Es handele sich um ein „Montagsauto“, in das sie aufgrund des Auftretens immer neuer Mängel kein Vertrauen mehr habe und mit dem sie mittlerweile nicht mehr fahre.
Ihre Klage hatte größtenteils Erfolg.
Aus den Gründen: Die Beklagte hat den Kaufpreis in Höhe von 53.957,40 € abzüglich der Gebrauchsvorteile in Höhe von 9.721,34 € an die Klägerin Zug um Zug gegen Rückgabe des Autos zu zahlen (§§ 346 I, 348 BGB). Die Klägerin ist wirksam vom Vertrag zurückgetreten.
Die Parteien schlossen einen wirksamen Kaufvertrag.
Die Kaufsache war bei Gefahrübergang mit einem Mangel behaftet (§ 434 BGB). Sie weicht von der Normalbeschaffenheit ab. Nach Übergabe weist das Fahrzeug Probleme mit der hard- und softwaremäßigen Ansteuerung verschiedener elektronischer Baugruppen auf. Das Gutachten des Sachverständigen hat die vom Kläger vorgetragenen Mängel bestätigt. Das Navigationssystem gibt falsche Routen an, aktiviert sich von selbst, löscht sich selbstständig und erkennt Orte zum Teil nicht. Das Radio mit CD-Wechsler springt zwischen Radio- und CD-Betrieb hin und her, gibt knisternde Geräusche von sich, diese enden zum Teil mit einem Knall. Das Telefonbuch lässt sich nicht einbuchen, das Telefon kann nur mit dem Handy am Ohr genutzt werden, die Freisprecheinrichtung funktioniert nicht. Der Fahrtrichtungsanzeiger stellt sich beim Abbiegen fest und springt nur mit Mühe in die Ausgangsposition zurück. Der Multikontur-Sitz ist defekt, er füllt sich plötzlich während der Fahrt mit Luft. Beim Einparken klappen die Außenspiegel und nur einer fährt wieder aus. Die Scheibenwischer stellen sich während der Fahrt selbsttätig an und gehen schwer wieder aus. Beim Abspielen einer CD im DVD-Player ist ein einwandfreier Auswurf der CD nicht möglich.
Nach Einholen des Gutachtens tauchen weitere Probleme mit dem Fahrzeug auf. Die Klägerin behauptet, dass die Bremsen nicht einwandfrei funktionieren, und beim Lenken weise das Fahrzeug Geräusche ähnlich schleifenden Bremsgeräuschen auf.
Das Rücktrittsrecht als nachrangiges Gewährleistungsrecht setzt weiterhin voraus, dass dem Verkäufer zuvor eine angemessene Frist zur Nacherfüllung gesetzt wird. Grundsätzlich hat der Käufer zunächst den Erfüllungsanspruch im Wege der Nacherfüllung zu verfolgen. Genau diesen Nacherfüllungsanspruch macht die Beklagte in Bezug auf die neu aufgetretenen Mängel geltend. Dieser wird ihr nicht gewährt. Zwar ist die Nachbesserung nicht fehlgeschlagen, aber sie ist für die Klägerin unzumutbar (§ 440 Satz 1 Fall 3 BGB).
Die Nacherfüllung ist nicht gemäß § 440 Satz 2 BGB fehlgeschlagen; danach gilt sie nach dem erfolglosen zweiten Versuch als fehlgeschlagen. Die Klägerin war mit dem Fahrzeug nach unstreitigem Vortag nur einmal in der Werkstatt zur Reparatur der Mängel im Bereich der Elektronik. Sie behauptet nur weitere zahlreiche Mängelrügen und Mängelbeseitigungsversuche. Für die Feststellung der Unzumutbarkeit der Nacherfüllung ist erforderlich, dass der Käufer wegen eines jeden Mangels im Einzelnen vorträgt, wann er ihn geltend gemacht hat und wie oft der Händler mit welchem Erfolg die Nachbesserung ersucht hat (Reinking/Eggert, Der Autokauf, 8. Aufl. [2003], Rn. 278). Mangels spezifizierten Vorbringens der Klägerin kann insofern die Unzumutbarkeit weiterer Nachbesserungsversuche nicht festgestellt werden.
Allein im Hinblick auf das Telefon braucht sich die Klägerin auf einen zweiten Versuch zur Mängelbeseitigung nicht einzulassen, es besteht hinreichender Grund zu der Annahme, dass auch das erneute Auswechseln der Software nicht zu einer dauerhaften Lösung führt. Mittlerweile gibt es schon das sechste Update zur Lösung der Probleme.
Die Unzumutbarkeit der Nacherfüllung insgesamt ergibt sich vielmehr daraus, dass das Vertrauen der Klägerin in eine sachgerechte Vertragserfüllung des Verkäufers nachhaltig gestört ist. Das Fahrzeug weist eine solche Vielzahl kleiner und immer neuer Mängel auf, dass das Vertrauen der Klägerin in das Produkt erschüttert ist. Eine Fehleranfälligkeit des Fahrzeugs ist auch für die Zukunft nicht auszuschließen. Es ist nach den Angaben des Sachverständigen nicht sicher, dass die Fehler nach Austauschen der Software und Hardwarekomponenten behoben sind. Das Auto ist bei der unsicheren Zukunftsprognose bezüglich vorhandener und etwaiger neuer Mängel als irreparabel und insgesamt mangelhaft anzusehen. Die Klägerin brauchte sich auf eine Nachbesserung nicht einzulassen, weil das gelieferte Fahrzeug ein ganzes Mängelpaket und nicht nur die Summe ganz geringfügiger Fehler aufweist.
Das Rücktrittsrecht ist nicht wegen eines unerheblichen Mangels ausgeschlossen (§ 323 V 2 BGB). Die Abgrenzung zwischen erheblichem und unerheblichem Mangel ist im Gesetz nicht geregelt. Die Bedeutung des Mangels ist nach der Verkehrsanschauung und den Umständen des Einzelfalles zu würdigen (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 297). Das Fahrzeug weist eine Vielzahl von festgestellten Mängeln auf. Diese beeinträchtigen zwar nicht die Gebrauchstauglichkeit der Kaufsache, die Klägerin konnte mit dem Pkw noch fahren. Aber eine Gesamtschau der Mängel ergibt hier eine Erheblichkeit des Mangels. Zwar sind die Mängel einzeln betrachtet eher geringfügig, aber mehrere kleine Fehler zusammen begründen in diesem Fall die Erheblichkeit. Es tauchten seit Übergabe immer mehr kleine Fehler auf, die für die Klägerin vorher nicht erkennbar waren. Für einen Neuwagenkunden stellt sich diese Vielzahl an Mängeln gerade nicht als unerheblich dar.
Die Klägerin erklärte den Rücktritt vom Kaufvertrag gegenüber der Beklagten (§ 349 BGB).
Die Voraussetzungen des Rücktritts liegen vor.
Die Klägerin hat ihr Rücktrittsrecht nicht durch den normalen Weitergebrauch des Fahrzeugs nach Erklärung des Rücktritts verwirkt. Es ist davon auszugehen, dass die Weiterbenutzung des Fahrzeugs im Interesse des Verkäufers liegt, auf diese Weise kann er Ersatz von Gebrauchsvorteilen in erheblicher Höhe verlangen (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 324).
Der Rücktritt begründet die Pflicht zur Rückgewähr der empfangenen Leistungen Zug um Zug (§§ 346, 348 BGB). Die Klägerin kann gemäß § 346 I BGB den Kaufpreis von der Beklagten zurückverlangen Zug um Zug gegen Rückübertragung der Kaufsache.
Für die durch die bestimmungsgemäße Ingebrauchnahme eingetretene Wertminderung braucht die Klägerin keinen Wertausgleich zu leisten. Sie muss aber die durch den Gebrauch gezogenen Nutzungen in Form von Wertersatz nach § 346 II Nr. 1 BGB herausgeben. Diese Verpflichtung betrifft sowohl die Zeit vor als auch die Zeit nach der Erklärung des Rücktritts (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 313). Der Wert der vorübergehenden Benutzung eines Fahrzeugs ist nicht exakt berechenbar und deshalb analog § 287 II ZPO zu schätzen. Anknüpfungspunkt für die Bemessung der Gebrauchsvorteile ist der Kaufpreis und der vom Käufer zu vergütende Teil des Gebrauchswertes, den er durch die tatsächliche Benutzung des Fahrzeugs aufgezehrt hat (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 317). Hierfür hat die Rechtsprechung eine Formel entwickelt. Danach beträgt die Nutzungsvergütung bei einer voraussichtlichen Gesamtfahrleistung von 150.000 km 0,67 % des Kaufpreises je gefahrene 1.000 km. Bei einer Gesamtlaufleistung von 200.000 km verringert sie sich auf 0,5 % (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 321).
Die Klägerin erwarb einen Mercedes Benz E-Klasse. Bei diesen gehobenen Mittelklassefahrzeugen ist der Ansatz der zu erwartenden Laufleistung von 150.000 km zu niedrig, ein Wert von 200.000 km dürfte realistisch sein, sodass der Nutzungsausgleich 0,5 % statt 0,67 % des Kaufpreises je 1.000 km Laufleistung beträgt. Bei einem Dieselfahrzeug wird üblicherweise eine Laufleistung von 200.000 km erreicht. Nach all diesen Angaben beträgt die durch das Gericht geschätzte Gesamtfahrleistung des streitgegenständlichen Fahrzeugs 200.000 km. Die Nutzungsvergütung ist daher mit 0,5 % des Kaufpreises je gefahrene 1.000 km zu berechnen. Das ergibt hier eine Vergütung der Gebrauchsvorteile in Höhe von 9.721,34 €.
Die Beklagte hat den vollen Kaufpreis von 53.957,40 € mit 8 % über dem Basiszinssatz seit dem 19.07.2003 zu verzinsen.
Hat die Beklagte für die Kaufsumme Zinsen erzielt, sind diese herauszugeben. Zu diesem Umstand fehlt aber der Sachvortrag der Klägerin. Hat der Verkäufer keine Nutzungen in Form von Zinsen aus dem empfangenen Kaufpreis gezogen, ist er dem Käufer gemäß § 347 I 1 BGB zum Ersatz derjenigen Zinsen verpflichtet, die er nach den Regeln einer ordnungsgemäßen Wirtschaft hätte erzielen können. Für den Käufer ergibt sich die Notwendigkeit, im Prozess zur Erzielbarkeit der Zinsen substanziiert unter Beweisantritt vorzutragen (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 312). Dies hat die Klägerin versäumt.
Der Verkäufer gerät jedoch durch den berechtigten Rücktritt des Käufers mit der Rückzahlung des Kaufpreises in Schuldnerverzug. Der Rücktritt erfolgte am 19.07.2003. Der Verzugszins beträgt gemäß § 288 II BGB 8 % über dem Basiszinssatz. Die Zinsen sind aus dem vollen Betrag des gezahlten Kaufpreises zu berechnen und nicht aus dem nach Abzug der Gebrauchsvorteile verbleibenden Restbetrag (Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 312).
Der Feststellungsantrag ist begründet. Die Beklagte befindet sich im Verzug mit der Annahme des streitgegenständlichen Pkw Mercedes-Benz.
Als Verkäuferin hat sie nach Erklärung des Rücktritts die Pflicht, das Fahrzeug zurückzunehmen (§ 433 II BGB analog). Die Klägerin hat der Beklagten die Rücknahme des Fahrzeugs in verzugsbegründender Weise angeboten. Im Schreiben vom 04.07.2003 erklärte die Klägerin den Rücktritt nach erfolglosem Ablauf der Frist zur Nachbesserung; in diesem Schreiben ist auch das Angebot zur Rücknahme des Pkw zu sehen. Die Klägerin ist nicht verpflichtet, das mangelhafte Fahrzeug beizubringen, ihr wörtliches Angebot genügt. Ein Fall des § 298 BGB liegt nicht vor, die Beklagte bot die Gegenleistung nicht an. …