- Die Anzahl der Vorbesitzer/Vorhalter eines Kraftfahrzeugs kann Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung i. S. von § 434 I 1 BGB sein.
- Ob ein Fahrzeug „scheckheftgepflegt“ ist, obwohl es nicht sämtlichen vom Fahrzeughersteller vorgesehenen Inspektionen unterzogen wurde, ist eine Frage der Auslegung. Dabei ist zu berücksichtigen, wie viele Vorbesitzer/Vorhalter das Fahrzeug angeblich hatte und wie alt das Fahrzeug ist. Denn bei einem jungen Fahrzeug mit nur einem Vorbesitzer/Vorhalter lässt die Angabe „scheckheftgepflegt“ eher auf eine vollständige und rechtzeitige Durchführung sämtlicher Inspektionen schließen als bei einem älteren Fahrzeug mit mehreren Vorbesitzern/Vorhaltern.
- Nach einer wirksamen Anfechtung (hier: wegen arglistiger Täuschung) kommt ein Rücktritt vom – durch die Anfechtung vernichteten – Kaufvertrag nicht mehr in Betracht.
OLG Düsseldorf, Beschluss vom 08.08.2003 – I-1 W 45/03
Sachverhalt: Der Antragsteller erwarb von dem Antragsgegner, einem Kraftfahrzeughändler, am 25.10.2002 auf der Grundlage einer verbindlichen Bestellung für 6.500 € einen gebrauchten Pkw Opel Corsa B.
Dieses Fahrzeug war auf einem Verkaufsschild unter anderem als „scheckheftgepflegt“ und als aus „1. Hand“ stammend beschrieben worden. Als Datum der Erstzulassung ist in der verbindlichen Bestellung der 01.07.1997 vermerkt. Unstreitig war der Pkw indes bereits am 01.04.1997 erstmals zum Verkehr zugelassen worden, und dieses Datum steht auch auf dem vorerwähnten Verkaufsschild.Die Anzahl der Vorbesitzer ist in der verbindlichen Bestellung nicht angegeben; dort ist unter „Besondere Vereinbarungen“ aber unter anderem handschriftlich „Kfz-Brief eingesehen“ notiert.
Der dem Antragsteller vorgelegte Fahrzeugbrief war nicht der ursprünglich für das Fahrzeug ausgegebene Fahrzeugbrief. Diesen hatte die Zulassungsbehörde vielmehr eingezogen und vernichtet. Anlässlich der Wiederzulassung des Pkw nach § 27 VII StVZO waren eine neue Betriebserlaubnis erteilt und ein neuer Fahrzeugbrief ausgefertigt worden. Diesen Fahrzeugbrief, der nur einen einzigen Halter auswies, hatte der Antragsgegner dem Antragsteller bei den Vertragsverhandlungen vorgelegt und später ausgehändigt. Am 28.10.2002 wurde der Antragsteller dort als neuer Halter eingetragen.
Mit Schreiben vom 20.11.2002 erklärte der Antragsteller gegenüber dem Antragsgegner die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung: Er habe dem Serviceheft entnommen, dass der Opel Corsa B nicht nur einen, sondern vier Vorbesitzer gehabt habe, und sich davon persönlich überzeugt, indem er mit einigen der Vorhalter Kontakt aufgenommen habe. Der Antragsgegner ließ dieses Schreiben unbeantwortet.
Der Antragsteller hat die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für ein Klageverfahren beantragt. Er will von den Antragsgegner auf Rückzahlung des gezahlten Kaufpreises und auf Ersatz von Aufwendungen (Anmeldekosten, Reparaturkosten) in Anspruch nehmen. Er macht im Wesentlichen geltend, der streitgegenständliche Pkw habe nicht die vereinbarte Beschaffenheit, insbesondere stamme er nicht aus erster Hand, und er sei auch nicht durchgängig scheckheftgepflegt. Darüber hinaus sei er, der Antragsteller, nicht darüber aufgeklärt worden, dass das Fahrzeug zunächst einem anderen Händler als Vorführwagen gedient habe.
Demgegenüber macht der Antragsgegner geltend, dem Antragsteller ein mängelfreies Fahrzeug geliefert zu haben. Wie aus dem Kaufvertrag ersichtlich, habe der Antragsteller den Fahrzeugbrief eingesehen. Dabei habe er feststellen können, wie viele Vorbesitzer das Fahrzeug gehabt habe. Außerdem habe der Antragsteller sich vor Abschluss des Kaufvertrags das „Scheckheft“ zeigen lassen; nach seiner – des Antragsgegners – Kenntnis seien dort sämtliche Inspektionen eingetragen.
Das Landgericht hat den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe wegen fehlender Erfolgsaussichten zurückgewiesen. Hinsichtlich der Anzahl der Vorbesitzer schieden Gewährleistungsansprüche aus, weil der Antragsgegner dem Antragsteller vor Abschluss des Kaufvertrags den Fahrzeugbrief vorgelegt habe. Daraus gehe die Anzahl der Vorhalter unmissverständlich hervor, sodass einer Haftung des Antragsgegners jedenfalls § 442 I 1 BGB entgegenstehe. Auch sonst lägen keine Tatsachen vor, die den Antragsteller berechtigen könnten, vom Antragsgegner die Rückzahlung des Kaufpreises zu verlangen. Soweit der Antragssteller beanstande, dass der Pkw sei nicht lückenlos scheckheftgepflegt sei, könne er bei einem am 01.07.1997 (richtig: 01.04.1997) erstzugelassenen Fahrzeug nicht mit Erfolg geltend machen, dass die vierte Jahresinspektion nicht durchgeführt worden sei.
Der dagegen gerichteten sofortigen Beschwerde hat das Landgericht nicht abgeholfen. Das OLG Düsseldorf hat den Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Landgerichts aufgehoben und die Sache zur erneuten Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch nach Maßgabe der nachfolgenden Gründe an das Landgericht zurückverwiesen.
Aus den Gründen: II. …Das Landgericht hat die Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage zu Unrecht verneint. Allem Anschein nach ist es von einer Unschlüssigkeit des Klagebegehrens ausgegangen. Das wird von der Beschwerde mit Recht beanstandet. Der Antragsteller hat für die geltend gemachten Ansprüche schlüssig vorgetragen. Soweit erheblicher Tatsachenstoff streitig ist, fällt die Beweisprognose für den Antragsteller günstig aus. Im Einzelnen gilt Folgendes:
1. Auf das Rechtsverhältnis zwischen den Parteien ist das ab dem 01.01.2002 geltende Schuldrecht anwendbar. Auch wenn das Kaufvertragsformular kein Datum trägt, ist doch ein Vertragsabschluss im Oktober 2002 unstreitig.
2. a) Da der Antragsteller vorgerichtlich die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklärt hat (vgl. Schreiben vom 20.11.2002), er im jetzigen Verfahren aber unter dem Gesichtspunkt der „Wandelung“ vorgeht, muss zunächst das Verhältnis der einzelnen Rechtsbehelfe zueinander geklärt werden. Denn auch nach neuem Recht scheiden vertragliche Ansprüche bei wirksamer Täuschungsanfechtung aus. Denn eine wirksame Anfechtung hat die Nichtigkeit der Vertragserklärung und damit den Wegfall des Kaufvertrags zur Folge. Nach ständiger Rechtsprechung, die durch das neue Schuldrecht nicht infrage gestellt ist, ist dann kein Raum mehr für vertragliche Ansprüche. So kann ein Käufer, der seine Vertragserklärung wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten hat, keinen vertraglichen Sachmängelanspruch unter dem Gesichtspunkt des Rücktritts (früher Wandelung) geltend machen.
Die Rücknahme der Anfechtungswirkung kann nur einverständlich erfolgen, wobei ein konkludentes Verhalten genügt. Da Derartiges nicht ersichtlich ist, war zunächst zu prüfen, ob der Antragsteller für den Tatbestand einer arglistigen Täuschung i. S. des § 123 I Fall 1 BGB schlüssig vorgetragen hat. Das ist der Fall.
b) Der Antragsteller behauptet, der Antragsgegner habe ihm den Opel Corsa B ausdrücklich als „1. Hand“-Wagen verkauft. Mit diesem Zusatz sei der Wagen angeboten worden (Verkaufsschild). Außerdem habe der Antragsgegner bei Vorlage des Fahrzeugbriefs darauf hingewiesen, dass nur ein einziger Vorbesitzer vorhanden sei. In Wirklichkeit seien es jedoch vier Vorbesitzer gewesen, was dem Beklagten bekannt gewesen sei (Beweis: Parteivernehmung).
Dieser Sachvortrag rechtfertigt die Annahme einer arglistigen Täuschung i. S. des § 123 I Fall 1 BGB. Denn die Angabe, das Fahrzeug stamme aus „1. Hand“ stellt eine unwahre Behauptung „ins Blaue hinein“ dar.
Unstreitig hat das Fahrzeug mehr als nur einen Vorbesitzer. Nach dem unwidersprochen gebliebenen Sachvortrag des Antragstellers sind es insgesamt vier. Dass das Fahrzeug mindestens einen weiteren Vorbesitzer gehabt hat, erschließt sich mittelbar aus dem in Kopie bei den Akten befindlichen Fahrzeugbrief. Denn das Datum der Erstzulassung ist der 01.04.1997, während das Fahrzeug am 12.04.2000 auf K zugelassen wurde. Sie steht an erster Stelle des Briefs, bei dem es sich nicht um einen Ersatzbrief, sondern um einen neuen Brief i. S. des § 27 VII StVZO handelt. Anders als bei einem echten Ersatzbrief ist in dem hier vorliegenden neuen Brief nach § 27 VII StVZO die Anzahl der Vorhalter nicht vermerkt. Jedenfalls kann der Senat dem in Kopie vorliegenden Exemplar keine derartige Eintragung entnehmen. Das bedarf gegebenenfalls noch näherer Prüfung anhand des Originalbriefs. Schon jetzt steht jedenfalls fest, dass die Angabe des Antragsgegners, der Wagen stamme aus erster Hand, objektiv unrichtig war. Einiges spricht auch dafür, dass der Antragsgegner diese Information „ins Blaue hinein“ erteilt hat.
Der Antragsteller behauptet sogar unter Beweisantritt, der Antragsgegner habe von der Existenz der vier Vorbesitzer gewusst. Selbst wenn sich dies nicht feststellen lassen sollte, bliebe der Antragsgegner weiterhin dem Vorwurf der arglistigen Täuschung ausgesetzt. Denn er als Autohändler war sich im Klaren darüber, dass außer K mindestens ein weiterer Vorbesitzer vorhanden gewesen sein muss. Sollte er sich darauf berufen, die unter dem 12.04.2000 vorgenommene Eintragung von K als erste Haltereintragung überhaupt angesehen zu haben, könnte er damit nicht gehört werden.
c) Der Senat weist vorsorglich darauf hin, dass es in diesem Zusammenhang nicht darauf ankommt, ob der Antragsteller bei sorgsamer Durchsicht und Prüfung des ihm vorgelegten Fahrzeugbriefs die Täuschung hätte entdecken können. Selbst grobe Fahrlässigkeit würde ihm bei Arglist des Antragsgegners nicht schaden.
d) Unter der Voraussetzung, dass der Antragsteller den Kaufvertrag durch seine Anfechtungserklärung zunichte gemacht hat, kann die Rückabwicklung sowohl nach Bereicherungs- als auch nach Schadensersatzrecht erfolgen. Die Grundlagen der Schadensersatzhaftung sind die §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB (Verschulden bei Vertragsschluss), ferner § 823 II BGB i. V. mit § 263 StGB und § 826 BGB. Was die Positionen im Einzelnen angeht (Erstattung des Kaufpreises und Aufwendungsersatz), sieht der Senat keine Bedenken.
3. Für den Fall, dass der Antragsteller die subjektiven Voraussetzungen des Arglisttatbestands nicht nachweisen sollte (zur Verkäufer-Arglist in einem ähnlich gelagerten Fall vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 28.06.2002 – 22 U 13/02, OLGR 2003, 246), hat die beabsichtigte Klage gleichwohl unter einem anderen rechtlichen Gesichtspunkt hinreichende Aussicht auf Erfolg. Denn bei einer unwirksamen Täuschungsanfechtung ist der Weg frei für die vertragliche Sachmängelhaftung.
Der Antragsteller begehrt zum einen die Rückabwicklung unter dem Aspekt der „Wandelung“, was als Rücktritt zu verstehen ist, dem Nachfolger der Wandelung. Soweit es um den Ersatz von Aufwendungen geht, beruft der Antragsteller sich auf § 437 Nr. 3 Fall 2, § 284 BGB. Den Erwägungen des Landgerichts, das den Fall nur unter dem Gesichtspunkt der neuen Sachmängelhaftung geprüft hat, kann der Senat nicht folgen.
Im Einzelnen:
a) Anzahl der Vorbesitzer
aa) Im angefochtenen Beschluss hat das Landgericht zunächst mit § 442 I 1 BGB argumentiert. Hiernach sind die Rechte des Käufers wegen eines Mangels ausgeschlossen, wenn er bei Vertragsschluss den Mangel gekannt hat. Das Landgericht will damit ersichtlich sagen, dass der Antragsteller positive Kenntnis von der Existenz von vier Vorbesitzern gehabt hat. Für diese Annahme fehlt jegliche Grundlage in tatsächlicher Hinsicht. Einen Fahrzeugbrief mit vier eingetragenen Vorbesitzern gibt es nicht. Auch sonst hatte der Antragsteller keinen Grund dafür, von einer solchen Zahl von Vorbesitzern auszugehen. Vielmehr war bei ihm der Irrtum erzeugt worden, das Fahrzeug habe nur einen einzigen Vorbesitzer.
bb) Nachdem der Antragsteller nach Erlass des angefochtenen Beschlusses eine Kopie des Fahrzeugbriefs mit Eintragung nur eines Vorbesitzers (K) zu den Akten gereicht hat, hat das Landgericht seine Argumentation geändert. Nunmehr steht es auf dem Standpunkt, die von dem Antragsteller behauptete Anzahl der Vorbesitzer könne einen Sachmangel nicht begründen, da diesbezüglich keine Beschaffenheitsvereinbarung i. S. des § 434 I 1 BGB vorliege.
cc) Diese Annahme wird dem Sachvortrag des Antragstellers nicht gerecht. Denn dieser hat ausdrücklich behauptet, der Antragsgegner habe ihm das Fahrzeug als „1. Hand“-Wagen angeboten und verkauft. Damit hat er für eine Beschaffenheitsvereinbarung i. S. des § 434 I 1 BGB hinreichend vorgetragen.
Sollte das Landgericht der Ansicht sein, die Anzahl der Vorbesitzer sei kein Beschaffenheitsmerkmal, könnte der Senat dem nicht zustimmen.
Den Begriff der „Beschaffenheit“ hat der Reformgesetzgeber allerdings nicht definiert. So hat er insbesondere davon abgesehen zu entscheiden, ob dieser Begriff nur Eigenschaften umfasst, die der Kaufsache unmittelbar physisch anhaften, oder ob auch Umstände heranzuziehen sind, die außerhalb der Sache selbst liegen (vgl. BT-Drs. 14/6040, S. 213). Im Schrifttum zum neuen Schuldrecht wird für ein weites Verständnis des Beschaffenheitsbegriffs plädiert (Nachweise bei Häublein, NJW 2003, 388, 389 f.) und für den Bereich des Verbrauchsgüterkaufs auf die europarechtlichen Vorgaben hingewiesen.
Unter der Geltung des alten Rechts bestand kein Zweifel daran, dass die Anzahl der Vorbesitzer/Vorhalter eines Kraftfahrzeugs ein Beschaffenheitsmerkmal ist. Ebenso anerkannt war, dass es sich hierbei um eine zusicherungsfähige Eigenschaft gehandelt hat (vgl. zuletzt OLG Düsseldorf, Urt. v. 12.03.2003 – I-3 U 45/02). Für den BGH war der Unterschied zwischen einer (zusicherungsfähigen) Eigenschaft und einem Beschaffenheitsmerkmal i. S. des § 459 I BGB a.F. zuletzt „weitgehend nur noch terminologisch“ (BGH, Urt. v. 16.01.1991 – VIII ZR 335/89, NJW 1991, 1223, 1224).
Nach Ansicht des Senats kann die Frage, wie viele Vorbesitzer/Vorhalter ein gebrauchtes Kraftfahrzeug hat, Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung i. S. des § 434 I 1 BGB sein. Er hat keine durchgreifenden Bedenken, die Definition des Beschaffenheitskriteriums an die bisherige Definition des Eigenschaftsbegriffs (§ 459 II BGB a.F.) anzulehnen. Ob sie noch darüber hinausgeht, wie mitunter befürwortet, kann hier dahingestellt bleiben. Die Anzahl der Vorbesitzer/Vorhalter ist zwar keine Eigenschaft, die einem gebrauchten Kraftfahrzeug unmittelbar physisch anhaftet. Der Umstand liegt jedoch nicht so weit außerhalb der Sache, dass es an dem spezifischen Sachbezug fehlt. Die Anzahl der Vorbesitzer ist ein wertbildender Faktor. Sie kann Aufschluss geben über die Art und Intensität der früheren Nutzung. Ein Fahrzeug mit einer höheren Anzahl von Vorbesitzern/Vorhaltern als vertraglich zugesagt ist nicht „vertragsgemäß“ im Sinne der Terminologie der Verbrauchsgüterkaufrichtlinie1Richtlinie 99/44/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 25.05.1999 zu bestimmten Aspekten des Verbrauchsgüterkaufs und der Garantien für Verbrauchsgüter, ABl. 1999 L 171, 12.. Dabei wird in Art. 2 II auf die „Eigenschaften“ sowie auf die „Beschaffenheit“ des Verbrauchsguts abgestellt. Auch von der Haftungsfolge her gesehen wäre es nicht sachgerecht, eine Falschinformation über die Anzahl der Vorbesitzer/Vorhalter aus der Sachmängelhaftung auszuklammern und dem allgemeinen Leistungsstörungsrecht zuzuordnen. Denn die entscheidenden Wertungskriterien, die der modernisierten Sachmängelhaftung zugrunde liegen, treffen zu, wenn der Verkäufer ein Fahrzeug als „1. Hand“-Fahrzeug anbietet, es in Wirklichkeit aber bereits durch mehrere Hände gegangen ist.
Allerdings hat der Antragsgegner bestimmte Fahrzeugangaben dadurch unter einen Vorbehalt gestellt, dass er auf die Fahrzeugpapiere und auf den Vorbesitzer/Lieferanten als Quellen Bezug genommen hat. In der Formularrubrik „Fahrzeugangaben lt. Fahrzeugpapiere“ ist eine Information über die Anzahl der Vorbesitzer indes nicht enthalten. In der daneben befindlichen Rubrik „Fahrzeugangaben lt. Vorbesitzer oder Lieferant“ wird die streitige Vorbesitzerfrage gleichfalls nicht thematisiert. Unter diesen Umständen kann sich der Antragsgegner nicht auf einen Vorbehalt zurückziehen. Auf dem Verkaufsschild ist „1. Hand“ ohne jegliche Einschränkung notiert. Außerdem soll der Antragsgegner bei Vorlage des (neuen) Fahrzeugbriefs darauf hingewiesen haben, dass nur ein Vorbesitzer vorhanden sei. Nach der Darstellung des Antragstellers erfolgte auch dieser Hinweis ohne relativierenden Zusatz. Ein solcher Zusatz wie „laut Fahrzeugbrief“ verstand sich nicht von selbst, zumal es nicht der Ursprungsbrief war, der dem Antragsteller vorgelegt wurde.
Da der Antragsteller für eine ausdrückliche Beschaffenheitsvereinbarung i. S. des § 434 I 1 BGB somit hinreichend vorgetragen hat, kam es im Prozesskostenhilfeverfahren nur noch darauf an, ob der Antragsteller eine Verletzung der Verpflichtung des Antragsgegners zur mängelfreien Lieferung unter Erfolg versprechenden Beweis gestellt hat. Das ist der Fall. Mit dem Verkaufsschild hat der Antragsteller eine Urkunde vorgelegt, durch die die Information „1. Hand“ als Verkäufererklärung hinreichend belegt ist. Abgesehen davon hat er die Parteivernehmung des Beklagten zum Beweis dafür angeboten, dass dieser ihm bei Vorlage des Briefs ausdrücklich erklärt habe, es sei nur ein Vorbesitzer vorhanden. Die Vermutung der Vollständigkeit und Richtigkeit der Vertragsurkunde ist damit widerlegt.
dd) Da es in der Vorbesitzerfrage um einen Sachmangel geht, der bereits bei Vertragsschluss vorhanden war und seiner Natur nach unbehebbar ist, kann der Antragsteller ohne vorherige Fristsetzung sogleich von dem Kaufvertrag zurücktreten (§ 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 323, 326 V BGB).
Der Antragsteller hat sein Rücktrittsrecht (für den Fall unwirksamer Täuschungsanfechtung) ausgeübt. Damit steht ihm der Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises zu. Die gezogenen Nutzungen lässt er sich anrechnen.
Was die Kosten für den Austausch der vorderen Stoßdämpfer und der vier Federbeine angeht, so macht der Antragsteller sie nicht nach den Regeln des Rücktrittsrechts, sondern unter dem Blickwinkel des Aufwendungsersatzes nach den § 437 Nr. 3 Fall 2, § 284 BGB geltend. In Betracht kommt jedoch auch ein Verwendungsersatzanspruch gemäß § 437 Nr. 2 Fall 1, § 323, § 326 V, § 347 II 1 BGB.
Wer im Rückabwicklungsschuldverhältnis einen Gegenstand zurückgibt, hat Anspruch auf Ersatz notwendiger Verwendungen. Andere Aufwendungen sind zu ersetzen, soweit der Gläubiger durch diese bereichert wird (§ 347 II 2 BGB).
In tatsächlicher Hinsicht geht der Senat nach dem Vorbringen des Antragstellers davon aus, dass auf eine Beanstandung des Antragstellers hin im Betrieb des Antragsgegners die vorderen Stoßdämpfer und vier Federbeine ausgetauscht worden sind, wofür der Antragsgegner 215 € verlangt hat. Um die richtige Anspruchsgrundlage bestimmen zu können, bedarf es näherer Angaben über den Hintergrund dieser Tauschaktion, insbesondere Detailinformationen zu den technischen Gegebenheiten. Soweit vorhanden, mag der Antragsteller die Rechnung über diese Tauschaktion vorlegen. Im Rahmen des vorliegenden Prozesskostenhilfeverfahrens genügt die Feststellung, dass das Verlangen des Antragstellers nach Erstattung der 215 € aussichtsreich ist.
Gleiches gilt für die Kosten der Anmeldung des Fahrzeugs und für die Kosten der Nummernschilder (insgesamt 166 €). Neben dem Verwendungsersatz nach § 347 II BGB kommt auch hier ein Anspruch auf Ersatz von Aufwendungen gemäß § 284 BGB infrage. Auch insoweit besteht Erfolgsaussicht, denn die Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs statt der Leistung und damit eines Aufwendungsersatzanspruchs sind schlüssig dargetan (§ 437 Nr. 3 Fall 1, § 311a II 1 BGB). In Betracht kommt auch der Bruch einer „Beschaffenheitsgarantie“.
b) Sonstige Mängelrügen
Der Vorwurf des Antragstellers, er sei über die wahre Anzahl der Vorbesitzer getäuscht worden, ist nicht die einzige Beanstandung. Außerdem rügt er, das Fahrzeug sei entgegen der Zusage des Antragsgegners nicht „scheckheftgepflegt“ gewesen. Konkretisierend trägt er dazu vor, die vierte Jahresinspektion sei nicht durchgeführt worden. Daraus ist zu folgern, dass alle übrigen Inspektionen ordnungsgemäß stattgefunden haben.
Obwohl die Angabe „scheckheftgepflegt“ lediglich auf dem Verkaufsschild, nicht aber im schriftlichen Kaufvertrag steht, dürfte sie Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung zwischen den Parteien sein. Klauseln, die eine Einbeziehung in den Vertrag hindern könnten, kann der Senat dem Bestellschein nicht entnehmen. Sie wären auch unbeachtlich (§ 475 I BGB).
Fraglich ist allerdings, ob der Antragsteller eine lückenlose Kette sämtlicher Inspektionen erwarten durfte. Das ist eine Frage der Auslegung. Dabei ist zu berücksichtigen, dass der Antragsgegner als gewerblicher Autohändler keine gesicherten Erkenntnisse über die „Scheckheftpflege“ haben kann. Zurückgreifen kann er lediglich auf die Information seines Lieferanten und, soweit vorhanden, auf das sogenannte Scheckheft, das sich üblicherweise entweder im Fahrzeug befindet oder vom Verkäufer separat übergeben wird.
Der Antragsgegner war im Besitz eines solchen „Scheckhefts“ (Inspektionshefts). Er hat es an den Antragsteller weitergereicht. Dieser soll es im Rahmen der Vertragsverhandlungen eingesehen und sogar „überprüft“ haben. Wie der Antragsgegner behauptet, seien in diesem Scheckheft sämtliche Inspektionen eingetragen. Demgegenüber behauptet der Antragsteller unter Beweisantritt, das „Scheckheft“ erst nach Abschluss des Kaufvertrags und nach Übergabe des Fahrzeugs entdeckt zu haben. Erst jetzt habe er bemerkt, dass die vierte Jahresinspektion nicht durchgeführt worden sei.
Die Angabe „scheckheftgepflegt“ ist vom Horizont des Antragstellers her auszulegen. Von Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass der Antragsteller von einem „1. Hand“-Fahrzeug ausgehen durfte. Das ist für die Auslegung der Erklärung „scheckheftgepflegt“ deshalb bedeutsam, weil diese Aussage bei nur einem einzigen Vorbesitzer eher auf eine vollständige und rechtzeitige Durchführung der Inspektionen schließen lässt, als es bei einer Vielzahl von Vorbesitzern der Fall ist. Aber selbst wenn der Antragsteller in der Annahme schutzwürdig ist, es handele sich um ein „1. Hand“-Fahrzeug, bleibt doch angesichts des Alters des Fahrzeugs (Erstzulassung: 01.04.1997) zweifelhaft, ob er eine lückenlose Kette sämtlicher Inspektionstermine hat erwarten können. Diese Auslegungsfrage braucht der Senat nicht zu entscheiden, weil die erforderliche Erfolgsaussicht der beabsichtigten Klage unter einem anderen rechtlichen Blickwinkel zu bejahen ist (s. oben).
Aus diesem Grund braucht auch den übrigen Mängelrügen an dieser Stelle nicht nachgegangen zu werden.
4. Da das Landgericht die Hilfsbedürftigkeit des Antragstellers nicht geprüft, sondern sich lediglich mit der Erfolgsaussicht der Rechtsverfolgung auseinandergesetzt hat, ist auch der Senat nur mit dieser Frage befasst und hat sich zur Hilfsbedürftigkeit nicht zu äußern. Demgemäß war die Sache zur erneuten Entscheidung über das Prozesskostenhilfegesuch an das Landgericht zurückzuverweisen.
Eine Kostenentscheidung hat zu unterbleiben. Denn Kosten des Beschwerdeverfahrens werden nicht erstattet (§ 124 IV ZPO).
Hinweis: Siehe zum in § 434 I BGB verwendeten Begriff „Beschaffenheit“ auch BGH, Urt. v. 15.06.2016 – VIII ZR 134/15, NJW 2016, 2874.