Hat der Ver­käu­fer im Zeit­punkt des Ver­trags­schlus­ses an das Vor­han­den­sein ei­nes of­fen­ba­rungs­pflich­ti­gen Man­gels des Grund­stücks kei­ne Er­in­ne­rung mehr, be­grün­det sei­ne Ver­si­che­rung im Kauf­ver­trag, dass ihm er­heb­li­che Män­gel nicht be­kannt sei­en, auch un­ter dem Ge­sichts­punkt der „Er­klä­rung ins Blaue hin­ein“ nicht den Vor­wurf arg­lis­ti­gen Ver­hal­tens.

BGH, Ur­teil vom 11.05.2001 – V ZR 14/00

Sach­ver­halt: Mit no­ta­ri­el­lem Ver­trag vom 10.02.1977 er­warb der Be­klag­te ei­ne Teil­flä­che von cir­ca 3.345 m² des Flur­stücks 742/2 der Ge­mar­kung O. In Nr. VI­II des Ver­tra­ges hieß es un­ter an­de­rem:

„Der Ver­käu­fer hat den Käu­fer dar­auf hin­ge­wie­sen, dass es sich beim Ver­trags­grund­stück um Auf­schüt­tungs­ge­län­de han­delt.“

We­gen der Auf­schüt­tung muss­ten die Fun­da­men­te ei­ner von dem Be­klag­ten er­rich­te­ten Hal­le tie­fer ge­grün­det wer­den.

Der Be­klag­te ver­äu­ßer­te die Flur­stü­cke 742/2 und 744/2 (579 m² groß) mit no­ta­ri­el­lem Ver­trag vom 05.06.1992 an die S-GmbH zum Preis von 2.999.000 DM. In Nr. V 3 des Ver­tra­ges heißt es:

„Der Ver­trags­ge­gen­stand wird in sei­nem der­zei­ti­gen Zu­stand ver­äu­ßert. Der Ver­äu­ße­rer haf­tet nicht für Sach­män­gel al­ler Art, ins­be­son­de­re nicht für Bau­zu­stand, Bo­den­be­schaf­fen­heit und Taug­lich­keit des Ver­trags­ge­gen­stan­des für Zwe­cke des Er­wer­bers. Er ver­si­chert je­doch, dass ihm er­heb­li­che ver­bor­ge­ne Män­gel nicht be­kannt sind. Be­son­de­re Ei­gen­schaf­ten, ins­be­son­de­re ei­ne be­stimm­te Grund­stücks­grö­ße, wer­den nicht zu­ge­si­chert.“

Mit no­ta­ri­el­lem Ver­trag vom 14.08.1992 ver­kauf­te die S-GmbH das Flur­stück 742/2 an die Klä­ge­rin zum Preis von 3.400.000 DM. Nr. V des Ver­tra­ges ent­hält ei­nen Ge­währ­leis­tungs­aus­schluss.

Die S-GmbH trat ih­re Ge­währ­leis­tungs­an­sprü­che ge­gen den Be­klag­ten an die Klä­ge­rin ab.

Mit der Be­haup­tung, das Kauf­grund­stück ha­be Bo­den­ver­un­rei­ni­gun­gen auf­ge­wie­sen, was der Be­klag­te ge­wusst, aber ver­schwie­gen ha­be, ver­langt die Klä­ge­rin von dem Be­klag­ten Scha­dens­er­satz in Hö­he ei­nes Teil­be­trags von 100.000 DM nebst Zin­sen. Das Land­ge­richt hat die Kla­ge ab­ge­wie­sen. Die Be­ru­fung der Klä­ge­rin ist – bis auf ei­nen Teil der Zins­for­de­rung – er­folg­reich ge­we­sen. Die Re­vi­si­on des Be­klag­ten, mit der er die Wie­der­her­stel­lung des land­ge­richt­li­chen Ur­teils er­streb­te, hat­te Er­folg.

Aus den Grün­den: I. Das Be­ru­fungs­ge­richt nimmt an, das ver­kauf­te Grund­stück sei feh­ler­haft ge­we­sen, was der Be­klag­te der S-GmbH ha­be of­fen­ba­ren müs­sen. Dies sei nicht ge­sche­hen, viel­mehr ha­be er den Um­stand, dass es sich um ein Auf­füll­grund­stück han­de­le, arg­lis­tig ver­schwie­gen. Auch wenn er die­sen Um­stand nicht mehr in Er­in­ne­rung ge­habt ha­ben soll­te, wä­re ihm Arg­list vor­zu­wer­fen; er ha­be dann näm­lich „ins Blaue hin­ein“ ver­si­chert, dass ihm er­heb­li­che ver­bor­ge­ne Män­gel nicht be­kannt ge­we­sen sei­en, an­statt kor­rek­ter­wei­se an­zu­ge­ben, dass er die Vor­gän­ge aus der Ver­gan­gen­heit nicht mehr in Er­in­ne­rung ha­be.

II. Das hält ei­ner re­vi­si­ons­recht­li­chen Nach­prü­fung nicht stand.

1. Al­ler­dings sieht das Be­ru­fungs­ge­richt zu­tref­fend in dem Um­stand, dass es sich bei dem ver­kauf­ten Grund­stück um ein Auf­füll­grund­stück han­delt, ei­nen of­fen­ba­rungs­pflich­ti­gen Man­gel. Auf­grund die­ser Be­schaf­fen­heit war das Grund­stück mit ei­nem Feh­ler be­haf­tet, der den Wert und die Taug­lich­keit zu dem nach dem Kauf­ver­trag vor­aus­ge­setz­ten Ge­brauch – nach den un­an­ge­grif­fe­nen Fest­stel­lun­gen des Be­ru­fungs­ge­richts wur­de das Grund­stück als Bau­land ver­kauft – nicht un­er­heb­lich min­der­te. Bei ei­nem Auf­füll­grund­stück be­steht näm­lich nicht nur die Ge­fahr ei­nes er­höh­ten Grün­dungs­auf­wands, wor­auf die Re­vi­si­on ab­stellt; viel­mehr muss auch die Mög­lich­keit in Rech­nung ge­stellt wer­den, dass das Auf­füll­ma­te­ri­al we­gen sei­ner Zu­sam­men­set­zung ei­ne Ge­fahr dar­stellt. Dies gilt hier in be­son­de­rem Ma­ße, weil das Grund­stück be­reits vor 1977 auf­ge­füllt wor­den war, al­so in ei­ner Zeit, in der die durch Bo­den­kon­ta­mi­nie­run­gen her­vor­ge­ru­fe­nen Ge­fah­ren noch nicht so in das all­ge­mei­ne Be­wusst­sein ge­drun­gen wa­ren, wie dies heu­te der Fall ist. In­so­weit ist der vor­lie­gen­de Sach­ver­halt mit den Fäl­len ver­gleich­bar, die den Ent­schei­dun­gen des BGH zur frü­he­ren Nut­zung ver­kauf­ter Grund­stü­cke als De­po­nie zu­grun­de la­gen (s. nur Se­nat, Urt. v. 03.03.1995 – V ZR 43/94, NJW 1995, 1549 [1550] m. w. Nachw.). Hier hat sich nach dem Vor­brin­gen der Klä­ge­rin ge­ra­de die be­son­de­re Ge­fahr auf­grund der Zu­sam­men­set­zung des Auf­füll­ma­te­ri­als ver­wirk­licht.

2. Zu Un­recht nimmt das Be­ru­fungs­ge­richt je­doch ein arg­lis­ti­ges Ver­hal­ten des Be­klag­ten an; die Fest­stel­lun­gen in der an­ge­foch­te­nen Ent­schei­dung tra­gen die­se Be­ur­tei­lung nicht.

a) Bei ei­ner Täu­schung durch Ver­schwei­gen ei­nes of­fen­ba­rungs­pflich­ti­gen Man­gels han­delt arg­lis­tig, wer ei­nen Feh­ler min­des­tens für mög­lich hält und gleich­zei­tig weiß oder da­mit rech­net und bil­li­gend in Kauf nimmt, dass der Ver­trags­geg­ner den Feh­ler nicht kennt und bei Of­fen­ba­rung den Ver­trag nicht oder nicht mit dem ver­ein­bar­ten In­halt ge­schlos­sen hät­te; das Tat­be­stands­merk­mal der Arg­list er­fasst da­mit nicht nur ein Han­deln des Ver­äu­ße­rers, das von be­trü­ge­ri­scher Ab­sicht ge­tra­gen ist, son­dern auch sol­che Ver­hal­tens­wei­sen, die auf be­ding­ten Vor­satz im Sin­ne ei­nes „Für­mög­lich­hal­tens“ re­du­ziert sind und mit de­nen kein mo­ra­li­sches Un­wert­ur­teil ver­bun­den sein muss (Se­nat, Urt. v. 03.03.1995 – V ZR 43/94, NJW 1995, 1549 [1550]).

Das Be­ru­fungs­ge­richt lässt es of­fen, ob sich der Be­klag­te bei den Kauf­ver­trags­ver­hand­lun­gen und dem Ver­trags­ab­schluss an den Um­stand, dass es sich um ein Auf­füll­grund­stück han­delt, er­in­ner­te oder ihn ver­ges­sen hat­te. Re­vi­si­ons­recht­lich ist des­we­gen zu­guns­ten des Be­klag­ten da­von aus­zu­ge­hen, dass er kei­ne ent­spre­chen­de Er­in­ne­rung be­saß. Dies schließt es denk­ge­setz­lich aus, dass er den Feh­ler we­nigs­tens für mög­lich hielt.

b) Arg­lis­tig kann aber auch der­je­ni­ge han­deln, der ei­nem an­de­ren ver­si­chert, ei­ne be­stimm­te Kennt­nis von Vor­gän­gen oder Um­stän­den zu ha­ben, die­se Kennt­nis aber in Wirk­lich­keit nicht hat; ei­ne ver­trag­li­che Zu­si­che­rung kann da­her den Arg­list­vor­wurf be­grün­den, wenn sie zwar nicht be­wusst den Tat­sa­chen wi­der­spricht, je­doch oh­ne je­de sach­li­che Grund­la­ge ab­ge­ge­ben und die­ser Um­stand dem Ver­trags­part­ner ge­gen­über ver­schwie­gen wird (vgl. BGH, Urt. v. 08.05.1980 – IVa ZR 1/80, NJW 1980, 2460 [2461]; Urt. v. 18.03.1981 – VI­II ZR 44/80, NJW 1981, 1441 [1442]; Se­nat, Urt. v. 26.09.1997 – V ZR 29/96, NJW 1998, 302 [303] m. w. Nachw.).

Of­fen­sicht­lich ha­ben die­se Grund­sät­ze das Be­ru­fungs­ge­richt ge­lei­tet, dem Be­klag­ten vor­zu­wer­fen, er ha­be „ins Blaue hin­ein“ ver­si­chert, dass ihm er­heb­li­che ver­bor­ge­ne Män­gel nicht be­kannt sei­en. Die­ser Vor­wurf ist in­des un­be­grün­det. Der Be­klag­te hat näm­lich nicht ver­si­chert, dass das ver­kauf­te Grund­stück frei von ver­bor­ge­nen Män­geln ge­we­sen sei. Sei­ne Er­klä­rung, dass ihm sol­che Män­gel nicht be­kannt sei­en, traf je­doch zu. Denn ei­ne Kennt­nis von zeit­lich zu­rück­lie­gen­den Um­stän­den und Vor­gän­gen oh­ne Er­in­ne­rung gibt es nicht.

c) Da der Be­klag­te sich nicht arg­lis­tig ver­hal­ten hat, stand der S-GmbH ge­gen ihn auch kein Scha­dens­er­satz­an­spruch nach § 463 Satz 2 BGB zu. Ei­nem Min­de­rungs­an­spruch nach §§ 459 I, 462, 472 BGB stand der ver­ein­bar­te Ge­währ­leis­tungs­aus­schluss ent­ge­gen. Des­we­gen ging die Ab­tre­tung von An­sprü­chen der S-GmbH an die Klä­ge­rin ins Lee­re.

3. Da Zwei­fel an der feh­len­den Er­in­ne­rung des Be­klag­ten we­der gel­tend ge­macht noch an­ge­bracht und in­so­weit wei­te­re Fest­stel­lun­gen durch das Be­ru­fungs­ge­richt nicht er­for­der­lich und auch nicht zu er­war­ten sind, ist das Be­ru­fungs­ur­teil auf­zu­he­ben und die Be­ru­fung der Klä­ge­rin zu­rück­zu­wei­sen. …

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