1. Ein Neu­wa­gen ist ein Kraft­fahr­zeug, das sei­nem be­stim­mungs­ge­mä­ßen Ge­brauch als Ver­kehrs­mit­tel noch nicht zu­ge­führt, al­so noch nicht im Stra­ßen­ver­kehr be­nutzt wor­den ist. Da­bei stellt ei­ne vom Ver­käu­fer ver­an­lass­te oder durch­ge­führ­te Über­füh­rungs­fahrt – die Fahrt des mit ro­ten Kenn­zei­chen ver­se­he­nen Fahr­zeugs vom Her­stel­lungs- zum Ver­kaufs­ort – kei­nen be­stim­mungs­ge­mä­ßen Ge­brauch im Stra­ßen­ver­kehr dar.
  2. Ob ei­ne die Neu­wa­gen­ein­schaft ei­nes Fahr­zeugs nicht be­sei­ti­gen­de Über­füh­rungs­fahrt vor­liegt, kann nicht los­ge­löst von der zu­rück­ge­leg­ten Fahrt­stre­cke be­ur­teilt wer­den. Ei­ne Fahrt­stre­cke von et­wa 450 km ist an­ge­sichts ei­ner durch­schnitt­li­chen Ge­samt­lauf­leis­tung heu­ti­ger Kraft­fahr­zeu­ge von et­wa 200.000 km noch im Rah­men der Ent­fer­nung, die üb­li­cher­wei­se bei ei­ner Über­füh­rungs­fahrt zu­rück­ge­legt wird.

OLG Stutt­gart, Ur­teil vom 28.06.2000 – 4 U 53/00

Die­se Ent­schei­dung ist zum „al­ten“ Schuld­recht und vor In­kraft­tre­ten der ZPO-Re­form 2002 er­gan­gen. Sie kann nicht oh­ne Wei­te­res auf das seit dem 01.01.2002 gel­ten­de Recht über­tra­gen wer­den (so ist z. B. an die Stel­le der Wan­de­lung der Rück­tritt vom Kauf­ver­trag ge­tre­ten). Die ge­nann­ten Vor­schrif­ten exis­tie­ren heu­te mög­li­cher­wei­se nicht mehr oder ha­ben ei­nen an­de­ren In­halt.

Sach­ver­halt: Der Klä­ger be­stell­te bei der be­klag­ten VW-Ver­trags­händ­le­rin am 17.11.1999 ei­nen neu­en VW Golf IV zum Preis von 35.990 DM. Da ihm die üb­li­che Lie­fer­zeit von acht Wo­chen zu lang war, ver­ein­bar­ten die Par­tei­en, dass die Be­klag­te ei­nen bei ei­nem VW-Ver­trags­händ­ler in M. ste­hen­den Neu­wa­gen be­sor­gen und die­sen dem Klä­ger am 26.11.1999 – be­reits auf die Ehe­frau des Klä­gers zu­ge­las­sen – über­ge­ben wer­de.

Die Be­klag­te über­führ­te dar­auf­hin das in Re­de ste­hen­de Fahr­zeug am 26.11.1999 auf ei­ge­ner Ach­se von M. nach E. Es wur­de noch am sel­ben Ta­ge auf die Ehe­frau des Klä­gers zu­ge­las­sen, und dem Klä­ger wur­de te­le­fo­nisch mit­ge­teilt, dass das Fahr­zeug zur Ab­ho­lung be­reit­ste­he. Der Klä­ger ver­wei­ger­te je­doch die Über­nah­me des Fahr­zeugs, nach­dem er er­fah­ren hat­te, dass es auf­grund der Über­füh­rungs­fahrt be­reits ei­ne Lauf­leis­tung von 452 km auf­wies.

Un­ter dem 27.11.1999 stell­te die Be­klag­te dem Klä­ger den ver­ein­bar­ten Kauf­preis in Rech­nung; au­ßer­dem zeig­te sie ihm mit Schrei­ben vom 01.12.1999 noch­mals die Be­reit­stel­lung des Fahr­zeugs an. Der Klä­ger er­klär­te sich mit Te­le­fax vom sel­ben Tag zur Ab­nah­me des Fahr­zeugs nur un­ter der Vor­aus­set­zung be­reit, dass ihm ein groß­zü­gi­ger – spä­ter mit 5.398,50 DM be­zif­fer­ter – Preis­nach­lass ge­währt wer­de. Dies lehn­te die Be­klag­te ab.

Das Land­ge­richt (LG Ulm, Urt. v. 18.02.2000 – 3 O 12/00) hat die Be­klag­te ver­ur­teilt, dem Klä­ger das von die­sem be­stell­te Neu­fahr­zeug ge­gen Zah­lung von 35.990 DM zu über­ge­ben und zu über­eig­nen, und die auf Zah­lung von 35.590 DM nebst Zin­sen ge­rich­te­te Wi­der­kla­ge ab­ge­wie­sen. Zur Be­grün­dung hat es aus­ge­führt, dass das Fahr­zeug, das die Be­klag­te dem Klä­ger En­de No­vem­ber/An­fang De­zem­ber 1999 an­ge­bo­ten ha­be, kein Neu­wa­gen mehr ge­we­sen sei, weil und nach­dem die Be­klag­te es auf ei­ge­ner Ach­se von M. nach E. über­führt ha­be.

Die Be­ru­fung der Be­klag­ten hat­te Er­folg.

Aus den Grün­den: I. Zur Kla­ge:

1. Der Klä­ger hat kei­nen An­spruch aus § 433 I BGB auf Lie­fe­rung ei­nes nur gat­tungs­mä­ßig be­stimm­ten Pkw VW Golf IV mit den im Kauf­ver­trag er­wähn­ten Aus­stat­tungs­merk­ma­len. Denn selbst wenn es sich bei dem zwi­schen den Par­tei­en ge­schlos­se­nen Kauf­ver­trag nicht um ei­nen Stück­kauf, son­dern um ei­nen Gat­tungs­kauf han­deln soll­te, hät­te sich die Leis­tungs­pflicht der Be­klag­ten nach § 243 II BGB auf den be­reits auf die Ehe­frau des Klä­gers zu­ge­las­se­nen Pkw … kon­kre­ti­siert, da es sich bei die­sem Fahr­zeug um ei­nen Neu­wa­gen mitt­le­rer Art und Gü­te mit den ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Aus­stat­tungs­merk­ma­len han­delt, der von der Be­klag­ten aus­ge­son­dert und dem Klä­ger in An­nah­me­ver­zug be­grün­den­der Wei­se an­ge­bo­ten wur­de.

a) Das Fahr­zeug hat durch die Über­füh­rungs­fahrt mit ro­tem Kenn­zei­chen von dem VW-Ver­trags­händ­ler in M. zur Be­klag­ten nach E. sei­ne Neu­wa­gen­ei­gen­schaft nicht ver­lo­ren.

Un­ter ei­nem Neu­fahr­zeug ver­steht man üb­li­cher­wei­se ein Kraft­fahr­zeug, das bis zum Zeit­punkt der Ver­äu­ße­rung sei­nem be­stim­mungs­ge­mä­ßen Ge­brauch als Ver­kehrs­mit­tel noch nicht zu­ge­führt wor­den ist. Da­bei stellt die vom Händ­ler ver­an­lass­te oder durch­ge­führ­te Über­füh­rungs­fahrt, un­ter der man die Fahrt mit ei­ge­ner Mo­tor­kraft vom Her­stel­lungs­ort zum Ver­kaufs­ort mit ro­tem Kenn­zei­chen ver­steht, kei­ne In­ge­brauch­nah­me zu Ver­kehrs­zwe­cken dar (BGH, Urt. v. 27.09.1967 – VI­II ZR 72/65, BB 1967, 1268; Urt. v. 06.02.1980 – VI­II ZR 275/78, DB 1980, 780; Urt. v. 18.06.1980 – VI­II ZR 185/79, DB 1980, 1836; OLG Hamm, Urt. v. 18.12.1992 – 19 U 57/92, NZV 1993, 151; LG Aa­chen, Urt. v. 11.11.1977 – 5 S 327/77, NJW 1978, 273; So­er­gel/Hu­ber, BGB, 12. Aufl., § 459 Rn. 299; MünchKomm-BGB/Wes­ter­mann, 3. Aufl., § 459 Rn. 39; Stau­din­ger/Hon­sell, BGB, 13. Be­arb., § 459 Rn. 90; Rein­king/Eg­gert, Der Au­to­kauf, 6. Aufl., Rn. 3).

Nach die­ser De­fi­ni­ti­on hat der dem Klä­ger an­ge­bo­te­ne Pkw … sei­ne Neu­wa­gen­ei­gen­schaft durch die Fahrt von M. nach E. nicht ver­lo­ren. Denn es han­delt sich hier­bei um ei­ne von der Be­klag­ten als VW-Ver­trags­händ­le­rin durch­ge­führ­te Über­füh­rungs­fahrt mit ro­tem Kenn­zei­chen. Dass das Fahr­zeug nicht be­reits von sei­nem Her­stel­lungs­ort in Wolfs­burg mit ei­ge­ner Mo­tor­kraft, son­dern erst – nach ei­nem Zwi­schen­auf­ent­halt bei ei­nem an­de­ren VW-Ver­trags­händ­ler – von M. auf ei­ge­ner Ach­se wei­ter zur Be­klag­ten über­führt wor­den ist, ver­mag ei­ne an­de­re recht­li­che Be­ur­tei­lung nicht zu recht­fer­ti­gen. Denn wenn das Fahr­zeug selbst bei Zu­rück­le­gung der ge­sam­ten Stre­cke von Wolfs­burg nach E. mit ei­ge­ner Mo­tor­kraft sei­ne Neu­wa­gen­ei­gen­schaft nicht ver­liert, muss dies erst recht gel­ten, wenn es nur auf ei­nem Teil­stück zwi­schen Her­stel­lungs­ort und Ver­kaufs­ort auf ei­ge­ner Ach­se über­führt wird.

Al­ler­dings kann nach Auf­fas­sung des Se­nats der Be­griff der Über­füh­rungs­fahrt nicht los­ge­löst von der zu­rück­zu­le­gen­den Fahrt­stre­cke ge­se­hen wer­den. So­weit hier­zu frü­her teil­wei­se die Auf­fas­sung ver­tre­ten wor­den ist, Über­füh­rungs­fahr­ten sei­en bis zu ei­ner Ent­fer­nung von 10.000 km zu­läs­sig und oh­ne Ein­fluss auf die Neu­heit ei­nes Kraft­fahr­zeugs (Nach­wei­se bei Rein­king/Eg­gert, a. a. O., Rn. 3), ver­mag der Se­nat dem nicht zu fol­gen. Bei ei­ner durch­schnitt­li­chen Ge­samt­lauf­leis­tung heu­ti­ger Kraft­fahr­zeu­ge von et­wa 200.000 km ist je­doch die von der Be­klag­ten zu­rück­ge­leg­te Über­füh­rungs­stre­cke von et­wa 450 km noch im Rah­men des­sen, was üb­li­cher­wei­se un­ter ei­ner Über­füh­rungs­fahrt zu ver­ste­hen ist. Der Se­nat ori­en­tiert sich da­bei an der im Scha­dens­recht für die Un­fall­re­gu­lie­rung auf Neu­wa­gen­ba­sis ent­wi­ckel­te 1.000-Ki­lo­me­ter-Gren­ze (Pa­landt/Hein­richs, BGB, 59. Aufl., § 251 Rn. 14 m. w. Nachw.), die hier nicht über­schrit­ten ist.

b) Die Leis­tungs­pflicht der Be­klag­ten hat sich je­den­falls nach § 243 II BGB auf den an­ge­bo­te­nen Pkw kon­kre­ti­siert. Denn die Be­klag­te hat­te das Fahr­zeug ver­trags­ge­mäß von M. über­führt, auf die Ehe­frau des Klä­gers zu­ge­las­sen und am 26.11.1999 so­wie am 01.12:1999 dem Klä­ger mit­ge­teilt, dass das Fahr­zeug zur Ab­ho­lung be­reit­steht. Dies hat der Klä­ger mit Te­le­fax vom 01.12.1999 zu den ver­trag­lich ver­ein­bar­ten Kon­di­tio­nen ab­ge­lehnt. Da­mit ist er nach § 295 BGB in An­nah­me­ver­zug ge­ra­ten, so­dass Kon­kre­ti­sie­rung nach § 243 II BGB BGB selbst dann ein­ge­tre­ten ist, wenn es sich bei der Lie­fer­pflicht der Be­klag­ten um ei­ne Bring­schuld ge­han­delt ha­ben soll­te (Pa­landt/Hein­richs, a. a. O., § 243 Rn. 5).

Die Kla­ge war da­her ab­zu­wei­sen.

II. Zur Wi­der­kla­ge:

1. Aus den obi­gen Aus­füh­run­gen folgt zwangs­läu­fig, dass der Klä­ger nach § 433 II BGB ver­pflich­tet ist, den ver­ein­bar­ten Kauf­preis Zug um Zug ge­gen Über­ga­be und Über­eig­nung des von der Be­klag­ten an­ge­bo­te­nen Fahr­zeugs zu zah­len. Da die Be­klag­te an­statt des ver­ein­bar­ten Kauf­prei­ses von 35.990 DM nur 35.550 DM gel­tend ge­macht hat, konn­te ihr nur die­ser Be­trag zu­ge­spro­chen wer­den (§§ 308 I, 536 ZPO) …

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