1. Ein Kfz-Händler nutzt ein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebssystem i. S. § 312c I BGB, wenn er Fahrzeuge regelmäßig und systematisch auf einer Internetplattform (hier: „mobile.de“) bewirbt und Kaufinteressenten ermöglicht, ihn elektronisch oder telefonisch zu kontaktieren. Ein mit einem solchen Kfz-Händler unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossener Kaufvertrag ist deshalb ein Fernabsatzvertrag, sodass dem Käufer gemäß §§ 312g I, 355 BGB ein Widerrufsrecht zusteht.
  2. Ein nachträglicher Verzicht des Käufers auf sein fernabsatzrechtliches Widerrufsrecht ist mit Blick auf § 361 II BGB allenfalls wirksam, wenn er auf der Grundlage ausreichender Informationen erklärt wird. Der Verkäufer muss den Käufer deshalb zuvor zutreffend über das dem Käufer zustehende Widerrufsrecht informiert haben, damit der Käufer die Tragweite seines Verzichtserklärung abschätzen kann.

LG Dessau-Roßlau, Urteil vom 17.03.2017 – 2 O 522/16

Sachverhalt: Der Kläger begehrt die Rückabwicklung eines Kaufvertrags über einen Gebrauchtwagen, nachdem er seine auf den Abschluss dieses Vertrags gerichtete Willenserklärung widerrufen hat.

Die Beklagte ist Kfz-Händlerin. Sie bewarb sowohl auf ihrer eigenen Internetseite als auch in „mobile.de“-Inseraten im März 2016 einen gebrauchten, im Januar 2008 erstzugelassenen Ford Focus ST und andere Fahrzeuge. Der Kläger nahm daraufhin unter den angegebenen Kontaktdaten telefonisch und per E-Mail Kontakt zu der Beklagten auf. Mit E-Mail vom 29.03.2016, 18.22 Uhr, übersandte der Mitarbeiter M der Beklagten dem Kläger einen Kaufvertrag über den Ford Focus ST zur Unterschrift. Der Kläger sandte diesen Vertrag mit E-Mail vom 30.03.2016, 17.29 Uhr, unterzeichnet an die Beklagte zurück und kündigte an, den Kaufpreis in Höhe von 10.200 € bis zum 08.04.2016 zu überweisen. M teilte dem Kläger daraufhin wenige Minuten später per E-Mail die Bankverbindung der Beklagten mit. Der Kaufpreis wurde deren Konto spätestens am 06.04.2016 gutgeschrieben. Wann die Beklagte dem Kläger anschließend das gekaufte Fahrzeug übergab, haben die Parteien nicht mitgeteilt. Die vorgelegte Abschrift des – keine Widerrufsbelehrung enthaltenden – Kaufvertrags trägt das Datum 29.03.2016 und wurde sowohl auf Verkäufer- als auch auf Käuferseite unterschrieben.

Nachdem der Kläger verschiedene Mängel des Pkw gerügt hatte, einigten sich die Parteien am 27.05.2016 hinsichtlich des – nunmehr als „Bastlerfahrzeug“ bezeichneten – Fahrzeugs wegen im Einzelnen aufgeführter Mängel auf einen Kaufpreisnachlass von 1.000 €. Der Kläger verzichtete im Rahmen dieser Einigung auf jedwede weiteren Ansprüche aus dem Kaufvertrag.

Mit der Begründung, der Kaufvertrag sei ein Fernabsatzvertrag, widerrief der Kläger seine auf den Abschluss dieses Vertrags gerichtete Willenserklärung mit anwaltlichem Schreiben vom 17.08.2016. Er machte geltend, die Beklagte habe ihn nicht über das ihm zustehende Widerrufsrecht informiert, und forderte die Beklagte auf, das streitgegenständliche Fahrzeug bis zum 31.08.2016 bei ihm abzuholen, und zwar gegen Rückzahlung der verbleibenden Kaufpreises (9.200 €) und Leistung von Verwendungsersatz in Höhe von 571,80 €.

Der Kläger behauptet, als er den Ford Focus ST bei der Beklagten abgeholt habe, habe die Gesamtlaufleistung des Fahrzeugs entgegen der Angabe im Kaufvertrag nicht 149.500 km, sondern 150.450 km betragen. Bei dem Pkw hätten sich von Beginn an die Verkehrssicherheit beeinträchtigende Mängel gezeigt, die er, der Kläger, auf eigene Rechnung beseitigt habe. Das Fahrzeug sei mittlerweile nicht mehr fahrtüchtig. Die Möglichkeit, seine auf den Abschluss des Kaufvertrags gerichtete Willenserklärung zu widerrufen, habe ihm erst sein (jetziger) Prozessbevollmächtigter aufgezeigt. Der Vertrag sei im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebssystems unter ausschließlicher Verwendung von Fernkommunikationsmitteln geschlossen worden. Auf der Internetseite der Beklagten und auch auf der von ihr regelmäßig genutzten Internetplattform „mobilde.de“ würden die beworbenen Fahrzeuge detailliert dargestellt und könnten ausgewählt werden, verbunden mit der Möglichkeit, telefonisch oder per E-Mail Kontakt mit der Beklagten aufzunehmen oder die Beklagte zur Kontaktaufnahme aufzufordern. Das Widerrufsrecht – so meint der Kläger – sei unabdingbar und deshalb durch die Vereinbarung vom 27.05.2016 nicht erloschen.

Die Klägerin behauptet, sie betreibe keinen reinen Internethandel, sondern primär einen stationären Kfz-Handel. Ein Kaufvertrag mit ihr könne nicht direkt im Internet geschlossen werden. Den streitgegenständlichen Kaufvertrag habe ihr Mitarbeiter M dem Kläger auf dessen Bitte zur Prüfung übersandt; unterzeichnet worden sei dieser Vertrag erst bei der Abholung des Fahrzeugs. Die Beklagte meint, dass der Kläger deshalb kein Widerrufsrecht gehabt habe. Jedenfalls habe er auf ein Widerrufsrecht unter dem 27.05.2016 verzichtet.

Die Klage hatte überwiegend – bis auf einen Teil der Nebenforderungen – Erfolg.

Aus den Gründen: 1 Die Klage ist zulässig. Die örtliche Zuständigkeit des angerufenen Gerichts folgt aus § 29 I ZPO (vgl. Zöller/Vollkommer, ZPO, 31. Aufl. [2016], § 29 Rn. 25 – „Fernabsatzvertrag“), jedenfalls aber infolge rügeloser Einlassung der Beklagten aus § 39 Satz 1 ZPO.

Das für den Antrag auf Feststellung des Bestehens von Annahmeverzug gemäß § 256 I ZPO erforderliche rechtliche Interesse an alsbaldiger Feststellung beruht auf §§ 756, 765 ZPO.

2 Die Klage ist bis auf einen Teil der Nebenforderung begründet.

2.1 Der Kläger hat gegen die Beklagte gemäß § 357 I BGB einen Rückgewähranspruch in Höhe von 9.200 €, Zug um Zug gegen Herausgabe des Kaufgegenstands. Er hat seine auf den Abschluss des Kaufvertrags gerichtete Willenserklärung gemäß § 312g I BGB wirksam widerrufen.

Der Kaufvertrag ist als Fernabsatzgeschäft nach § 312c I BGB zustande gekommen. Die Parteien haben ihn per E-Mail und damit durch ausschließliche Verwendung von Fernkommunikationsmitteln i. S. von Absatz 2 der Regelung geschlossen. Die Behauptung der Beklagten, dem Kläger den Vertragsentwurf lediglich zur Prüfung übersandt zu haben, wird durch die unstreitige Korrespondenz der Parteien per E-Mail widerlegt. Bereits die Übersendung des Vertrages mit E-Mail vom 29.03.2016 ausdrücklich zur Unterzeichnung stellte ein wirksames Angebot der Beklagten dar, das der Kläger mit E-Mail vom 30.03.2016 angenommen hat. Anders ist es nicht zu erklären, dass einerseits der Vertrag das Datum vom 29.03.2016 trägt, andererseits die Beklagte noch am 30.03.2016 vor Übergabe des Fahrzeugs unter Mitteilung der Bankverbindung um Überweisung des Kaufpreises gebeten hat.

Selbst wenn die Parteien anlässlich der Übergabe des Fahrzeugs erneut eine Vertragsurkunde unterzeichnet haben sollten, wie die Beklagte behauptet, käme dieser Urkunde lediglich Beweischarakter hinsichtlich des bereits am 29.03.2016 geschlossenen Vertrags zu. Dem auf Vernehmung ihres Mitarbeiters M gerichteten Beweiserbieten der Beklagten ist deshalb nicht nachzugehen.

Das Widerrufsrecht ist nicht gemäß § 312c I Halbsatz 2 BGB ausgeschlossen. Der Vertragsschluss ist im Rahmen eines für den Fernabsatz organisierten Vertriebs- oder Dienstleistungssystems erfolgt.

Von einem entsprechenden System ist dann auszugehen, wenn der Unternehmer die personellen, sachlichen und organisatorischen Voraussetzungen geschaffen hat, die notwendig sind, um regelmäßig Geschäfte im Fernabsatz zu bewältigen. Dabei ist aus Gründen des Verbraucherschutzes eine weite Auslegung geboten. Ausreichend ist regelmäßig die planmäßige Werbung des Unternehmers mit dem Angebot telefonischer oder elektronischer Bestellung oder die Unterhaltung einer Homepage mit E-Mail-Bestellmöglichkeit. Es ist weder erforderlich, dass der Unternehmer überwiegend oder gar ausschließlich im Fernabsatz tätig wird, noch muss er ein eigenes Vertriebssystem unterhalten. Ausreichend ist vielmehr auch die systematische Nutzung eines fremden Vertriebssystems (BT-Drs. 17/12637, S. 50; zum Ganzen ferner Erman/Koch, BGB, 14. Aufl. [2014], § 312c Rn. 8 f.; Staudinger/Thüsing, BGB, Neubearb. 2012, § 312b Rn. 46 ff.; Härting, Internetrecht, 5. Aufl. [2014], Rn. 822 ff.).

Zwar stellen Webseiten, die lediglich (allgemeine) Informationen über den Unternehmer, seine Waren oder Dienstleistungen und gemäß § 5 TMG seine Kontaktdaten bieten, grundsätzlich kein für den Fernabsatz organisiertes Vertriebssystem dar (BT-Drs. 17/12637, S. 50; Ernst, NJW 2014, 817, 819). Etwas anderes gilt jedoch für Fahrzeugvermittlungsportale im Internet, die den Unternehmern die Möglichkeit eröffnen, die Fahrzeuge mit Lichtbildern und sämtlichen Detailangaben zu technischen Parametern und Ausstattungsmerkmalen zu bewerben, und so den Verbraucher in die Lage versetzen, gezielte Vergleiche zwischen den Angeboten verschiedener Händler anzustellen, auch ohne Besichtigung des Fahrzeugs eine Kaufentscheidung zu treffen und sogleich für Vertragsverhandlungen telefonisch, per Telefax oder E-Mail den Kontakt mit dem betreffenden Unternehmer herzustellen. Die systematische Nutzung solcher Plattformen, zu denen auch „mobile.de“ gehört, für den Verkauf neuer oder gebrauchter Fahrzeuge fällt unter § 312c I BGB (so auch LG Stendal, Urt. v. 23.01.2007 – 22 S 138/06, juris; Härting, a. a. O., Rn. 822 ff.).

Der Behauptung des Klägers, die Beklagte nutze regelmäßig die Plattform „mobile.de“, die sich im Übrigen als „Deutschlands größter Fahrzeugmarkt“ präsentiert, ist die Beklagte nicht entgegengetreten.

Mit der am 27.05.2016 geschlossenen Vereinbarung über die mängelbedingte Ermäßigung des Kaufpreises hat der Kläger nicht auf sein Widerrufsrecht verzichtet. Gemäß § 361 II BGB sind die Vorschriften über das Widerrufsrecht bei Verbraucherverträgen zugunsten des Verbrauchers unnachgiebig und können durch anderweitige Gestaltungen nicht umgangen werden. Ein Verzicht auf das Widerrufsrecht setzt deshalb zu seiner Wirksamkeit voraus, dass er auf einer ausreichenden Informationsbasis und damit nach einer vorangegangenen Information über das Bestehen des Widerrufsrechts erfolgt, damit dem Verbraucher die Tragweite seiner Erklärung vor Augen steht (jurisPK-BGB/Hönninger, 8. Aufl. [2017], § 361 Rn. 5 m. w. Nachw.). Eine solche nachträgliche Information des Klägers über sein Widerrufsrecht behauptet die Beklagte nicht.

Der Widerruf ist rechtzeitig erklärt. Die Widerrufsfrist hat gemäß § 357 III 1 BGB nicht zu laufen begonnen, weil die Beklagte den Kläger entgegen Art. 246a § 1 II 1 Nr. 1 EGBGB nicht über das Widerrufsrecht belehrt hat.

Infolge des wirksamen Widerrufs hat der Kläger gemäß § 357 I BGB einen Anspruch auf Kaufpreisrückzahlung, der sich unter Berücksichtigung der auf Grundlage der Vereinbarung vom 27.05.2016 erfolgten Teilzahlung auf noch 9.200 € beläuft.

2.2 Trotz der grundsätzlich abschließenden Regelung der Rechtsfolgen des Widerrufs in § 357 BGB und der fehlenden ausdrücklichen Verweisung auf die Vorschriften über den Rücktritt kann der Kläger in entsprechender Anwendung von § 347 II 1 BGB ferner den Ersatz seiner notwendigen Verwendungen auf den Kaufgegenstand verlangen (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 76. Aufl. [2017], § 361 Rn. 1 m. w. Nachw.). Notwendig sind gemäß § 994 BGB diejenigen Verwendungen, die zur Erhaltung oder bestimmungsgemäßen Verwendung des Kaufgegenstands nach einem objektiven Maßstab erforderlich sind und nicht lediglich Sonderzwecken des Käufers dienen. Hierunter fallen Reparaturkosten auch, soweit sie der Erneuerung von Verschleißteilen dienen (Palandt/Herrler, BGB, 76. Aufl. [2017], § 994 Rn. 5, 7 m. w. Nachw.).

Hierzu zählen die Aufwendungen des Klägers für den Austausch eines Scheibenwischerblatts und die Anschaffung von Sommerreifen (vgl. insoweit auch LG Ellwangen, Urt. v. 30.05.2008 – 5 O 60/08, juris Rn. 36), aber auch die weiteren, durch Vorlage der Rechnungen nachgewiesenen Kosten des Klägers, die der Beseitigung der von der Beklagten anerkannten Mängel dienten. Der Anspruch des Klägers besteht daher in der geltend gemachten< Höhe von 571,80 €.

2.3 Die Zinsforderung folgt aus § 286 I 1, § 288 I BGB.

2.4 Begründet ist ferner der Anspruch auf Feststellung des Bestehens von Annahmeverzug, in den die Beklagte gemäß § 295 Satz 2 BGB durch die Aufforderung des Klägers, das Fahrzeug am gemeinsamen Leistungsort für die Rückgewähransprüche abzuholen, geraten ist.

2.5 Daneben kann der Kläger gemäß § 280 I BGB die Freistellung von der gegenüber seinen Prozessbevollmächtigten im Rahmen der vorgerichtlichen Rechtsverfolgung eingegangenen< Gebührenverbindlichkeit verlangen. Die Erfüllung der Informationspflichten einschließlich der Erteilung einer Widerrufsbelehrung stellen Rechtspflichten des Unternehmers dar, deren schuldhafte Verletzung einen Schadensersatzanspruch des Verbrauchers nach sich zieht, soweit der Schaden kausal auf der unterlassenen Widerrufsbelehrung beruht (MünchKomm-BGB/Fritsche, 7. Aufl. [2016], § 361 Rn. 8). Die Beauftragung eines Rechtsanwalts mit der Prüfung des Widerrufsrechts und der Erklärung des Widerrufs einschließlich seiner außergerichtlichen Durchsetzung stellt insoweit eine notwendige und zweckentsprechende Maßnahme der Rechtsverfolgung dar.

Der Freistellungsanspruch berechnet sich allerdings nach einem Gegenstandswert von 9.771,80 €. Der Anspruch auf Kaufpreisrückzahlung besteht infolge der Vereinbarung vom 27.05.2016 lediglich noch in Höhe von 9.200 €. Hinzu kommt der Anspruch auf Verwendungsersatz. Ersatzfähig ist eine 1,3-fache Geschäftsgebühr zuzüglich 20 € Post- und Telekommunikationspauschale und Umsatzsteuer, mithin ein Betrag von 887,03 €. Die weitergehende Klage ist unbegründet.

3 Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 II Nr. 1 ZPO. Die Zuvielforderung ist verhältnismäßig geringfügig, betrifft lediglich die Nebenforderungen und verursacht damit keine besonderen Kosten. … Bei der Bemessung des Streitwerts kommt dem auf Feststellung des Bestehens von Annahmeverzug gerichteten Antrag zu 2 neben dem Leistungsantrag kein eigenständiger Wert zu (BGH, Beschl. v. 29.01.2015 – III ZR 41/14, juris Rn. 5).

Hinweis: Die Berufung der Beklagten wurde mit Entscheidung des OLG Naumburg vom 08.12.2017 – 3 U 25/17 – zurückgewiesen.

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