Der Ge­schä­dig­te hat bei ei­ner (fik­ti­ven) Ab­rech­nung auf Gut­ach­ten­ba­sis je­den­falls dann An­spruch auf Er­stat­tung der Re­pa­ra­tur­kos­ten, die in ei­ner mar­ken­ge­bun­de­nen Fach­werk­statt an­fal­len wür­den, wenn er nach­wei­sen kann, dass das Fahr­zeug re­gel­mä­ßig in ei­ner mar­ken­ge­bun­de­nen Fach­werk­statt ge­war­tet wur­de, und das Fahr­zeug ei­ne ge­rin­ge Lauf­leis­tung auf­weist. Dies gilt auch, wenn das Fahr­zeug äl­ter als drei Jah­re ist.

AG Kirch­hain, Ur­teil vom 08.08.2011 – 7 C 166/11

Sach­ver­halt: Die Par­tei­en strei­ten um An­sprü­che aus ei­nem Ver­kehrs­un­fall.

Am 29.01.2011 kam es zu ei­nem Un­fall, bei dem das dem Klä­ger ge­hö­ren­de Kraft­fahr­zeug be­schä­digt wur­de. Un­fall­geg­ner und al­lei­ni­ger Ver­ur­sa­cher des Ver­kehrs­un­falls war ein bei der Be­klag­ten ge­gen Haft­pflicht­schä­den ver­si­cher­tes Kraft­fahr­zeug. Die Haf­tung der Be­klag­ten dem Grun­de nach ist un­strei­tig ge­blie­ben.

Bei dem Fahr­zeug des Klä­gers han­delt es sich um ei­nen Opel Ti­gra, der im April 2006 erst­mals zum Stra­ßen­ver­kehr zu­ge­las­sen wur­de. Der Klä­ger ist aus­weis­lich den zur Ak­te ge­reich­ten Ga­ran­ti­eur­kun­den der drit­te Be­sit­zer. Aus den Ga­ran­tier­ur­kun­den er­gibt sich wei­ter, dass die Zwi­schen- und Haupt­in­spek­tio­nen in dem vor­ge­schrie­be­nen Rhyth­mus bei der Fir­ma F vor­ge­nom­men wur­den.

Das Fahr­zeug er­litt bei dem Un­fall Be­schä­di­gun­gen im Heck­be­reich. Der Klä­ger be­auf­trag­te zur Be­zif­fe­rung des er­for­der­li­chen Re­pa­ra­tur­auf­wan­des ei­nen Sach­ver­stän­di­gen mit der Er­stel­lung ei­nes Gut­ach­tens. Der Sach­ver­stän­di­ge S er­stell­te am 03.02.2011 ein Gut­ach­ten, in dem er die er­for­der­li­chen Re­pa­ra­tur­kos­ten auf 3.979,45 € net­to be­zif­fer­te. Der Klä­ger rech­net auf Grund­la­ge die­ses Gut­ach­tens fik­ti­ve Re­pa­ra­tur­kos­ten ab. Die Be­klag­te un­ter­zog das Gut­ach­ten des Sach­ver­stän­di­gen S ih­rer­seits ei­ner gut­ach­ter­li­chen Prü­fung. Auf der Grund­la­ge ei­nes iden­ti­schen Re­pa­ra­tur­um­fangs und un­ter Be­rück­sich­ti­gung der Kos­ten ei­ner al­ter­na­ti­ven Re­pa­ra­tur­werk­statt er­rech­ne­te die Be­klag­te Re­pa­ra­tur­kos­ten in Hö­he von 3.263,82 €.

Die Be­klag­te er­setz­te den ent­stan­de­nen Scha­den auf der Grund­la­ge die­ser Schät­zung. Den Dif­fe­renz­be­trag zwi­schen dem von dem Gut­ach­ter S er­rech­ne­ten Be­trag von 3.979,45 € und dem von der Be­klag­ten als an­ge­mes­sen an­ge­se­he­nen Be­trag von 3.263,82 € in Hö­he von 715,63 € zahl­te die Be­klag­te nicht.

Die Kla­ge hat­te Er­folg.

Aus den Grün­den: Dem Klä­ger steht ge­gen die Be­klag­te aus dem Ge­sichts­punkt der stra­ßen­ver­kehrs­recht­li­chen Haf­tung gem. §§ 7, 17 StVG in Ver­bin­dung mit dem ge­setz­li­chen Schuld­bei­tritt des Haft­pflicht­ver­si­che­rers (§ 115 VVG) ein An­spruch auf Zah­lung wei­te­rer 715,63 € zu.

Die Be­klag­te schul­det ge­mäß § 249 BGB den Er­satz der er­for­der­li­chen Wie­der­her­stel­lungs­kos­ten. Dies um­fasst bei ei­ner fik­ti­ven Scha­dens­ab­wick­lung den zur Her­stel­lung er­for­der­li­chen Geld­be­trag oh­ne Um­satz­steu­er.

Ge­schul­det ist da­nach der Er­satz der­je­ni­gen Re­pa­ra­tur­kos­ten, die bei ei­ner ge­dach­ten Re­pa­ra­tur des Fahr­zeugs in ei­ner mar­ken­ge­bun­de­nen Fach­werk­statt ent­stan­den wä­ren. Grund­sätz­lich kann hier­zu zu­nächst auf die von ei­nem Sach­ver­stän­di­gen er­mit­tel­ten Re­pa­ra­tur­kos­ten un­ter Zu­grun­de­le­gung der üb­li­chen Stun­den­ver­rech­nungs­sät­ze ei­ner mar­ken­ge­bun­de­nen Fach­werk­statt aus­ge­gan­gen wer­den (BGH, Urt. v. 29.04.2003 – VI ZR 398/02, NJW 2003, 2086). Aus § 254 II BGB folgt al­ler­dings, dass der Ge­schä­dig­te im Fal­le ei­ner fik­ti­ven Ab­rech­nung auch die Mög­lich­keit ei­ner kos­ten­güns­ti­ge­ren Re­pa­ra­tur ver­wie­sen wer­den kann, wenn ei­ne sol­che Re­pa­ra­tur in ei­ner nicht mar­ken­ge­bun­de­nen Fach­werk­statt zur­nut­bar ist (BGH, Urt. v. 29.04.2003 – VI ZR 398/02, NJW 2003, 2086). Bei der Be­wer­tung der Zu­mut­bar­keit ist ei­ner­seits dar­auf Rück­sicht zu neh­men, dass der Ge­schä­dig­te aus­weis­lich § 249 BGB Herr des Re­sti­tu­ti­ons­ge­sche­hens ist. An­de­rer­seits ist zu be­rück­sich­ti­gen, dass dem Schä­di­ger auch ei­ne Ob­lie­gen­heit trifft, den ein­ge­tre­te­nen Scha­den mög­lichst ge­ring zu hal­ten.

Maß­geb­lich für die Zu­mut­bar­keit ei­nes Ver­wei­ses auf ei­ne nicht mar­ken­ge­bun­de­ne Fach­werk­statt ist das Al­ter des Fahr­zeugs so­wie die bis­he­ri­ge Ab­wick­lung von Re­pa­ra­tu­ren und In­spek­tio­nen (BGH, Urt. v. 20.10.2009 – VI ZR 53/09, NJW 2010 606 [607] m. w. Nachw.). Nach den von der Recht­spre­chung ent­wi­ckel­ten Maß­stä­ben ist bei Fahr­zeu­gen mit ei­nem Al­ter bis zu drei Jah­ren von ei­ner grund­sätz­li­chen Un­zu­mut­bar­keit des Ver­wei­ses auf al­ter­na­ti­ve Fach­werk­stät­ten aus­zu­ge­hen. Im Fall ei­nes äl­te­ren Fahr­zeugs ist maß­geb­lich dar­auf ab­zu­stel­len, ob der Ge­schä­dig­te ein be­son­de­res In­ter­es­se an ei­ner sol­chen Re­pa­ra­tur im Rah­men der ihn tref­fen­den se­kun­dä­ren Dar!egungs­last be­le­gen kann. Hier­zu kann dar­auf ab­ge­stellt wer­den, ob der Ge­schä­dig­te sein Fahr­zeug in dem zu­vor ver­stri­che­nen Zeit­raum in ei­ner sol­chen mar­ken­ge­bun­de­nen Fach­werk­statt re­pa­rie­ren und in­spi­zie­ren ließ.

Nach die­sen Maß­stä­ben war da­von aus­zu­ge­hen, dass sich der Klä­ger nicht auf die auf­ge­zeig­te al­ter­na­ti­ve Re­pa­ra­tur­mög­lich­keit ver­wei­sen las­sen muss­te. Zwar ist das Au­to nach der Erst­zu­las­sung im April 2006 im Un­fall­zeit­punkt (Ja­nu­ar 2011) be­reits fast fünf Jah­re alt. Die Un­zu­mut­bar­keit er­gibt sich je­doch aus dem Um­stand, dass der Klä­ger und die Vor­ei­gen­tü­mer des Fahr­zeugs die­ses im Rah­men der re­gel­mä­ßi­gen In­spek­ti­ons­in­ter­val­le bei ei­ner mar­ken­ge­bun­de­nen Fach­werk­statt – hier der Fir­ma F – vor­ge­stellt ha­ben. Zu­dem ist zu be­rück­sich­ti­gen, dass die ein­ge­tre­te­nen Be­schä­di­gun­gen nicht le­dig­lich ober­fläch­lich sind. Aus­weis­lich der Re­pa­ra­tur­be­schrei­bung des Sach­ver­stän­di­gen S be­be­schränkt sich der er­for­der­li­che Wie­der­her­stel­lungs­auf­wand nicht nur auf Bau­tei­le im Au­ßen­be­reich des Fahr­zeugs, son­dern [er­streckt] sich … auch [auf] Bau­tei­le im Fahr­zeu­gin­ne­ren.

Schließ­lich ist auch zu be­rück­sich­tig­ten, dass das Fahr­zeug mit 47.000 km noch ei­ne recht ge­rin­ge Lauf­leis­tung auf­weist.

Der Klä­ger kann da­her den Mehr­auf­wand er­setzt ver­lan­gen, der un­ter Zu­grun­de­le­gung der hö­he­ren Stun­den­ver­rech­nungs­sät­ze der mar­ken­ge­bun­de­nen Fach­werk­statt ent­steht.

Der Klä­ger kann dar­über hin­aus als er­for­der­li­chen Wie­der­her­stel­lungs­auf­wand auch den so­ge­nann­ten UPE-Auf­schlag er­setzt ver­lan­gen. Zu den er­satz­fä­hi­gen Kos­ten ge­mäß § 249 BGB zäh­len auch je­ne Kos­ten, die bei ei­ner ge­dach­ten Re­pa­ra­tur des Fahr­zeugs tat­säch­lich an­fal­len wür­den. Da … bei ei­ner ge­dach­ten Re­pa­ra­tur in der mar­ken­ge­bun­de­nen Fach­werk­statt die auf­ge­führ­ten UPE-Zu­schlä­ge an­fie­len, sind sie im Rah­men der fik­ti­ven Ab­rech­nung er­satz­fä­hig. Die Be­klag­te hat nicht dar­ge­tan, dass im Fal­le ei­ner tat­säch­li­chen Re­pa­ra­tur­durch­füh­rung die auf­ge­führ­ten Zu­schlä­ge nicht in An­satz ge­bracht wür­den …

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