1. Ist in einem Kaufvertrag über einen Gebrauchtwagen der Kilometerstand des Fahrzeugs angegeben, liegt dann eine Beschaffenheitsvereinbarung i. S. von § 434 I 1 BGB a.F. vor, wenn es sich bei der Angabe nicht um eine bloße Wissenserklärung oder – besser – Wissensmitteilung handelt. Das Fahrzeug ist deshalb mangelhaft, wenn seine tatsächliche Laufleistung nicht einmal annähernd der vereinbarten Laufleistung entspricht.
  2. Ein Gebrauchtwagen, bei dem die vom Kilometerzähler angezeigte Laufleistung erheblich unter der tatsächlichen Laufleistung des Fahrzeugs liegt, weist nur dann einen Mangel i. S. von § 434 I 2 Nr. 2 BGB a.F. auf, wenn der Käufer unter den konkreten Umständen des Einzelfalls berechtigterweise erwarten durfte, dass der angezeigte Kilometerstand die Gesamtlaufleistung ausweist.
  3. Auch ein Gebrauchtwagenhändler ist beim Kauf eines Fahrzeugs grundsätzlich nicht gehalten, die Schadenshistorie des Fahrzeugs beizuziehen, um die Angaben des Verkäufers zur Beschaffenheit des Fahrzeugs zu überprüfen. Vielmehr gilt, dass der Käufer den Beschaffenheitsangaben eines redlichen Verkäufers regelmäßig vertrauen darf. Die Schadenshistorie muss auch ein gewerblicher Käufer deshalb allenfalls beiziehen, wenn die konkreten – in der Person des Verkäufers liegende oder sonst bekannte – Umstände dazu Anlass geben.

LG Karlsruhe, Urteil vom 12.05.2023 – 6 O 120/22

Sachverhalt: Die Klägerin, die ein überregional tätiges Autohaus betreibt und Mercedes-Benz-Partnerin ist, begehrt nach ihrem Rücktritt von einem Kfz-Kaufvertrag dessen Rückabwicklung und Schadensersatz.

Sie erwarb von der Beklagten auf der Grundlage eines Kaufvertrags vom 06.03.2021 einen am 01.07.2008 erstzugelassenen Gebrauchtwagen Mercedes-Benz GL 450 4MATIC zum Preis von 17.000 €.Bei diesem Fahrzeug handelt es sich um einen aus den Vereinigten Staaten von Amerika (USA) importierten Pkw. Dem Kaufvertrag liegt als erweiternde Beschreibung dieses Fahrzeugs eine Gebrauchtwagenbewertung (Fahrzeug-Zustandsbericht) vom 18.02.2021 zugrunde. Zur Erstellung dieses Berichts hatte die Beklagte das Fahrzeug dem TÜV-Mitarbeiter T vorgeführt, der es im Auftrag der Klägerin bewertet hatte. Für den Bericht hatte die Beklagte unter anderem angegeben, dass der Kilometerzähler das Fahrzeugs weder ausgetauscht worden noch durch eine Reparatur verändert worden sei und die tatsächliche Laufleistung des Pkw 93.711 km betrage.

Die Klägerin veräußerte den Mercedes-Benz GL 450 4MATIC am 05.05.2021 für 16.500 € an die G-GmbH. Diese veräußerte das Fahrzeug an K, der feststellte, dass der Pkw bereits am 15.12.2011 eine Laufleistung von 99.139 Meilen (= 159.548 km) aufgewiesen hatte. Die aktuelle Gesamtlaufleistung des Fahrzeuges ist nicht bekannt. Sie wird von der Klägerin auf über 300.000 km geschätzt. Der zwischen der G-GmbH und K geschlossene Kaufvertrag wurde nach einem Rücktritt des K ebenso rückabgewickelt wie der zwischen der Klägerin und der G-GmbH geschlossene Kaufvertrag nach einem Rücktritt der G-GmbH.

Die Klägerin forderte die Beklagte am 02.05.2022 – erfolglos – auf, das streitgegenständliche Fahrzeug bis zum 06.05.2022 Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises zurückzunehmen. Mit Schreiben vom 17.05.2022 erklärte die Klägerin den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte die Beklagte – ebenfalls erfolglos – auf, das Fahrzeug bis zum 27.05.2022 abzuholen und ihr innerhalb dieser Frist den Kaufpreis sowie Rechtsanwaltskosten in Höhe von 1.021 € zu erstatten.

Mit ihrer Klage hat die Klägerin zuletzt beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 17.000 € nebst Zinsen, Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Mercedes-Benz GL 450 4MATIC zu zahlen. Außerdem hat sie die Feststellungen begehrt, dass die Beklagte mit der Annahme des Pkw in Verzug ist und an sie – die Klägerin – ab dem 28.05.2022 bis zur Abholung des Fahrzeugs je Kalendertag 7,50 € zuzüglich Umsatzsteuer zahlen muss. Schließlich hat die Klägerin erreichen wollen, dass die Beklagte sie von vorgerichtlich angefallenen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 2.042 € freizustellen hat. Zur Begründung hat die Klägerin geltend gemacht, der Mercedes-Benz GL 450 4MATIC sei hinsichtlich seiner Laufleistung mangelhaft, weshalb sie – die Klägerin – die Rückabwicklung des mit der Beklagten geschlossenen Kaufvertrags und Schadensersatz verlangen könne. Die Beklagte habe bei Abschluss des Kaufvertrags gewusst, dass die tatsächliche Laufleistung des Pkw höher sei als die vom Kilometerzähler angezeigte Laufleistung, und sie – die Klägerin – diesbezüglich arglistig getäuscht.

Die Beklagte ist dem mit der Behauptung entgegengetreten, die Klägerin hate den die Klägerin habe den Mercedes-Benz GL 450 4MATIC am 18.02.2021 eingehend untersucht und daher gewusst, dass die angezeigte nicht der tatsächlichen Laufleistung entspreche. Das ergebe sich auch aus der von der Klägerin selbst angeforderten und ausgedruckten Schadenshistorie des Pkw.

Die Klage hatte Erfolg.

Aus den Gründen: I. Die Feststellungsanträge … sind zulässig. …

1. Soweit die Klägerin [die Feststellung] beantragt, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs seit dem 28.05.2022 in Annahmeverzug befinde (§ 293 BGB), besteht das Feststellungsinteresse einerseits darin, dass sie bei Begründetheit des Antrags ihren Zahlungsanspruch ohne die Herausgabe des Fahrzeugs im Wege der Zwangsvollstreckung verfolgen kann (§§ 322 V, 274 II BGB, §§ 726 II, 756 I, 765 Nr. 1 ZPO; vgl. BGH, Urt. v. 10.03.2010 – VIII ZR 182/08, NJW 2010, 2503 Rn. 24), sowie andererseits darin, dass damit die Voraussetzung für den Aufwendungsersatz (§ 304 BGB) … geschaffen wird.

2. Die Klägerin kann … ihre Klage in eine Leistungsklage und eine Feststellungsklage aufspalten, wenn ein Teil des Schadens schon entstanden, die Entstehung weiteren Schadens aber noch zu erwarten ist.

Prozessvoraussetzung für die Feststellungsklage ist neben den allgemeinen Sachurteilsvoraussetzungen einschließlich des allgemeinen Rechtsschutzbedürfnisses das schutzwürdige Interesse der Klägerin an alsbaldiger Feststellung. Ein Sicherungsinteresse i. S. von § 256 I ZPO besteht grundsätzlich nur, wenn dem subjektiven Recht der Klägerin eine gegenwärtige Gefahr der Unsicherheit dadurch droht, dass die Beklagte es ernstlich bestreitet, und wenn das erstrebte Urteil infolge seiner Rechtskraft geeignet ist, diese Gefahr zu beseitigen (vgl. BGH, Urt. v. 13.01.2010 – VIII ZR 351/08, NJW 2010, 1877 Rn. 12; Urt. v. 07.02.1986 – V ZR 201/84, NJW 1986, 2507). Ein Feststellungsinteresse ist grundsätzlich schon dann zu bejahen, wenn zum Zeitpunkt der Klageerhebung der anspruchsbegründende Sachverhalt beziehungsweise die Schadensentwicklung noch nicht abgeschlossen und mit (weiteren) Schäden zu rechnen ist (vgl. BGH, Urt. v. 25.02.2010 – VII ZR 187/08, NJW-RR 2010, 750 Rn. 12). Als Prozessvoraussetzung muss das Feststellungsinteresse grundsätzlich bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung vorliegen, sonst wird die Klage ex nunc unzulässig (vgl. BGH, Urt. v. 08.07.1955 – I ZR 201/53, BGHZ 18, 98, 106). Die Klägerin ist aber nicht gezwungen zu einer bezifferten Leistungsklage überzugehen, wenn diese nachträglich möglich wird (vgl. BGH, Urt. v. 04.11.1998 – VIII ZR 248/97, NJW 1999, 639, 640).

Nach dieser Maßgabe war die Entwicklung des weiteren Schadens der Klägerin durch das eingeforderte und von der Beklagten nicht anerkannte Standgeld sowie das nicht abgeholte Fahrzeug bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung am 26.04.2023 noch nicht abgeschlossen.

3. Die Klägerin hat nach dem Hinweis des Gerichts vom 22.03.2023 mit Schriftsatz vom 05.04.2023 den Feststellungsantrag zur Erstattung weiterer materieller Schäden nicht mehr gestellt und insoweit ihre Klage quantitativ beschränkt. Prozessual handelt es sich dabei um eine (teilweise) Klagerücknahme, die das erkennende Gericht für wirksam hält, obwohl sie nicht ausdrücklich erklärt wurde.

Ebenso wie materiell-rechtliche Erklärungen sind prozessuale Erklärungen entsprechend dem erkennbar Gewollten auszulegen (§ 133 BGB). Die Klägerin hat ihr Begehren dem Hinweis des Gerichts angepasst und sich [diesen] insoweit zu eigen gemacht. Darin liegt das Eingeständnis, dass der ursprüngliche Antrag von Anfang an übersetzt war. Eine Teilerledigung kam daher nicht in Betracht. Ebenso verbietet sich die Annahme, die Klägerin habe teilweise nicht verhandelt, was insoweit bei entsprechendem Antrag der Beklagten zu einem Teil-Versäumnisurteil hätte führen müssen. Dem Gesamtzusammenhang der Antragsreduzierung ist vielmehr zu entnehmen, dass die Klägerin ihr ursprüngliches Begehren nicht mehr weiterverfolgt. Dabei handelt es sich auch ohne ausdrückliche Erklärung um eine Klagerücknahme (vgl. RG, Urt. v. 25.03.1924 – III 349/23, RGZ 108, 135, 137; BAG, Urt. v. 14.07.1961 – 1 AZR 291/60, NJW 1961, 2371 [Ls.]; OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.07.2011 – U (Kart) 11/11, NJW 2012, 85 = juris Rn. 23; OLG Koblenz, Urt. v. 11.07.2002 – 5 U 291/01, juris Rn. 9).

Da zuvor mit dem ursprünglichen Antrag mündlich verhandelt worden war, konnte die (teilweise) Klagerücknahme nur mit Einwilligung der Beklagten wirksam werden (§ 269 I ZPO). Die Beklagte hat sich nach dem klägerischen Schriftsatz vom 05.04.2023 nicht mehr erklärt. Indes kann sich die erforderliche Einwilligung auch aus sonstigen Umständen ergeben, wenn sicher feststeht, dass die Beklagte mit der Rücknahme einverstanden ist (vgl. Zöller/​Greger ZPO, § 269 Rn. 15 m. w. Nachw.).

So liegt es hier. Die Beklagte hat die Antragsänderung unkommentiert gelassen und auch keinen Antrag auf Erlass eines Teil-Versäumnisurteils (§ 333 ZPO) gestellt. Beides verdeutlicht hinreichend, dass sie die Teil-Klagerücknahme hinnimmt, insbesondere kein fortbestehendes Interesse an Ausführungen hinsichtlich des ursprünglichen Antrags hat. Angesichts des gerichtlichen Hinweises erscheint es nahezu ausgeschlossen, dass die Klägerin nach der Klagerücknahme künftige Schadensersatzforderungen als Feststellungsantrag erneut geltend macht. Bei dieser Sachlage kann das Prozessverhalten der Beklagten als Einwilligung in die Klagerücknahme gedeutet werden (vgl. BAG, Urt. v. 14.07.1961 – 1 AZR 291/60, NJW 1961, 2371 [Ls.]).

Durch die teilweise Rücknahme der Klage ist die Entscheidung des Landgerichts in diesem Umfang gegenstandslos geworden.

II. Die Beklagte ist wegen des berechtigten Rücktritts verpflichtet, an die Klägerin den Kaufpreis von 17.000 € zu zahlen, Zug um Zug gegen Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs (§ 433 I 2 BGB, § 434 I 1 BGB a.F., § 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 440, 348 BGB; dazu sub 1) und ihr auch ein Standgeld für das Fahrzeug in Höhe von 7,50 € zuzüglich Umsatzsteuer je Kalendertag ab dem 28.05.2022 bis zu seiner Abholung zu zahlen (§ 304 BGB; dazu sub 2).

1. Der Klägerin steht aus einer Beschaffenheitsvereinbarung zur Übereinstimmung von Tachometerstand und tatsächlicher Motorlaufleistung, die sich als fehlerhaft herausgestellt hat, ein Recht zum Rücktritt vom Kaufvertrag zu, das zur Rückabwicklung der wechselseitig erbrachten Leistungen führt.

a) Die Laufleistung von 93.711 km wurde von den Parteien als Beschaffenheit des Fahrzeugs vereinbart (§ 434 I 1 BGB a.F.).

aa) Ist der Kilometerstand im Kaufvertrag selbst angegeben, so handelt es sich um eine Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 I 1 BGB a.F.; vgl. OLG München, Urt. v. 13.03.2013 – 7 U 3602/11, juris Rn. 5). Dem Kaufvertrag liegt eine Gebrauchtwagenbewertung (Fahrzeug-Zustandsbericht) vom 18.02.2021 als erweiternde Kraftfahrzeugbeschreibung zugrunde. Die Beklagte gab zu diesem Bericht unter anderem an, dass das Fahrzeug keinen reparaturveränderten oder ausgetauschten Kilometerzähler hat und die tatsächliche Laufleistung des Fahrzeugs 93.711 km beträgt.

bb) Die von der Beklagten behauptete fehlende Kenntnis der exakten Laufleistung bei dem Importfahrzeug ist vorliegend für die Vereinbarung einer Beschaffenheit nicht beachtlich.

Die Beklagte hat zur Laufleistung nach dem eindeutigen Wortlaut des Kaufvertrags keine bloße Wissenserklärung oder Wissensmitteilung abgegeben (vgl. zur dann fehlenden Beschaffenheitsvereinbarung BGH, Urt. v. 12.03.2008 – VIII ZR 253/05, NJW 2008, 1517 Rn. 12 ff.; Urt. v. 29.06.2016 – VIII ZR 191/15, juris Rn. 28 ff.). Die von der Beklagten in dem Zustandsbericht angegebene Laufleistung enthält keinen Verweis auf andere Personen oder sonstige Einschränkungen. Der Geschäftsführer der Beklagten hat mit seiner Unterschrift sogar die „Vollständigkeit und Richtigkeit“ seiner Angaben bestätigt. Eine solche Beschränkung wäre jedoch – wie nachfolgend – aus Sicht beider Parteien geboten gewesen.

cc) Die Beklagte hat das Fahrzeug, welches in den USA hergestellt und dort auch ursprünglich zugelassen worden war, über eine US-Restwertbörse (Insurance Auctions, LLC – L) erworben. In der von der Beklagten vorgelegten Abrechnung sind als Kaufdatum („purchase date“) der 20.05.2014 („05/20/14“) und als Wegmesser/​-zähler („odometer“) „51836“ angegeben. Zu diesem Tachostand hat die Beklagte ein Lichtbild vorgelegt, welches eine Digitalanzeige mit 51.836 miles belegt. In der Kaufbeschreibung („buyers guide“) wird eine Garantie („warranty“) verneint. Zum Zählerstand wurde als „Enthüllung“ („odometer disclosure statement“) mit Warnhinweis („warning/caution“) als Bestätigung („state“) keine Laufleistung eingetragen und auch nicht angegeben beziehungsweise angekreuzt, dass eine bestimmte Laufleistung (1.) die aktuelle Laufleistung angibt („Reflects actual mileage.“), (2.) Ausdruck einer mechanischen Beschränkung ist („Is in excess of its mechanical limits.“) oder (3) nicht die aktuelle Laufleistung darstellt, wobei – in Fettdruck – ausdrücklich auf eine Kilometerabweichung hingewiesen wird („Is not the actual mileage. Warning – Odometer discrepancy.“). Eine solche Bestätigung weist einerseits auf die Bedeutung der Angaben zur Laufleistung hin und andererseits darauf, welche Möglichkeiten (Nr. 1 und Nr. 2) beziehungsweise Risiken (Nr. 3.) im Zusammenhang mit der Laufleistung eines bei einer US-Restwertbörse erworbenen Gebrauchtwagens bestehen.

Soweit die Beklagte sich auf die Tachoanzeige im Jahr 2014 und das von ihr vorgelegte Lichtbild beruft, gälte für diesen Erwerb unter der Regie des deutschen Rechts, dass ein Kilometerzähler eines als Gebrauchtwagen verkauften Fahrzeugs, der einen gegenüber der wirklichen Fahrleistung deutlich reduzierten Stand zeigt, einen Sachmangel gemäß § 434 I 2 Nr. 2 BGB a.F. nur dann begründet, wenn der Käufer – hier die Beklagte im Jahr 2014 – unter den konkreten Umständen berechtigterweise von der Richtigkeit des angezeigten Kilometerstands im Sinne der Gesamtfahrleistung ausgehen durfte (vgl. BGH, Urt. v. 25.06.1975 – VIII ZR 244/73, NJW 1975, 1693 f. = juris Rn. 11 ff.; Urt. v. 29.11.2007 – VIII ZR 92/06, BGHZ 170, 86 Rn. 14; OLG Köln, Urt. v. 13.03.2007 – 22 U 170/06, juris Rn. 4 ff.; OLG Rostock, Urt. v. 11.07.2007 – 6 U 2/07, NJW 2007, 3290; OLG Düsseldorf, Beschl. v. 15.11.2012 – 3 W 228/12, juris Rn. 15). Indem im oben dargestellten Umfang bei dem Erwerb der Beklagten im Jahr 2014 einerseits keine Kilometerangabe eingetragen und auch trotz der Bedeutung der Laufleistung für die Bewertung eines Gebrauchtwagens keine der aufgezeigten Möglichkeiten und Risiken angekreuzt wurde, liegen keinerlei Umstände vor, wonach die Beklagte damals berechtigterweise von der Richtigkeit des angezeigten Kilometerstands im Sinne der Gesamtfahrleistung ausgehen durfte.

Diese Umstände hat die Beklagte erst im Prozess vorgetragen. Wären diese Informationen der Klägerin im Rahmen der gemeinsamen Erstellung des Zustandsberichts am 18.02.2021 so bereits mitgeteilt und diese Unterlagen auch vorgelegt worden, so hätte das Gericht vorliegend nicht von einer Beschaffenheitsvereinbarung ausgehen können, denn die Klägerin hätte das Fahrzeug in Kenntnis dieser Risiken erworben. Weiterhin ist das Gericht davon überzeugt, dass im Rahmen der Bewertung der TÜV-Prüfer die Laufleistung dann aber auch näher untersucht hätte. Auf die nachfolgende Würdigung der Aussage des Zeugen T (unten ee) wird verwiesen.

Dass die Beklagte diese ihr bekannten Informationen nicht der Klägerin bei der Veräußerung vom 06.03.2021 mitgeteilt hat, geht mit ihr heim.

dd) Ebenso steht der Beschaffenheitsvereinbarung nicht entgegen, dass für die Klägerin die grundsätzliche Möglichkeit bestand, die hier maßgebliche Fahrzeuginformation/​Schadenshistorie im DAT-System vor Abschluss des Kaufvertrags selbst beizuziehen und damit die Angaben der Beklagten zu überprüfen. Eine allgemeine Pflicht zur Beiziehung solcher Unterlagen besteht auch für eine Gebrauchtwagenhändlerin nicht. Grundsätzlich gilt, dass den Angaben einer redlichen Verkäuferin erst einmal vertraut werden kann. Maßgeblich sind deshalb die Umstände des Einzelfalls, das heißt, ob in der Person der Verkäuferin liegende oder sonst bekannte Umstände zum Gebrauchtwagen Anlass geben, sich so aufdrängenden Bedenken nachzugehen.

ee) Solche besonderen Umstände ergeben sich vorliegend nicht aus der gemeinsamen Erstellung des Zustandsberichts vom 18.02.2021; insbesondere ist nicht erwiesen, dass die Klägerin durch ihren Geschäftsführer, den zuständige Abteilungsleiter oder den mit dem Ankauf beauftragte Mitarbeiter der Klägerin, den Zeugen M, bei Abschluss des Kaufvertrags Kenntnis von der Schadenshistorie und der darin angegebenen Laufleistung hatte oder hätte haben müssen.

Die Beweisaufnahme vom 11.01.2023 hat einen solchen Nachweis nicht erbracht. Der Vertreter der Klägerin, L, hat als Leiter des Teams Verkäufer bzw. Käufer anschaulich das Verfahren beim Ankauf eines Gebrauchtwagens geschildert. Zum Zeitpunkt des streitgegenständlichen Erwerbs hatte der Prüfer vom TÜV, der Zeuge T, nur über den Hausservice-Technik Zugriff auf ein internes DAT-System.

Der ankaufende Mitarbeiter der Klägerin, der Zeuge M, benötigte den DAT-Auszug nicht, da sich daraus nicht ergibt, ob es sich um ein sogenanntes scheckheftgeprüftes Fahrzeug handelt. Den DAT-Bericht hat der Zeuge L nicht bekommen.

Der Geschäftsführer der Beklagten stellte ebenso anschaulich den Erwerb des Fahrzeugs, die Umstellung des Tachos von Meilen auf Kilometer und die Erstellung des Zustandsberichts am 18.02.2021 dar. Über die gefahrenen Meilen und den DAT-Auszug wurde nicht gesprochen.

Der Zeuge M erläuterte das grundsätzliche Verfahren beim An- und Verkauf, hatte an den konkreten Vorgang im Februar/​März 2021 jedoch keine substanziellen Erinnerungen. Für ihn ist zur Bewertung des Ankaufpreises zuerst der Zustandsbericht des TÜV maßgeblich. Den hier maßgeblichen DAT-Auszug hat er erstmals im Zusammenhang mit den Rückabwicklungen gesehen.

Der Zeuge T schilderte das Verfahren der von ihm gefertigten Zustandsberichte und Gutachten. An den konkreten Vorfall hatte er keine Erinnerungen; seine Ausführungen bezogen sich auf die ihm vorliegenden Unterlagen. Seine Zustandsprüfung umfasste optische Schäden wie Kratzer, Rost und dergleichen; es wurde eine Probefahrt gemacht und auch die Elektrik überprüft. Ein Serviceheft wurde ihm nicht vorgelegt. Bei seinem Zustandsbericht vom 18.02.2021 lag ihm die Schadenshistorie nicht vor, sondern erst später bei der Hereinnahme des Fahrzeugs oder beim späteren Weiterverkauf zu dem von ihm gefertigten „Händlergutachten“. Eine komplette Neubewertung erfolgte dann jedoch nicht mehr. In der Schadenshistorie waren bis zum Ende der Aufzeichnungen im Jahr 2011 Umstände aufgezeichnet, die für seine Bewertung nicht weiter von Bedeutung waren. Interessant wären für ihn Unfälle, ein Tauschmotor oder ein Tauschtacho gewesen, die im vorliegenden DAT-Auszug gerade nicht aufgeführt sind. Deshalb waren für den Zeugen T die dortigen Daten alle für die Bewertung erledigt und wurden von ihm deshalb auch nicht weiter angeschaut.

Diese nachvollziehbaren und überzeugenden Ausführungen der Parteien und Zeugen zum Erwerb des Mercedes-Benz GL 450 4MATIC durch die Klägerin zeigen weder bei dem Zeugen M noch bei dem zuständigen Abteilungsleiter L Umstände auf, wonach die DAT-Schadenshistorie zum Kauf herangezogen wurde beziehungsweise hätte herangezogen werden müssen.

Eine Täuschung der Beklagten durch die Klägerin beim Ankauf am 06.03.2021 ist damit ebenso nicht erwiesen. Auf die von der Klägerin substanzarm behauptete Täuschung durch die Beklagte kommt es nicht mehr an.

b) Die vereinbarte Laufleistung von 93.711 km wich zum Zeitpunkt der Fahrzeugübergabe am 09.03.2021 so erheblich von der tatsächlichen Laufleistung ab, dass das Gericht von einem Mangel des Fahrzeugs überzeugt ist (§ 286 I 1 ZPO).

Die Beklagte bestreitet erstmals mit Schriftsatz vom 21.10.2022 mit Nichtwissen, dass die tatsächliche Laufleistung über der auf dem Tacho ausgewiesene Laufleistung liege. Die vorgelegte DAT-Schadenshistorie wird jedoch nicht substanziiert angegriffen. Auch wenn diese Schadenshistorie keine Privaturkunde (§ 416 ZPO) darstellt, so hat das Gericht keinen Zweifel daran (§ 286 I 1 ZPO), dass das Fahrzeug bereits am 15.12.2011 eine Laufleistung von 99.139 Meilen aufwies, was einer Gesamtlaufleistung von 159.548 km entspricht. Die vorgelegte Schadenshistorie betrifft das streitgegenständliche Fahrzeug mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer (FIN) …, wie sie auch in der von der Beklagten selbst vorgelegten Zulassungsbescheinigung vom 10.12.2020 aufgeführt ist. Das Fahrzeug hatte demnach in den vier Jahren seit der Erstzulassung 159.548 km zurückgelegt und lag bereits drei Jahre vor dem Kauf der Beklagten im Jahr 2014 mit fast 66.000 km über der fast sieben Jahre später von der Beklagten am 18.02.2021 angegebenen Laufleistung.

c) Der Mangel einer weit überhöhten Laufleistung kann nicht mehr beseitigt werden, weshalb eine Aufforderung zur Mangelbeseitigung entbehrlich war (§ 440 Satz 1, § 323 V 2 BGB).

d) Der Rücktritt war aus den oben ausgeführten Gründen auch nicht nach § 323 VI Fall 1 BGB ausgeschlossen.

Während beim Schadensersatzanspruch statt der Leistung (§ 281 BGB) die Mitverantwortlichkeit des Geschädigten gemäß § 254 BGB über eine Kürzung des Anspruchs angemessen berücksichtigt werden kann, ist eine solche flexible Lösung beim Rücktritt nicht möglich. Hier gibt es nur die Möglichkeit, das Rücktrittsrecht insgesamt auszuschließen und den Gläubiger an dem Vertrag und an seiner Verpflichtung zur Erbringung der Gegenleistung festzuhalten. Diese Folge sieht § 323 VI BGB dann vor, wenn der Gläubiger allein oder weit überwiegend für den Umstand verantwortlich ist, der ihn zum Rücktritt berechtigen würde. Die Verantwortlichkeit des Gläubigers muss so sehr überwiegen, dass § 254 BGB im Fall eines Schadensersatzverlangens den Anspruch des Gläubigers ausschließen würde. Dafür ist eine Verantwortungsquote des Gläubigers von 90 %, mindestens aber von 80 % erforderlich (vgl. OLG Karlsruhe, Urt. v. 28.05.2019 – 8 U 185/16, juris Rn. 87 f. [Nichtzulassungsbeschwerde zurückgewiesen durch BGH, Beschl. v. 15.01.2020 – VII ZR 140/19]; OLG Naumburg, Urt. v. 24.06.2010 – 2 U 77/09, NJW-RR 2011, 64 = juris Rn. 25; LG Karlsruhe, Urt. v. 02.12.2022 – 6 O 65/18, NJOZ 2023, 462 Rn. 41; Grüneberg/Grüneberg, BGB, 82. Aufl. [2023], § 323 Rn. 28 ff.). Ein solches Maß an Mitverantwortung des Klägers für die rücktrittsrelevanten Umstände lässt sich – wie oben unter 1 b ausgeführt – im Streitfall nicht feststellen.

e) Aus den oben unter 1 a bb bis ee dargelegten Gründen steht der Rückabwicklung auch nicht der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) entgegen.

f) Da die sich aus dem Rücktritt ergebenden Verpflichtungen der Parteien nach §§ 346 I, 348 BGB nur Zug um Zug zu erfüllen sind, muss die Klägerin den Mercedes-Benz GL 450 4MATIC an die Beklagte zurückgeben.

g) Zugunsten der Beklagten sind auf die Zahlung an die Klägerin keine von ihr tatsächlich gezogene Gebrauchsvorteile anzurechnen.

Die Höhe der Nutzungsentschädigung ist durch Schätzung (§ 287 ZPO) der während der tatsächlichen Nutzungsdauer anzunehmenden linearen Wertminderung zu ermitteln (vgl. BGH, Urt. v. 06.10.2005 – VII ZR 325/03, BGHZ 164, 235). Es entscheidet also der Umfang der Nutzung durch den Rückgewährschuldner im Verhältnis zur voraussichtlichen Gesamtnutzung. Die Klägerin hat vorliegend vorgetragen, dass sie die aktuelle Gesamtlaufleistung bei Klageerhebung am 07.06.2022 auf über 300.000 km schätzt und der Pkw seit dem Kauf nur circa 173 km gefahren ist. Das Gericht folgt anhand der Laufleistungsentwicklung, wie sie sich bereits vier Jahre nach der Erstzulassung darstellt, dieser Einschätzung der Klägerin und legt deshalb bei der Berechnung einer Nutzungsentschädigung für das streitgegenständliche Fahrzeug eine Laufleistung von circa 280.000 bis 300.000 km zugrunde (§ 287 ZPO). Deshalb hat die tatsächliche Nutzungszeit zu keinem Vorteil bei der Klägerin geführt.

Vor diesem Hintergrund lief auch die ursprünglich beantragte doppelte Zug-um-Zug-Verurteilung („Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Mercedes-Benz GL 450 4MATIC und Zug um Zug gegen Zahlung einer von der Beklagten noch darzulegenden Nutzungsentschädigung für die Nutzung des Fahrzeugs“) leer, da vorliegend ohne entsprechende teilweise Klagabweisung des Zahlungsbetrags dieser Ausspruch im Tenor nicht erfolgt und bei der Kostenentscheidung zulasten der Klägerin ein Nutzungsvorteil ebenso nicht berücksichtigt wird (vgl. zu diesem Zweck einer doppelten Zug-um-Zug-Verurteilung auch den Hinweis des Gerichts vom 22.03.2023 mit Verweis auf KG, Urt. v. 13.04.2021 – 21 U 45/19, NJW 2021, 2662 Rn. 42 f.).

Die Klägerin hat nach diesem Hinweis im nachfolgend angeordneten schriftlichen Verfahren diese zweite Zug-um-Zug-Verurteilung konsequenterweise nicht mehr in ihren Klagantrag zu 1 vom 05.04.2023 aufgenommen. Die Beklagte hat nach dem gerichtlichen Hinweis und den neu formulierten Anträgen der Klägerin insoweit auch keine Einwände erhoben.

2. Die Feststellungsanträge sind auch begründet.

a) Die Beklagte befindet sich nach dem berechtigten Rücktritt der Klägerin und ihrer Aufforderung, das Fahrzeug binnen Frist gegen Zahlung des Kaufpreises zurückzunehmen, seit dem 28.05.2022 im Annahmeverzug (§§ 293, 295 Satz 1 Fall 2 BGB).

b) Die Beklagte ist weiterhin verpflichtet, an die Klägerin ein Standgeld für das Fahrzeug in Höhe von 7,50 € zuzüglich Umsatzsteuer je Kalendertag ab dem 28.05.2022 bis zu seiner Abholung zu zahlen (§§ 293, 304 BGB). Das Gericht schätzt die Höhe des Standgelds in Anlehnung an den Vortrag der Klägerin auf 7,50 € zuzüglich Umsatzsteuer je Kalendertag (§ 287 ZPO; vgl. OLG Düsseldorf, Urt. v. 07.04.2008 – 1 U 212/07, juris Rn. 15). Dass dieser Betrag angemessen ist, bestreitet die Beklagte nicht.

III. 1. Der Zinsanspruch rechtfertigt sich aus Verzug (§ 286 I 1, § 288 I, II BGB).

2. Die Beklagte ist verpflichtet, die Klägerin von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von insgesamt 2.042,00 € freizustellen (§ 433 I 2 BGB, § 434 I 1 BGB a.F., § 437 Nr. 3, §§ 280 I, III, 281, 249 BGB).

Bei der Beurteilung der Frage, ob und in welchem Umfang der dem Geschädigten zustehende Schadensersatzanspruch die Erstattung von Rechtsanwaltskosten umfasst, ist zwischen dem Innenverhältnis des Geschädigten zu dem für ihn tätigen Rechtsanwalt und dem Außenverhältnis des Geschädigten zum Schädiger zu unterscheiden. Voraussetzung für einen Erstattungsanspruch im geltend gemachten Umfang ist grundsätzlich, dass der Geschädigte im Innenverhältnis zur Zahlung der in Rechnung gestellten Kosten verpflichtet ist und die konkrete anwaltliche Tätigkeit im Außenverhältnis aus der maßgebenden Sicht des Geschädigten mit Rücksicht auf seine spezielle Situation zur Wahrnehmung seiner Rechte erforderlich und zweckmäßig war (vgl. BGH, Urt. v. 22.03.2011 – VI ZR 63/10, NJW 2011, 2509 Rn. 9 m. w. Nachw.).

Das ist vorliegend der Fall. Die Klägerin hat das Fahrzeug an die G-GmbH weiterveräußert. Wegen des Mangels einer deutlich erhöhte Gesamtfahrleistung musste die Klägerin das Fahrzeug wieder zurücknehmen. Im Zusammenhang mit der Rückabwicklung des Kaufvertrages mit der G-GmbH sind außergerichtliche Anwaltskosten (Rechtsverteidigungskosten) angefallen. Die Beklagte verhält< sich insoweit nicht zum Vortrag der Klägerin zu den entstandenen Anwaltskosten.

Nach Nr. 2300 VV RVG beziffern sich diese bei einem Gegenstandswert von 17.000 € beziehungsweise 16.500 € und einer 1,3-fachen Gebühr auf 1.021 € einschließlich Kostenpauschale gemäß Nr. 7200 VV RVG von 20 €. Die Klägerin ist vorsteuerabzugsberechtigt.

Die durch die Geltendmachung der Rückabwicklung des Kaufvertrages mit der Beklagten entstandenen außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten in gleicher Höhe hat die Beklagte ebenfalls zu tragen. Es handelt sich um zwei Angelegenheiten im gebührenrechtlichen Sinne (§ 15 RVG). …

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