Der Erwerber eines Kraftfahrzeugs ist nach niederländischem Recht nicht in gutem Glauben, wenn er sich zwar die Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) vorlegen lässt, aber zahlreiche besondere Umstände, die seinen Verdacht erregen mussten (u. a. Höhe des Kaufpreises, Übergabe nur eines Fahrzeugschlüssels), unbeachtet lässt.
OLG Hamburg, Urteil vom 15.01.2021 – 8 U 129/19
(vorangehend: LG Hamburg, Urteil vom 19.09.2019 – 326 O 156/18)
Sachverhalt: Der Kläger verlangt von der beklagten Autovermieterin die Herausgabe eines Mercedes-Benz V 250 BlueTEC 4MATIC. Er macht geltend, er habe das Eigentum an diesem – ursprünglich der Beklagten gehörenden – Fahrzeug von einem Dritten zulasten der Beklagten gutgläubig erworben.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Es hat ausgeführt, der Kläger habe keinen Herausgabeanspruch gegen die Beklagte, weil er nicht Eigentümer des streitgegenständlichen Fahrzeugs (geworden) sei. Der Dritte, der dem Kläger den Mercedes-Benz V 250 BlueTEC 4MATIC übergeben habe, sei nicht berechtigt gewesen, das Eigentum an dem Fahrzeug auf den Kläger zu übertragen, und einem gutgläubigen Erwerb (§ 929 Satz 1, § 932 I 1, II BGB) stehe entgegen, dass der Kläger nicht gutgläubig gewesen sei. Ihm sei vielmehr infolge grober Fahrlässigkeit unbekannt gewesen sei, dass das Fahrzeug nicht dem Dritten gehört habe.
Dass der Dritte dem Kläger unter anderem eine – unter Verwendung eines Blankoformulars gefälschte – Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) übergeben habe, rechtfertige nicht die Feststellung, der Kläger sei gutgläubig gewesen. Denn im vorliegenden Fall habe es verschiedene geradezu „klassische” Verdachtsmomente gegeben, die den Kläger hätten veranlassen müssen, die Berechtigung des Dritten näher zu prüfen und sich im Hinblick auf das Eigentum des Dritten zu erkundigen. Das erst fünf Monate alte Fahrzeug sei zu einem eklatant zu günstigen Preis angeboten worden und dem Kläger in den Niederlanden übergeben worden. Bezüglich des (angeblichen) Wohnorts des Verkäufers habe es widersprüchliche Angaben gegeben, und vor allem habe der Verkäufer dem Kläger nur einen Fahrzeugschlüssel übergeben können. Es sei nicht nachvollziehbar, dass der Kläger sich nicht die Kontaktdaten der (vermeintlichen) Ehefrau des Verkäufers, die angeblich im Besitz der fehlenden Schlüssel war, habe geben lassen, um diese zumindest anzurufen und zu klären, ob die weiteren Schlüssel dort abgeholt werden könnten. Weitere Verdachtsmomente, die den Kläger zumindest in ihrer Gesamtheit zu größerer Vorsicht hätten veranlassen müssen seien, dass insbesondere der Kaufvertrag und die Zulassungsbescheinigung Teil I (Fahrzeugschein) unzutreffend ausgewiesen hätten, wann die nächste Hauptuntersuchung fällig sei, dass das Schriftbild des vorausgefüllten Kaufvertrags und die dortige Unterschrift des Verkäufers nicht recht zum Eigentümer eines hochpreisigen Oberklassefahrzeugs passten und der Verkäufer einen leichten osteuropäischen Sprachklang gehabt habe. Vor diesem Hintergrund habe es der Kläger nicht unterlassen dürfen, sich einen Ausweis des Verkäufers zeigen und sich das nahezu neuwertige Fahrzeug betreffende Kauf- und Garantieunterlagen übergeben zu lassen. Schließlich hätte dem Kläger bei der gebotenen näheren Prüfung der Zulassungsbescheinigung Teil I (Fahrzeugschein) auch auffallen müssen, dass es sich dabei um eine Fälschung handelt.
Mit seiner dagegen eingelegten – zulässigen – Berufung hat der Kläger geltend gemacht, er habe nicht grob fahrlässig verkannt, dass der Mercedes-Benz V 250 BlueTEC 4MATIC nicht dem Verkäufer gehört habe. Er habe sich vielmehr die Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) aushändigen lassen, die den Verkäufer als Eigentümer des Fahrzeugs ausgewiesen habe, und damit die Mindestanforderungen für den gutgläubigen Erwerb des Eigentums an einem Kraftfahrzeug erfüllt. Der verlangte Kaufpreis habe ihm, dem Kläger, nicht verdächtig niedrig erscheinen müssen, zumal nicht jedes „Schnäppchen“ Anlass zu Nachforschungen geben müsse. Dass eine Übergabe des Fahrzeugs in den Niederlanden vereinbart worden sei, sei mit Blick auf die Dienstleistungs- und Warenverkehrsfreiheit innerhalb der Europäischen Union ebenfalls kein besonderer Umsatand, der sein – des Klägers – Misstrauen hätte erwecken müssen. Gleiches gelte hinsichtlich der Unstimmigkeiten in Bezug auf den (angeblichen) Wohnort des Verkäufers, den der Verkäufer selbst mit Duisburg angegeben hatte, während die Fahrzeugpapiere und der Kaufvertrag als Wohnort Wiesbaden auswiesen. Er, der Kläger, habe zudem darauf vertraut, dass ihm die Ehefrau des Verkäufers einen zweiten Fahrzeugschlüssel zusenden werde. Unstimmigkeiten in Bezug auf die nächste Hauptuntersuchung, die ausweislich insbesondere des Kaufvertrags und der Zulassungsbescheinigung Teil I (Fahrzeugschein) bereits im Januar 2019, tatsächlich aber erst später fällig gewesen sei, hätten ihm entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht auffallen müssen. Die Auffassung des Landgerichts, dass die Handschrift des Verkäufers und dessen osteuropäische Aussprache nicht zum Eigentümer eines hochpreisigen Fahrzeug passten, könne keinesfalls überzeugen und komme einem Generalverdacht gegenüber Menschen osteuropäischer Herkunft oder mit „schlechter“ Handschrift gleich. Er, der Kläger, habe allenfalls leicht fahrlässig gehandelt, indem er die Zulassungsbescheinigung Teil II (Fahrzeugbrief) nicht eingehend untersucht und es unterlassen habe, sich vom Verkäufer das Fahrzeug betreffende Kauf- und Garantieunterlagen aushändigen zu lassen.
Das Berufungsgericht hat das Rechtsmittel zurückgewiesen, nachdem es durch Einholung eines Rechtsgutachtens Beweis zur Anwendbarkeit niederländischen Rechts (Rückverweisung) und zum gutgläubigen Erwerb nach niederländischem Recht erhoben hatte.
Aus den Gründen: II. … Im Ergebnis zu Recht hat das Landgericht die Klage auf Herausgabe eines Kraftfahrzeugs an den Kläger aus Eigentümer-Besitzer-Verhältnis abgewiesen, weil der Kläger nicht Eigentümer des streitgegenständlichen Fahrzeuge geworden ist.
Entgegen der Auffassung des Landgerichts ist die Frage, ob der Kläger durch die Einigung und Übergabe des Fahrzeugs in Holland Eigentum erworben hat, allerdings nicht nach deutschem Recht zu beurteilen. Gemäß Art. 43 I EGBGB unterliegen die Rechte an einer Sache dem Recht des Staates, in dem sich die Sache befindet. Da sich das streitgegenständliche Fahrzeug zum Zeitpunkt des angeblichen Eigentumserwerbs durch den Kläger in Holland befand, kommt für die Frage, ob Eigentum erworben wurde, niederländisches Recht zur Anwendung. Ausweislich des eingeholten Rechtsgutachtens zum niederländischen Recht kommt auch eine Rückverweisung auf deutsches Recht nicht in Betracht. Art. 10:127 I Burgerlijk Wetboek (BW)1Article 10:127 Law applicable to things and real property rights in things
1. Unless provided otherwise in paragraph 2 and 3, the real property regime for things shall be governed by the law of the State on the territory of which that thing finds itself.
2. … enthält wie das deutsche Recht das Prinzip, dass das Recht des Landes anwendbar ist, in dem sich die Sache befindet (Gutachten vom 22.10.2020, S. 5). Da auch der Kaufvertrag über das Fahrzeug erst am 07.07.2018 in Holland geschlossen wurde (Anlage K 1), kommt es auf die Frage, ob das niederländische Recht für den Fall, dass der Kaufvertrag noch in Deutschland geschlossen wurde und nur die Übergabe in Holland stattgefunden hat (Gutachten vom 22.10.2020, S. 6 f.), eine Rückverweisung auf deutsches Recht vorsieht, nicht an.
Nach niederländischem Recht hat der Kläger kein Eigentum an dem streitgegenständlichen Fahrzeug erworben.
Voraussetzung ist nach niederländischem Recht bei Erwerb vom Nichtberechtigten, dass ein gültiger Kaufvertrag besteht, eine Lieferungshandlung stattgefunden hat, die Übereignung nicht unentgeltlich erfolgt ist und der Erwerber in gutem Glauben gewesen ist (Gutachten vom 22.10.2020, S. 11). Nach Art. 3:11 BW2Article 3:11 “Good faith”
A person has not acted in “good faith” as a condition for a certain legal effect if he knew or in the circumstances reasonably ought to have known the facts or rights from which his good faith depends. The impossibility to conduct an inquiry does not prevent that a person, who had good reason to doubt, is regarded as someone who ought to have known the relevant facts or rights. mangelt es am guten Glauben einer Person auch dann, wenn sie die Tatsachen oder das Recht, auf das sich ihr guter Glaube beziehen muss, kennen musste (Gutachten vom 22.10.2020, S. 13). Damit ist ein Maßstab vorgegeben, der einen guten Glauben ausschließt, wenn der Erwerber Nachforschungen und Untersuchungen, die sich ihm aufdrängen mussten, nicht durchführt.
Zwar ist dem Kläger von dem angeblichen Verkäufer ein auf dessen angeblichen Namen ausgestellter Fahrzeugbrief übergeben worden. Auch stimmte die dort eingetragene Fahrgestellnummer mit derjenigen des Fahrzeugs überein. Damit waren Mindestanforderungen erfüllt, die für die Begründung eines guten Glaubens auch nach niederländischem Recht ausreichen mögen, wenn sich kein weiterer Anlass ergibt, der Zweifel an der Berechtigung des angeblichen Verkäufers aufkommen lässt. Das war hier indes nicht der Fall. Es gab vielmehr zahlreiche Anhaltspunkte, die Anlass zu Zweifeln an der behaupteten Eigentümerstellung des Verkäufers begründeten.
Unstreitig sollte das erst ein halbes Jahr alte Fahrzeug deutlich unter dem Marktwert verkauft werden und erschien auch dem Kläger das Fahrzeug als „Schnäppchen“. Die insoweit gegebene Erklärung des angeblichen Verkäufers, er brauche dringend Geld für eine Immobilienrenovierung, ist wenig überzeugend, da gerade dann wichtig sein dürfte, möglichst einen hohen Kaufpreis zu erzielen und eine Immobilienrenovierung in der Regel keine so dringende Angelegenheit ist, dass es auf Tage oder wenige Wochen ankommt. Ferner ist das Fahrzeug nur mit einem Fahrzeugschlüssel übergeben worden. Der Verkauf und die Übergabe des Fahrzeugs hat im Ausland auf einem Parkplatz fernab eines angeblichen Wohnorts des Verkäufers stattgefunden, und der hohe Kaufpreis von über 40.000 € wurde in bar übergeben. Darüber hinaus hatte der Verkäufer im Internet seinen Wohnort mit Duisburg angegeben, was angeblich auch der Wohnort seiner Ehefrau sein sollte. Im Kaufvertrag sowie in den übergebenen Fahrzeugpapieren war als Wohnort dagegen Wiesbaden eingetragen.
Auch wenn diese Umstände einzeln betrachtet keinen Verdacht erregen mussten und zum Teil vom Verkäufer erklärt wurden, waren sie in ihrer Gesamtheit doch so auffällig, dass beim Kläger Zweifel am Eigentum des Veräußerers aufkommen mussten und er zumindest zu weiteren Nachforschungen erheblichen Anlass gehabt hätte, sodass nach den niederländischen Vorgaben ein guter Glaube nicht gegeben war, weil er solche Nachforschungen unterließ. Dass der Kläger nicht nach einer nachprüfbaren Wohnanschrift des Verkäufers und einer Telefonnummer seiner Ehefrau fragte, obwohl er insofern widersprüchliche Informationen hatte und die weiteren Schlüssel in Duisburg abholen sollte (so der erstinstanzliche Vortrag, während nach dem zweitinstanzlichen Vortrag die Schlüssel per Post geschickt werden sollten), und er sich kein Ausweisdokument des Verkäufers hat vorlegen lassen, ist ebenso wenig nachvollziehbar wie der Umstand, dass der Kläger sich die einzig ihm vorgelegten Dokumente nicht genauer angesehen hat. Hätte er dies getan, wäre ihm zumindest aufgefallen, dass ausstellende Behörde der Zulassungsbescheinigung Teil I die Stadt Duisburg war, diese aber mit einem Stempel der Stadt Wiesbaden versehen war, während die Zulassungsbescheinigung Teil II von der Stadt Wiesbaden ausgestellt worden sein soll. Diese Unstimmigkeit hätte sodann erhebliche weitere Zweifel an der Eigentümerstellung des Verkäufers beim Kläger erwecken müssen, die ihn von einem Erwerb hätten abhalten müssen.
Schließlich sind dem Kläger für das erst wenige Monate alte Fahrzeug keine Erwerbs- und Garantieunterlagen vorgelegt worden und er hat solche auch nicht verlangt. Das lässt sich schon deshalb nicht nachvollziehen, weil mögliche Garantieansprüche noch hätten bestehen können. Angesichts der zusätzlichen besonderen Umstände (s. oben), die dem Kläger Anlass zu erheblichen Zweifeln am Eigentum des Verkäufers hätten geben müssen, wäre eine Nachfrage nach solchen Erwerbsunterlagen eines nur wenige Monate alten Fahrzeugs im vorliegenden Fall aber das gewesen, was jedem als erforderliche Absicherung eingeleuchtet hätte.
Damit hätte der Kläger die Tatsachen, aus denen sich die Nichtberechtigung des Verkäufers ergeben hätte, kennen müssen. Diese Auffassung des Berufungsgerichts steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung niederländischer Gerichte zum Gutglaubenserwerb gebrauchter Kraftfahrzeuge, wie sie im Rechtsgutachten vom 22.10.2020 dargelegt wird (S. 15 ff.). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass der deutsche Fahrzeugbrief keine vergleichbare Überzeugungskraft hat wie die entsprechenden niederländischen Fahrzeugpapiere (Gutachten vom 22.10.2020, S. 20). Ferner liegen hier zahlreiche Anhaltspunkte vor, die niederländische Gerichte veranlasst hätten, hier nicht vom guten Glauben des Klägers auszugehen: Die äußere Situation des Geschäftsabschlusses war nicht vertrauenserweckend, der Kläger hat die Identität des Veräußerers nicht überprüft, der Kläger hat den erheblichen Kaufpreis bar bezahlt und der Kaufpreis war ungewöhnlich niedrig, was dem Kläger auch bewusst war (Gutachten vom 22.10.2020, S. 20 f.). …