Vereinbaren die Parteien eines Kfz-Kaufvertrags im Anschluss an eine – hier durch den Austausch des Turboladers erfolgte – Nachbesserung, dass damit „alle gegenseitigen Ansprüche abgegolten“ sind, dann steht der Wirksamkeit dieser Abgeltungsvereinbarung zwar nicht § 476 I 1 BGB entgegen, da sie erst nach der Mitteilung eines Mangels getroffen wurde. Die Abgeltungsvereinbarung ist aber interessengerecht dahin auszulegen, dass sie ausschließlich den Mangel erfasst, der Gegenstand der Nachbesserung war. Auf sonstige, dem Verkäufer noch nicht angezeigte Mängel erstreckt sich die Abgeltungsvereinbarung dagegen nicht.
LG Potsdam, Urteil vom 09.10.2020 – 8 O 189/19
Sachverhalt: Der Kläger kaufte von der Beklagten mit Vertrag vom 27.07.2018 einen Gebrauchtwagen Hyundai H‑1 zum Preis von 11.980 €. Dieses Fahrzeug wurde dem Kläger am selben Tag gegen Zahlung des Kaufpreises übergeben;.
Kurze Zeit nach der Übergabe funktionierte der Turbolader des Fahrzeugs nicht mehr. Der Kläger verbrachte den Wagen deshalb zu der Beklagten, die am 02.08.2018 den Turbolader durch einen anderen, gebrauchten Turbolader ersetzte. Bei der Rückgabe des Fahrzeugs an den Kläger, die am 03.08.2018 erfolgte, legte die Beklagte dem Kläger ein Schriftstück vor, in dem es handschriftlich hieß: „Kulanz, ohne Anerkennung einer Rechtspflicht gratis bei 156.819 km am 02.08.2018 – 1 Austauschturbolader ersetzt, somit sind alle gegenseitigen Ansprüche abgegolten“. Der Beklagte unterschrieb das Schriftstück.
Im Oktober 2018 zeigte der Kläger der Beklagten erneut einen Defekt des Turboladers an. Die Beklagte verwies den Kläger mit der Begründung, dass sie gerade mit ihrem Betrieb umziehe, an eine fremde Kfz-Werkstatt. Der Kläger verbrachte sein Fahrzeug daraufhin zur Kfz-Werkstatt des F in Berlin. Dort wurde der Turbolader ausgebaut und der Beklagten mit der Bitte übersandt, ihn beim Lieferanten zu reklamieren. Die Beklagte übersandte den Turbolader ihrerseits an ihre Lieferantin, die in Berlin ansässige T-GmbH. Diese wies die Reklamation indes als unbegründet zurück.
Der – nunmehr anwaltlich vertretene – Kläger forderte die Beklagte mit Schreiben vom 17.01.2019 auf, das streitgegenständliche Fahrzeug bis zum 06.02.2019 zum Zwecke der Nachbesserung bei ihm abzuholen. Die Beklagte teilte mit Schreiben vom 07.02.2019 mit, dass der Kläger wegen einer unsachgemäßen Reparatur des Turboladers in einem Fremdbetrieb die Kosten für einen neuen Turbolader tragen müsse; sie, die Beklagte, sei aus Kulanz bereit, diesen neuen Turbolader kostenlos in das Fahrzeug des Klägers einzubauen. Der Kläger stellte daraufhin mit Schreiben vom 13.02.2019 klar, dass die Beklagte auf ihre Kosten einen Turbolader zu besorgen und diesen – ebenfalls auf ihre Kosten – in das streitgegenständliche Fahrzeug einzubauen habe.
Nachdem der Kläger die Beklagte mit Schreiben vom 26.02.2019 nochmals zur Nacherfüllung aufgefordert und ihr dafür – erfolglos – eine Frist bis zum 22.03.2019 gesetzt hatte, erklärte er mit Schreiben vom 01.04.2019 den Rücktritt von dem hier interessierenden Kaufvertrag und forderte die Beklagte auf, diesen bis zum 12.04.2019 rückabzuwickeln.
Mit seiner Klage hat der Kläger von der Beklagten verlangt, ihm Zug um Zug gegen Rückgewähr des streitgegenständlichen Fahrzeugs den dafür gezahlten Kaufpreis (11.980 € nebst Zinsen) zu erstatten. Außerdem hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten begehrt.
Die Beklagte hat geltend gemacht, dass die Klage wegen der am 03.08.2018 getroffenen Abgeltungsvereinbarung unbegründet sei. Der Kläger hat dagegen eingewandt, das in Rede stehende Schriftstück enthalte schon keine Abgeltungsvereinbarung, weil es nicht (auch) vonseiten der Beklagten unterzeichnet worden sei. Jedenfalls sei eine etwa getroffene Abgeltungsvereinbarung unwirksam.
Im Übrigen hat die Beklagte bestritten, dass der Turbolader mangelhaft sei. Sollte der Turbolader defekt sein – so hat die Beklagte geltend gemacht – handele es sich dabei mit Blick darauf, dass das streitgegenständliche Fahrzeug bei Abschluss des Kaufvertrags schon 8,5 Jahre alt gewesen sei, um normalen Verschleiß. Abgesehen davon habe ihre – der Beklagten – Lieferantin fesgestellt, dass der Turbolader mit einer silikonartigen Substanz verunreinigt sei, die offenbar unsachgemäß als Dichtmasse genutzt worden sei. Das Fahrzeug des Klägers sei wegen des (angeblich) defekten Turboladers in drei Kfz-Werkstätten gewesen; dort seien unsachgemäße Arbeiten vorgenommen worden.
Die Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises gemäß §§ 433 I, 434 II, 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 323 I, 346 I BGB.
Der Geltendmachung etwaiger Ansprüche, die dem Kläger zunächst aufgrund einer Mangelhaftigkeit des Turboladers i. S. von § 434 I BGB zugestanden haben könnten, mithin auch das Recht auf Rücktritt vom Kaufvertrag, steht jedenfalls die Vereinbarung vom 03.08.2018 entgegen.
Bei dem Kaufvertrag über das streitgegenständliche Fahrzeug handelt es sich zwar um einen Verbrauchsgüterkauf i. S. des § 474 I 1 BGB, der den besonderen verbraucherschützenden Regelungen der §§ 475 ff. unterliegt. Die Unwirksamkeit einer zwischen dem Verbraucher und dem Unternehmer getroffenen Vereinbarung, die zum Nachteil des Verbrauchers unter anderem von den Sachmangelgewährleistungsrechten abweicht, ist indes nur dann gesetzliche Folge des § 476 I 1 BGB, wenn die Vereinbarung vor Mitteilung eines Mangels getroffen wird. Nach Mitteilung des Mangels besteht wieder „normale“ Vertragsfreiheit (vgl. Reinking/Eggert, Der Autokauf, 13. Aufl. [2017], Rn. 3964).
Mit der vom Kläger unterzeichneten Erklärung vom 03.08.2018 ist vorliegend zwischen den Parteien eine Vereinbarung erst getroffen worden, nachdem der Kläger der Beklagten die Mangelhaftigkeit des Turboladers angezeigt und die Beklagte „ohne Anerkennung einer Rechtspflicht“ einen Austausch vorgenommen hatte. § 476 I 1 BGB steht der Wirksamkeit der Vereinbarung mithin nicht entgegen.
Aus maßgeblicher objektiver Empfängersicht konnte und durfte der Kläger gemäß §§ 133, 157 BGB die ihm vorgelegte Erklärung der Beklagten („1 Austauschturbolader ersetzt, somit sind alle gegenseitigen Ansprüche abgegolten“) als Angebot auf Abschluss einer Vereinbarung nur des Inhalts verstehen, dass sämtliche etwaigen Ansprüche mit der Rücknahme des reparierten Fahrzeugs ausgeschlossen sein sollten (vgl. LG Berlin, Urt. v. 25.01.2012 – 33 O 259/11, juris Rn. 19), wobei das Angebot interessengerecht dahin ausgelegt werden muss, dass sich diese Abgeltungsklausel ausschließlich auf den mitgeteilten Mangel des Turboladers, nicht auf sonstige, noch nicht angezeigte Mängel bezieht (vgl. Reinking/Eggert, a. a. O., Rn. 3964). In dieser Auslegung verstößt die Vereinbarung weder gegen § 476 I 1 BGB noch gegen die §§ 307 ff. BGB (wobei es sich ohnehin unzweifelhaft um eine Individualvereinbarung handelt).
Der Kläger hat mit seiner Unterschrift das Angebot der Beklagten auf Abschluss der oben angegebenen Vereinbarung auch angenommen. Woraus für das Zustandekommen der Vereinbarung die Notwendigkeit auch der Unterschrift der Beklagten resultieren soll, ist klägerseits weder dargelegt noch sonst ersichtlich.
Der Antrag zu 2 (Annahmeverzug) teilt als Annexantrag das Schicksal des Antrags zu 1. …