Zu den inhaltlichen Anforderungen an die Berufungsbegründung (hier: Abweisung einer Klage wegen Inverkehrbringens eines Kraftfahrzeugs mit unzulässiger Abschalteinrichtung).
BGH, Beschluss vom 25.08.2020 – VI ZB 67/19
(vorangehend: OLG Oldenburg, Beschluss vom 06.09.2019 – 5 U 262/19)
Sachverhalt: Der Kläger nimmt die Beklagte im Zusammenhang mit dem Erwerb eines VW Golf im Jahr 2014 auf Schadensersatz in Anspruch. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgestattet und deshalb vom VW-Abgasskandal betroffen. Seine Motorsteuerung war so programmiert, dass die Abgasrückführung auf dem Prüfstand in einen stickoxid(NOX)-optimierten Betriebsmodus versetzt wurde, während sie außerhalb des Prüfstands – im Straßenverkehr – im nicht NOX-optimierten Betriebsmodus operierte. Nach Bekanntwerden der Funktionsweise der Motorsteuerungssoftware und einer Rückrufaufforderung durch das Kraftfahrt-Bundesamt erhielt der streitgegenständliche Pkw ein von der Beklagten entwickeltes Softwareupdate.
Mit seiner Klage hat der Kläger die Zahlung von 2.800 € nebst Zinsen als Ausgleich für einen durch den VW-Abgasskandal verursachten Minderwert des Fahrzeugs bei einem Weiterverkauf verlangt. Daneben hat die Feststellung verlangt, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihm sämtliche weitere materiellen Schäden zu ersetzen, die aus der manipulierten Software des von ihm erworbenen Fahrzeugs resultieren, und den Ersatz vorgerichtlich entstandener Rechtsanwaltskosten begehrt. Gestützt hat der Kläger die geltend gemachten Ansprüche auf § 826 BGB und auf § 823 II BGB i. V. mit § 263 StGB.
Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Gegen dieses Urteil hat der Kläger Berufung eingelegt. Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Berufungsgericht die Berufung als unzulässig verworfen, da die Berufungsbegrüddung nicht den gesetzlichen Anforderungen des § 520 III 2 Nr. 2 ZPO genüge. Es fehle an einer ordnungsgemäßen Berufungsbegründung, weil sich der Kläger mit den die Abweisung tragenden Ausführungen des Landgerichts zur Unzulässigkeit und Unbegründetheit der Klage nicht auseinandergesetzt habe. Die dagegen gerichtete Rechtsbeschwerde des Klägers hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: [5] II. Die gemäß § 522 I 4, § 574 I 1 Nr. 1 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist unzulässig. Die Voraussetzungen des § 574 II ZPO sind nicht erfüllt. Insbesondere ist eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts nicht zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 574 II Nr. 2 ZPO) erforderlich. Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde verletzt der angefochtene Beschluss nicht den Anspruch des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 I GG) und wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 I GG i. V. mit dem Rechtsstaatsprinzip; vgl. BVerfG [3. Kammer des Zweiten Senats], Beschl. v. 05.08.2002 – 2 BvR 1108/02, NJW 2003, 281 m. w. Nachw.).
[6] Die Beurteilung des Berufungsgerichts, dass der Schriftsatz des Prozessbevollmächtigten des Klägers vom 21.08.2019 inhaltlich nicht den Anforderungen des § 520 III ZPO an eine Berufungsbegründung entspricht, ist nicht zu beanstanden.
[7] 1. Nach § 520 III 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben; nach § 520 III 2 Nr. 3 ZPO muss sie konkrete Anhaltspunkte bezeichnen, die Zweifel an der Richtigkeit oder Vollständigkeit der Tatsachenfeststellungen im angefochtenen Urteil begründen und deshalb eine erneute Feststellung gebieten. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Besondere formale Anforderungen bestehen zwar nicht; auch ist es für die Zulässigkeit der Berufung ohne Bedeutung, ob die Ausführungen in sich schlüssig oder rechtlich haltbar sind. Die Berufungsbegründung muss aber auf den konkreten Streitfall zugeschnitten sein. Es reicht nicht aus, die Auffassung des Erstgerichts mit formularmäßigen Sätzen oder allgemeinen Redewendungen zu rügen oder lediglich auf das Vorbringen in erster Instanz zu verweisen (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschl. v. 11.02.2020 – VI ZB 54/19, NJW-RR 2020, 503 Rn. 5 m. w. Nachw.). Hat das Erstgericht die Abweisung der Klage auf mehrere voneinander unabhängige, selbstständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung in dieser Weise jede tragende Erwägung angreifen; andernfalls ist das Rechtsmittel unzulässig (st. Rspr., vgl. nur Senat, Beschl. v. 11.02.2020 – VI ZB 54/19, NJW-RR 2020, 503 Rn. 6 m. w. Nachw.). Bei einem teilbaren Streitgegenstand oder bei mehreren Streitgegenständen muss sich die Berufungsbegründung grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Änderung beantragt wird (vgl. Senat, Urt. v. 22.11.2011 – VI ZR 26/11, VersR 2012, 192 Rn. 6 m. w. Nachw.; Urt. v. 04.07.2013 – III ZR 52/12, NJW-RR 2014, 492 Rn. 56 m. w. Nachw.).
[8] 2. Diesen Anforderungen wird die Berufungsbegründung des Klägers nicht gerecht. Sie enthält hinsichtlich keiner der streitgegenständlichen prozessualen Ansprüche einen hinreichenden inhaltlichen Bezug zu den Entscheidungsgründen des angegriffenen Urteils.
[9] a) Im Hinblick auf den geltend gemachten Zahlungsanspruch geht bereits die Zusammenfassung der Entscheidungsgründe in der Berufungsbegründung, wonach nach Auffassung des Landgerichts die Beklagte weder arglistig getäuscht habe, noch eine sittenwidrige Schädigung des Klägers vorliege, und die erste inhaltliche Rüge, das Landgericht sehe die Voraussetzungen des Betrugstatbestands nach § 263 I StGB zu Unrecht als nicht vorliegend an, am Inhalt des landgerichtlichen Urteils vorbei. Denn das Landgericht hat sich mit den tatbestandlichen Voraussetzungen der in Betracht kommenden deliktischen Ansprüche nicht befasst, sondern die Klageabweisung hinsichtlich des geltend gemachten Ersatzanspruchs wegen des angeblichen merkantilen Minderwerts des Fahrzeugs ausschließlich damit begründet, dass diese Position nach den vom Kläger herangezogenen Anspruchsgrundlagen unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt ersatzfähig ist. Die Berufungsbegründung lässt nicht erkennen, welche tatsächlichen oder rechtlichen Gründe sie den hierzu vom Landgericht angeführten Argumenten entgegensetzen will.
[10] aa) Mit der Ansicht des Landgerichts, der als Schadensposition geltend gemachte merkantile Minderwert des Fahrzeugs betreffe das von deliktischen Ansprüchen nicht erfasste Erfüllungsinteresse, setzt sich die Berufungsbegründung nicht auseinander. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ergibt sich zu dieser Frage auch nichts aus den von der Berufungsbegründung hinsichtlich der „Makelbehaftung“ des Fahrzeugs angeführten gerichtlichen Entscheidungen.
[11] bb) Auf die vom Landgericht gesehenen Widersprüche im erstinstanzlichen Klägervortrag zur hypothetischen Entscheidung des Klägers bei unterstelltem Wissen von einer Softwaremanipulation geht die Berufungsbegründung ebenfalls nicht ein, sondern wiederholt lediglich den erstinstanzlichen Vortrag, der Kläger hätte das Fahrzeug nicht bzw. nicht so erworben. Soweit die Berufungsbegründung insoweit ergänzend auf angeblich vom Landgericht berücksichtigten Vortrag des Klägers zu Äußerungen der Verkäuferseite bei Vertragsabschluss abhebt, findet sich weder an der von der Berufungsbegründung benannten noch an einer sonstigen Stelle des angegriffenen Urteils eine entsprechende Feststellung.
[12] cc) Die weitere Erwägung des Landgerichts, der Kläger hätte jedenfalls vortragen und unter Beweis stellen müssen, dass der nicht mit der Beklagten identische Verkäufer das Fahrzeug bei Kenntnis von der Softwaremanipulation zu einem geringeren Preis angeboten hätte, greift die Berufungsbegründung nicht an. Auch soweit das Landgericht konkreten Vortrag des Klägers zur Höhe des täuschungsbedingten Minderwerts des Fahrzeugs vermisst, tritt die Berufungsbegründung dem nicht entgegen, sondern verweist lediglich auf Instanzrechtsprechung, die einen merkantilen Minderwert der vom „Dieselskandal“ betroffenen Fahrzeuge in allgemeiner Form bejaht habe. Dass das Landgericht dem insoweit vom Kläger erstinstanzlich beantragten Sachverständigenbeweis nicht nachgegangen ist, wird von der Berufungsbegründung nicht gerügt.
[13] b) Hinsichtlich des vom Landgericht für unzulässig gehaltenen Feststellungsantrags bringt die Berufungsbegründung vor, aufgrund des Einbaus der Optimierungssoftware bestehe die Möglichkeit, dass zukünftig Schäden am Fahrzeug entstehen könnten, und verweist hierzu auf landgerichtliche Rechtsprechung, wonach „nicht auszuschließen“ bzw. „keineswegs abwegig“ sei, dass die Beseitigung der Manipulationssoftware negative Auswirkungen auf Fahrzeug und Fahrleistungen haben könne. Die Berufungsbegründung setzt aber der maßgeblichen Erwägung des Landgerichts nichts entgegen, wonach eine über die bloße Möglichkeit hinausgehende – bei reinen Vermögensschäden für die Zulässigkeit der Feststellungsklage notwendige (vgl. BGH, Urt. v. 24.01.2006 – XI ZR 384/03, VersR 2006, 1219 Rn. 27 m. w. Nachw.) – hinreichende Wahrscheinlichkeit solcher Schäden vom Kläger nicht dargelegt sei. Auch in diesem Zusammenhang wird im Übrigen das Übergehen eines Beweisangebots nicht gerügt.
[14] c) Bezüglich des geltend gemachten Anspruchs auf Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten geht die Berufungsbegründung in keiner Weise auf die vom Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 826 BGB unabhängigen Erwägungen des Landgerichts zur fehlenden Erforderlichkeit eines außergerichtlichen Vorgehens ein.