Werden im Zusammenhang mit dem VW-Abgasskandal ein im Ausland ansässiger Kfz-Hersteller, ein in Deutschland ansässiger Importeur und ein ebenfalls im Inland ansässiger Kfz-Händler aus Delikt auf Schadensersatz in Anspruch genommen, kann sich die internationale Zuständigkeit der deutschen Gerichte in Bezug auf den Kfz-Hersteller aus Art. 8 Nr. 1 EuGVVO ergeben und so eine Bestimmung des zuständigen Gerichts nach § 36 I Nr. 3 ZPO ermöglichen.
OLG Hamm, Beschluss vom 02.04.2020 – 32 SA 73/19
Sachverhalt: Der Kläger mit Wohnsitz in D. hat unter dem 30.11.2018 beim LG Bielefeld Klage gegen eine in E. im Bezirk des LG Köln ansässige Kfz-Händlerin (Beklagte zu 1) sowie die in Weiterstadt ansässige ŠKODA AUTO Deutschland GmbH (Beklagte zu 2) erhoben und diese Klage unter dem 08.08.2019 auf die in die in Mladá Boleslav,, Tschechische Republik, ansässige ŠKODA Auto a.s. (Beklagte zu 3) erweitert. Er begehrt von den Beklagten als Gesamtschuldnern hauptsächlich die Zahlung von 17.979,00 € und will festgestellt haben, dass ihm die Beklagten zum Schadensersatz verpflichtet sind.
Der Klage liegt zugrunde, dass der Kläger von der Beklagten zu 1 mit Kaufvertrag vom 31.03.2016 einen Gebrauchtwagen zum Preis von 17.979 € erwarb. Herstellerin des Fahrzeugs ist die Beklagte zu 3; die Beklagte zu 2 ist die deutsche Importeurin. Das in Rede stehende Fahrzeug ist nach der Behauptung des Klägers vom sogenannten VW-Abgasskandal betroffen und – so macht der Kläger geltend – trotz Installation eines Softwareupdates (weiterhin) mangelhaft.
Alle Beklagten nimmt der Kläger, der den Beklagten eine arglistige Täuschung vorwirft, aus Delikt, insbesondere aus § 826 BGB, in Anspruch. Gegenüber der Beklagten zu 1 stützt er sich zudem und primär auf die kaufrechtliche Gewährleistung.
Das LG Bielefeld hat die Sache mit Beschluss vom 12.12.2019 dem OLG Hamm zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt (§ 36 I Nr. 3 ZPO). Zuvor hatte die Beklagten zu 2 die örtliche Zuständigkeit des LG Bielefeld gerügt, und die Beklagte zu 3 hatte dessen internationale Zuständigkeit gerügt (Schriftsatz vom 08.03.2019 bzw. vom 28.10.2019). Der Kläger hatte daraufhin die Bestimmung des zuständigen Gerichts beantragt (Schriftsatz vom 31.10.2019).
Der 32. Zivilsenat des OLG Hamm hat die Parteien mit Verfügung vom 29.01.2020 angehört. Die Beklagten zu 2 und zu 3 haben unter dem 14.02.2020 Stellung genommen und beantragt, den Antrag auf Zuständigkeitsbestimmung abzulehnen.
Als zuständiges Gericht wurde das LG Köln bestimmt.
Aus den Gründen: II. 1. Das OLG Hamm ist gemäß § 36 II ZPO für die Gerichtsstandbestimmung zuständig. Das nächst höhere gemeinschaftliche Gericht im Verhältnis zu den Landgerichten Bielefeld (allgemeiner Gerichtsstand des Klägers), Köln (allgemeiner Gerichtsstand der Beklagten zu 1) und Darmstadt (allgemeiner Gerichtsstand der Beklagten zu 2) wäre der BGH; das im Bezirk des OLG Hamm gelegene LG Bielefeld wurde zuerst mit der Sache befasst.
2. Dass die in der Tschechischen Republik ansässige Beklagte zu 3 ihren allgemeinen Gerichtsstand nicht in Deutschland hat, steht einer Bestimmung gemäß bzw. in entsprechender Anwendung des § 36 I Nr. 3, II ZPO nicht entgegen (vgl. BGH, Beschl. v. 06.11.1970 – I ARZ 228/70, NJW 1971, 196 = juris Rn. 4; OLG Dresden, Beschl. v. 22.09.2010 – 3 AR 52/10, IPRspr 2010, 590 Nr. 237 = juris Rn. 9), zumal vorliegend – wenngleich diese Bewertung zur internationalen Zuständigkeit das Hauptsachegericht nicht bindet (OLG Dresden, Beschl. v. 22.09.2010 – 3 AR 52/10, IPRspr 2010, 590 Nr. 237 = juris Rn. 9 m. w. Nachw.) – die deutsche internationale Zuständigkeit gegeben ist und deshalb deutsches Zivilprozessrecht Anwendung findet (vgl. dazu MünchKomm-ZPO/Patzina, 5. Aufl. [2016], § 36 Rn. 3 m. w. Nachw.; Zöller/Schultzky , ZPO 33. Aufl. [2020], § 36 Rn. 6).
Denn (auch) bezogen auf die Beklagte zu 3 ist die deutsche internationale Zuständigkeit gegeben. Die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte folgt vorliegend schon aus Art. 8 Nr. 1 EuGVVO. Nach dieser Vorschrift kann eine Person mit einem Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaates, wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden (sollen), auch vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, verklagt werden. Dazu muss zwischen den Klagen aufgrund einer gegebenen engen Beziehung eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheinen, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten. So verhält es sich hier. Die geltend gemachten Ansprüche sind tatsächlich und rechtlich so eng verknüpft, dass es prozessökonomisch sinnvoll ist, dass die Beklagten als Streitgenossen gemeinschaftlich verklagt werden können. Zentraler, gegenüber allen Beklagten vorgebrachter Grund für das klägerische Schadensersatzbegehren ist der vom Kläger behauptete Umstand, er habe ein gebrauchtes Fahrzeug mit einem vom sogenannten Abgasskandal betroffenen Motor erworben, was ihm bei Vertragsschluss verschwiegen worden sei (eine enge Beziehung in einem vergleichbaren Fall, an dem auch die Beklagten zu 2 und zu 3 beteiligt waren hat der Senat bereits bejaht: Senat, Beschl. v. 06.05.2019 – 32 SA 57/18, n. v.).
Dass die Klage im vorliegenden Fall nicht im allgemeinen Gerichtsstand einer der Beklagten, sondern beim LG Bielefeld erhoben wurde, steht der Annahme der internationalen Zuständigkeit nicht entgegen, weil – wie noch auszuführen ist – für die Hauptsache ein den Anforderungen des Art. 8 Nr. 1 EuGVVO genügender Gerichtsstand bestimmt werden kann. Die Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 I Nr. 3 ZPO hindert die beim LG Bielefeld erhobene Klage nicht. Eine Bestimmung nach dieser Vorschrift ist bereits vor Klageerhebung möglich.
3. Die Voraussetzungen für eine Bestimmung des zuständigen Gerichts gemäß § 36 I Nr. 3 ZPO liegen vor (zu vergleichbaren Konstellationen: Senat, Beschl. v. 06.05.2019 – 32 SA 57/18, n. v.; Beschl. v. 14.06.2018 – 32 SA 14/18, juris; Beschl. v. 11.12.2017 – 32 SA 62/17, juris; OLG Köln, Beschl. v. 01.09.2017 – 8 AR 25/17, juris).
a) Die Beklagten haben unterschiedliche allgemeine Gerichtsstände gemäß §§ 12, 17 I ZPO. Die Beklagte zu 1 hat ihren allgemeinen Gerichtsstand im Bezirk des LG Köln, die Beklagte zu 2 im Bezirk des LG Darmstadt, die Beklagte zu 3 in Mladá Boleslav,, Tschechische Republik.
b) Ein gemeinsamer Gerichtsstand aller Beklagten, der einer Gerichtsstandbestimmung entgegenstünde, lässt sich auch unter Berücksichtigung besonderer Gerichtsstände nicht mit hinreichender Bestimmtheit feststellen.
Ein gemeinsamer besonderer Gerichtsstand für die geltend gemachten vertraglichen Ansprüche gegen die Beklagte zu 1 und die geltend gemachten deliktischen Ansprüche gegen alle Beklagten ist auf der Grundlage des bisherigen Sachvortrages nicht sicher zu erkennen.
So besteht für die gegenüber der Beklagten zu 1 geltend gemachten Ansprüche kein besonderer Gerichtsstand beim LG Darmstadt oder in Mladá Boleslav,, Tschechische Republik.
Ein besonderer Gerichtsstand (jedenfalls) für die gegen die Beklagten geltend gemachten deliktischen Ansprüche im Bezirk des LG Bielefeld oder im Bezirk des LG Köln ist ebenfalls nicht sicher festzustellen. Der Kläger hat nicht näher vorgetragen, dass der Handlungs- oder der Erfolgsort einer nach seiner Auffassung erfolgten unerlaubten Handlung, für die die Beklagten zu 2 und 3 einzustehen hätten, im Bezirk des LG Bielefeld liegt. Auf Zweifel an seiner Zuständigkeit in Bezug auf die Beklagten zu 2 und 3 hat das LG Bielefeld zudem in seinem Vorlagebeschluss vom 12.12.2019 zu Recht hingewiesen.
Die bislang unzureichend geklärte Frage eines gemeinschaftlichen Gerichtsstands der Beklagten zu 1 bis 3 im Bezirk des LG Köln braucht im vorliegenden Fall nicht entschieden zu werden, da die Zuständigkeitsbestimmung – wie noch auszuführen ist – zweckmäßigerweise auf die Bestimmung des LG Köln hinausläuft und ein anderer gemeinschaftlicher Gerichtsstand aller Beklagten nicht in Betracht kommt (zu der Fragestellung vgl. auch Senat, Beschl. v. 22.08.2016 – 32 SA 41/16, juris Rn. 15).
c) Die Beklagten werden vorliegend als Streitgenossen i. S. von § 36 I Nr. 3, §§ 59, 60 ZPO in Anspruch genommen.
Der Begriff der Streitgenossenschaft gemäß §§ 59, 60 ZPO ist grundsätzlich weit auszulegen. Streitgenossenschaft setzt nicht zwingend eine Identität oder Gleichheit des tatsächlichen und rechtlichen Grundes der geltend gemachten Ansprüche voraus. Es ist auch nicht erforderlich, dass eine gemeinsame und einheitliche Entscheidung über die Ansprüche der Beklagten notwendig ist. Streitgenossenschaft i. S. der §§ 59, 60 ZPO kann vielmehr bereits angenommen werden, wenn die Ansprüche in einem inneren sachlichen Zusammenhang stehen, der sie ihrem Wesen nach als gleichartig erscheinen lässt, und die gemeinsame Verhandlung und Entscheidung zweckmäßig ist (vgl. nur Zöller/Althammer, 33. Aufl. [2020], §§ 59, 60 ZPO Rn. 7 m. w. Nachw.). Der Annahme eines Zusammenhangs steht es dabei nicht entgegen, wenn die mit der Klage geltend gemachten Ansprüche einerseits auf deliktischen und andererseits auf vertraglichen Grundlagen beruhen (BayObLG, Beschl. v. 20.07.2005 – 1Z AR 118/05, juris Rn. 15).
Dass Verkäufer und Hersteller in einer Konstellation wie der vorliegenden Streitgenossen sind, hat der BGH entschieden (BGH, Beschl. v. 06.06.2018 – X ARZ 303/18, juris Rn. 13) und hierzu Folgendes ausgeführt:
„Die gegen den Verkäufer und den Hersteller gerichteten Ansprüche sind ihrem Inhalt nach gleichartig, weil sie jeweils darauf gerichtet sind, den Kläger von den Folgen seiner Kaufentscheidung zu befreien. Sie werden auf einen im Wesentlichen gleichen Lebenssachverhalt gestützt, beruhen also auf im Wesentlichen gleichartigen tatsächlichen Gründen: Maßgeblicher Anknüpfungspunkt des Klagevorbringens gegen beide Beklagte sind der Schadstoffausstoß und Kraftstoffverbrauch des verkauften Fahrzeugs, darauf bezogene werbende Äußerungen der Beklagten zu 2 und deren Einfluss auf die Kaufentscheidung der Klägerin. Dass weitere Sachverhaltselemente nur im Verhältnis zur einen oder zur anderen Beklagten relevant sein mögen, ist unschädlich, denn § 60 ZPO verlangt nicht, dass die anspruchsrelevanten Sachverhalte deckungsgleich sind. Auch in rechtlicher Hinsicht sind die Anspruchsgründe im Wesentlichen gleichartig, denn die in Rede stehenden Herstellerangaben stellen nach der Klagebegründung unter kaufrechtlichen wie deliktsrechtlichen Gesichtspunkten ein wesentliches Anspruchselement dar. Sie sind nicht nur unmittelbarer Anknüpfungspunkt für die gegen die Beklagte zu 2 erhobenen Ansprüche aus unerlaubter Handlung, sondern im Hinblick auf ihre mögliche Bedeutung für die Sollbeschaffenheit der Kaufsache (§ 434 I 3 BGB) auch für die geltend gemachten Gewährleistungsansprüche von zentraler Bedeutung. Die nur im Verhältnis zu einzelnen Beklagten relevanten zusätzlichen Aspekte (Erfordernis einer Gelegenheit zur Nacherfüllung einerseits, Zurechnungs- und Kausalitätsfragen andererseits) stehen (…) rechtlich nicht derart im Mittelpunkt, dass sie die wesentliche Gleichartigkeit des Anspruchsgrundes in rechtlicher Hinsicht infrage stellen könnten.“
Die vorstehenden Gesichtspunkte sind im vorliegenden Fall nicht nur auf die Beklagten zu 1 und 3 anwendbar, sondern auch auf die Beklagte zu 2. Sie war nach dem Klagevorbringen als Importeurin aufseiten des VW-Konzerns in die Vermarktung der in Tschechien von der Beklagten zu 3 hergestellten und mit der Manipulationssoftware versehenen Fahrzeuge einbezogen.
Der dargestellten Rechtsprechung des BGH schließt sich der Senat entsprechend seiner bisherigen Rechtsprechung an (Senat, Beschl. v. 06.05.2019 – 32 SA 57/18, n. v.; Beschl. v. 14.06.2018 – 32 SA 14/18, juris; Beschl. v. 11.12.2017 – 32 SA 62/17, juris).
4. Als zuständiges Gericht wird das LG Köln bestimmt.
Die Bestimmung des zuständigen Gerichts erfolgt nach ständiger Rechtsprechung unter anderem des Senates nach Zweckmäßigkeitsgesichtspunkten und gemäß der Prozesswirtschaftlichkeit im Wege der Ermessensentscheidung (vgl. BGH, Beschl. v. 07.02.2007 – X ARZ 423/06, NJW 2007, 1365 Rn. 14; Senat, Beschl. v. 30.08.2012 – 32 SA 76/12, MDR 2013, 116 Rn. 22; Zöller/Schultzky, a. a. O., § 36 Rn. 28 m. w. Nachw.). Anknüpfungspunkt für die Ausübung dieses Auswahlermessens ist in der Regel ein anderweitig bestehender (allgemeiner oder besonderer) Gerichtsstand. Dabei gilt der Grundsatz, dass regelmäßig nur ein Gericht bestimmt werden kann, bei dem wenigstens einer der Streitgenossen seinen allgemeinen Gerichtsstand hat.
Da die verbindliche Bestellung des Fahrzeugs im Bezirk des LG Köln erfolgte, besteht in den Augen des Senats eine größere Sachnähe zum dortigen Bezirk. Es ist auch nicht zu erkennen, dass es für die bundesweit am Markt auftretende Beklagte zu 2 und die international agierende Beklagte zu 3 nicht zumutbar wäre, ihre Rechte vor dem LG Köln zu verteidigen.
III. Eine Vorlage an den BGH nach § 36 III 1 ZPO ist nicht veranlasst. Soweit ersichtlich, steht die vorliegende Entscheidung im Einklang mit dessen Rechtsprechung und widerspricht in den entscheidungserheblichen Fragen nicht der Rechtsprechung eines anderen Oberlandesgerichts.