1. Einen Gebrauchtwagenhändler trifft keine generelle, anlassunabhängige Obliegenheit, ein Fahrzeug vor dem Verkauf umfassend zu untersuchen. Vielmehr kann er zu einer Überprüfung des Fahrzeugs nur aufgrund besonderer Umstände, die für ihn einen konkreten Verdacht auf Mängel begründen, gehalten sein, etwa dann, wenn er die Vorschädigung eines zu veräußernden Fahrzeugs kennt. Abgesehen von diesen Fällen ist der Händler grundsätzlich nur zu einer fachmännischen äußeren Besichtigung („Sichtprüfung“) verpflichtet (im Anschluss u. a. an BGH, Urt. v. 15.04.2015 – VIII ZR 80/14, juris Rn. 14 m. w. Nachw.).
  2. Ein Gebrauchtwagenhändler hat Anlass für eine über eine Sichtprüfung hinausgehende Untersuchung eines im Mai 2008 erstzugelassenen Fahrzeugs, wenn eine Seitenscheibe ausweislich des Scheibenstempels erst im September 2008 hergestellt wurde, während die übrigen Scheiben bereits 2007 hergestellt wurden. Denn zum einen gehört es zu einer fachmännischen Sichtprüfung, die Herstellungsdaten einzelner Fahrzeugteile mit dem Baujahr und der Erstzulassung des Fahrzeugs abzugleichen. Zum anderen muss sich dem Händler der Verdacht aufdrängen, dass ein Unfallschaden dazu geführt hat, dass in das Fahrzeug (nachträglich) eine nach seiner Erstzulassung hergestellte Scheibe eingebaut wurde.
  3. Ein Gebrauchtwagenhändler, der eine aufgrund besonderer Umstände gebotene Untersuchung eines zum Verkauf stehenden Fahrzeugs unterlässt und dies dem Käufer nicht mitteilt, muss sich den Vorwurf einer arglistigen Täuschung des Käufers gefallen lassen. Gleiches gilt, wenn der Händler dem Käufer verschweigt, dass er bei einer umfassenden Untersuchung des Fahrzeugs einen Unfallschaden festgestellt hat.

LG Erfurt, Urteil vom 16.10.2018 – 2 O 1179/17

Sachverhalt: Der Kläger begehrt die Rückabwicklung eines Kfz-Kaufvertrags, nachdem er die Anfechtung wegen arglistiger Täuschung erklärt hat.

Der Kläger am 09.07.2014 von der Beklagten, einer gewerblichen Gebrauchtwagenhändlerin, für 5.950 € einen Dacia Logan MCV 1.6 16V (Baujahr 2008) in der Ausstattungsvariante „Lauréate“. Im schriftlichen Kaufvertrag heißt es unter anderem: „Zahl, Art und Umfang von Unfallschäden lt. Vorbesitzer: –“. Bei Abschluss des Kaufvertrags betrug der Kilometerstand des Fahrzeugs 77.500.

Bei einer am 12.07.2017 durchgeführten Hauptuntersuchung wurde unter anderem festgestellt, dass die Trägerendspitzen hinten links durchgerostet waren. Bei einer Nachuntersuchung des Fahrzeugs wurden Roststellen am Schweller links festgestellt. Die Beklagte wies mit Schreiben vom 07.09.2017 sämtliche Gewährleistungsansprüche des Klägers zurück.

Der Kläger hat in der Klageschrift die Anfechtung seiner auf den Abschluss des Kaufvertrags gerichteten Willenserklärung wegen arglistiger Täuschung erklärt. Er behauptet, sein Fahrzeug habe vor Abschluss des Kaufvertrags einen Unfallschaden erlitten und sei im Juli 2014 instand gesetzt worden. Der Pkw weise flächige Nachlackierungen, gespachtelte Stellen und Roststellen auf; Teile des Fahrzeugs seien ausgetauscht worden. Dies – so macht der Kläger geltend – hätte die Beklagte bei einer fachmännischen äußeren Besichtigung des Fahrzeugs feststellen können; sie hätte ihm – dem Kläger – gegenüber deshalb jedenfalls den Verdacht äußern müssen, dass der Pkw einen Unfall erlitten habe.

Die Klage hatte im Wesentlichen Erfolg.

Aus den Gründen: Die Klage ist ganz überwiegend begründet und nur unter Berücksichtigung einer vom Kaufpreis abzuziehenden geringfügig höheren Nutzungsentschädigung teilweise unbegründet.

1. Die Beklagte ist gemäß § 812 I 1 Fall 1 BGB zur Rückzahlung des Kaufpreises unter Abzug einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 753,16 €, mithin in Höhe von 5.196,84 €, Zug um Zug gegen Rückgewähr des von dem Kläger erworbenen Pkw Dacia Logan verpflichtet. Der Kläger hat den Kaufvertrag wirksam wegen arglistiger Täuschung angefochten (vgl. § 123 I Fall 1 BGB). Die Verantwortlichen der Beklagten haben dem Kläger vor Abschluss des Vertrags einen erheblichen Mangel des Fahrzeugs arglistig verschwiegen.

a) Die mit der Klageschrift vom 03.11.2017 erklärte Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung ist wirksam (vgl. § 143 BGB).

Soweit sich die Beklagte auf die fehlende Vorlage der Originalvollmacht bezüglich der Anfechtung beruft, geht dies ins Leere. Die Anfechtung ist als einseitige empfangsbedürftige Willenserklärung zwar unwirksam, wenn der Bevollmächtigte eine Vollmachtsurkunde nicht vorlegt und der andere das Rechtsgeschäft aus diesem Grunde unverzüglich zurückweist (§ 174 Satz 1 BGB). Die Anfechtungserklärung des Prozessbevollmächtigten ist jedoch von der Prozessvollmacht, die ihm der Kläger erteilt hat, umfasst. Einen Mangel der Prozessvollmacht hat die Beklagte nicht gerügt.

b) Die Beklagte hat den Kläger über die Unfallfreiheit des Fahrzeugs arglistig getäuscht.

Unter einer Täuschung i. S. des § 123 I Fall 1 BGB versteht man die vorsätzliche Erregung, Bestärkung oder Aufrechterhaltung eines Irrtums, sei es durch das Vorspiegeln falscher oder das Verschweigen wahrer Tatsachen, um den Willensentschluss des Getäuschten zu beeinflussen. Ein Täuschungswille kann dabei nur vorliegen, wenn der Täuschende die Unrichtigkeit seiner Angaben kennt. Bei einer Täuschung durch Verschweigen eines offenbarungspflichtigen Mangels handelt arglistig, wer einen Fehler mindestens für möglich hält, gleichzeitig weiß oder damit rechnet und billigend in Kauf nimmt, dass der Vertragsgegner den Fehler nicht kennt und bei Offenbarung den Vertrag nicht oder nicht mit dem vereinbarten Inhalt geschlossen hätte. Macht der Täuschende unrichtige Angaben „ins Blaue hinein“, rechnet er mit der Unrichtigkeit und nimmt dies billigend in Kauf.

Nach diesen Grundsätzen liegt eine arglistige Täuschung der Beklagten vor.

aa) Das Fahrzeug weist nach dem Gutachten des Sachverständigen vom 26.07.2018 Unfallschäden im Bereich der linken hinteren Fahrzeugseite auf, die nicht fachgerecht behoben wurden. Das Gericht schließt sich den nachvollziehbaren Ausführungen des Sachverständigen vollumfänglich an. Im Rahmen der Reparaturarbeiten wurden demnach die Fondtür, die Seitenwandscheibe und teilweise die linke Seitenwand bis in den Schwellerbereich erneuert. An der Seitenwand und am Türsehweiler wurde Spachtelmasse aufgetragen, wodurch es zu erheblichen Abweichungen der Lackdicke kam.

Aus der Intensität und aufgrund des fortgeschrittenen Ausmaßes der Korrosion im Reparaturbereich schließt der Sachverständige darauf, dass der reparierte Unfallschaden bereits bei Abschluss des Kaufvertrags vorlag. Dies wird durch die Herstellungsdatierung der Seitenwandscheibe (September 2008) bestätigt. Dass das Fahrzeug bereits vor dem Verkauf an den Kläger einen Unfallschaden, wie vom Sachverständigen ausgeführt, erlitten hat, wird von der Beklagten nach Vorlage des Gutachtens nicht mehr bestritten.

bb) Diesen Unfallschaden hat die Beklagte arglistig verschwiegen. Denn die Beklagte hat im Kaufvertrag angegeben „Zahl, Art und Umfang von Unfallschäden lt. Vorbesitzer: – “, obgleich sie trotz hinreichender Anhaltspunkte eine umfassende Prüfung des Fahrzeugs auf Unfallschäden nicht durchgeführt und dem Kläger die fehlende Durchführung der erforderlichen Prüfung nicht mitgeteilt hat.

Den Gebrauchtwagenhändler trifft zwar keine generelle, anlassunabhängige Obliegenheit, das Fahrzeug vor dem Verkauf umfassend zu untersuchen (vgl. BGH, Urt. v. 19.06.2013 – VIII ZR 183/12, juris Rn. 24 f.; Urt. v. 07.06.2006 – VIII ZR 209/05, BGHZ 168, 64 = juris Rn. 15). Vielmehr kann er zu einer Überprüfung des Fahrzeugs nur aufgrund besonderer Umstände, die für ihn einen konkreten Verdacht auf Mängel begründen, gehalten sein (vgl. BGH, Urt. v. 21.01.1981 – VIII ZR 10/80, NJW 1981, 928, 929; Urt. v. 03.11.1982 – VIII ZR 282/81, NJW 1983, 217, 218; Urt. v. 29.01.1975 – VIII ZR 101/73, BGHZ 63, 382, 386 f.; Urt. v. 11.06.1979 – VIII ZR 224/78, BGHZ 74, 383, 388 ff.), etwa dann, wenn er die Vorschädigung eines zu veräußernden Fahrzeugs kennt (vgl. BGH, Urt. v. 14.04.2010 – VIII ZR 145/09, juris Rn. 29). Abgesehen von diesen Fällen ist der Händler grundsätzlich nur zu einer fachmännischen äußeren Besichtigung („Sichtprüfung“) verpflichtet (vgl. BGH, Urt. v. 15.04.2015 – VIII ZR 80/14, juris Rn. 14).

Nach diesen Grundsätzen ergab sich aus den Umständen ein konkreter Verdacht auf einen Unfallschaden, sodass die Beklagte zu einer genauen Prüfung des Fahrzeugs verpflichtet war.

Allein bei einer fachmännischen Sichtprüfung, das heißt ohne Einsatz von technischem Gerät oder Demontage von Teilen, hätte die Beklagte den Unfallschaden jedoch nicht feststellen können. Hierzu waren unter anderem der Einsatz eines Lackdickenmessgeräts, die Entfernung der Türdichtung zur Feststellung der fehlenden Schweißpunkt an den Kontaktstellen im Bereich des Türausschnitts und die Entfernung der Verkleidung der linken Fondtür erforderlich. Der Unfallschaden wäre nach den Ausführungen des Sachverständigen für eine technisch versierte Person bei intensiver Inaugenscheinnahme in diesem Sinne aber unschwer feststellbar gewesen.

Anlass für eine derartige intensive Prüfung gab die Herstellerkennzeichnung der Seitenscheiben. Denn die linke Seitenwandscheibe wurde nach der Herstellercodierung erst im September 2008 hergestellt, während die übrigen Fahrzeugscheiben bereits 2007 hergestellt wurden. Dies war nach den überzeugenden Feststellungen des Sachverständigen, denen sich das Gericht uneingeschränkt anschließt, ein deutlicher Hinweis für einen Unfallverdacht, da das Fahrzeug bereits im Mai 2008 erstmals zugelassen wurde. Für die Beklagte als gewerbliche Gebrauchtwagenhändlerin waren die Herstellerangaben – im Gegensatz zu einem Laien – auch unschwer zu erkennen und zu deuten, sodass sich der Verdacht eines nachträglichen Scheibeneinbaus aufdrängen musste. Den Feststellungen des Sachverständigen, dass die Beklagte das Herstellungsjahr der Scheiben erkennen konnte, ist die Beklagte auch nicht entgegengetreten. Schließlich ist der Abgleich der Herstellungsdaten einzelner Teile mit dem Baujahr und der Erstzulassung des Fahrzeugs nach Auffassung des Gerichts von einer fachmännischen Sichtprüfung umfasst und darf von einem Käufer erwartet werden.

Unerheblich ist, ob von der Beklagten als gewerblicher Gebrauchtwagenhändlerin mit eigener Werkstatt im Rahmen einer fachmännischen Sichtprüfung darüber hinausgehend nicht auch die stichprobenhafte Prüfung der Lackstärke mittels eines Lackdickenmessgeräts zu erwarten gewesen wäre. Dies erscheint aus Sicht des Gerichts jedenfalls naheliegend.

Die aufgrund der Verdachtsmomente gebotene umfassende Untersuchung hat die Beklagte unterlassen und dies dem Kläger nicht mitgeteilt. Alternativ hat sie die bei einer sorgfältigen Untersuchung festgestellten Unfallschäden dem Beklagten verschwiegen. Beides begründet eine arglistige Täuschung i. S. des § 123 I Fall 1 BGB.

c) Der erforderliche Ursachenzusammenhang zwischen der arglistigen Täuschung und dem Abschluss des Kaufvertrags ist gegeben. Bei Erteilung des erforderlichen Hinweises der Beklagten auf den Unfallverdacht bzw. darauf, das Fahrzeug nicht selbst ausreichend untersucht zu haben, hätte der Kläger vom Kauf Abstand genommen.

d) Danach steht dem Kläger gegen die Beklagte gemäß § 812 I 1 Fall 1, § 142 I, 123 I Fall 1 BGB ein Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises zu, unter Saldierung der von ihm gezogenen Nutzungen und Zug um Zug gegen Rückgabe des Fahrzeugs (vgl. § 812 I 1 Fall 1, §§ 818 II, 273 BGB).

Die in Abzug zu bringende Nutzungsentschädigung wird auf einen Betrag in Höhe von 753,16 € geschätzt.

Zur Ermittlung der gezogenen Nutzung im Wege der Schätzung (§ 287 ZPO) ist der Kaufpreis mit der voraussichtlichen Restfahrleistung ins Verhältnis zu setzen und mit der tatsächlichen Fahrleistung des Käufers zu multiplizieren (vgl. BGH, Urt. v. 17.05.1995 – VIII ZR 70/94, juris Rn. 23).

Der Tachostand war im Kaufvertrag mit 77.500 km angegeben und betrug bei der Untersuchung des Sachverständigen am 12.06.2018 90.264 km. Der Kläger ist somit 12.764 km gefahren, was einer monatlichen Laufleistung von durchschnittlich circa 279 km entspricht. Einschließlich einer geschätzten Laufleistung von weiteren 1.000 km bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung und einer geschätzten Gesamtlaufleistung von 200.000 km ergibt sich ein Nutzungsvorteil in Höhe von 753,16 €.

Im Ergebnis hat der Kläger daher Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 5.196,84 €. Ein darüber hinausgehender Anspruch auf Kaufpreisrückzahlung besteht dagegen nicht.

2. Die Anwaltskosten sind nach §§ 280 I, 311 II, 241 II BGB zu ersetzen. Der Anspruch aus culpa in contrahendo besteht im Fall einer arglistigen Täuschung neben dem Anfechtungsrecht (vgl. Palandt/Grüneberg, BGB, 77. Aufl. [2018], § 311 Rn. 13). Es war auch erforderlich, sich zur Verfolgung der Rückabwicklung anwaltlicher Hilfe zu bedienen (vgl. Palandt/Grüneberg, a. a. O., § 249 Rn. 56). Denn die Beklagte ließ mit Schreiben vom 07.09.2017 sämtliche Ansprüche des Klägers zurückweisen. Die Höhe ist nicht zu beanstanden und wird von der Beklagten auch nicht angegriffen.

3. Der Zinsanspruch ist … ebenfalls begründet (vgl. §§ 286 I 2, 288 I, 291 BGB). …

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