Der im Zu­sam­men­hang mit dem VW-Ab­gas­skan­dal auf Rück­ab­wick­lung ei­nes Kfz-Kauf­ver­trags in An­spruch ge­nom­me­ne Ver­käu­fer und die auf Scha­dens­er­satz in An­spruch ge­nom­me­ne Volks­wa­gen AG sind Streit­ge­nos­sen im Sin­ne von §§ 59, 60 ZPO, so­dass die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Ge­richts­stands­be­stim­mung nach § 36 I Nr. 3 ZPO er­füllt sind (im An­schluss an BGH, Beschl. v. 06.06.2018 – X ARZ 303/18).

OLG Hamm, Be­schluss vom 14.06.2018 – 32 SA 14/18

Sach­ver­halt: Der in Bie­le­feld wohn­haf­te Klä­ger hat vor dem LG Müns­ter Kla­ge er­ho­ben ge­gen ei­ne in Oel­de – und da­mit im Be­zirk des LG Müns­ter – an­säs­si­ge Be­trei­be­rin ei­nes Au­to­hau­ses (Be­klag­te zu 1) und ge­gen die in Wolfs­burg – al­so im Be­zirk des LG Braun­schweig – an­säs­si­ge Volks­wa­gen AG (Be­klag­te zu 2). Die Be­klag­te zu 1 nimmt er auf Rück­ab­wick­lung ei­nes Kauf­ver­trags über ei­nen Pkw ŠKO­DA Oc­ta­via Com­bi 1.6 TDI in An­spruch. Hin­sicht­lich der Be­klag­ten zu 2 be­gehrt der Klä­ger die Fest­stel­lung, dass die Be­klag­te zu 2 für al­le Schä­den ein­ste­hen müs­se, die aus ei­ner (be­haup­te­ten) Ma­ni­pu­la­ti­on die­ses Fahr­zeugs re­sul­tier­ten.

Zur Be­grün­dung sei­ner Kla­ge trägt der Klä­ger im We­sent­li­chen Fol­gen­des vor: Er ha­be das streit­ge­gen­ständ­li­che Fahr­zeug für 17.800 € von der Be­klag­ten zu 1 er­wor­ben, weil er sei­ner­zeit auf der Su­che nach ei­nem um­welt­freund­li­chen und wert­sta­bi­len Fahr­zeug ge­we­sen sei, das die Vor­aus­set­zun­gen für die grü­ne Um­welt­pla­ket­te er­fül­le. Die In­for­ma­tio­nen, die ihm die Be­klag­ten zum Schad­stoff­aus­stoß und zum Kraft­stoff­ver­brauch des Pkw er­teilt hät­ten, sei­en in­des falsch ge­we­sen; die Be­klag­ten hät­ten in­so­weit ge­lo­gen. Die Be­klag­te zu 2 und die Fahr­zeug­her­stel­le­rin, die Ško­da Au­to a.s., sei­en in ei­nem Kon­zern ver­bun­den, wo­bei die Be­klag­te zu 2 als Mut­ter­ge­sell­schaft sämt­li­che An­tei­le an der Ško­da Au­to a.s. hal­te. Die Ško­da Au­to a.s. ha­be des­halb von der Be­klag­ten zu 2 her­ge­stell­te – vom VW-Ab­gas­skan­dal be­trof­fe­ne – Mo­to­ren in die von ihr her­ge­stell­ten Fahr­zeu­ge ein­bau­en müs­sen.

Die Be­klag­te zu 2 hat in ih­rer Kla­ge­er­wi­de­rung gel­tend ge­macht, dass das LG Müns­ter ört­lich un­zu­stän­dig sei. Ei­ne Zu­stän­dig­keit ge­mäß § 32 ZPO kom­me nicht in Be­tracht, da der Klä­ger nicht dar­ge­legt ha­be, dass sie – die Be­klag­te zu 2 – ei­ne un­er­laub­te Hand­lung be­gan­gen ha­be und dem Klä­ger im Zu­stän­dig­keits­be­reich des an­ge­ru­fe­nen Ge­richts ein Ver­mö­gens­scha­den ent­stan­den sei.

Der Klä­ger hat dar­auf­hin be­an­tragt, dass das OLG Hamm das zu­stän­di­ge Ge­richt be­stim­men mö­ge. Die­ses hat als zu­stän­di­ges Ge­richt das LG Müns­ter be­stimmt.

Aus den Grün­den: II. Das OLG Hamm ist ge­mäß § 36 II ZPO für die Ge­richts­stand­be­stim­mung zu­stän­dig: Das nächst hö­he­re ge­mein­schaft­li­che Ge­richt im Ver­hält­nis zu den Land­ge­rich­ten Müns­ter und Braun­schweig wä­re der BGH; das im Be­zirk des OLG Hamm ge­le­ge­ne LG Müns­ter wur­de zu­erst mit der Sa­che be­fasst.

Die Vor­aus­set­zun­gen für ei­ne Be­stim­mung des zu­stän­di­gen Ge­richts ge­mäß § 36 I Nr. 3 ZPO lie­gen vor (ent­spre­chend in ver­gleich­ba­ren Kon­stel­la­tio­nen be­reits Se­nat, Beschl. v. 11.12.2017 – 32 SA 62/17, ju­ris; OLG Köln, Beschl. v. 01.09.2017 – 8 AR 25/17, ju­ris).

Die Be­klag­ten ha­ben un­ter­schied­li­che all­ge­mei­ne Ge­richts­stän­de ge­mäß §§ 12, 17 ZPO in den Be­zir­ken der Land­ge­rich­te Müns­ter und Braun­schweig. Ein ge­mein­sa­mer Ge­richts­stand lässt sich auch un­ter Be­rück­sich­ti­gung be­son­de­rer Ge­richts­stän­de nicht mit hin­rei­chen­der Be­stimmt­heit fest­stel­len.

Ein ge­mein­sa­mer be­son­de­rer Ge­richts­stand für die gel­tend ge­mach­ten ver­trag­li­chen An­sprü­che ge­gen die Be­klag­te zu 1 und die pri­mär gel­tend ge­mach­ten de­lik­ti­schen An­sprü­che ge­gen die Be­klag­te zu 2 ist nicht zu er­ken­nen. Für die ge­gen­über der Be­klag­ten zu 1 gel­tend ge­mach­ten An­sprü­che be­steht kein be­son­de­rer Ge­richts­stand beim LG Braun­schweig (all­ge­mei­ner Ge­richts­stand der Be­klag­ten zu 2). Ein be­son­de­rer Ge­richts­stand für die ge­gen die Be­klag­te zu 2 gel­tend ge­mach­ten de­lik­ti­schen An­sprü­che und für An­sprü­che aus der In­an­spruch­nah­me be­son­de­ren Ver­trau­ens im Be­zirk des LG Müns­ter (all­ge­mei­ner Ge­richts­stand der Be­klag­ten zu 1) ist eben­so nicht zu er­ken­nen: Der Klä­ger hat nicht vor­ge­tra­gen, dass der Hand­lungs- oder der Er­folgs­ort ei­ner nach Auf­fas­sung des Klä­gers er­folg­ten un­er­laub­ten Hand­lung, für die die Be­klag­te zu 2 ein­zu­ste­hen hät­te, im Be­zirk des LG Müns­ter liegt.

Die Be­klag­ten wer­den vor­lie­gend als Streit­ge­nos­sen i. S. von §§ 36 I Nr. 3, 59, 60 ZPO in An­spruch ge­nom­men.

Der Be­griff der Streit­ge­nos­sen­schaft ge­mäß §§ 59, 60 ZPO ist grund­sätz­lich weit aus­zu­le­gen. Streit­ge­nos­sen­schaft setzt nicht zwin­gend ei­ne Iden­ti­tät oder Gleich­heit des tat­säch­li­chen und recht­li­chen Grun­des der gel­tend ge­mach­ten An­sprü­che vor­aus. Es ist auch nicht er­for­der­lich, dass ei­ne ge­mein­sa­me und ein­heit­li­che Ent­schei­dung über die An­sprü­che der Be­klag­ten not­wen­dig ist. Streit­ge­nos­sen­schaft i. S. der §§ 59, 60 ZPO kann viel­mehr be­reits an­ge­nom­men wer­den, wenn die An­sprü­che in ei­nem in­ne­ren sach­li­chen Zu­sam­men­hang ste­hen, der sie ih­rem We­sen nach als gleich­ar­tig er­schei­nen lässt, und die ge­mein­sa­me Ver­hand­lung und Ent­schei­dung zweck­mä­ßig ist und nicht zu ei­ner Ver­wir­rung führt (vgl. nur Zöl­ler/Alt­ham­mer, ZPO, 32. Aufl. [2018], §§ 59, 60 Rn. 7 m. w. Nachw.). Der An­nah­me ei­nes Zu­sam­men­hangs steht es da­bei nicht ent­ge­gen, wenn die mit der Kla­ge gel­tend ge­mach­ten An­sprü­che ei­ner­seits auf de­lik­ti­schen und an­de­rer­seits auf ver­trag­li­chen Grund­la­gen be­ru­hen (Ba­yO­bLG, Beschl. v. 20.07.2005 – 1Z AR 118/05, ju­ris Rn. 15).

Dass Ver­käu­fer und Her­stel­ler in ei­ner Kon­stel­la­ti­on wie der vor­lie­gen­den  Streit­ge­nos­sen sind, hat jüngst auch der BGH ent­schie­den (Beschl. v. 06.06.2018 – X ARZ 303/18, ju­ris Rn. 13) und hier­zu Fol­gen­des aus­ge­führt:

„Die ge­gen den Ver­käu­fer und den Her­stel­ler ge­rich­te­ten An­sprü­che sind ih­rem In­halt nach gleich­ar­tig, weil sie je­weils dar­auf ge­rich­tet sind, den Klä­ger von den Fol­gen sei­ner Kauf­ent­schei­dung zu be­frei­en. Sie wer­den auf ei­nen im We­sent­li­chen glei­chen Le­bens­sach­ver­halt ge­stützt, be­ru­hen al­so auf im We­sent­li­chen gleich­ar­ti­gen tat­säch­li­chen Grün­den: Maß­geb­li­cher An­knüp­fungs­punkt des Kla­ge­vor­brin­gens ge­gen bei­de Be­klag­te sind der Schad­stoff­aus­stoß und Kraft­stoff­ver­brauch des ver­kauf­ten Fahr­zeugs, dar­auf be­zo­ge­ne wer­ben­de Äu­ße­run­gen der Be­klag­ten zu 2 und de­ren Ein­fluss auf die Kauf­ent­schei­dung der Klä­ge­rin. Dass wei­te­re Sach­ver­halts­ele­men­te nur im Ver­hält­nis zur ei­nen oder zur an­de­ren Be­klag­ten re­le­vant sein mö­gen, ist un­schäd­lich, denn § 60 ZPO ver­langt nicht, dass die an­spruchs­re­le­van­ten Sach­ver­hal­te de­ckungs­gleich sind. Auch in recht­li­cher Hin­sicht sind die An­spruchs­grün­de im We­sent­li­chen gleich­ar­tig, denn die in Re­de ste­hen­den Her­stel­ler­an­ga­ben stel­len nach der Kla­ge­be­grün­dung un­ter kauf­recht­li­chen wie de­liktsrecht­li­chen Ge­sichts­punk­ten ein we­sent­li­ches An­spruchs­ele­ment dar. Sie sind nicht nur un­mit­tel­ba­rer An­knüp­fungs­punkt für die ge­gen die Be­klag­te zu 2 er­ho­be­nen An­sprü­che aus un­er­laub­ter Hand­lung, son­dern im Hin­blick auf ih­re mög­li­che Be­deu­tung für die Soll­be­schaf­fen­heit der Kauf­sa­che (§ 434 I 3 BGB) auch für die gel­tend ge­mach­ten Ge­währ­leis­tungs­an­sprü­che von zen­tra­ler Be­deu­tung. Die nur im Ver­hält­nis zu ein­zel­nen Be­klag­ten re­le­van­ten zu­sätz­li­chen As­pek­te (Er­for­der­nis ei­ner Ge­le­gen­heit zur Nach­er­fül­lung ei­ner­seits, Zu­rech­nungs- und Kau­sa­li­täts­fra­gen an­de­rer­seits) ste­hen … recht­lich nicht der­art im Mit­tel­punkt, dass sie die we­sent­li­che Gleich­ar­tig­keit des An­spruchs­grun­des in recht­li­cher Hin­sicht in Fra­ge stel­len könn­ten.“

Die­sen – auch im vor­lie­gen­den Fall zu­tref­fen­den – Aus­füh­run­gen schließt sich der Se­nat ent­spre­chend sei­ner bis­he­ri­gen Recht­spre­chung an (Se­nat, Beschl. v. 11.12.2017 – 32 SA 62/17, ju­ris Rn. 11).

Als zu­stän­di­ges Ge­richt wird das LG Müns­ter be­stimmt.

Die Be­stim­mung des zu­stän­di­gen Ge­richts folgt nach der stän­di­gen Recht­spre­chung des Se­nats auf der Grund­la­ge von Er­wä­gun­gen der Zweck­mä­ßig­keit und Pro­zess­wirt­schaft­lich­keit. Da­bei wer­den grund­sätz­lich die Ge­rich­te der all­ge­mei­nen Ge­richts­stän­de der Be­klag­ten be­rück­sich­tigt. Da die ver­bind­li­che Be­stel­lung des Fahr­zeugs im Be­zirk des LG Müns­ter er­folg­te, be­steht in den Au­gen des Se­nats ei­ne et­was grö­ße­re Sach­nä­he zum dor­ti­gen Be­zirk. Das LG Braun­schweig ist als Ge­richt am Sitz der Be­klag­ten zu 2 zwar im be­son­de­ren Um­fang mit Kla­gen aus dem The­men­kreis des so­ge­nann­ten Ab­gas­skan­dals be­fasst, vie­le Käu­fer ma­chen ih­re Rechts­strei­tig­kei­ten aber am Sitz des Au­to­händ­lers an­hän­gig, der oft auch dem de­lik­ti­schen Ge­richts­stand für die Kla­ge ge­gen den Her­stel­ler ent­spricht. Nicht zu­letzt aus die­sem Grund ist es auch nicht zu er­ken­nen, dass es für die bun­des­weit am Markt auf­tre­ten­de Be­klag­te zu 2 nicht zu­mut­bar wä­re, ih­re Rech­te vor dem LG Müns­ter zu ver­tei­di­gen.

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