- Dem Tatrichter ist es nach § 286 ZPO grundsätzlich erlaubt, allein aufgrund des Vortrags der Parteien und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist (im Anschluss an BGH, Urt. v. 06.10.1981 – X ZR 57/80, BGHZ 82, 13 = NJW 1982, 940; Beschl. v. 29.10.1987 – III ZR 54/87, BGHR ZPO § 141 Würdigung 1).
- Der Tatrichter kann im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Behauptungen und Angaben (vgl. § 141 ZPO) einer Partei unter Umständen auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht – auch nicht mittels Parteivernehmung, weil es an der erforderlichen Anfangswahrscheinlichkeit fehlt – beweisen kann (im Anschluss an BGH, Urt. v. 07.02.2006 – VI ZR 20/05, NJW-RR 2006, 672; Urt. v. 25.03.1992 – IV ZR 54/91, NJW-RR 1992, 920; Urt. v. 24.04.1991 – IV ZR 172/90, NJW-RR 1991, 983).
- Hat die erste Instanz ihre freie Überzeugung nach § 286 ZPO auf eine Parteianhörung gestützt, muss das Berufungsgericht sich im Rahmen seiner Überzeugungsbildung mit dem Ergebnis dieser Parteianhörung auseinandersetzen und die informatorische Anhörung nach § 141 ZPO gegebenenfalls selbst durchführen.
BGH, Beschluss vom 27.09.2017 – XII ZR 48/17
Sachverhalt: Die Klägerin nimmt den Beklagten zu 1, ihren Sohn, auf Rückzahlung von in einem Schließfach aufbewahrtem Geld in Anspruch.
Am 30.10.2012 suchte die Klägerin mit ihrem Sohn und dessen Ehefrau, der Beklagten zu 2, die Braunschweigische Landessparkasse auf. Dort wurden zwei Sparbücher der Klägerin mit einem Gesamtguthaben von 58.735,54 € aufgelöst. Dieser Betrag wurde gegen Unterschrift der Klägerin ausgezahlt und der gesamte Barbetrag in einem am 24.10.2012 vom Beklagten zu 1 auf seinen Namen bei der Braunschweigischen Landessparkasse angemieteten Schließfach deponiert.
Ende Juli 2013 stellte die Klägerin Strafanzeige gegen beide Beklagten wegen vermeintlichen Diebstahls der beiden Sparbücher und Urkundenfälschung. Im Zuge der Ermittlungen stellte sich heraus, dass sie die Auflösungs- und Auszahlungsanträge selbst unterzeichnet hatte.
Die daraufhin von der Klägerin gegen die Beklagten erhobene Klage auf Zahlung von 58.735,54 € nebst Zinsen hat das Landgericht abgewiesen. Die Klägerin sei für ihre Behauptung, das Geld sei ihr nicht zurückgegeben worden, beweisfällig geblieben. Die Beklagten hätten im Rahmen der in der mündlichen Verhandlung erfolgten Anhörung detailreich und frei von Widersprüchen die Rückgabe des Geldes geschildert. In Anbetracht dieser nachvollziehbaren Angaben wäre es Sache der Klägerin gewesen, die Darstellung zu widerlegen. Das sei ihr nicht gelungen.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht die erstinstanzliche Entscheidung teilweise abgeändert, den Beklagten zu 1 antragsgemäß verurteilt und die Revision nicht zugelassen. Die dagegen gerichte Nichtzulassungsbeschwerde des Beklagten zu 1 hatte Erfolg.
Aus den Gründen: [6] II. Die Nichtzulassungsbeschwerde hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 VII ZPO im Umfang der Anfechtung zur Aufhebung des angegriffenen Urteils und insoweit zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht.
[7] 1. Dieses hat seine Entscheidung damit begründet, dass von der Klägerin und ihrem Sohn konkludent ein Verwahrungsvertrag geschlossen worden sei, aus dem der Klägerin ein Rückforderungsrecht zustehe. Den Nachweis für die Erfüllung sei der beweisbelastete Sohn schuldig geblieben. Auf die vor dem Landgericht erfolgte Parteianhörung könne der Nachweis bei Bestreiten der Gegenseite nicht gestützt werden, weil diese kein Beweismittel im Sinne der Zivilprozessordnung darstelle. Es fehle auch an den Voraussetzungen für eine förmliche Parteivernehmung. Könne sich – wie hier die inzwischen verhandlungsunfähige Klägerin – der Prozessgegner nicht selbst als Partei äußern, könne man die Feststellungen zur erforderlichen Anfangswahrscheinlichkeit nicht auf die Bekundungen der Partei selbst stützen.
[8] 2. Die Nichtzulassungsbeschwerde rügt zu Recht, dass dieser Rechtsauffassung ein entscheidungserheblicher Verstoß des Berufungsgerichts gegen Art. 103 I GG zugrunde liegt.
[9] a) Ohne Erfolg macht der Beklagte allerdings geltend, das Berufungsgericht sei zu Unrecht von der Prozessfähigkeit der Klägerin ausgegangen. Von einer Begründung des Beschlusses wird insoweit abgesehen (§ 544 IV 2 ZPO).
[10] Rechtlich ebenfalls nicht zu beanstanden ist, dass das Berufungsgericht den Beklagten zu 1 als Verwahrer i. S. des § 688 BGB eingestuft und als für die Erfüllung des aus § 695 Satz 1 BGB folgenden Rückforderungsrechts der Klägerin beweisbelastet angesehen hat. Die Nichtzulassungsbeschwerde erinnert hiergegen auch nichts.
[11] b) Zutreffend moniert die Nichtzulassungsbeschwerde aber, dass das Berufungsgericht die informatorischen Angaben, die die Beklagten bei ihrer Anhörung durch das Landgericht gemacht haben, unberücksichtigt gelassen hat. Dies findet im geltenden Prozessrecht keine Stütze und stellt einen Verstoß gegen Art. 103 I GG dar.
[12] Die Parteianhörung nach § 141 ZPO ist allerdings kein Beweismittel, sodass auf ihrer Grundlage nicht ein Beweisantrag der Gegenpartei abgelehnt werden kann (vgl. BGH, Beschl. v. 28.04.2011 – V ZR 220/10, juris Rn. 12 ff.). Dem Tatrichter ist es nach § 286 ZPO jedoch grundsätzlich erlaubt, allein aufgrund des Vortrags der Parteien und ohne Beweiserhebung festzustellen, was für wahr und was für nicht wahr zu erachten ist (BGH, Urt. v. 06.10.1981 – X ZR 57/80, BGHZ 82, 13 = NJW 1982, 940, 941; Beschl. v. 29.10.1987 – III ZR 54/87, BGHR ZPO § 141 Würdigung 1; BVerfG [1. Kammer des Zweiten Senats], Beschl. v. 01.08.2017 – 2 BvR 3068/14, juris Rn. 58 m. w. Nachw.). Er kann dabei im Rahmen der freien Würdigung des Verhandlungsergebnisses den Behauptungen und Angaben (vgl. § 141 ZPO) einer Partei unter Umständen auch dann glauben, wenn diese ihre Richtigkeit sonst nicht – auch nicht mittels Parteivernehmung, weil es an der erforderlichen Anfangswahrscheinlichkeit fehlt – beweisen kann (BGH, Urt. v. 07.02.2006 – VI ZR 20/05, NJW-RR 2006, 672 Rn. 9; Urt. v. 25.03.1992 – IV ZR 54/91, NJW-RR 1992, 920, 921; Urt. v. 24.04.1991 – IV ZR 172/90, NJW-RR 1991, 983, 984), und ihr im Einzelfall sogar den Vorzug vor den Bekundungen eines Zeugen oder des als Partei vernommenen Prozessgegners geben (BGH, Beschl. v. 24.06.2003 – VI ZR 327/02, NJW 2003, 2527, 2528; Urt. v. 25.03.1993 IX ZR 192/92, BGHZ 122, 115 = NJW 1993, 1638, 1640). Dem Berufungsgericht ist eine von der erstinstanzlichen Würdigung abweichende Würdigung einer Parteivernehmung ohne Wiederholung der Vernehmung verwehrt (vgl. etwa BGH, Beschl. v. 17.09.2013 – XI ZR 394/12, juris Rn. 10 m. w. Nachw.). Nichts anderes gilt für die formlose Parteianhörung (BVerfG [1. Kammer des Zweiten Senats], Beschl. v. 01.08.2017 – 2 BvR 3068/14, juris Rn. 58).
[13] Dies hat das Berufungsgericht verkannt, als es den Inhalt der erstinstanzlichen Parteianhörung schlicht für unbeachtlich erklärt hat, obwohl das Landgericht prozessual zulässig seine freie Überzeugung i. S. des § 286 I 1 ZPO – wenn auch mit unzutreffenden Erwägungen zur Beweislastverteilung – hierauf gestützt hatte. Im Rahmen des § 286 ZPO hätte sich das Berufungsgericht ebenfalls mit den Angaben der Beklagten auseinandersetzen und gegebenenfalls selbst die informatorische Anhörung nach § 141 ZPO durchführen müssen, um sich ausgehend von der als richtig erkannten Beweislastverteilung eine Überzeugung nach § 286 ZPO zu bilden. Dass eine Anhörung der Klägerin aufgrund deren Verhandlungsunfähigkeit nicht erfolgen kann, steht diesem Ergebnis auch unter dem Aspekt der Waffengleichheit nicht entgegen. Denn das Gebot der Waffengleichheit führt nicht dazu, dass dann, wenn aus tatsächlichen Gründen nur eine Partei gemäß § 141 ZPO angehört werden kann, auf die Anhörung dieser Partei zu verzichten ist.
[14] c) Der Gehörsverstoß ist auch entscheidungserheblich, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Berufungsgericht bei Berücksichtigung der informatorischen Angaben der Beklagtenseite zu einem anderen als dem ausgeurteilten Ergebnis gelangt wäre.
[15] 3. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, soweit der Beklagte zu 1 verurteilt worden ist, und die Sache ist an das Berufungsgericht zurückzuverweisen.