Ob ein Kraftfahrzeug steuerrechtlich als Pkw oder als Lkw eingestuft wird, kann Gegenstand einer Beschaffenheitsvereinbarung (§ 434 I 1 BGB) sein. Eine solche Beschaffenheitsvereinbarung liegt zwar nicht schon dann vor, wenn die Parteien des späteren Kaufvertrages im Rahmen der Vertragsverhandlungen lediglich allgemein darüber gesprochen haben, wie das Fahrzeug steuerrechtlich möglicherweise eingestuft wird. Ebenso wenig genügt für die Annahme einer Beschaffenheitsvereinbarung, dass das Fahrzeug – beispielsweise im schriftlichen Kaufvertrag – als Pkw oder als Lkw bezeichnet wird. Von einer Beschaffenheitsvereinbarung ist jedoch auszugehen, wenn der Verkäufer als Voreigentümer des Fahrzeugs auf mehrfache Nachfrage erklärt, das Fahrzeug werde als Lkw besteuert und die Kfz-Steuer betrage jährlich etwa 172–176 €.
OLG Koblenz, Urteil vom 28.09.2016 – 10 U 53/16
Sachverhalt: Die Klägerin begehrt die Rückabwicklung eines mit der Beklagten geschlossenen Kfz-Kaufvertrages.
Sie bestellte bei der Beklagten am 17.05.2014 einen Vorführwagen, einen als „Pkw Pick-up“ bezeichneten SsangYong Actyon. Dieses Fahrzeug wies eine Laufleistung von 741 Kilometern auf und war am 20.11.2013 erstzugelassen worden. Die Klägerin holte es am 06.06.2014 ab; die an diesem Tag von der Beklagten erstellte Rechnung weist einen Kaufpreis von 26.875,50 € brutto aus.
Ausweislich der Zulassungsbescheinigung ist das Fahrzeug als Lkw eingestuft, und im Prospekt der Fahrzeugherstellerin ist angegeben, dass der SsangYong Actyon als Lkw zugelassen sei. Der Kfz-Versicherer der Klägerin erkennt das Fahrzeug ebenfalls nur als Lkw an. Steuerlich wurde das Fahrzeug jedoch nach der Zulassung auf die Klägerin als Pkw eingestuft; die Kfz-Steuer wurde dementsprechend auf 394 € jährlich festgesetzt. Um eine steuerliche Einstufung des Fahrzeugs als Lkw zu erreichen, müssten die Sitzbank hinter dem Fahrersitz einschließlich der Anschnallgurte entfernt, hinter der ersten Sitzreihe eine Gitterabtrennung eingezogen, Verschraubungen unbrauchbar gemacht und die Scheiben an der B-Säule stark abgetönt werden. Einen solchen Umbau will die Klägerin aber nicht.
Mit Anwaltsschreiben vom 18.09.2014 erklärte die Klägerin wegen verschiedener Mängel, unter anderem wegen der steuerrechtlichen Einstufung des streitgegenständlichen Fahrzeugs als Pkw, den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte die Beklagte auf, ihr den Kaufpreis Zug um Zug gegen Rücknahme des Fahrzeugs zu erstatten. Hierfür setzte sie der Beklagten eine Frist bis zum 25.09.2014. Die Beklagte widersprach der Rücktrittserklärung und einer Rückabwicklung des Kaufvertrages mit Schreiben vom 19.09.2014.
Die Klägerin meldete das Fahrzeug zunächst am 26.10.2014 ab, in der Folgezeit jedoch zeitweise wieder an. Bis zum 31.08.2016 legte sie mit dem Pick-up 15.000 Kilometer zurück.
Sie hat behauptet, die Beklagte habe auf mehrmalige Nachfrage beteuert, dass der Pick-up auf jeden Fall ein Lkw sei und als solcher auch besteuert werde, wobei die Kfz-Steuer jährlich 172–176 € betrage. Sie, die Klägerin, habe Wert auf einen LKW gelegt und das Fahrzeug nur deshalb gekauft, weil die Beklagte angegeben habe, es sei ein Lkw. Demgegenüber hat die Beklagte behauptet, über die Höhe der zu zahlenden Kfz-Steuer sei bei den Verkaufsgesprächen überhaupt nicht gesprochen worden.
Das Landgericht hat der Klage nach Anhörung der Klägerin und des Geschäftsführers der Beklagten sowie der Vernehmung von Zeugen vollumfänglich stattgegeben. Zur Begründung hat es im Wesentlichen ausgeführt, die Klägerin habe einen Anspruch auf Rückabwicklung des Kaufvertrages (§ 346 I BGB i. V. mit §§ 437 Nr. 2 Fall 1, 323 I, 440 BGB), weil nach Durchführung der Beweisaufnahme zur Überzeugung der Kammer feststehe, dass zwischen den Parteien die Besteuerung des Fahrzeugs als Lkw vereinbart worden sei. Die steuerrechtliche Bewertung als Pkw sei deshalb ein Sachmangel i. S. des § 434 I 1 BGB.
Der Zeuge Z habe nachvollziehbar dargelegt, dass der Geschäftsführer der Beklagten bei den Verkaufsgesprächen erklärt und auf Nachfrage bestätigt habe, dass sich die jährliche Kfz-Steuer – bei einer Besteuerung des Fahrzeugs als Lkw – im Rahmen von 172–176 € bewege. Es bestünden keine Anhaltspunkte, an der Glaubwürdigkeit des Zeugen zu zweifeln, zumal dieser dargelegt habe, dass der Geschäftsführer der Beklagten die Höhe der Kfz-Steuer nicht genau habe angeben können. Den Bekundungen des Zeugen Z stünden die Angaben des Zeugen X nicht entgegen, da dieser nur teilweise bei den Verkaufsgesprächen anwesend gewesen sei und deshalb die von dem Zeugen Z geschilderten Gespräche ohne Weiteres während der Abwesenheit des Zeugen X hätten geführt worden sein können. Zudem habe der Zeuge X klargestellt, dass er bei dem Gespräch, in welchem es um das Ob und Warum des Fahrzeugkaufs gegangen sei, nicht anwesend gewesen sei.
Die Besteuerung des Fahrzeugs stelle eine Beschaffenheit der Kaufsache dar. Die Einordnung in eine Steuerklasse sei eine Eigenschaft eines Kraftfahrzeugs, da sie von der Gestaltung bzw. dem Aufbau des Fahrzeugs abhänge und diesem daher innewohne. Da das Fahrzeug abweichend von der Beschaffenheitsvereinbarung als Pkw besteuert werde, liege ein Sachmangel vor. Diesbezüglich sei der Beklagten eine Nachbesserung unmöglich, sodass die Klägerin ihr keine Frist zur Nachbesserung habe setzen müssen. Das Rücktrittsrecht der Klägerin sei auch nicht gemäß § 323 V 2 BGB ausgeschlossen, denn grundsätzlich indiziere der Verstoß gegen eine Beschaffenheitsvereinbarung die Erheblichkeit der Pflichtverletzung, und es seien keine Gründe ersichtlich, hiervon vorliegend abzuweichen.
Die Berufung der Beklagten hatte nur zu einem geringen Teil Erfolg.
Aus den Gründen: II. … Zu Recht hat das Landgericht die Beklagte zur Rücknahme des Fahrzeugs Zug um Zug gegen Rückzahlung des Kaufpreises verurteilt. Lediglich hinsichtlich des an die Klägerin zurückzuzahlenden Kaufpreises hatte eine Reduzierung um die von der Klägerin gezogenen Gebrauchsvorteile in Höhe von unstreitig 1.650 € (15.000 km zu je 0,11 €) zu erfolgen.
Die Berufung rügt ohne Erfolg, das Landgericht sei fehlerhaft von einer Vereinbarung der Besteuerung des Fahrzeugs als Lkw ausgegangen, da dem die Fahrzeugbezeichnung in dem schriftlichen Kaufvertrag, die Angaben des Geschäftsführers der Beklagten im Rahmen seiner Anhörung und der Inhalt seiner von dem Zeugen Z bekundeten Äußerungen im Rahmen der Verkaufsgespräche entgegenstünden.
Zutreffend ist, dass allein ein allgemein gehaltenes Gespräch über die steuerliche Einordnungsmöglichkeit eines Fahrzeugs noch nicht als eine Beschaffenheitsvereinbarung angesehen werden kann. Auch die bloße Angabe eines Fahrzeugtyps – wie hier als Pkw – in einem Kaufvertrag stellt keine Beschaffenheitsangabe dar, aufgrund derer der Käufer auf eine Einordnung in eine bestimmte Kraftfahrzeugsteuerklasse vertrauen darf, da sich eine solche Angabe nach ihrem Erklärungswert darauf beschränkt, dass das Fahrzeug den damit verbundenen zulassungsrechtlichen Anforderungen gerecht werde, jedoch keine Aussage zu der steuerlichen Einstufung enthält (vgl. zur Angabe einer EU-Schadstoffnorm KG, Urt. v. 06.03.2008 – 27 U 66/07, juris; OLG Hamm, Urt. v. 28.06.2007 – 2 U 28/07, juris; jurisPK-BGB/Pammler, 7. Aufl. [2014], § 434 Rn. 169).
Hiernach ergibt sich vorliegend jedoch bereits ein Widerspruch, da das Fahrzeug in dem Prospekt und der Zulassungsbescheinigung als Lkw angegeben ist, in dem schriftlichen Kaufvertrag jedoch als Pkw. Gerade im Hinblick auf die dadurch entstandene Ungewissheit, wie das Fahrzeug zulassungs- und steuerrechtlich einzuordnen ist, erscheinen die von dem Zeugen Z bekundeten Nachfragen durchaus nachvollziehbar. Es sind auch keine Gründe ersichtlich, an dem Wahrheitsgehalt seiner Angaben zu zweifeln. Die Tatsache, dass er als Haupt- oder Mitnutzer des Fahrzeugs ein erhebliches Interesse am Ausgang des Rechtsstreits hat und aufgrund der Vielzahl der aufgetretenen Mängel möglicherweise den Spaß an dem Fahrzeug verloren hat, begründet keine ernsthaften Zweifel an der Richtigkeit seiner Bekundungen. Denn es ist lebensnah, dass ein Käufer die Freude an dem gekauften Fahrzeug verliert, wenn daran innerhalb kurzer Zeit mehrfach Mängel auftreten; dies bedingt indes nicht, dass er weitere Mängel erfindet, um sich von dem Vertrag lösen zu können. Gerade die widersprüchlichen Bezeichnungen des Pick-up als Pkw und als Lkw zeigen, dass hierzu durchaus Nachfragebedarf eines Kaufinteressenten bestand, sodass die von dem Zeugen Z geschilderten Gesprächsinhalte durchaus realistisch erscheinen.
Entgegen der Auffassung der Berufung bedurfte es hierzu keiner Vernehmung des Geschäftsführers der Beklagten von Amts wegen gemäß § 448 ZPO. Dessen Voraussetzungen lagen ersichtlich nicht vor, da aus den bereits dargelegten Gründen keine gewisse Wahrscheinlichkeit für den Sachvortrag der Beklagten sprach. Zudem wurde der Geschäftsführer der Beklagten von dem Landgericht in dem Termin zur mündlichen Verhandlung vom 11.06.2015 angehört und war er auch bei der Vernehmung des Zeugen Z am 03.12.2015 anwesend, sodass er auch zu dessen Angaben ergänzende Erklärungen hätte abgeben oder Fragen stellen bzw. Vorhalte hätte machen können. In derartigen Fällen der Gewährung rechtlichen Gehörs ist eine Parteivernehmung nicht angezeigt (vgl. BVerfG, BVerfG, Beschl. v. 27.02.2008 – 1 BvR 2588/06, NJW 2008, 2170).
Demnach ist mit dem Landgericht davon auszugehen, dass die Parteien bei den Kaufvertragsverhandlungen über die steuerliche Einordnung des Pick-ups gesprochen haben und der Geschäftsführer der Beklagten dabei auf entsprechende Nachfrage erklärt hat, dass das Fahrzeug als Lkw besteuert werde in Höhe von circa 172–176 € jährlich. Aufgrund dieser Nachfragen und des Inhalts der Antwort des Geschäftsführers der Beklagten liegt eine Vereinbarung über die steuerliche Einordnung des Pick-up und damit über dessen Beschaffenheit vor (vgl. für die Vereinbarung der Erfüllung einer Abgasnorm LG Münster, Urt. v. 06.12.2006 – 8 O 320/06, juris).
Denn die Aussagen des Geschäftsführers der Beklagten im Rahmen der Verkaufsgespräche waren von der Klägerin nur so zu verstehen, dass das Fahrzeug ohne Einschränkung steuerlich als Lkw anzusehen sei. Für die Auslegung der Erklärungen gegenüber einem Vertragspartner gemäß §§ 133, 157 BGB ist auf das Verständnis eines objektiv urteilenden, verständigen Dritten abzustellen. Aus der ausdrücklichen Nachfrage des Käufers ergibt sich die Bedeutung der steuerlichen Einordnung des Fahrzeugs für den Käufer, aus dem Umstand, dass dem Verkäufer aufgrund seiner bisherigen Besitzzeit die steuerliche Einordnung des Fahrzeugs bekannt sein muss, ergibt sich das berechtigte Vertrauen in die Verlässlichkeit und Verbindlichkeit der Antwort des Verkäufers. Für den Durchschnittskäufer kann dann die Erklärung des Verkäufers, das Fahrzeug werde als Lkw besteuert in Höhe von 172–176 € jährlich, nur als Vereinbarung einer Beschaffenheit des Fahrzeugs aufgefasst werden.
Die Erklärung des Geschäftsführers des Beklagten ist auch nicht insoweit relativierend, dass er seine Unkenntnis hinsichtlich der tatsächlichen Besteuerung des Pick-ups zum Ausdruck gebracht hätte. Der Geschäftsführer der Beklagten relativierte nämlich nicht die Tatsache der Besteuerung als Lkw – hierzu wäre eine Unkenntnis auch nicht glaubhaft gewesen, nachdem das Fahrzeug als Vorführwagen auf die Beklagte zugelassen war –, sondern allein die genaue Höhe der jährlichen Steuerlast.
Das Landgericht hat daher zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf Rückabwicklung des Kaufvertrages angenommen. Hierbei sind jedoch die unstreitig von der Klägerin gezogenen Gebrauchsvorteile in Höhe von 1.650 € zu berücksichtigen, sodass sich der von der Beklagten an die Klägerin zu zahlende Betrag entsprechend reduziert auf 25.225,50 €. Im Übrigen verbleibt es bei dem landgerichtlichen Urteil …