- Ein Gebrauchtwagen weist schon dann einen den Käufer zum Rücktritt vom Kaufvertrag berechtigenden Rechtsmangel auf, wenn das Fahrzeug bei der Übergabe an den Käufer und auch noch im Zeitpunkt der Rücktrittserklärung im Schengener Informationssystem (SIS) zur Fahndung ausgeschrieben ist. Der Gefahr, dass dem Käufer das Fahrzeug dauerhaft entzogen wird oder der Gebrauch des Fahrzeugs dauerhaft beeinträchtigt ist, bedarf es zur Bejahung eines Rechtsmangels nicht.
- Die Klausel „wie besichtigt ohne Garantie und Gewährleistung“ in einem Gebrauchtwagenkaufvertrag bezieht sich insbesondere deshalb, weil sie an eine Besichtigung des Fahrzeugs anknüpft, nur auf Sachmängel und nicht auch auf Rechtsmängel.
OLG München, Urteil vom 02.05.2016 – 21 U 3016/15
Sachverhalt: Der Kläger kaufte von der Beklagten am 26.06.2013 einen gebrauchten Pkw der Marke Alfa Romeo für 7.200 €. Im schriftlichen Kaufvertrag heißt es unter anderem: „Verkauf an Kfz-Handel wie besichtigt ohne Garantie und Gewährleistung“. Die Übergabe des Fahrzeugs erfolgte am 31.07.2013.
Beim Versuch des Klägers, das Fahrzeug zuzulassen, stellte sich heraus, dass es im Schengener Informationssystem (SIS) zur Fahndung ausgeschrieben war, weshalb die Polizei den Pkw am 23.08.2013 sicherstellte. Am 04.08.2014 ordnete das AG Bensheim die Beschlagnahmung des Fahrzeugs an.
Mit Schreiben vom 03.09.2013 erklärte der Kläger gegenüber der Beklagten den Rücktritt vom Kaufvertrag und forderte sie auf, ihm bis zum 13.09.2013 den Kaufpreis zu erstatten. Da die Beklagte zur Rückabwicklung des Kaufvertrages nicht bereit war, erhob der Kläger am 13.11.2013 Klage. Während des erstinstanzlichen Verfahrens wurde das streitgegenständliche Fahrzeug dem Kläger aufgrund einer Verfügung der Staatsanwaltschaft Darmstadt vom 22.09.2014 herausgegeben. Daraufhin erließ das Landgericht am 03.02.2015 einen Hinweisbeschluss, in dessen Folge der Kläger mit Schriftsatz vom 09.03.2015 den Rechtsstreit in der Hauptsache für erledigt erklärte. Die Beklagte stimmte der Erledigungserklärung nicht zu.
Am 10.04.2015 verkaufte der Kläger das Fahrzeug an einen Dritten.
Das Landgericht stellte mit Urteil vom 16.07.2015 fest, dass die Hauptsache insoweit erledigt sei, als der Kläger von der Beklagten die Zahlung von 7.200 € nebst Zinsen seit dem 14.09.2013 sowie weiterer 296,40 € Zug um Zug gegen Abtretung seines Anspruchs gegen die zuständige Staatsanwaltschaft auf Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs beantragt hatte. Im Übrigen wies das Landgericht die Klage ab. Zur Begründung führte es aus, dass die Herausgabe des Fahrzeugs ein erledigendes Ereignis darstelle, die einseitige Erledigungserklärung des Klägers eine zulässige Klageänderung in eine Feststellungsklage sei und diese im ausgeurteilten Umfang begründet sei. Die im Vertrag vereinbarte Freizeichnungsklausel beziehe sich nur auf Sachmängel und gelte deshalb nicht für die als Rechtsmangel anzusehende Ausschreibung des Fahrzeugs im SIS.
Hiergegen richtet sich die Berufung der Beklagten. Sie meint, dass der Haftungsausschluss sowohl Rechts- als auch Sachmängel umfasse. Außerdem ist die Beklagte der Ansicht, dass die Ausschreibung des Fahrzeugs im SIS kein Mangel sei und die Herausgabe des streitgegenständlichen Fahrzeugs an den Kläger kein erledigendes Ereignis darstelle.
Das Rechtsmittel hatte Erfolg, während die Anschlussberung des Klägers teilweise erfolgreich war. Der Kläger hatte beantragt, die Beklagte zur Zahlung von 7.200 € nebst Zinsen seit dem 14.09.2013 abzüglich 2.800 € sowie weiter 296,40 € zu verurteilen und festzustellen, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs spätestens bei Eintritt der Rechtshängigkeit seiner Klage in Verzug befunden habe. Zur Begründung hatte der Kläger ausgeführt, dass er seine Erledigungserklärung rechtsirrig abgegeben habe und davon wieder Abstand nehme. Beim Verkauf am 10.04.2015 habe der Pkw durch Nagetiere verursachte Schäden aufgewiesen, sodass er, der Kläger, nur noch einen Verkaufserlös von 2.800 € habe erzielen können.
Aus den Gründen: I. Die … zulässige Berufung der Beklagten, ist auch in der Sache begründet, weil das Landgericht fehlerhaft in der Herausgabe des beschlagnahmten Kraftfahrzeugs an den Kläger ein erledigendes Ereignis gesehen hat. Insoweit ist der Beklagten zuzustimmen, dass durch die Herausgabe des Fahrzeugs an den Kläger der geltend gemachte Rückabwicklungsanspruch gegen die Beklagte nicht untergegangen ist. Der Kläger wäre nicht gehindert gewesen, den ursprünglich geltend gemachten Anspruch auf Rückabwicklung weiterzuverfolgen.
II. Zum Teil begründet ist aber auch die Anschlussberufung des Klägers. Sie konnte mit Schriftsatz vom 22.01.2016 …
1. Von der zunächst in erster Instanz wirksam erklärten einseitigen Erledigungserklärung konnte der Kläger in der Berufungsinstanz – wie geschehen – wieder Abstand nehmen, weil er zu dieser Erklärung rechtsirrig durch den Hinweis des Landgerichts veranlasst worden ist (vgl. Hinweisbeschluss vom 03.02.2015, Nr. 1c). Die Beklagte vertritt zwar die Auffassung, dass die vom Kläger erklärte Erledigungserklärung nicht mehr widerruflich sei, weil das Landgericht hierüber entschieden hat, und bezieht sich insoweit auf ein Urteil des BGH vom 07.06.2001 (I ZR 157/98). Der Senat folgt dieser Ansicht jedoch nicht, sondern schließt aus der neueren Entscheidung des BGH vom 14.03.2014 (V ZR 115/13), dass der Kläger – nach Hinweis auf die zutreffende Rechtslage – auch nach einer Entscheidung der Vorinstanz nicht gehindert ist, im Berufungsverfahren zu seinem ursprünglichen Antrag zurückzukehren. Im vom BGH zuletzt entschiedenem Fall nahm der dortige Kläger im Revisionsverfahren von seiner Erledigungserklärung Abstand, was der BGH als zulässig ansah.
2. Der in der Berufung vom Kläger wieder aufgenommene Anspruch ist – anders als die Beklagte meint – kein Anspruch auf den sogenannten kleinen Schadensersatz, sondern auf Rückabwicklung des Kaufvertrages, der nach Überzeugung des Senats begründet ist …
a) Das streitgegenständliche Fahrzeug war durch die auf einen Eintrag der italienischen Behörden zurückgehende Ausschreibung des Pkw zur Fahndung im Schengener Informationssystem (SIS) mit einem Rechtsmangel behaftet, der den Kläger zum Rücktritt vom Vertrag berechtigt (§§ 435, 437 Nr. 2, 440, 323 I, 346 I BGB.
Bereits die Existenz des SIS-Eintrags als solchem, das heißt ungeachtet der dem SIS-Eintrag zugrundeliegenden Umstände, genügt für die Annahme eines Rechtsmangels (vgl. auch OLG Düsseldorf, Urt. v. 20.02.2015 – I-22 U 159/14), weil der staatliche Eingriff einen den Gebrauch der Kaufsache nachhaltig und erheblich beeinträchtigenden Umstand darstellt. Die Gefahr eines dauernden Entzugs oder einer dauerhaften Beeinträchtigung der Nutzung der Kaufsache ist hingegen nicht erforderlich. Maßgeblich ist hier, dass dem Kläger wegen des am 29.10.2009 erfolgten SIS-Eintrags, der sowohl im Zeitpunkt des Gefahrübergangs bzw. des Eigentumsübergangs (31.07.2013) als auch im Zeitpunkt der Sicherstellung (23.08.2013) und der Beschlagnahme (04.08.2014) und auch im Zeitpunkt des Rücktritts (03.09.2013) fortdauerte, die kaufvertraglich geschuldete Nutzungsmöglichkeit des Fahrzeugs über mehr als ein Jahr nicht möglich war. Auf ein Verschulden der Beklagten kommt es nicht an.
b) Der Senat teilt die Auffassung des Landgerichts, dass die Beklagte mit ihrer Antwort vom 13.09.2013 auf die E-Mail des Klägers vom 23.08.2013 die Nacherfüllung endgültig verweigert hat, sodass es keiner weiteren Fristsetzung … bedurfte (§ 323 II Nr. 1 BGB). Auf die Ausführungen des Landgerichts … nimmt der Senat Bezug. Die nachhaltig ablehnende Haltung der Beklagten ergibt sich im Übrigen auch aus den weiter vom Kläger … vorgelegten Schreiben der Beklagten.
c) Ausschlussgründe, die dem Rücktritt des Klägers entgegenstehen könnten, liegen nicht vor (§§ 442, 444 BGB). Die zwischen den Parteien vereinbarte Klausel „Verkauf an Kfz-Handel wie besichtigt ohne Garantie und Gewährleistung“ wurde vom Landgericht ohne Rechtsfehler dahin gehend ausgelegt (§§ 133, 157 BGB), dass die Parteien damit nur Sachmängel ausgeschlossen haben. Soweit die Beklagte vorträgt, dass nicht nur Sachmängel, sondern auch Rechtsmängel Gegenstand von Haftungsausschlüssen sein können, so trifft dies zu, ändert aber nichts an der Beweislast der Beklagten für den Umfang des Ausschlusses und dem Grundsatz, dass Zweifel zulasten des Verkäufers gehen, vgl. Palandt/Weidenkaff, BGB, 74. Aufl., § 444 Rn. 15). Dass von dem hier vereinbarten Haftungsausschluss auch Rechtsmängel umfasst sein sollen, lässt sich der Klausel konkret nicht entnehmen, vielmehr legt die Formulierung „wie besichtigt“ nahe, dass nur Sachmängel umfasst sein sollen.
Der Rücktritt ist auch nicht dadurch ausgeschlossen, dass der Kläger nach Abgabe der Rücktrittserklärung das Fahrzeug am 10.04.2015 an einen Dritten verkauft hat und damit die Unmöglichkeit der Herausgabe vorsätzlich herbeigeführt hat. Mit der Streichung der §§ 351 bis 353 BGB a.F. hat der Gesetzgeber eine Entscheidung dahin getroffen, dass die Ausübung des Rücktrittsrechts bei einer vom Rückgewährschuldner zu vertretenden Unmöglichkeit kein venire contra factum proprium darstellt (vgl. MünchKomm-BGB/Gaier, 7. Aufl., § 346 Rn. 13).
d) Der Anspruch des Klägers auf mängelbedingte Rückabwicklung des Kaufvertrages ist nicht verjährt (§ 438 BGB). Der Kläger hat bereits kurze Zeit nach der Übergabe des Fahrzeugs (31.07.2013) seinen Rücktritt erklärt (mit Schreiben vom 03.09.2013).
e) Aufgrund des wirksamen Rücktritts vom Kaufvertrag hat sich das Vertragsverhältnis der Parteien in ein Rückgewährschuldverhältnis verwandelt mit der Folge, dass die Parteien die bereits erbrachten Leistungen gemäß §§ 346 ff. BGB rückabzuwickeln haben. Die Beklagte hat insoweit den vom Kläger bezahlten Kaufpreis in Höhe von 7.200 € zurückzugeben. Der Kläger, dem die Rückgabe des Fahrzeugs durch den am 10.04.2015 unstreitig erfolgten Weiterverkauf des Fahrzeugs nicht mehr möglich ist, hat insoweit Wertersatz in Geld zu leisten, sodass letztlich die gegenseitigen Zahlungsansprüche zu saldieren sind. Die von der Beklagten nach Schluss der mündlichen Verhandlung erklärte Hilfsaufrechnung kommt nicht zum Tragen.
Bei der Ermittlung des vom Kläger zu leistenden Wertersatzes ist auf die Verhältnisse zum Zeitpunkt des Verkaufs abzustellen und ferner auf den tatsächlichen Wert, nicht auf die vertragliche Wertangabe. Der Senat schätzt diesen Wert gemäß § 287 ZPO auf 4.600 € und legt dabei zugrunde, dass der Kläger im Juni 2013 für das Fahrzeug 7.200 € bezahlt hat und es ausweislich des in Kopie vorgelegten Kaufvertrags im April 2014 für 2.800 € verkauft worden ist. Berücksichtigt wurden ferner das Erstzulassungsdatum des Fahrzeugs (23.07.2008), der Kilometerstand zum Zeitpunkt des Verkaufs (118.200 km) sowie die Tatsache, dass das Fahrzeug vom 23.08.2013 bis zum 22.09.2014 aufgrund der Sicherstellung und Beschlagnahme gestanden hat und dadurch sicher an Wert verloren hat. Wie die Beklagte unter diesen Umständen zu einem Wert von 12.400 € kommt (nahezu doppelt so viel wie der ursprüngliche Kaufpreis), ist für den Senat nicht nachvollziehbar. Die … vorgelegten Auszüge aus dem Portal „mobile.de“ mit Werten zu Fahrzeugen mit dem gleichen Zulassungsjahr können wegen der aufgeführten besonderen Umstände hier nicht herangezogen werden. Der vom Kläger vorgelegte Kaufvertrag erwähnt vielmehr zusätzlich einen durch Gutachten festgestellten Schaden durch Nagetierbefall. Unter Berücksichtigung sämtlicher bekannten Umstände (eine genaue Fahrzeugausstattung, Motorisierung etc. ist unbekannt) schätzt der Senat den Wert des Fahrzeugs etwas über dem tatsächlich erzielten Verkaufspreis, aber erheblich unter dem von der Beklagten angenommenen Wert, für den es keinerlei Anhaltspunkte gibt.
Die Einholung eines Sachverständigengutachtens zur Ermittlung des Werts des Fahrzeugs zum Zeitpunkt des Verkaufs ist nicht veranlasst.
3. Für den Antrag des Klägers auf Feststellung, dass sich die Beklagte mit der Rücknahme des Fahrzeugs spätestens seit Rechtshängigkeit in Verzug befunden hat, sieht der Senat kein Rechtsschutzbedürfnis. Der Antrag zielt bei Zug-um-Zug-Leistungen darauf ab, dass bereits im Erkenntnisverfahren ein Nachweis für die Vollstreckung nach §§ 756, 765 ZPO geschaffen wird. Da hier aber eine Saldierung der gegenseitigen Ansprüche erfolgt, kommt eine Vollstreckung von Zug-um-Zug-Leistungen nicht mehr in Betracht. Insoweit war die Anschlussberufung zurückzuweisen.
4. Die Abweisung der Klage im Übrigen … bleibt bestehen. Sie betrifft die vom Kläger mit 296,40 € geltend gemachte Erstattung von unnützen Vertragsaufwendungen, die jedoch im Schriftsatz vom 18.06.2014 nur pauschal genannt werden. Im Übrigen scheitert dieser geltend gemachte Schadensersatzanspruch, wie das Landgericht … ausgeführt hat, an einem Verschulden der Beklagten.
5. Der Anspruch auf die Verzugszinsen ergibt sich aus §§ 286, 288 II BGB. Mit der Rücktrittserklärung (§ 349 BGB) setzte der Kläger der Beklagten eine Frist bis zum 13.09.2013. Zinsen schuldet die Beklagte aus dem ursprünglichen Kaufpreis ab diesem Zeitpunkt bis zum Verkauf des Fahrzeugs, später dann nur noch aus dem saldierten Betrag …