Einer Kfz-Käuferin kann das Wissen ihres Lebensgefährten, dass es sich bei dem Fahrzeug um einen Unfallwagen handelt, nach dem Rechtsgedanken des § 166 I BGB oder in analoger Anwendung des § 31 BGB zuzurechnen sein.
LG Erfurt, Urteil vom 27.08.2015 – 10 O 1179/14
Sachverhalt: Die Beklagte, die ein Autohaus mit Fachwerkstatt betreibt, hatte einen BMW 530i Touring als Leasingrückläufer zurückerhalten. Der Leasingnehmer hatte mit dem Fahrzeug einen Unfall mit Frontschaden erlitten. Im Rücknahmeprotokoll wurde deshalb vermerkt, dass der Wagen nicht unfallfrei sei. Außerdem existiert ein DEKRA-Bericht zum Zustand des Fahrzeugs.
In der Folgezeit gab die Beklagte den BMW zur Aufbereitung an ein Unternehmen, bei dem der Lebensgefährte der Klägerin, der Zeuge L, beschäftigt ist. Dieser überführte das Fahrzeug, nachdem es aufbereitet worden war, zur Beklagten.
Am 22.07.2013 begab sich die Klägerin mit L zur Beklagten, um das Fahrzeug, von dem ihr L berichtet hatte, zu erwerben. Sie schloss mit der Beklagten – vertreten durch ihren Verkaufsleiter V – einen schriftlichen Kaufvertrag, in dem es unter anderem heißt: „Unfallfrei (lt. Vorbesitzer): Ja“. Über den Zustand des Fahrzeugs wurde nicht gesprochen.
Am 13.06.2014 ließ die Klägerin durch ihren jetzigen Prozessbevollmächtigten gegenüber der Beklagten die Anfechtung des Kaufvertrags wegen arglistiger Täuschung erklären. Sie behauptet, sie hätte den BMW nicht erworben, wenn sie Kenntnis von dem Unfall, den das Fahrzeug erlitten hatte, gehabt hätte.
Die auf Rückzahlung des Kaufpreises in Höhe von 28.980 € gerichtete Klage hatte keinen Erfolg.
Aus den Gründen: Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Rückzahlung des Kaufpreises Zug um Zug gegen Rückgabe des streitgegenständlichen Fahrzeuges gemäß § 812 I 1 Fall 1 BGB.
Die Klägerin hat nicht rechtsgrundlos den Kaufpreis an die Beklagte geleistet. Der Rechtsgrund liegt in der Kaufpreisschuld aus dem zwischen den Parteien geschlossenen Kaufvertrag vom 22.07.2013, der nicht wirksam durch die Klägerin wegen arglistiger Täuschung nach §§ 142 I, 123 I BGB angefochten wurde.
Eine arglistige Täuschung setzt voraus, dass die Beklagte jedenfalls mit bedingtem Vorsatz bei der Klägerin durch Vorspiegelung falscher oder durch Unterdrückung wahrer Umstände einen Irrtum erregt oder aufrechterhalten hätte und die Klägerin hierdurch zur Abgabe ihrer Willenserklärung bestimmt worden wäre. Die Kausalität zwischen Täuschungshandlung und Abgabe der Willenserklärung ist indessen von vornherein ausgeschlossen, wenn die Klägerin Kenntnis von den wahren Umständen, das heißt der Unfalleigenschaft des Fahrzeugs, gehabt hätte.
Die Angabe der Unfallfreiheit in der Kaufvertragsurkunde vom 22.07.2013 ist unstreitig falsch.
Die Klägerin hat jedoch nicht beweisen, dass die Mitarbeiter der Beklagten sie insoweit getäuscht haben. Das Gericht konnte sich zwar nicht davon überzeugen, dass die Klägerin persönlich Kenntnis von dem Vorschaden des Fahrzeugs hatte. Es ist jedoch davon überzeugt, dass der Zeuge L von dem Unfallschaden des Kfz wusste. Dieses Wissen muss sich die Klägerin zurechnen lassen.
Das Gericht ist nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme zur Überzeugung gelangt, dass der Zeuge L im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses am 22.07.2013 Kenntnis von der Unfallwageneigenschaft des streitgegenständlichen Kraftfahrzeugs hatte …
Demgegenüber hat der Zeuge L bei einer zeugenschaftlichen Vernehmung am 02.07.2015 bekundet, er habe von einem Unfallschaden und auch vom allgemeinen Zustand des Fahrzeugs gar nichts gewusst. Er habe das Fahrzeug nur zur Aufbereitung und zurück gefahren und dabei festgestellt, dass es ohne Beanstandung sei … Er habe den Zustandsbericht der DEKRA und das Leasingrücknahmeprotokoll noch nie gesehen. Das Fahrzeug sei auch nicht auf die Hebebühne gebracht worden.
Die Aussage des Zeugen L … ist für das Gericht nicht glaubhaft. Es ist schon nicht plausibel, dass nach seiner eigenen Einlassung die Unfallfreiheit des Autos zwingende Voraussetzung des Erwerbs zu diesem Kaufpreis gewesen sein soll, er dann aber trotz der Tatsache, dass er den Beruf des Fahrzeugaufbereiters ausübt und damit einen besonderen Bezug zur Automobilbranche hat, nie gefragt haben will, welche Vorschäden am Fahrzeug bestehen. Er hatte auch die Gelegenheit, mit den Mitarbeitern der Beklagten über das Fahrzeug zu sprechen, da er regelmäßig, nach eigener Angabe zwei- bis dreimal in der Woche, auf dem Gelände der Beklagten zugegen war. Es ist nicht mehr verständlich, dass er als ein in der Fahrzeugbranche Tätiger, als vonseiten seiner Lebensgefährtin und ihm ein Kaufentschluss im Raum stand, zu keinem Zeitpunkt mit den Mitarbeitern der Beklagten über das auf dem Gelände der Beklagten stehende Fahrzeug gesprochen haben will.
Die Aussage des Zeugen L ist dabei auch äußerst karg, sobald die Vernehmung Bezug auf die von den Zeugen … geschilderten Gespräche nimmt. Dabei räumt der Zeuge ein, dass es Gespräche bei Kaffee und Zigaretten gegeben habe. Dabei sei es aber nie um das Fahrzeug gegangen. Entsprechende Fragen beantwortet der Zeuge nur mit „ja“ oder „nein“. Von einem Zeugen, der aus eigener Erfahrung und Wahrnehmung berichtet, wäre zu erwarten gewesen, dass er von sich aus zumindest anreißt, was denn dann Inhalt der Gespräche gewesen ist.
Die Schilderung des Zeugen L, wie es letztlich zum Kaufvertragsschluss kam, ist gleichfalls inhaltsarm und in der geschilderten Weise realitätsfern. So habe er seiner Freundin von dem Fahrzeug berichtet, dann sei man zum Autohaus gefahren, habe den Kaufvertrag unterschrieben und eine Finanzierungsanfrage gemacht. Erst auf Nachfrage ergänzte der Zeuge noch, dass man sich in der Zwischenzeit auch das Fahrzeug noch einmal angesehen habe, fügte aber sogleich wieder an, dass man dann in den Verkaufsraum gegangen sei, die Daten abgeglichen und die Finanzierungsanfrage gestellt habe. Die entscheidende Frage, welche Informationen … über das Fahrzeug ausgetauscht wurden, wird schnell übergangen und sodann immer wieder über den in der Sache unstreitigen Vertragsschluss berichtet. Insoweit wirkt die Aussage auf das Beweisthema ausgerichtet, indem der Zeuge L den Eindruck erwecken will, dass schon keine Gelegenheit bestanden hätte, … über das Fahrzeug zu sprechen.
Auch an der Glaubwürdigkeit des Zeugen L bestehen erhebliche Zweifel. Dieser ist als Lebensgefährte der Klägerin nicht nur dieser nahestehend, sondern hat nach seiner eigenen Aussage mit ihr auch die Vereinbarung getroffen, dass sie die Finanzierung des Fahrzeuges tragen solle, er aber den laufenden Unterhalt. Er hat insoweit auch ein wirtschaftliches Eigeninteresse am Ausgang des Rechtsstreits.
Die Aussagen der Zeugen … bei ihrer Vernehmung am 02.07.2015 sind demgegenüber für das Gericht glaubhaft. Sie sind logisch konsistent, schildern das Geschehen in seinen spezifischen Zeitabläufen und sind detailreich, insbesondere im Hinblick auf vermeintliche Nebensächlichkeiten.
So sind die Bekundungen der Zeugen … glaubhaft, nach denen der Zeuge L als Fahrzeugaufbereiter mehrfach auf dem Firmengelände der Beklagten zugegen gewesen sei, dabei großes Interesse an dem streitgegenständlichen Fahrzeug gezeigt habe und es im Rahmen dessen verschiedene Gespräche mit ihnen über das Fahrzeug gegeben habe … Es wäre lebensfremd, wenn die Beteiligten bei einem bestehenden Kaufinteresse des Zeugen L und später der Klägerin im Rahmen solcher Pausengespräche, die auch der Zeuge L einräumt, nicht über das streitgegenständliche Auto gesprochen haben, an dem auch der Zeuge L ein Kaufinteresse hatte. Die Aussagen der Zeugen … decken sich in den entscheidungserheblichen Punkten. Sie sagen übereinstimmend aus, dass mehrere Gespräche mit dem Zeugen L über das streitgegenständliche Fahrzeug geführt worden seien, bei denen auch der Unfall des Fahrzeugs besprochen worden sei sowie die zur Reparatur notwendigen Maßnahmen erörtert worden seien.
Nach alledem folgt das Gericht den Aussagen der Zeugen … und kommt damit zu der Überzeugung, dass … Gespräche stattgefunden haben, die auch die Unfallwageneigenschaft des streitgegenständlichen Fahrzeugs zum Gegenstand hatten. Der Zeuge L war nach Überzeugung des Gerichts davon unterrichtet, dass das Auto einen Unfall erlitten hatte, welche Teile davon betroffen waren und welche Reparaturmaßnahmen durchgeführt wurden.
Das Wissen des Zeugen L ist der Klägerin zuzurechnen.
Gemäß § 166 I BGB kommt es, soweit die rechtlichen Folgen einer Willenserklärung durch Willensmängel oder durch Kenntnis oder Kennenmüssens gewisser Umstände beeinflusst werden, nicht auf die Person des Vertretenen, sondern die des Vertreters an. Zwar hat die zum Vertragsschluss führende Willenserklärung die Klägerin selbst abgegeben, sodass der Zeuge L nicht als ihr Abschlussvertreter aufgetreten ist und § 166 I BGB nicht direkt anwendbar ist. Indessen regelt diese Norm die Zurechnung von Wissen nicht abschließend. Sie ist vielmehr Ausdruck des allgemeinen Rechtsgedankens, dass sich am rechtsgeschäftlichen Leben Teilnehmende das Wissen der sie Repräsentierenden zurechnen lassen müssen (BGH, Urt. v. 25.03.1982 – VII ZR 60/81, BGHZ 83, 293; Urt. v. 05.04.1984 – IX ZR 71/83, MDR 1984, 1020). Denn derjenige, der die Vorteile aus einem arbeitsteiligen Einsatz einer dritten Person zieht, nämlich ein Rechtsgeschäft nicht selbst vorbereiten, begleiten, abschließen oder abwickeln zu müssen, soll auch die damit verbundenen Risiken tragen (BFH, Urt. v. 29.07.2003 – VII R 3/01, BFHE 203, 222; Staudinger/Schilken, BGB, Neubearb. 2014, § 166 Rn. 5). Deshalb hat die Rechtsprechung die Zurechnung von Kenntnis und Kennenmüssen von Umständen auch solcher Personen anerkannt, welche unter Zustimmung des Geschäftsherren eigenverantwortlich mit der Vorbereitung eines Geschäfts befasst oder bei den Vorverhandlungen in Erscheinung getreten sind, auch ohne letztlich bevollmächtigte Abschlussvertreter gewesen zu sein. Eines konkreten Bestellungsaktes, vermöge dessen der (Wissens-)Vertreter die Geschäftsanbahnung aufnehmen soll, bedarf es dabei nicht (BGH, Urt. v. 24.01.1992 – V ZR 262/90, BGHZ 117, 104). Es genügt vielmehr, wenn die Person tatsächlich in das betreffende Geschäft aufseiten des Zurechnungsempfängers eingebunden wird (Maier-Reimer, NJW 2013, 2405). Dabei kommt es darauf an, ob zu erwarten ist, dass der Wissensträger sein Wissen dem Geschäftsherren mitteilen und jener es bei diesem abfragen würde (BGH, Urt. v. 02.02.1996 – V ZR 239/94, BGHZ 132, 30; Urt. v. 15.04.1997 – XI ZR 105/96, BGHZ 135, 202). Unter diesem Gesichtspunkt hat die Rechtsprechung auch bereits Personen einbezogen, die nicht in ihrer Eigenschaft als Gehilfe aufgetreten sind, bei denen dennoch mit der Wiedergabe von Wissen zu rechnen war (BGH, Urt. v. 25.03.1982 – VII ZR 60/81, BGHZ 83, 293 [für Ehepartner]; Urt. v. 31.10.1956 – V ZR 177/55, BGHZ 22, 128 [für einen von der Geschäftsleitung eines Partnerunternehmens entsandten Beobachter]).
Auch wenn die Klägerin den Zeugen L nicht mit der Vorbereitung des Autokaufs beauftragt hat, sondern nach Überzeugung des Gerichts das Interesse zunächst im Zeugen L selbst geweckt war, der erst dann der Klägerin von dem Fahrzeug berichtete, woraufhin ein gemeinsamer Kaufentschluss gefasst wurde, muss sich die Klägerin die Kenntnis des Zeugen L als Verhandlungsgehilfen zurechnen lassen. Sie hat sich nämlich erkennbar auf die Feststellungen des Zeugen L verlassen. Dies wird schon daraus deutlich, dass sie nach unstreitigem Parteivortrag und den Aussagen der Zeugen bei dem Verkaufsgespräch nicht selbst Fragen zum Zustand des Fahrzeugs gestellt hat und gleichermaßen auf eine eigene Probefahrt verzichtet hat, sondern insoweit auf die Angaben ihres Lebensgefährten zurückgegriffen hat, der sie zu dem Vertragsabschluss im Autohaus der Beklagten auch begleitet hat. Sie hat sich damit jedenfalls für den Vertragspartner erkennbar die zuvor stattgefundenen Vertragsanbahnungsgespräche mit ihrem Lebensgefährten entsprechend dem Rechtsgedanken des § 177 I BGB nachträglich zu eigen gemacht.
Die Beklagte durfte davon ausgehen, dass der Zeuge L sein Wissen mit der Klägerin teilen würde. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Lebensgefährten das Fahrzeug gemeinsam erwerben und unterhalten wollten. Bereits nach dem Klägervortrag interessierten sich die Klägerin und der Zeuge L gemeinsam für das Fahrzeug. Dies wird auch durch die Aussage des Zeugen L unterlegt, nach der eine Vereinbarung zwischen ihm und der Klägerin vorgelegen habe, nach der sie die Finanzierung des Pkw übernehmen solle und er die laufenden Ausgaben. Es kann dahinstehen, ob in einem solchen Fall einer nach außen sichtbar bestehenden Innengesellschaft bürgerlichen Rechts eine Wissenszurechnung nach § 166 I BGB oder § 31 BGB analog anzunehmen ist. Wenn hier die Klägerin erkennbar das Vertrauen des Zeugen L, der als Fahrzeugaufbereiter über besonderen Sachverstand verfügt, für sich in Anspruch nimmt, muss sie sich auch dessen Wissen zurechnen lassen.
Nach alledem muss sich die Klägerin so behandeln lassen, als habe sie Kenntnis von dem Vorschaden des Fahrzeugs gehabt. Sie kann sich daher nicht darauf berufen, wegen einer arglistigen Täuschung einem Irrtum erlegen zu sein. Damit besteht kein Anfechtungsgrund nach § 123 I BGB. Daraus folgt, dass sich die Klägerin nicht durch Anfechtung gemäß § 142 I BGB vom Kaufvertrag lösen konnte, sodass dieser als Rechtsgrund fortbesteht und ein Bereicherungsanspruch aus § 812 I 1 Fall 1 BGB nicht besteht …