1. Gro­be Fahr­läs­sig­keit i. S. von § 442 I 2 BGB setzt ei­nen ob­jek­tiv schwer­wie­gen­den und sub­jek­tiv nicht ent­schuld­ba­ren Ver­stoß ge­gen die An­for­de­run­gen der im Ver­kehr er­for­der­li­chen Sorg­falt vor­aus (im An­schluss an BGH, Urt. v. 22.09.2011 – III ZR 186/10, NJW-RR 2012, 111 Rn. 8).
  2. Es kann ei­nem Käu­fer im All­ge­mei­nen nicht als Sorg­falts­ver­stoß (§ 442 I 2 BGB) an­ge­las­tet wer­den, wenn er sich auf die An­ga­ben des Ver­käu­fers zum Kauf­ge­gen­stand ver­lässt und des­halb kei­ne ei­ge­nen Nach­for­schun­gen an­stellt.

BGH, Ur­teil vom 20.02.2013 – VI­II ZR 40/12

Sach­ver­halt: Der Klä­ger kauf­te von der Be­klag­ten am 14.09.2007 den Wal­lach S für 9.250 €. Im schrift­li­chen Kauf­ver­trag heißt es un­ter an­de­rem:

„Be­schrei­bung laut Ver­kaufs­an­zei­ge, Gal­le am Sprung­ge­lenk links, sonst oh­ne ge­sund­heit­li­chen Be­fund.

Die Ver­käu­fe­rin legt Wert dar­auf, dass das Pferd in gu­te för­dern­de Hän­de kommt. Es soll min­des­tens bis zur Klas­se M auf Tur­nie­ren vor­ge­stellt wer­den. Ak­tu­ell be­reits A ge­siegt.“

Im Früh­jahr 2008 wur­de bei dem Tier ei­ne Schä­di­gung des lin­ken hin­te­ren Sprung­ge­lenks (Ar­thri­tis) fest­ge­stellt, die sei­ne wei­te­re Ver­wen­dung als Dres­sur­pferd in­fra­ge stell­te. Nach ver­geb­li­cher Frist­set­zung zur Nach­er­fül­lung er­klär­te der Klä­ger mit Schrei­ben vom 11.08.2008 den Rück­tritt vom Kauf­ver­trag. Mit Schrei­ben vom 08.03.2010 stütz­te er den Rück­tritt zu­sätz­lich dar­auf, dass bei dem Tier be­reits im Zeit­punkt der Über­ga­be ei­ne Os­teochon­d­ro­se vor­ge­le­gen ha­be, die sei­ne Ver­wen­dung als Dres­sur­pferd der Klas­se M eben­falls aus­schlie­ße.

Der Klä­ger ver­langt Zug um Zug ge­gen Rück­ga­be des Wal­lachs die Rück­zah­lung des Kauf­prei­ses so­wie die Er­stat­tung der ihm ent­stan­de­nen Un­ter­hal­tungs­kos­ten des Tie­res, ins­ge­samt 16.736,81 € nebst Zin­sen und vor­ge­richt­li­chen An­walts­kos­ten. Fer­ner be­gehrt er die Fest­stel­lung des An­nah­me­ver­zugs und der Pflicht der Be­klag­ten, ihm die bis zur Rück­nah­me des Pfer­des ent­ste­hen­den wei­te­ren Un­ter­hal­tungs­kos­ten zu er­stat­ten.

Das Land­ge­richt hat der Kla­ge statt­ge­ge­ben, das Be­ru­fungs­ge­richt hat sie auf die Be­ru­fung der Be­klag­ten un­ter Ab­än­de­rung des erst­in­stanz­li­chen Ur­teils ab­ge­wie­sen. Auf die Re­vi­si­on des Klä­gers, der die Wie­der­her­stel­lung des land­ge­richt­li­chen Ur­teils be­gehr­te, wur­de das Ur­teil des Be­ru­fungs­ge­richts auf­ge­ho­ben und die Sa­che an das Be­ru­fungs­ge­richt zu­rück­ver­wie­sen.

Aus den Grün­den: [5]    I. Das Be­ru­fungs­ge­richt hat zur Be­grün­dung sei­ner Ent­schei­dung, so­weit für das Re­vi­si­ons­ver­fah­ren noch von In­ter­es­se, im We­sent­li­chen aus­ge­führt:

[6]    Dem Klä­ger ste­he ein An­spruch auf Rück­ab­wick­lung des Kauf­ver­trags nicht zu. Be­züg­lich der im Früh­jahr 2008 fest­ge­stell­ten Schä­di­gung des Sprung­ge­lenks las­se sich nicht fest­stel­len, dass die­se Be­ein­träch­ti­gung schon im Zeit­punkt der Über­ga­be vor­ge­le­gen ha­be.

[7]    So­weit der Klä­ger den Rück­tritt auf die Os­teochon­d­ro­se ge­stützt ha­be, kön­ne of­fen­blei­ben, ob es sich da­bei um ei­ne – nicht als Man­gel zu qua­li­fi­zie­ren­de – blo­ße Ab­wei­chung von der phy­sio­lo­gi­schen Norm oder um ei­ne Er­kran­kung han­de­le. Ein hier­auf ge­stütz­ter Rück­tritt sei je­den­falls des­halb aus­ge­schlos­sen, weil der (un­ter­stell­te) Man­gel dem Klä­ger in­fol­ge gro­ber Fahr­läs­sig­keit un­be­kannt ge­blie­ben sei (§ 442 I 2 BGB). Denn der Klä­ger ha­be die ver­kehrs­üb­li­che Sorg­falt in un­ge­wöhn­lich ho­hem Ma­ße ver­letzt, in­dem er dem Ver­dacht, der sich ei­nem sorg­fäl­ti­gen Käu­fer an­ge­sichts der In­for­ma­tio­nen über die „Gal­le am Sprung­ge­lenk links“ und die Ent­fer­nung ei­nes Chips aus ei­nem Sprung­ge­lenk hät­te auf­drän­gen müs­sen, nicht nach­ge­gan­gen sei und kei­ne wei­te­re Auf­klä­rung ver­langt ha­be. Mit dem Hin­weis der Be­klag­ten, das Pferd sei „in Ord­nung“, ha­be sich der Klä­ger nicht be­gnü­gen dür­fen, zu­mal er es für die Teil­nah­me an Tur­nie­ren, al­so nicht nur im Frei­zeit­be­reich, ha­be ein­set­zen wol­len. Der Klä­ger ha­be sich selbst als Pfer­de­lieb­ha­ber be­zeich­net und die Ab­sicht ver­folgt, ein Sport­pferd zum Zwe­cke des Tur­nier-Dres­sur­rei­tens zu er­wer­ben; es sei des­halb an­zu­neh­men, dass er sich nä­her mit den hier­für er­for­der­li­chen Ei­gen­schaf­ten ei­nes Dres­sur­pfer­des be­schäf­tigt und auch ent­spre­chen­de Kennt­nis­se er­wor­ben ha­be. Hät­te der Klä­ger vor dem An­kauf ei­ne tier­ärzt­li­che Un­ter­su­chung oder die Vor­la­ge tier­ärzt­li­cher Un­ter­la­gen ver­langt, wä­re ihm die Os­teochon­d­ro­se be­kannt ge­wor­den.

[8]    Dem Klä­ger ste­he auch aus §§ 812 ff. BGB kein An­spruch auf Rück­ab­wick­lung des Ver­tra­ges zu. Ei­ne Nich­tig­keit des Ver­tra­ges we­gen Wu­chers (§ 138 II BGB) kom­me nicht in Be­tracht, weil schon nicht er­sicht­lich sei, dass der Klä­ger un­ter Aus­beu­tung ei­ner Zwangs­la­ge, sei­ner Un­er­fah­ren­heit oder des Man­gels an Ur­teils­ver­mö­gen oder ei­ner er­heb­li­chen Wil­lens­schwä­che zum Ab­schluss des Kauf­ver­tra­ges ge­drängt wor­den sei.

[9]    II. Die­se Be­ur­tei­lung hält recht­li­cher Nach­prü­fung nicht stand. Mit der vom Be­ru­fungs­ge­richt ge­ge­be­nen Be­grün­dung kann ein An­spruch des Klä­gers auf Rück­ab­wick­lung des Kauf­ver­tra­ges nach § 346 I BGB i. V. mit § 437 Nr. 2 Fall 1, §§ 440, 323 BGB nicht ver­neint wer­den.

[10]   1. Zu­tref­fend geht das Be­ru­fungs­ge­richt al­ler­dings da­von aus, dass das Rück­ab­wick­lungs­be­geh­ren des Klä­gers nicht schon des­we­gen (aus un­ge­recht­fer­tig­ter Be­rei­che­rung ge­mäß § 812 I BGB) be­grün­det ist, weil der Kauf­ver­trag we­gen Wu­chers (§ 138 II BGB) oder we­gen Ver­sto­ßes ge­gen die gu­ten Sit­ten (§ 138 I BGB) un­wirk­sam wä­re. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung der Re­vi­si­on kommt ei­ne Un­wirk­sam­keit des Kauf­ver­tra­ges nach § 138 I BGB we­gen ei­nes auf­fäl­li­gen Miss­ver­hält­nis­ses von Leis­tung und Ge­gen­leis­tung nicht in Be­tracht. Die Fra­ge, ob ein auf­fäl­li­ges Miss­ver­hält­nis vor­liegt, ist durch ei­nen Ver­gleich der von den Par­tei­en je­weils ver­trag­lich ge­schul­de­ten Leis­tun­gen zu be­ant­wor­ten. Er­gibt sich ein Miss­ver­hält­nis erst dar­aus, dass ei­ne Par­tei ih­re Leis­tung nicht man­gel­frei er­bracht hat, führt das nicht zur Sit­ten­wid­rig­keit des Ver­tra­ges, son­dern zur An­wen­dung des Ge­währ­leis­tungs­rechts. So liegt der Fall hier. Denn der Klä­ger lei­tet das von ihm be­haup­te­te auf­fäl­li­ge Miss­ver­hält­nis von Leis­tung und Ge­gen­leis­tung dar­aus her, dass das Pferd S mit Rück­sicht dar­auf, dass es ent­ge­gen den ver­trag­li­chen Ver­ein­ba­run­gen nicht als Tur­nier­pferd für Dres­su­ren bis Klas­se M ver­wen­det wer­den kön­ne, nur ei­nen Bruch­teil des ver­ein­bar­ten Kauf­prei­ses wert sei.

[11]   2. Zu­tref­fend geht das Be­ru­fungs­ge­richt fer­ner da­von aus, dass das Pferd S bei Ge­fahr­über­gang mit ei­nem Sach­man­gel be­haf­tet war, wenn es – wie vom Klä­ger be­haup­tet und vom Be­ru­fungs­ge­richt un­ter­stellt – we­gen ei­ner schon bei Über­ga­be be­ste­hen­den Os­teochon­d­ro­se nicht als Dres­sur­pferd ge­eig­net war. So­weit es sich da­bei ent­spre­chend der Be­haup­tung des Klä­gers um ei­ne sys­te­mi­sche Er­kran­kung han­deln soll­te, lä­ge der Sach­man­gel dar­in, dass S nicht die ver­trag­lich ver­ein­bar­te Be­schaf­fen­heit („oh­ne ge­sund­heit­li­chen Be­fund“) auf­wies (§ 434 I 1 BGB); an­de­ren­falls fehl­te dem Tier nach dem re­vi­si­ons­recht­lich zu­grun­de zu le­gen­den Sach­vor­trag des Klä­gers zu­min­dest die Eig­nung für die nach dem Ver­trag vor­aus­ge­setz­te Ver­wen­dung (§ 434 I 2 Nr. 1 BGB) als Dres­sur­pferd bis Klas­se M.

[12]   3. Die wei­te­re An­nah­me des Be­ru­fungs­ge­richts, die Haf­tung der Be­klag­ten für den (un­ter­stell­ten) Sach­man­gel sei je­den­falls des­halb ge­mäß § 442 I 2 BGB aus­ge­schlos­sen, weil er dem Klä­ger in­fol­ge gro­ber Fahr­läs­sig­keit un­be­kannt ge­blie­ben sei, ist je­doch von Rechts­feh­lern be­ein­flusst.

[13]   Das Be­ru­fungs­ge­richt nimmt an, dass der Klä­ger die ver­kehrs­üb­li­che Sorg­falt in un­ge­wöhn­lich gro­ber Wei­se ver­letzt ha­be, weil die An­ga­ben der Be­klag­ten zu der Chip-Ent­fer­nung bei S An­lass ge­bo­ten hät­ten, ge­sund­heit­li­che Be­ein­träch­ti­gun­gen in Er­wä­gung zu zie­hen; der Klä­ger hät­te des­halb auf ei­ne tier­ärzt­li­che An­kaufs­un­ter­su­chung be­ste­hen oder zu­min­dest Ein­sicht in die Ope­ra­ti­ons­un­ter­la­gen ver­lan­gen müs­sen. Als Pfer­de­lieb­ha­ber, der ein Dres­sur­pferd für Tur­nie­re ha­be er­wer­ben wol­len, ha­be der Klä­ger auch über ge­wis­se Sach­kun­de ver­fügt. Da­ge­gen wen­det sich die Re­vi­si­on mit Recht.

[14]   Zwar ob­liegt die tatrich­ter­li­che Be­ur­tei­lung, ob ei­ner Par­tei der Vor­wurf gro­ber Fahr­läs­sig­keit zu ma­chen ist, der Nach­prü­fung durch das Re­vi­si­ons­ge­richt nur da­hin, ob der Tatrich­ter den Be­griff der gro­ben Fahr­läs­sig­keit ver­kannt, bei der Be­ur­tei­lung des Ver­schul­dens­grads we­sent­li­che Um­stän­de au­ßer Acht ge­las­sen oder ge­gen Denk­ge­set­ze, Er­fah­rungs­sät­ze oder Ver­fah­rens­vor­schrif­ten ver­sto­ßen hat (st. Rspr., z. B. BGH, Urt. v. 22.09.2011 – III ZR 186/10, NJW-RR 2012, 111 Rn. 8; Urt. v. 24.04.2012 – XI ZR 96/11, NJW 2012, 2422 Rn. 24; je­weils m. w. Nachw.). Auch die­ser ein­ge­schränk­ten Nach­prü­fung hält die Be­ur­tei­lung des Be­ru­fungs­ge­richts in­des­sen nicht stand.

[15]   Gro­be Fahr­läs­sig­keit setzt ei­nen ob­jek­tiv schwer­wie­gen­den und sub­jek­tiv nicht ent­schuld­ba­ren Ver­stoß ge­gen die An­for­de­run­gen der im Ver­kehr er­for­der­li­chen Sorg­falt vor­aus (BGH, Urt. v. 22.09.2011 – III ZR 186/10, NJW-RR 2012, 111 Rn. 8). In­so­weit hat das Be­ru­fungs­ge­richt ver­kannt, dass es dem Käu­fer im All­ge­mei­nen nicht als Sorg­falts­ver­stoß an­ge­las­tet wer­den kann, wenn er sich auf die An­ga­ben des Ver­käu­fers zum Kauf­ge­gen­stand ver­lässt und des­halb kei­ne ei­ge­nen Nach­for­schun­gen an­stellt. Zu­dem hat sich die Be­klag­te nicht auf den all­ge­mei­nen Hin­weis, dass das Pferd „in Ord­nung“ sei, be­schränkt; viel­mehr ist im Kauf­ver­trag aus­drück­lich fest­ge­hal­ten, dass das Pferd – ab­ge­se­hen von der „Gal­le“ – oh­ne ge­sund­heit­li­chen Be­fund sei und für mit­tel­schwe­re Dres­sur­prü­fun­gen ein­ge­setzt wer­den sol­le. Ent­ge­gen der Auf­fas­sung des Be­ru­fungs­ge­richts kann auch nicht oh­ne Wei­te­res ei­ne Sach­kun­de des Klä­gers un­ter­stellt wer­den, die ihn hät­te ver­an­las­sen müs­sen, zu­min­dest be­züg­lich der Ope­ra­ti­on („Chi­pent­fer­nung“) nä­her nach­zu­fra­gen. Der vom Be­ru­fungs­ge­richt her­an­ge­zo­ge­ne Um­stand, dass der Klä­ger ein Sport­pferd für Tur­nie­re ha­be kau­fen wol­len und sich selbst als „Pfer­de­lieb­ha­ber“ be­zeich­net ha­be, er­laubt kei­nen trag­fä­hi­gen Rück­schluss auf ei­ne nä­he­re Sach­kennt­nis des Klä­gers im Hin­blick auf Er­kran­kun­gen des Be­we­gungs­ap­pa­rats bei Pfer­den.

[16]   III. Nach al­le­dem kann das Ur­teil des Be­ru­fungs­ge­richts kei­nen Be­stand ha­ben, es ist da­her auf­zu­he­ben (§ 562 I ZPO). Der Rechts­streit ist nicht zur End­ent­schei­dung reif, weil das Be­ru­fungs­ge­richt – vor dem Hin­ter­grund der von ihm ver­tre­te­nen Rechts­auf­fas­sung fol­ge­rich­tig – den vom Klä­ger be­haup­te­ten Sach­man­gel des Tie­res le­dig­lich un­ter­stellt und in­so­weit kei­ne Fest­stel­lun­gen ge­trof­fen hat. Der Rechts­streit ist da­her zur neu­en Ver­hand­lung und Ent­schei­dung an das Be­ru­fungs­ge­richt zu­rück­zu­ver­wei­sen (§ 563 I 1 ZPO).

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